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3lr. 359* 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Ireiiag, 20. Juli 1915

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Di« toll« Hu«d»tag»HId« treibt di« Menschen gu Ent­schlüssen, die ganz nach der Skala Roaumurs vom mildesten bis zum vollendeten Blödsinn diktiert werden. Aus der oberen Skala 36 Grad im Schatten~ möchte man au«derchaut" fahren. Aber warum tun sie es nicht, Derehrtester? Wenn Sie sich schon zu Hause innerhalb der geschützten vier Wände keinen Zwang auserlegen, warum nicht auch draußen? Zerbrechen Sie dir öde langweilige Konvention, die von der Geselkschast dem Stadt- menschen auferlegt wird! Aus dem Lande weih man sich doch von solchen Dingen frei,«tn seder Mensch geht dort, wie e« ihm ge- fällig ist,»ich auch der Städter fühlt den Zwang der Kleidung«- frag«»icht mehr, wen« er in« Frei« kommt. vie törichte Zwangstracht. Man würde tauben Ohren predigen, wenn diese Mahnung an fem Männer gerichtet sein würde, die dem Gesetz der tzttt« au» bürgerlich«« Zwangsideen heraus folgen, während ihre Fr ane» die ersten waren, die den törichten Modeqmang durch- brache». So richtet sich«ät immer der Appell an die arbeitend« Bevölkerung, m» endlich Schluß mit der dummen Zwang«. wacht zu»«che«, die teuer,«nhygienisch und unprak- tisch tft.» ist stlbswerständlich. wem, man Ideen vrl-pqai«r«n mstl die durchaus dejpe neuen find wy daß man um dabei der Jlnterftoiping nan Fachleuten vctstchecL Und gerade We Ar­beit« haben« ihrem, au» der pewerkschostlichen Orgonifatton her- aP>gewachf»nen, vorbildlichen Unternehmen, dir genossenschaftlichen Jhorfmtng'*, die eifrigsten Vertreter ssir eineM ännerrefarm. Man sollt« nur hingehen und sich beraten lassen,warum tragen unsere Arbeller nicht die längst In Amerika eingeführte Schuh- Neida ng bei ihren Berufen, m« vluf« und hose in einer kom­binierter Uebertleidung. mit der nenerdmg«. der Bequemlichkeit wegen, dee Amerikaner auch auf die Straße geht?" Der sackartige los» Kittel mag nicht für jedermanns Geschmack sein, aber«ine« ist b«stimmt sein Vorzug: er ist luftig und bequem. Die hin- dernde Jack«, die bei der Arbeit an Maschinen so oft zu U n g ck s- fällen gesührt hat. fällt weg. Die fest an den Leib onschliehend«

hos« fällt weg, die lästigen Hofenträger, der einschnürende Gürtel.

Leicht und lose wird das Gewand von den Schustern gehakten. Als Schutzkleidung für die A u t o m o b i l i st« n hat dieseKam- b i n a 1 i o n" bereits Eingang bei uns gesunden und auch als Unterkleidung vorerst bei den Frauen. Die Frauen, die übrigens für das Praktifche einen viel schärferen Äick hoben als der Mann,, hatten sich sofort des neuen Kleichingsstück» beim ersten Auftauchen bemächtigt. Es verbindet Hemd und Unterbeinkleid in einem, folgt in allem den Körperformen. wärmt im Winter und ist im Sommer leicht zu tragen. Auch für die Männer liegt die.Kombination" vor, in porösen leichten Stoffen. Man muß nur erst darauf gestoßen werden, daß dies« vereinfachte Unter- Neidung die billigere und praktischer« ist. Bequeme Gtraßentteidung. Für die Straßentleidun« empfiehst bi«Hoffnung" in den heißen Tagen da. Tragen van ,V o n n y" h« m d« n,«hensolls ein Kleidunasstück, das Amerika als Ursprungsland hat. Es ist ein in Weiß oder in ollen Modefarben gehalttne, blusenartiges Hemd, da» mst angeschnittenem Kragen teil» offen al»Schiller- tragen" oder geschlossen mit Krawatte getrogen wird und zwei aufgesetzt« Taschen hat. Die Hose mit Zuggürteln an der Seite wird ohne Träger dazu gettaaen, sie muß so fest am Leib sitzen, daß der Gürtel der in Amerika aus buntem StiH besteht eigentlich nur einen Abschluß gibt und lole den Leib um- schließt. Man kann diese neu« Reform bereit» in den heißen Tage» bei denGanz verzweifelt««" auch bei un» sehen, aber meist doch in einer falschen Anwendung. Meist trägt man da» weiße oder farbige Oberhemd mit dem lästigen, sestumschließenden Gürtel,' oder was noch viel örger ist mit dem steifen Stehumlegekragen, um mit diesem die Durchbrechung des gesellschaftlichen Prinzips zu entschuldigen. Aalürlich schwitzt man unter dem kragen am meisten. Der Preis für �Zonm» von 6L0 Mark bi« 7,SO M. ist nicht teurer al» sonst«In sarbiae» Mode- Hemd. Die.Hoffnung " zeigt Ihre Kvllettion farbigerRussen- k i t t e l". die gewisiermaßen ebenfalls als E r s a tz für da» I a ck« t t anzusprechen wären. Aber neben ihrem fremdartigen Schnitt hat eben diese Aus« wenn sie nicht vemonslrativen Zwecken dienen soll doch auch de» Rachieil, daß sie am hol# geschlossen und darum lästig ist. Oer Fluch der Tradition. 'Sie glauben nicht", sogt der gelchästaführend« Genosse,wie arg die deutsch « Männerwelt und msbesonder« die Arbeiter- schast an ihren alten Vorurteilen iesthält- Bei un» ist es verpönt, in Hemdsärmeln im Geschäft oder Bureau herumzugehen. sogar die Frauen nehmen daran Anstoß und bezeichnen es als unsittlich, ff» wird Wim« mich bei 36 Grad Hitze der ge- schlossene dunkle Mzpg verlaugl. In Amerika ist e« umzerehrt! man mürbe den Mann au« seiner Stellung»»eisen, der«n Sommer nicht seinen Kunden in einer sauberen weiße» Hemdbluse gegenübertreten wallte." Und well wir bei dem ThemaR« s o r- min" sind, so war«» angebracht, auch die andere« Bekleidung»« stück« de» Manne » einmal abzuwandeln. Da tritt an Stell« de» lästigen Strumpfband»«in« Männersock«. die gleich vom e�ibrikanten oben mit einem Gummiband geliefert wird und t und elastisch am Fuß sitzt. So lange wie die Strümps« halten, st das Gummiband bestimmt auch. An Stelle de» Hutes und besonders des Strohhutes, der auf die Sttrn drückt, tritt die leichte Mütze aus porösem Stoff. An Schuhwert sind durch- brachen« Sandalen mit niederen Absätzen zu empfehlen. Für die Hosen haben sich an Stelle derBreeches� dieKnicker- b o k e r s" eingeführt, die des lästigen Zwangs der Sport- strümps« entbehren und den Fuß in der Wade nicht so fest und

dicht umhüllen. Unzweisekhaft sind diese Hosen englischer Erfindung sehr zu empfehlen, ebenso wie dieT r« n ch- c o u t", den englischen Ossiziersmänteln im Feld« nachgebildet, die einen praktischeren Ueberwurs darstellen als unsere O«l- und Gummimäntel mit ihren luftundurchlässigen Stoffen. * Ein Wandel in der Kleidung de» Manne » ist trotz aller Gegnerschost der interessierten Industrie doch in allernächster Zeit zu erwarten!" meint der klug« Geschästssührer. Der Sport mit seinen vielen Neuerungen wird sehr byld Bresche in diese über- lieferten Formen der Kleidung schlagen. Schon heut« schafft sich»in Kleidungsstück im Sportwesen Bahn, das. ebenso im Schnitt wie die.Kombination", dem praktischen Gebrauch Rechnung trögt. Es sind die» die Trainingsanzüge aus Wolle, die von Leichtathlettkern noch Beendigung ihrer Sportübungen über- gezogen werden- Man sieht also deutlich, wie die Linie verläuit. Bi»her wehren sich speziell die besseren herreiibetleU dung»- und Konfektionsgeschäft, gegen»ine solche Reform der Männerkleidung, well sie In der leichte» Sommer- kleidung ein« Aermtnderqng Ihre» Verdienstes sehen. Aber hat speziell der Arbeiter Ursache, auf solch, einseitigen Imex, esse« Mcksicht zu nehmen? F R

Eine GastragSdie in Charwitenburg. Mutter und Kind in den Tod gegangen. In der Spandauer Str. S in Charlottenbura vergiftete sich gestern abend die 23 Jahr« alt« Ehesrau C. mit ihrem VA Jahre allen Söhnchen inst Gas. Da in dem Zimmer kein Gasanschluß vorhanden war, hatte sie sich einen langen G a s s ch l a u ch ge­kauft und ihn aus der Küche in das Zimmer geleitet. Als der Ehemonn nach Haufe kam, fand er Frau und Kind tot vor. Di« herbeigerufene Feuerwehr machte längere Zelt Wieder- belebunslaversuchs, die ober erfolglos blieben. Die Ursache zu dem Verzweiflungsschritt ist unbekannt.

SieVachtmchdemVerrat. IS, Bültum von liam O'Flaherty . («IM de« Gngtische« übsrseßt»«» ft. Häuser.) Wredsc kam ihm der(Sedanke, daß er keinen Augenblick verüeren dürfe, einen Plan zu machen. Aber in seinem Kopf war vollkommene Leere, gegen die sich seine Stirn heiß und krampfig preßte, al« ob man ihm mit einer Latte einen schweren Schlag versetzt hätte. In seinem Kopf stolperte der Gedanke, unsinnig sich selbst wiederholend, so wie ein Kind in einem verlassenen Haus um Hilfe schreit. Gr umklammerte das Klappmesser in seiner Hosentasche; zu sich selber murmelte er:..Nein, so kann ich's nicht zu­sammenkriegen, draußen im Regen vor'ner Kneipe. Besser wettergehen." Mit beinahe trunkener hefttgkett drängte er um die Ecke in den Aufruhr der littstreet. Mit Entsetzen wurde ihm da, Schicksal Aar. das ihn erwartete, wenn... Er sah die Gruppen unter den Laternenpfählen stehen. Er sah die Frauen huschen. Er sah die jungen Leute, wie sie flüsterten. angespannt und erwartungsvoll. Er hörte dos Geräusch der Menschenstimmen. Plötzlich schien ihm die düstere, verkommene Erraße. die ihm bi« jetzt so vertraut gewesen war, fremd, al« hätte er sie nie zuvor gesehen, als wäre sie plötzlich von fürchterlichen Ungeheuern bewohnt, die danach trachteten, ihn zu verfchlingen. Es kam ihm beinahe vor. als wäre er. ver- wirrt«m Kopf, in ein fremdes und feindliches Land hinein- gelaufen, von dem er nicht einmal die Sprache kannte. Kampfbereit sah er um sich, während er die Straße hin- aufging. Fest setzte er die Füße auf und ging breitbeinia und mtt ausgereckten Schullern. den Kopf gegen den Wind gelegt, wt das Bugspriet eine» Schiffes. Als er an einer offenen Tür vorüberkam, rief jemand hsfsst." Wie ein Wachtposten blieb er auf den Anruf stehen. Wütend drehte er sich gegen die Tür und rief:Wer macht da hsst?" Och bin' s bloß, piepste eine alte Dame mit einer sauberen weißen Schürze, eine Frau, die er gut kannte:..Ich dachte, du wärst Jim Delaney, der Kohlenschlpver. Ich muß flüstern wegen meinem hals. Bor vierzehn Tagen Hab' ich pm'tun Schnupfen geHoll beim Fußbodenscheuern draußen

in Elontarff. und es wird immer schlimmer statt besser. Der Doktor..." Aber Gypo streifte nur mit einem Blick ärgerlich ihren verbundenen hals und die trüben blauen Augen: mit einem Grunzen ging er weiter, ohne hinzuhören. Er erreichte Nummer 44 und trat durch die offene Tür, ohne anzuklopfen. Nummer 44 war das angesehenst« Haus in der Straße. Seine rote Ziegelfront war sauberer als dt« der anderen Häuser. Die Scheiben der Wohnzimmerfenster waren unzer- brachen und mit reinlichen Gardinen aus billigen Spitzen dekoriert. Seine Tür war mit frischer Farbe schwarz gemalt. Sein Besitzer, Lack McPhillip, der Maurer, war schon im Be- griff, vom Proletarier zum Kleinbürger aufzusteigen. Er war Sozialdemokrat und Obmann seines Zweiges in der Ge- werkschaft, aber er war ein durchaus ehrenworter, konser- vativer Sozialdemokrat, fanatisch in seinem Haß gegen das Dasein eines Arbeiters. Da» ganze hau» war dieser Welt- anschauung angepaßt. Die Tür führte zu einem kleinen, schmalen Vorraum, wo in der Mitte die Trepp « emporführte. Das Treppenhaus war sehr sauber gehalten: blankpollerte Messingstangen hielten den abgewaschenen Linoleumteppich fest, der steif und geradlinig hinaufstrebte. Bon der Tür aus konnte man am Tage den Hinterhof sehen. Im hinterhos waren Anbauten und Stall«: denn McPhillipo hielt ein« gelbe Ziege, drei Schwein«, ein Volk weißer huhner und ein kleines Pony mit zweirädrigem Wagen. Er pflegte damit an den Sonntagen mit seiner Frau zu ihren Bcrwanoten nach Talmur aufs Land zu fahren. Auf der rechten Seite des Flures waren zwei Türen. Die erste führte in das Wohnzimmer. In diesem Wohnzimmer gab es ein Klavier, acht Stühle in allen Größen und Arten, unzählige Photographien und Nippes: es blieb nicht der geringste Raum übrig, um sich zu rühren, ohne irgend etwas anzu- stoßen. Die zwette Tür führte in die Küche, einen großen, sauberen Raum mtt zementiertem Fußboden, einer offenen Feuerstelle und einem schmalen Bett in der Ecke, die am weitesten von der Tür entfernt war. Das Bett gehörte dem alten Ned Lawleß, einem epileptischen Verwandten von Frau McPhillip. Er lebte im haus und bekam feine Mahlzeiten und eine halbe Krone pro Woche als Entgelt für feine Arbeit im Hinterhof. Er war nie sauber, das einzige Schmutzige im Haus. Im oberen Stock lagen drei Zimmer. Dos eine gehörte dem alten Ehepaar, an dem zweiten wohnte ihre einzige Tochter Mary, ein Mädchen von einundzwanzig

Jahren, die in der City als Kontoristin arbeitete, in den Bureaus von Gogarty und hogan, Rechtsanwälte und Notare. Da« dritte Zimmer, da, zum Hinterhof hinausging, war seit einem halben Jahr unbenutzt. Es war Francis' Schlaf- zimmer gewesen- An diesem Abend hatte er es gerade be- treten, um zu Bett zu gehen, als die Polizei erschien. Als Gypo eintrat, wimmelte das Haus von Nachbarn, die hereingekommen waren, um ihre Teilnahme zu zeigen. Einige standen sogar im Flur. Gypo ging hindurch und bahnte sich seinen Weg in die Küche. Niemand bemerkte ihn. Er setzte sich auf den Fußboden links von der Tür. Den Rücken lehnt« er gegen die Wand, mit feiner rechten Hand hielt er um die hochgezogenen Knie herum sein linke» Handgelenk fest. Fast eine Minute saß er schweigend da und wartete auf eine Ge- legenheit. Frau McPhillip anzureden. Zwischen den Meu- schen im Zimmer hindurch konnte er sie auf einem Stuhl recht« vom Feuer sitzen sehen, vie schwarzen Perlen eines Rosenkranzes waren rings um ihre Finger gewickelt. Tränen füllten ihre blaßblauen Augen und strömten an ihren großen, weißen, fetten Backen nieder. Ihr korpulenter Körper quoll an allen Seiten über den Stuhl hinüber wie eine Last Heu über den Wagen. Ihre Füße waren unter ihrer karierten Schürze verborgen. Ab und zu nickte sie mit dem Kopf als Antwort, wenn man etwas zu ihr tagte. Sie fesselte Gypvs Aufmerksamkeit wie ein starker Magnet. Selbst wenn sich jemand zwischen seine Augen und ihre Gestalt stellte, sah er durch den dazwischenliegenden Körper, als ob er durchsichtig wäre. Seine Augen waren auf ihre Stirn gerichtet und auf ihr grauweißes haar, das oben auf dem Schädel, wo der Scheitel war, einen gelblichen Schimmer hatte. Er dachte daran, wie gut sie zu ihm gewesen war. Sie hatte ihm oft zu effen gegeben. Viel wertvoller war für ihn, daß sie immer ein teilnehmendes Wort für ihn hotte, einen freundlichen Blick, sine zärtlich«, milde, sanfte Berührung ihrer Hand auf seiner Schulter. Dies waren die Dinge, die seine seltsame Seele nicht vergaß und aufbewahrte wie einen Schatz. Niemand sonst war so weich und sanft zu ihm wie sie. Ost wenn er und Francis beim Tagesanbruch ins Haus kamen, nachdem sie irgendein revolutionäresDing gedreht" hatten, stand sie auf. borfuß. nur einen Rock über ihr Nacht- Hemd geworfen. Dann pflegte sie stumm herumzugehen und ein Frühstück zu kochen. Unter ihren Händen wurde es ein riesiges Mahl, ein übertrieben reichliches irisches Mahl: Wurste. Eier, gebratener Speck, alles zusammen auf einem