Morgenausgabe / Nr. 383 "ÄMS«-�«ns
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Nerliner Volksblatt
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Brüssel , 14. August sEigeuberichi). Jn Lüttich wurde der italienische Polizeispitzel und axeoi provocateur Ee störe von einem bisher unbekannten Täter durch mehrere Revolverschüsse schwer verletzt. Sein Zustand scheint hoff. nungslos. Gerade heute hat der..peuple" Enthüllungen über die Machenschaften diese» Agenten gemacht und mitgeteilt, wie dieser im verein mit den nach Belgien entsandten italienischen Polizei- beamken durch Bestechungen und Drohungen den italienischen Emigranten d e l V e c ch i o dazu bewogen hat. vor der belgischen Staatsanwaltschaft den Italiener V o t t i n i als Urheber des Mailänder Attentats zu denunzieren. 3n Wirklichkeit hat del vecchlo den Boltinl nie gesehen und ist ihm völlig unbekannt. Aus Grund der falschen Aussagen del Vecchios hat aber die italienische Regierung die Auslieferung Boltinis verlangt, und dies« sitzt gegenwärtig in Brüstet in Haft. Del vecchio hatte mit Eestore eine Verabredung in L ü t t i ch gehabt und wurde als d« Täterschaft verdächtig am Bahnhof in dem Augenblick verhaftet, als« nach Brüstet zurückreisen wollte. Dieses Drama hat die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Machenschaften d« italienischen Polizei auf belgischem Boden gelenkt und die Forderung gestärkt, diesem Treiben schleunigst ein Ende zu b«eitell. Faschistenfpiftel auch in Frankreich . Di« französische Liga der Menschenrechte fordert von de.' stke- gierung Ausklärung, ob sie die neueste Verlegung der französischen Siaats Hoheit durch die italienische Regierung dulden wolle. Don Rom, so gibt die Liga cm, werden den italienischen Konsulaten in Frankreich jetzt»V i z e k o n su l n" beigesellt, die in Wahrheit
Kriminalkommissare seien und durch Späh« und Lock- spitzet die Antifaschisten in Frankreich heimsuchen, beobachten und zu Verbrechen verleiten wollen. Panzerschiffdebatte in Brüssel . Das sozialistische Hauptorgan gegen nationalistische Hehe Brüstet, 14. August.(Eigenbericht.) > Der Beschluß der Reichsregierung, den Bau des Panzerkreuzers in Angriff zu nehmen, hat in der belgischen Nationalistenpresse«ine wüste Hetze entfestelt. Es wird spöttisch vom„Panzerkreuzer der Internationale' gesprochen, weil der Beschluß mit der Abrüstung»- resolution des Internationalen Sozialistenkongresses zeitlich zu- fammenfiel. Der sozialistische„P« u p l e" tritt dies« Hetze scharf entgegen. Gerade die Nationalisten der Ententetänder, die jede Ber- Minderung der Rüstungen oder der Dienstzeit bekämpfen, hätten kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß Deutschland inner» halb der strengen Grenzen des ihm von den Siegern d i k- tierten Friedensvertrages rüste. Mit oder ohne diesen Panzerkreuzer bleibe die deutsche Kriegsflotte im Vergleich zu denen der großen Seemächte ein ohnmächtiges Spielzeug. Di« Alarmrufe der nationalistischen Presse darüber, daß Deutschland nicht katholischer sein wolle als der Papst, daß es seine Rüstungen nicht noch unter das von den Siegern auferlegt« Maß herabsetze, seien deshatt» ebenso lächerlich wie heuchlerisch. Auch könne der Vau dieses Panzerkreuzers die Frage der internationalen Abrüstung nicht beeinflusten, denn diese hat in erster Linie natürlich nicht die durch die Friedensverträg« bereits entwaffneten Nationen im Aug«.
Michael Hainisch 70 Jahre. Oeutfchösterreichs Bundespräsident. Seitdem die Republik Deutschösterreich einen Bundes- Präsidenten hat, versieht Dr. Michael H a i n i s ch in stiller Würde dieses repräsentative Amt. Die Verfastung räumt dem Bundespräsidenten irgendwelches Ausnahmeverfügungsrecht nicht ein, auch ist die Wahl der Minister dem Nationalrat vorbehalten: so spielt denn Michael Hainisch im lauten Partei- kämpf nicht die geringste Rolle. Wo der schlichte Mann aber die Republik öffentlich verkörpert— ebenso wie Masaryk nie- mal? im feierlichen Zilinder—, da grüßt ihn alles in Achtung und Wertschätzung, zumal seine Wahl nicht aus stark be- strittenem Ringen hervorgegangen, sondern in einer Sonder- sitzung des Nationalrats ohne Widerspruch erfolgt ist. Michael Hainisch ist ein anerkannter Gelehrter. Bolls- wirtschaftliches und soziologisches Studium hat ihn einst dem Sozialismus nahegebracht, mit Viktor Adler und Perner» storfer war er eng befreundet. Ihn aber zog es nicht ins Ge- wühl der Großstadt und zum Tribunenamt, ein Landgut er- möglichte ihm, sich seinen Lieblingsfächern, der Bodenkultur und-Wirtschaft zu widmen. Erst als die Republik ihn mit ihrem höchsten Amt betraute, kehrte er auf die Dauer nach Wien zurück. Noch lebt, hoch in den neunziger Iahren, seine Mutter Marianne, die Vorkämpferin der Gleichberechti- gung der Frau und staatlicher Fürsorge für Mutter und Kind. Wofür sie lange als eine seltene Erscheinung im Bürgertum gestritten hatte— die Revolution und das rote Wien haben es erfüllt, soweit es bis jetzt möglich gewesen ist. » Michael Hainisch überschreitet die Stufe des Greisenalters am Vorabend ernster Kämpfe in seinem Heimatland. Den schweren Ausschreitungen alpenländischer Hcimwehrleute (Faschisten) gegen Arbeiter, die wir letzthin aufgezählt, ist eine Kundgebung des Tiroler Heimwehrführers Dr. S t e i d l e ge- folgt, der es nun schon wagt, Staat und Parlament mitdemTerrorzubedrohen, wenn das nicht Gesetz werde, was die Heimwehren angeblich wollen: zunächst die Teilaufwertung der städtischen Wohnungsmieten. Da- bei ist nachgerade schon überall bekannt, daß diese„Reform die Aufwertung der Löhne nach sich ziehen, dadurch die ge- ringe Konkurrenzfähigkeit der kapitalschwachen und technisch langsamer fortschreitenden Industrie Deutschösterreichs im Ausland noch verkleinern müßte und so vielleicht einer An- zahl Hausbesitzer(großenteils ausländischen Inflationsnutz- nießern) Mehreintommen verschaffen, aber das schwer ver- armte Volk noch ganz verelenden würde. Den Kampf gegen dieses Wtentat zu organisieren und gegen ein zweites, die Abgabenteilung zum Nachteil des vorbildliche Sozialpolitik leistenden roten Wien , eröffnet der Sozialdemokra- tische Parteitag, der vom 14. bis 17. September in Wien tagen wird, der Stadt, wo über 400 000 von 1 800 000 Einwohnern sozialdemokratische Parteimitglieder sind und wo zwei soziaü>emokratische Zeitungen tagtäglich mehr als 1ö0 000 Exemplare drucken und absetzen. Gegen diese Haupt-
stadt rüsten die bewaffneten Heimwehren einen Musiolini- marsch, sie glauben, das Land mit dem furchtbaren Bürger- krieg bedrohen zu dürfen. Es ist Zeit für den Staat, dem entschlossen zu begegnen!__ Die Völker im Osten. Kundgebung in Aegypten . Kairo . 14. August. Bei der Abreise des früh««n Ministers Makram Ebeid nach Land«« gab es auf dem Bahnhof Kundgebungen. Polizei nahm vier Verhaftungen vor. Unter den Verhafteten ist auch der frühere Abgeordnet« und Studentenführer Hassan Passin. Der frühere Ministerpräsident N o h a» Pascha, der bei den Kundgebun- gen zugegen war.«hob Einspruch gegen die Berhaftungen. Die Festgenommenen sind in das Untersuchungsgefängnis eingeliefert worden. Indische Auionomieforderung. London , 14. August. D« Bericht der mätischen Konferenz aller Parteien, vor- sitzend« Pandit Motilal Nehru , ist veröffentlicht worden. Er verlangt für Indien die Stellung ein« Dominion mit einem Tenerolgouverneur an der Spitze, dem auch die höchste m i l i t ä- r i s ch e Gewalt übertragen werden soll, s«ner ein Minist«ium von mindestens sieben Mitgliedern einschließlich des Premierminist«s, einen ober st«n Gerichtshof für Indien und Autonomie der einzelnen Staaten mit eigenen Kammern.
Die mazedonische Bewegung. England und Franlreich drücken auf Bulgarien . Paris , 14. August.(Eigenbericht.) Di« englische und die französische Regierung haben gemeinsam die bulgarisch« Regierung zu schärf«em Borgehen gegen die mazedo- Nische Freiheitsbewegung aufgefordert. In der Begründung wird ausgeführt, daß die mazedonische Bewegung einen ständigen Unruhe- saktor auf dem Balkan bilde, durch den der Friede ernstlich bedroht werden könne. Eine neue Mordtat. Sofia , 14. August. Der Streit in der Imro(Innere maz. revol. Organisation) dau»t an: in der Sonntagnacht ist abermals eines ihrer Mitglieder, Seorgiew Guschteross, von unbekannten Tätern auf der Straße ermordet worden.
Ein internaklonal« Kongreß anlimllitaristisch« Geistlich« trat in Amsterdam zusammen, um zu einer internationalen Organisation zu gelangen und dem Antimilitarismus ein« ethisch« Basis zu ver. schaffen. Für Deutschland sprach Pfarr« Dr. Hartmann üb« Jtriea und Christentum'.
Panzerschiffs.
Oie Lleberraschung vom 10. August- Wo steckt der Fehler? Der Beschluß des Reichskabinetts vom 10. August, die Lieferung für den Bau des Panzerschiffes A zu vergeben. hat lebhafte Kritik gefunden. Man war überrascht, daß ein Kabinett, dessen Mehrheit aus Sozialdemokraten und Demo- traten besteht, einen solchen Beschluß fassen konnte, nachdem diese beiden Parteien im alten Reichstag einen scharfen Kampf gegen diesen Neubau geführt hatten. Man sorderr entweder Rückgängigmachung des gefaßten Beschlusses in irgendeiner Form oder den Austritt der Minister aus der Regierung. Es sind diesmal keineswegs bloß die grundsätzlichen Gegner jeder Koalitionspolitik, die über den Beschluß des Kabinetts ihre schmerzliche lleberraschung und ihren bitteren Unmut äußern. Auch Parteiblätter wie die„Rheinische Zeitung ' und die Mannheimer„V o l k s st i m m e". um nur zwei aus einem stattlichen Chor zu nennen, finden Worte der Kritik. Die erste gibt zu erwägen, ob nicht die Reichstagsfraktion schleunigst einberufen werden müsse, die zweite kommt in längeren Betrachtungen zu folgenden Ergebnissen: Man sehe die Dinge, wie immer man will, halte unseren Ministern, die formal sicherlich einigermaßen verzwickte Lage zugute, setze auch ruhig die koalitionären Bindungen in Rechnung, denen man sich nicht entziehen kann, verkenne das Dilemma nicht, in dem sie staken— wir kommen dennoch um das Urteil nicht herum: diese, um mit dem„Borwärt s' zu reden,„Erbschaft des vorigen Reichstags und des Bürgerblocks" hatte weder der neue Reichstag, noch die neue Regierung, am allerwenigsten die sozialdcma- kratischcn Mitglieder in ihr, antreten dürfen. Sie hätten vielmehr die ganze Frage nochmals an den Reichstag bringen oder die Vertretung der Forderung nach Durchführung anderen überlassen sollen. Ein„Muß" solch« üblen Erbschaft gegenüb«, von dem das und der„Vorwärts" sprechen, gibt es nicht einmal im Prioat-Erbrecht, noch viel weniger im politischen Leben. Die Republik aber hätte im Grunde allen Anlaß, für dieses Geschenk der Reichsregierung zu ihrem Geburtstag sich höflich, aber Negativ zu bedanken. Timeo Dsnaos, et dorm ferentes. Man soll sich nicht freuen üb« Geschenke, die von Donaern stammen: sinte- malen wenn sie dem Nachlaß der Bankrotteure vom 20. Mai ent- nommen sind. Aehnlich äußern sich zahlreiche andere Parteiblätter. Daß es aus der westsächsischen Ecke noch schärfer klingt, ver- steht sich von selbst. Gegen die Kritiker wendet sich nun der Sozialdemokra- tische Pressedienst mit folgenden Ausführungen: Richtig ist an dies« Krittk soviel, daß die Inangriffnahme dieses Schiffsbaues keine erfreuliche Angelegenheit ist. Die Sozialdemo- kratte hatte gegen sie Gründe angeführt, die wir auch heute noch für durchschlagend halten. Falsch jedoch ist die Auffassung, als ob das Kabinett am 10. August frei üb« den Bau zu entscheiden gehabt und sich für ihn entschieden hätte.'. Die erste Rate von 9,3 Millionen Mark war von d« Bürger- blockregierung' in den Etat für das Jahr 1928 eingestellt worden. Die Regierung tonnte sich darauf berufen, daß es sich um einen Ersatzbau und nur um die Erhaltung der kleinen Flotte handle, die Deuffchland in Versailles belassen worden ist. In der Oefsentlichkett, besonders von der Sozialdemokratie wurde das Projekt dennoch, und, wie wir wiederholen möchten, nach unser« Meinung mit aus- gezeichneten Gründen bekämpft.-Das hatte zunächst zur Folge, daß der Reichsrat die Neuforderung strich, der Reichshaushaltsplan also in Form ein« Doppelvorlage eingebracht werden mußte. Die Reichstagsmehrheit, bestehend aus dem Zentrum und der Rechten, entschied für den Bau. Der Reichsrat hätte nun, wenn er den Bau verhindern wollte, gegen das ganze Haushaltsgesetz Einspruch erheben müsien und das hätte die Folge gehabt, daß angesichts der bevorstehenden Reichstagsauflösung ein gülttger Reichshaushaltsplan überhaupt nicht zustande gekommen wäre. Der Reichsrat zog daher seinen Einspruch zurück. Das Reichshaushaltsgesetz trat mit der bewilligten Summe von 9,3 Millionen Mark in Kraft. Der Schiffsbau ist also nicht«st am 10. August vom Reichskobinett beschlosien, er ist eine vom Reichstag und Reichsrat in gesetzmäßiger Form beschlossene Sache. In der Oefsentlichkeit ist vielfach die Auffassung verbreitet, der Reichsrat habe beschlossen, daß über Bau oder Nichtbau vor dem 1. Septemb« noch einmal entschieden werden solle, und er habe damit die endgültige Entscheidung in die Hände des Reichs- kobinetts gelegt. Einen solchen Beschluß hat der Reichsrat nicht gefaßt. Er konnte ihn gar nicht fassen, weil es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach der Verfassung nur von den Faktoren der Gesetzgebung in Form eines Gesetzes entschieden werden kann. In Wirklichkeit hat der Reichsrat am 31. März einen Beschluß gefaßt, der so gut wie nichts besagt, nämlich nur folgendes: „Die Arbeiten fü.- das Panzerschiff— mit Aus� nähme der reinen Konstruktionsarbeiten— nicht vor dem 1. September 1928 in Angriff zu nehmen, ins- besond«« D«träge üb« Lieferung nicht eher abzuschließen, um zu verhindern, daß infolge ein« etwa notwendig werdenden Ein-