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45. Jahrgang
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Aerliner Volksblatt
Kreitag W. August 1925 Groß-Verlin Ig pf. Auswärts 15 Z>f. Dw e l n s p a l t t g e Nonpareillezeile Sv Pfennig. Retlamezeile 5.— Reichsmart.„Kleine Anzeigen' das settge» druckte Wort 25 Pfennig(zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 1ö Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Motte über 15 Buchstaben zählen für zwei Motte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen- annähme im Hauptgeschäft Linden- Krade 3, Wochentag!, von 3'/, bis 17 Uhr.
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Der Präsident ist tot! Zum Tode von Stephan Itaditsch. Von Hsramnn WendeL Wer je Gelegenheit hatte, in der Umgebung Stephan R a d i t s ch s zu weilen, staunte über die Ehrfurcht, mit der fein Gefolge von ihm sprach. Nie hieß es Herr Raditjch, immer der Präsident. Es klang, als sei die Rede von einem Staatsoberhaupt, denn wenn der Titel auch jederzeit als„Präsident der Kroatischen Bauernpartei" erklärt werden konnte, so haftete daran doch deutlich der Unterklang„Präsi- dent von Kroatien". Jetzt ist der Präsident tot, und die Kunde seines Endes wird das Volk tiefer aufwühlen, den Staat tiefer erschüttern, als wenn sich der Träger der Krone zum Sterben hingelegt hätte. Als Student(und Schüler Masaryks) in Prag hat er sich noch schwärmerisch zu der Tatsache bekannt, die er später leugnen sollte, daß Serben und Kroaten nicht zwei Völker sind, sondern ein Volk mit zwei Namen, und hißte die Fahne der südslawischen Einigung: Serben, Kroaten , Slowenen und Bulgaren unter einem Dach: ja, den Peter Karadjordjewitsch, der 1903 nach Belgrod fuhr, um dort auf den durch Mord erledigten Thron zu steigen, grüßte er als den küafligen König der Südslawen! Als Raditfch 1904 mit seinem Bruder Ante die K r o a- tische Bauernpartei gründete, begann ein neuer Ab- schnitt in der Geschichte Kroatiens , denn alle politischen Par- teien bisher waren„Herrenparteien", die sich des Landvolkes kaum als Stimmvieh bedient hatten, weil in jedem Dorf höchstens 8 bis 19 Bauern dos Wahlrecht besaßen. Für alle Zeiten wird es das große historische Verdienst Raditschs bleiben, daß er die bis dahin unbewegliche Masse des flachen Lande, politisch in Marsch gesetzt hat, und für die Dynamik der Bewegung verschlägt es auch nicht allzuviel, daß er weniger den Bauern zu klobem sozialen De- wußlscin � erweckte, als die dumpfe Abneigung des Dorf- menichcn. gegen die„Stadtfräck" ausnutzte. Warf ihm die ge- schick:? Ilmwerbung der Bouernseele wenig politische Macht ob, solange das Zensuswohlrecht galt, unter dem er sich im Agramer Landtag bald mit 3, bald mit 8, bald mit 9 Abgeord- neten begnügen mußte, so trug das Kapital an Vertrauen, das er sich beim Landvolk angesammelt hotte, Zins und Zinseszins, als 1918 mit der Eingliederung Kroatiens in den südslawischen Staat die Schleusen des allgemeinen und gleichen Wohlrechts aufgezogen wurden. 1929 errang er bei den KonstituantS'Wohlen 239 999 Stimmen, bei den Skupschtina- Wahlen 1923 schon 473 999, 192S trotz der Verfolgung seiner Partei 546 099 oder 22.4 Proz. aller abgegebenen Gummi- kugeln, und wenn die Wahl 1927 auch einen kleinen Rückgang brachte, so blieb die Kroatische Bauernpartei mit 383 000 Wählern und 16,5 Proz. aller Stimmen die z w e i t st ä r k st e Partei des Staates. Da Raditsch seine Macht in den Dienst des kroatischen Ge- danken? stellte, wurde er zur europäischen Persönlichkeit. Wie er in vielem, namentlich in sozialpolitischen Fragen, das Gesicht rückwärts drehte, und etwa den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit durch die Sadruga. die aus- sterbende altertümliche Hausgenossenschaft, über- winden zu können glaubte, so war auch das kroatische Staatsrecht, auf dem er herumritt, in einem Jahrhun- dert, das alles Recht, nicht aus toten Pergamenten, �sondern mis dem lebendigen Willen des Volkes ableitet, überholt. Aber die Versteistlng auf den Gedanken, daß Kroatien von je» her und für jeden ein staatlicher Organismus für sich sei und mit Serbien nur ein freies Bündnis Staat zu Staat abschließen könne, erlaubte ihm, sich scharf gegen die Mißbräuche zu kehren, die die Belgrader Machthaber reichlich begingen, und trieb ihm auch aus der st ä d t i s ch e n Bevölke« rung alle jene zu, die über das Belgrader System verbittert waren. Aber seine alte Garde blieben doch die Bauern K r o a t i e n s, die ihm alle sprunghaften Wandlungen seiner Taktik nachsahen, einmal, weil sie ihm blindlings vertrauten und zum anderen, weil sie in der langen Spanne der poli- tischen Rechtlosigkeit keine politische Erziehung genosien hatten. Daß seine Bauern bedingungslos mit ihm durch Dick und Dünn gingen, bedeutete aber für Raditsch selber ein Stück Tragik, denn, seiner Gefolgschaft unverbrüchlich sicher, gab er nach jeder Wallung seines stürmischen und romantischen Temperaments hemmungslos nach. So schlug er den Rekord aller politischen V e r w a n d l u n g s» k ü n st l e r! Raditsch ist wahrhaftig das Gegensätzlichste ge- wesen, was man überhaupt sein kann: Republikaner und Monarchist, habsburg-begeistert und Karadjordjewitsch- An- häuaer, Weltkriegsbarde und Pazifist, Schwärmer für den englischen Liberalismus uud für den russischen Sowjetismus, Verneinet des südslawischen Staates und Inhaber des höchsten südslawischen Ordens, Boytottierer der Belgrader Skupschtina und aktiver Minister— es ging oft wirbelnd schnell, aber bei den kroatischen Bauern schadete es ihm nichts. Sie hielten zu ihm. sie hingen an ihm. Der König in Belgrad ? Ja. freilich! Aber Stephan Raditsch in Agram? Es lebe der Präsi-, d e nll 1
Der sterbende Raditsch war vielleicht ein« größere politische Macht, als je der lebende, denn mit seinem Tode erst mußten die Schüsse des 20. Juni ihre psychologische Wirkung auf die Bauernmasse Kroatiens voll ausüben. Aengftlich folgte darum das ganze Land von Tag zu Tag seiner Fieberkurve. Jetzt ist der Präsident tot! Der Führer, der mit seiner urwüchsigen volkstümlichen Beredsamkeit das Landvolk in zauberhaften Bann schloß, es antreiben, aber auch zurückhalten konnte, ist nicht mehr. Keinem der Dia- dachen eignet ähnlicher Einfluß. Was wird der kroa- tische Bauer tun, in dem das eine Gefühl zur hellen Flamm« aufschlägt: die Serben haben den Präsidenten ge- mordet? Die nächsten Tage werden erweisen, ob das Grab des Bauerntribunen mit dem Blut des Bürgerkrieges be- sprengt wird. Vielleicht wird darum heute auch die kaltblütigsten der Belgrader Machthaber ein Grauen anwandeln, daß sie gleich nach dem 29. Juni nicht das Notwendigste taten,
indem sie die Skupschtina nach Hause schickten und einer neutralen Regierung die Durchführung der Neuwahlen an- vertrauten. Jetzt kommt die Reue zu spät. Sie mögen sich auf die Armee verlassen und auch verlassen können, aber in jedem Falle sind von ollen Arten staatsrechtlicher Logik die Bajonette am brüchigsten. Wer aber auch die politischen Ge- schehnisse des Tages von hoher geschichtlicher Warte be- trachtet, zweifelt keinen Augenblick, daß der südslawi- sche Gedanke, vor dem der junge Raditsch das Knie ge- beugt hat, auch die schwere Erschütterung, die er durch den Tod des ölten Raditsch erfährt, überleben wird. Und wenn morgen in den Straßen Agrams gehauen und geschossen
wird, die südslawische Einheit ist, nicht zuletzt im Sinne und Interesse der Arbeiterklasse, eine historische Not- wendigkeit wie die italienische, wie die deutsche Einheit. Raditschs letzte Mahnung: Ruhe! «gram. 9. August. | Heute früh wurde das von Stefan Raditsch hinterlassene poli» tische Testament eröffnet. Danach hat Raditsch den Führer des kroatischen Blockes Dr. Trumbitsch zu seinem Nachfolger in der Parteiführung bestellt. Das Testament enthält ferner einen Appell an das kroatisch« Volk, die Ruhe zu bewahren. Emissäre der bäuerlichen demokratischen Koalition bereisen in Automobilen das ganze Land, um die Bevölkerung im Sinne des Vermächtnisses zur Ruhe zu mahnen. Bisher ist es nirgends zu Ruhestörungen gekommen. Heute wurde hier bekannt, daß die Regierung beschlossen habe, korporativ an den Bei- setzungsseierlichkeiten für Raditsch in Agram teilzunehmen. Dr. Trumbitsch hat dem altösterrcichischen Abgeordneten- Haus als dalmatinischer Vertreter angehört. Im Krieg« war er als „politisch unzuverlässig" im Innern Oesterreichs zwangskonfiniert, d. h. an den ihm angewiesenen Wohnsitz gebunden. Auslieferung der Mord-parlamentarier. Belgrad , S. Auqust. Der Immunstätsausschuß der Skupschtina hat einstimmig be- schlössen, die an der Tat vom 29. Juni mitschuldigen Abgq. Dragon Iovano witsch(Demokrat) und Thomas P o p owit sch (Radikal) dem Gericht auszuliefern. Der Haupttäter, Abg. Rassisch, ist schon seit der Tot in Untersuchungshaft.
Brüssel, 9. August.(Eigenbericht.) Der fünft« Tag des Internationalen Kongresse« war überaus arbeitsreich. Das Plenum tagte sowohl am Bovmittag wie am Nachmittag. Inzwischen haben auch die politische Kam- Mission und die Abrüstungskommission ihre Arbeiten beendet. Aus der politischen Kommissson wurde die Frag« der Rheinlondräumung insofern vorweggenonnnen, als der Sekretär der französtschen Partei Genosse Paul Faure am Räch- mittag im stark besetzten Plenum des Kongresses eine wichtige E r- k l ä r u n g im Namen der gesamten französischen Delegation abgab. Er stellt« durch genaue Zitate aus dem neuen Aktionsprogramm der französischen Sozialistischen Partei eindeutig fest, daß die französtschen Tozialiste« geschlossen fnr eine sofortige nnd bedingungslose Räumung des Rhein - landes eintreten. Dies« Erklärung wurde vom gesamten Kongreß mit stürmischem Beifall aufgenommen. Der Kongreß nahm einstimmig die Resolution der Wirt- schoftskommission an. Dieses umfangreiche Dokument stellt ein« Synthese von wissenschaftlicher Darlegung über die neuen Entwicklungstendenzen und Ergebnisse der kapitalistische» Welt- Wirtschaft und von praktischen Borschlägen und Forderungen de« internationalen Sozialismus dar. Vordem hatte die Genossin Iuchacz-Deutschland den Bericht über die Frauenkonferenz erstattet, deren Resoluttonen vom Kongreß zur Kenntnis genommen wurden. Endlich hatte Friedrick Adler als Sekretär und Rvos- b r o« k als Kassierer der SAI. den Bericht d« r'O r g a n i s a° tionskommission erstattet. Beide, insbesondere Dr. Adler, wandten sich scharf gegen die Versuche der»ommuni- sten, unter der Maske der Einheitsfront Mitglieder der Sozialist!. schen Arbeiter-Jnternotional« in bolschewistisch« Propagandaorgam- sationen, wie die„Rote Hilfe", die„Liga für Kolonial« Unte» drückung' und dergleichen einzuspannen. Die Statuten der International« werden in diesem Punkt ein- verschärfte Fassung erhallen. weil z. D. einzeln« Mitglieder der Unabhängigen Arbeiterpartei Englands immer wieder trotz wiederholter Versprechungen an solche» moskowitischen Aktionen teilnehmen. Die überaus scharfe Zurückweisung der bolschewistischen SpaltungStaktik durch den Internationalen Sekretär wurde wiederholt mit demon- strattvem Beifall de« Kongresses unterstrichen. * Brüssel. 0. August.(Eigenbericht.) Die Dormittagssitzung leiten H i l l q u i t- Amerika und D l i e- gen-Holland. Den Bericht über die Frauenkonfereaz erstattet Marie ZuchacZ'Oeutschland:\ Die Frauenkonferenz hat eine Entschließung angenommen, in ver folgende» verlongt wird: Schaffung und Ausbau der Schutzbestim- nmngen für Schwangere, Wöchnerinnen und stillende Mütter, Ratifi- zierung und volle Durchführung des Washingtoner Uebcreinkommens über Wöchnerinnenschutz und dessen Ausdehnung aus alle beruf»-
tättgen Frauen, Schaffung einer allgemeinen Mutterschastsunter- stützung, Sicherung unentgeltlicher ärztlicher Behandlungs- und Pileqcmöglichkeiten in Entbindungsanstalten, Schasiung von ärztlichen Beratungsstellen, Ausbau der öffentlichen Gesundheitspflege
sowie Fürsorge für Tuberkulose , für Geschlechtstrankhetten. für Alka- holiker, Ausbau des gesamten staatlichen und komnmnalen Fürsorge- wesen«, insbesondere Verteilung von Milch, Hauskrankenpflege und
Kindergärten, Die Frauenkonferenz wünscht außerdem Srchebungen über die Todesursachen im Kindbett, über den Ein- slutz der körperlichen Arbeiten von Mädchen urd Frauen aus ihre zukünsttge ZNuttcrschasl; sie verlangt gesetzliche Maßnahmen zur völligen Gleichstellung unehelicher u<nd ehelicher Kinder und Gleichstellung der Frauen im Familienrecht. Die An- erkennung der Bedeutung einer gesunden Mutterschast soll ein Teil der Voltserziehung sein. Dazu hat die große Mehrheit der Frauenkonferenz eine Erklärung eingebracht, in der zum Ausdruck kommt, daß die stattstisch erwiesene Verminderung der Ge- burten in allen vom Kapitalismus erfaßten Ländern auf einer u n- gesunden Grundlage beruht. Die sozialistischen Parteien, die nach der Macht im Staate streben und aus parlamentarischer Grund- lag« Einfluß auf die atmö« Gesetzgebung zu bekommen suchen, müssen sich auch mit diesen Fragen auseinandersetzen. Das ist der Grund für die von den Frauendelegierten aus 12 Ländern für 13 Parteien abgegebene Erklärung. Außerdem haben einzelne Delegierte aus drei anderen Ländern diese Erklärung persönlich unterschrieben. Die Internationale kann an dieser Meinung der Frauen nicht vor- übergehen.(Lebhaste Zustimmung.) Die Forderungen der Frauenkonferenz für die Frauen im B e- trieb erstrecken sich auf: Begrenzung der Arbeitszett, Entlohnung, Schutz gegen gesundheitliche Gefahren, Schonsrist vor und nach der Entbindung sowie Unterstützung in dieser Zeit, Schutz für jugend- liche Arbeiterinnen. Die Mitarbeit der enverbslättge« Frauen bei der Durchführung dieser Forderungen ist notwendig und kann nur durch gewerkschaftliche und politische Organisatton aller Arbeitnehmer erreicht werden. Die Forderung der Frauen für die Fürsorg« von Hilfsbedürftigen bezieht sich auf Kranke, Krüppel. Blind« und Gelähmte und ist ebenfalls von der Frauenkonferenz einstimmig genehmigt worden. Differenzen ent- standen bei der Behandlung des Punktes:„Tendenzen zur Mobilisierung der Frauen": aber auch hier sind die Verhandlungen in kameradschaftlicher Weise geführt war- den. Die sozialistischen Frauen haben mit Besorgnis beobachtet, daß in verschiedenen Ländern Regierungen und Parlamente die Mobilisierung der Frau zur militärischen Dienstpflicht gesetzlich fest- legen. Wir erwarten, daß auf dem Kongreß die Entschließungen der Frauen ihre Sanktton erhalten,(Lebhafter Beifall.) Der Vorsitzende stellt fest, daß der Kongreß von dem Bericht der Frauenkonferenz einstimmig mitDank Kenntnis nimmt. Den Bericht der Organtsationskommisston gibt Friedrich Adler : Fast 7 Millionen Menschen stehe» heute geschlosseck hinter der Arbeitrr-Internationale: dazu kommen 25 Millionen Wähler, die durch die Parteien der Internationale vertreten werden. Don 6176 Abgeordneten sind 1181 Sozialdemokraten,