(39. Forts«tzung.� „Ich hob' Ihnen meinen Lebensweg, wenigstens soweit er Sie interessieren kann, erzählt. Sie nicht." „Meiner ist doch viel einfacher." „Na, ein« Künstlerin." „Im Nebenberuf." „Wie denn? Kann die Kunst etwas anderes als Haupt- beruf fein?" „Ja, da mögen Sie wohl recht haben. Aber ich bin Frau Böhlom, die verhinderte große Künstlerin, so ein Seitenstück zum verhinderten Dichter vom Wilhelm Busch . Und in wenigen Wochen liegt dos hinter mir, ich habe die Schauspielerei wie ein Kostüm Abgeworfen und bin«ine noch schlichtere Studentin der Medizin." „Ah. bah?". Paul Bastian war vor Staunen stehengeblieben. „Wissen Sie, daß wir sozusagen Kollegen sind? Ich bin näm- lich Herr stuci. med. Böhlom, der verhinderte Mediziner, sowie ich in allen Dingen verhindert bin," sögt« er leise und viel ernster, melancholischer hinzu.„Bielsacher Kollege also. Denn ich hob' es einmal— merken Sie auf— vor urdenklichen Zeiten, mit der Schauspielkunst oersucht und auch mit der Medizin." „Was Sie alles gemacht haben! Wie alt sind Sie denn, mit Verlaub?" „Hunderte von Iahren alt, nur der ewige Jude ist noch älter." Hilda sah ihn von der Seite an. Ein merkwürdiger Mensch! Daß all« Menschen, die ihr begegneten, so sad oder so merkwürdig waren! Der hinkende Fremde mit dem weiten Mantel, in den er sich trotz der nachmittagliihen Wärm« gehüllt hatte, sprach weiter: „Na, mit der Schauspielkunst ist es nicht recht gegongen. Als man mir an einem Hoftheaetr riet, Charakterkomiker zu werden, anstatt die ersten Heldenrollen— Romeo, Marc Anton. Prinz von Homburg— zu spielen, ja, statt des redegewoltigen Marc Anton der läppische Pont Cinna zu sein, warf ich olle Rollen zusammen hin. Zur Medizin kam ich erst viel spater, auf Umwegen... Aber ich rede immer von mir." „Wenn Sie so alt sind, müssen Sie ja auch mehr erlabt haben." „Das ist wahr. Ich habe beim Professor Burckhardt studiert. Kennen Sie ihn? Natürlich müssen Sie ihn kenn«,, er ist der große Mann der Bakteriologie." „Ich habe von ihm gelesen... Und von dem stnd Sie auch weg?" „Ja. ober das ist«in« lange Geschichte, die werde ich Ihnen «in anderes Mal erzählen... nämlich, wenn wir uns noch ein anderes Mal sehen." „Wenn's nur an mir liegt, so stimm' ich zu. Ich muß ohnehin alle meine Spaziergänge allein machen. Dos ist kein Dergnügen, so allein zu gehen." „Nein, das ist kein Vergnügen," sagte der Fremde und wieder trübt« sich sein« gute Laune.» „Wenn wir aber ein Rendezvous haben, wissen S'. so könnten Sie sich vorstellen. Sagen S' meinetwegen einen falschen Namen, aber doch irgendeinen Namen, das ist schon possend." Paul Bastian nannte seinen Namen und fügte hinzu:„Das ist mein wirklicher, auf Ehrenwort." „Meinetwegen." „Ja, aber wissen Sie, ich Hab' hier auf diesem Wege ein Rendezvous. Ein männliches.. „O bitte sehr, ich bin diskret und verlasse Sie." „Nein, Sie können auch bleiben. Es ist ein älterer Herr, der ungeheuer viel über Vorarlberg , Land und Leute weiß und mir für mein Buch— habe ich Ihiwi, schon gesogt, daß ich hier ein Buch schreiben will?— Material in unglaublicher Fülle herbei- schafft. Wir haben im letzten Wirtshaus vor Bregenz unsere Zu- sammenkunft. Da ist es schöner als in seinem Arbeitszimmer. Kommen Sie mit, so können Sie was lernen." Bald waren sie dort und vor dem Posthaus schritt bereits der alter« Herr mit einer Aktentosch« in der Hand auf und ab. Es war sogar schon ein alter Herr. „Eine schöne Unbekannte, die sich nicht nennen will...", stellte Paul Bastian vor.» „Stein," sagte Hilde,„das tut bei Damen auch nichts zur Sache." „Interessiert sich aber, und das macht alles gut, für Botanik und Staturwissenschaften und noch eine Unsumme unweiblicher An- gelegenheiten." Der ältere Herr ging gleich auf dieses Thema ein. Er kramte aus seiner Tasche seltene Bücher, die nur er aus der Landes- bibliothet hatte entlehnen können. Hilde hatte dank dem Doktor Wolfs wirklich einige botanische Kenntnisse und verstand die latei» Nische Sprache, in der die alten vorarlbergischen Chroniken ab- gefaßt waren. Der ältere Herr, der von altfränkischer Höflichkeit war, sagt« galant: „Das hob' ich allerdings noch nicht erlebt, daß eine so jung« und so hübsch« Dame auch etwas Ernstes versteht." „Na, in Wien bin ich gar keine Ausnahme." „So, so, produziert Wien auch etwas Gutes? Ich war nicht in Wien , bereits seit.., jetzt werden es genau zwanzig Jahre sein." „Da kennen Sie eben«in« ganz neue Generation nicht." „Mag sein, bin auch nicht neugierig." � „Also ein Feind von Wien ?" „Nicht von den Wienerinnen, wie ich Sie sehe," sogt« der ältere Herr galant. „Nein, ich will mich von ihnen nicht ausschließen. Wie ich bin..." „Sind doch nicht alle?" „Vielleicht nicht. Aber sehr viele. Die Mädeln von heute wissen was, sie haben für wissenschaftliche oder künstlerisch« Materien Neigungen und dieselben Interessen wie die jungen Burschen ihre» Alter», sie glauben nicht, daß die Welt ein Ballsaal mit Paulsen ist, in denen man sich erholen soll." „Sowie ihre Mütter, meinen Sie?" „So wie es wenigstens In den Romanen von vor dreißig Jahren steht." „Hallo, Herr Oberrot , arbeiten, arbeiten!" fuhr Paul Bastian dazwischen. „Dürfen wir das Fräulein mit unserem verstaubten Zeug langweilen? Nein, nehmen Sie die Bücher mit..."
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„Aber, warum denn?" sogt« die Hilde.„Ich beteilig' mich sehr gern an Ihren Arbeiten, meine Maturaarbeit hat«in viel trockneres, ausgefalleneres Thema behandelt, so ein-, das im letzten Fach einer Bibliothet blüht, und hat mich sehr gefreut." ..Neu« Jugend! Neue Jugend!" sagte der alte Herr schmunzelnd. „Nicht übel!" Sie saßen also all« drei an diesem wundervollen Sommerobend und besprachen die Berwerturg der mitgebrachten Bücher für dos Buch über Vorarlberg , das Paul Bastian abfassen wollte. Da gab es auch lateinische unter ihnen, und der alte Herr konnte den kleinen Druck mit seinen abgenützten Augen nicht mehr erfassen und Paul Bastian gestand, daß er die Sprach« der Römer nie wirklich be» herrscht und längst verschwltzt habe. Hilde fand die bemerken»-
wertesten Stellen heraus und übersetzt« sie fließend, als ob sie in einer lebenden Sprach« geschrieben wären. „Sie sind da» erst« Frauenzimmer— entschuldigen schon— mit dem ich vernünftig sprechen kann wie mit einem vernünftigen Freund." „Und Sie der erste älter« Herr, mit dem zu plaudern nicht fad Ist." Hilde gab da» Kompliment zurück. „Ja, wenn dl« ganze neue Jugend so war' wie Sie," sagte der alte Herr in einer Arbeitspause, als sie das eins Buch zugeklappt hatten und dos neu«, ungelesen, offen vor Hilde lag.„Aber man hört ja von dieser neuen Generation ganz abscheuliche Dinge. In meinem Beruf— ich bin nämlich Richter— erlebt man ja so manches. Aber wir sind ja Provinzler und wie wird's da erst in
Wien zugehen. Eine zügellose, schamlose, von gemeinen Leiden- schaften beherrschte Jugend.,." „Und die hat's früher nicht gegeben? Was aus der Well hig und da verschwindet, ist bloß Heuchelei— so scheint mir wenigstens. Ist Ihnen so ein tugendsome» Bürgertöchterlein lieber... o je!..." „Auch in der Heuchelei liegt ein gewisser Respekt vor der Tugend." „Nein, für diese Verbeugung dank' ich." Hilde, die gar nicht gewußt hat, daß sie ein« Repräsentontin der modernen Jugend war, trat jetzt für sie beherzt ein. Der alt« Herr war ein bißchen brummig, aber einer von der Sorte der gütigen Brummbären, die schamhaft ihr innerstes Wesen hinter einer Opposition gegen alle und alles verbergen. Er hatte sich in sich selbst zurückgezogen und es war mehr Furcht als wirklicher Wider- wille, der ihn der neuen Zeit gegenüber in eine feindliche Stellung drängte. Und schließlich war er in allen Epochen der Menschheit besser bewandert als in der seinigen, in der er lebte. Hilde bewies das an mehreren Beispielen, und er gab es nicht bloß aus Höflich» keit zu. Di« Zufallsfreundschaft, die den alten Herrn mit Paul Bastian verbanb, war ja eben daraus entstanden, daß beide sich als solch« Flüchtlinge ihrer Zeit erkannt hatten und für die Enttäuschungen ihres eigenen Lebens nicht ihrem Schicksal oder ihrer Schwäche, sondern der Umwelt die Schuld zuschreiben wollten. Als er erste Stern auf dem Firmament sichtbar wurde, schlug der alte Herr vor, erst recht hier zu. bleiben. Di« Wirtin habe immer die wunderschönsten Fisch« vom Bödensee, rot und silbern glänzende Fische,«ine Spezialität. Und«inen leichten, mehr rosa- farbenen als roten Wein... „Ich bin Anitalkoholikerin," sagte Hilde. „So. so? Sie haben also Prinzipien?" spottet der alte Herr. ..Berschiedene goirz gewiß. Haben Sie in meinen Jahren nicht auch welche gehabt?" antwortete Hilde. „Ich war doch ein Mann,«in Student, von nationalen Idealen erfüllt..." „Und ich ein junges Mädchen, aber eins von heute. UiA habe auch meine Ideale..." „Natürlich! Aha! Eine Rote! Kosmopolitin! International! Di« Mass« ist alles, die Persönlichkeit nichts!" „Den Tausenden von Persönlichkeiten, die in der Masse leben und bisher untergegangen sind. Entwicklungsmöglichkeiten bieten, ist dos gor nichts?" „Ja, diskutieren, das können Sie. das muß man Ihnen lassen. Lernt man wahrscheinlich jetzt in den Schulen. Zu unerer Zell hat man unter der Schulbank Byron gelesen, jetzt Karl Marx , nicht wahr?" „Noch nicht, weil er zu schwer war, aber ich nehin' ihn bald vor." „Gratuliere!". Aber die Fische wurden serviert, und ihr wohlgenährte« Aus« sehen und die über den Tellerrand hinausragenden Schwanzlein und das geheimnisvolle Gleißen ihrer Flossen, das alles ivar so köstlich wie ihr Geschmack.(Fortsetzung folgt.)
WAS DER TAG BRINGT. iiMiiiiiiimAiniiiiiiiiiiimiuimiiuiiiiiiimnHiiiiiiiuiiiiiuiiuiiiiiiiiiiuiiiiiiiiiiiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiiifliiiiimimiiiniiiniiiuiniiiiiiiMiitiiiiiiuiiimiimiimniiiiiiMiiiiiniinuiiuiiiiiiiiiuiiiimni
Wenn man auf der Messe bummelt, Di« Messe, das Bier und der Schlaf spiellen einem biederen Bürger au» einem Ort an der Grenze zwischen Sachsen und der Tschechoslowakei «inen amüsanten Streich. Der Wann fuhr Sonn- tags mit seiner Ehehälfte zur Messe nach R c i ch e n b« r g. Bei der Besichtigung der verschiedenen Messehäuser hatte der Gute sein Ehegespon«, ob absichtlich, oder unabsichtlich steht nicht fest,„ver- loren". Di« Frau macht« sich allein auf den Heimweg: unser Messebesucher aber war in lustige Gesellschaft geroten. Es gefiel ihm ausnehmend gut, und so zog er immer„aus einem Nestau- ront in das andere Restaurant", bis der Tag erwacht war. Der grau« Montagmorgen. Mit dem 6-Uhr-Zug fuhr der Brave nach Hause, wollt« er noch Hause fahren. Uebernächtigt, wie er war, schlief er bei der Einfahrt in Hemmrich-Tunnel ein und erwachte erst bei der Ausfahrt aus dem 5)arte-Tunnel hinter Friedland. Verwundert über die lange Tunnelsahrt, bemerkte er zu spät, daß er in eine andere Gegend geraten war. In der Station Minkwitz stieg er aus und fuhr mit dem nächsten Zuge wieder zurück nach Raspenau . Run passierte ihm zum zweitenmal das Malheur, daß er«inschlief und erst hinter der Station Raspenau erwachte, so daß er erst in der Station Hemmrich aussteigen konnte. Do nun der nächste Zug erst um 9112 Uhr mittag» fährt, ging der Heim- kehrer zu Fuß noch Einssedel, nicht ahn« noch einige Male Station zu machen. Dann ober trat er gestärkt sein« Heimfahrt an. Mit knapper Rot erreichte er den Mittagszug. Doch mit des Geschickes Mächten!.... Denn er entschlief, kaum daß er im Wagen saß, zum drittenmal, und erst in der Station Weigsdorf wurde er durch den Schaffner au» dem Schlas geweckt. Mit dem 2-Uhr»Zug ver- suchte er dann zum viertenmal sein Glück, und es gelang, aber nur, weil er den Schaffner„schmierte", der ihn dann auch wünsch- gemäß an die srische Luft setzt«, als der Messewandereb sein Ziel «rreicht hotte. So landet« er, der um K Uhr früh von Reichen- berg in der Tschechoslowakei weggesahren war. gegen 3 Uhr nach- mittag» in seinem, von dort garnicht weit entfernten sächsisch- deutschen Heimatort. Schwarze Rosen. Di« Blumenzüchtereien tn der Türkei haben für den Sommer groß« Aufträge in schwarzen Rosen erhalten, die man dort im vergangenen Jahre zum ersten Male zu züchten verstanden hat. DI« Aufträge kommen aus der Zigarettenindustrie. Amerika hat die neue Mode aufgebrachj, Zigaretten mit Rosenblattmundftück In den phantastischsten Farben zu konsumleren. Da» rote Vlatt gefiel den amerikanischen Damen nlchi, weil es in keinem Kon- traft zu ihren Lippen stand, da» weihe und gelb« aber mochten sie nicht verwenden, weil es durch die Farbe ihrer Lipp-nschminke
beschmutzt wurde. Dagegen ist auf schwarzer Ras« die Lippen- schminke nicht zu sehen und sie steht im nötigen Kontrast zu den roten Fraucnlippcn. Die reichsten Leute der Welt. Nach der neuesten amerikanischen Statistik sind die vier reichsten Männer der Welt gegenwärtig John D. Rockefeller , Andrew Carnegie , Henry Ford und Andrew Mellon . Rockefeller steht mit einem Vermögen von rund d Milliarden Mark weitaus an der Spitze, ihm folgt mit über l'ch Milliarden Mister Carnegie, der ein- mal mit gewissem Zynismus(aber zutreffend!) erklärt«:„Um einen Menschen, der reich stirbt, ist gut trauern!" Henry Ford , der große Industrielle, gibt selbst zu, die„kleine Summe von 1� Milliarden Mark durch seine Automobilsabriken verdient zu hoben, in denen mehr als die Hälfte aller auf dem Erdball verkehrenden Autos her- gestellt wurden. Andrew Mellon besitzt schätzungsweise ein um„nur" 199 Millionen Mark geringeres Bcrmögen als Henry Ford , er wird beinahe erreicht von dem Bankier George F. Bater aus Chicago . Die nächstgrößten Vermögen' der Welt verteilen sich auf«inen indischen Fürsten , den Nizam von Haiderabad , Rockefeller jr. und den Maharadscha von Baroda , der sich gegenwärtig in Frankreich aufhält. Erst in weitem Abstand folgen die Namen von Lander- bist, Iay Gould und Rothschild , die früher mit an erster Stelle standen. H. L. Rückgang der Lynchjustiz in Amerika . Die„New Park World" veröffentlicht soeben nach amtlichem Material einen Ueberblick über den Umfang der Lynchjustiz in den Bereinigten Staaten von Nordamerika in den letzten 49 Iahren und stellt dabei mit großer Genugtuung einen außerordentlich großen Rückgang dieser oft mit bestialischem Quälen der Opfer verbundenen Tötungen fest. Diesen Rückgang führt sie teils auf die auch in den entfernteren Gegenden fortgeschritten« Besserung der Rechtspflege, teils auch auf die größere Achtung zurück, die die schwarze Rosie in diesem Zeitraum gewonnen hat. Im einzelnen gibt das New- Aorker Blatt folgende Ziffern: Im Jahre 1387 wurden 122 TLtun- gcn gezahlt, bis zum Jahre 1892 erhöhten sie sich auf 2i5S, dann trat ein Rückgang ein. Insgesamt sind von 1687 bis 1897 1777 Fäll« von Lynchjustiz vorgekommen. Seit dieser Zeit läßt sich«in stetes Sinken der Zahlen bemerken, bis sie im vorigen Jahrzehnt mit 479 ihren tiefsten Stand erreicht hat. 1919 gab es noch 83 Tötun. gen, von da ab werden es immer weniger: im Jahr« 1923 zählt« man nur noch 18 Tötungen. In den beiden nächsten Jahren ist zwar wieder ein Anstieg auf 17 und 39 zu bemerken, doch wurde im Jahr« 1927 mit 18 Tötungen die Zahl von 1923 wieder erreicht,