Die Befreiung Hilde fornleitner
( 41. Fortsetzung.) Bald gab es zwischen den Geschwistern wieder eine Differenz. Herr Fernleitner wollte unbedingt, daß das Mädchen die Sachen Hildens aus der Familienpension hole, das Kind dürfe auch nicht eine Nacht mehr in der Fremde bleiben. Dem widersetzte sich Tante Hedwig erstens aus Schicklichkeitsgründen und zweitens, weil sie das Zimmer dem Hildekind als dessen eigenes herrichten wolle, nicht wie für einen Gast, der gerade eine Nacht hier bliebe, und drittens, weil fie dem Fernleitner schon zu lange nicht opponiert hatte, wozu sich allerdings jetzt nur mit Mühe eine Gelegenheit finden ließ. Hilde sollte also in ihre Pension zurück und morgen mittag wie eine Braut in ihrem neuen Heim empfangen werden.
,, Alber, das sag' ich dir, Großvater, ich bleib' nur so lange, bis du deinen Urlaub hast. Und daß du dich beeilst, ja?"
Herr Fernleitner versprach es und ließ es sich nicht nehmen, das Hildekind noch spät abends zurückzubegleiten.
,, Bin ich wirklich so, wie mich die Hedwig und... deine Mutter geschildert haben, so ein Wauwau?"
,, Die Mutti hat nie, niemals von dir gesprochen, Großvater. Das war freilich eine stumme und arge Schilderung."
Herr Fernleitner zuckte die Achsel.
,, Das verstehst du doch nicht, Kind. Später, später vielleicht... ,, Aha! Das hab' ich auch oft von der Mutti gehört. Dürfte
so ein Fernleitnerscher Ausspruch sein. Aber über das„ Später" bin ich doch schon hinausgewachsen. Ich versteh alles..."
,, Alles?"
,, Alles, was menschlich ist."
,, So versteh' auch mich. Es war eine heilige Ordnung, die. deine Mutti... gestört hatte. Und ich bin da, um jede Ordnung aufrechtzuhalten. Hätte ich in meiner eigenen Familie schwach werden dürfen?"
,, leber jeder heiligen Ordnung gibt es die menschliche."
,, Das ist die neue Zeit, die so gesprochen hat."
,, Ja, und ist sie nicht für die geplagten Menschen gütiger?" Herr Fernleitner antwortete nicht und nahm, da man angelangt mar, noch einmal gerührten Abschied.
Am nächsten Nachmittag, der Umzug war bereits vollzogen und Hilde als Kind des Hauses darin eingeführt, tam Paul Bastian mit cinem Back von Büchern.
,, Wollen Sie Ihre schöne Unbekannte von gestern wiedersehen?" ,, Nicht ungern. Hat sie doch ihr Inkognito gelüftet?" ,, Und ob! Sie wissen gar nicht, was Sie angestellt haben." ,, Nein."
,, Sie haben mir eine Enkelin zugeführt."
Ein Wiener Roman von Paul Burgftaller
Erfahrung ber
I in die enge
,, Er meidet die Zeit, nicht aus seiner Erfahrung heraus, sondern| in die enge Stube ein Herr und eine Dame, aber das war nicht das aus freien Stücken. Er ist also sozusagen ein Freiwilliger der Zeit verachtung und müßt diese... diese..."
,, Desertion," ergänzte Hilde.
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,, Bitte, vor Worten habe ich keine Angst er nügt sie also zu großen Dichtwerfen, die anders auch nicht entstehen könnten. Er ist ein wirklicher Dichter und weiß seine, unsere Abneigung viel besser als ich zu begründen. Soll ich ihn also an Sie empfehlen?"
,, Nein. Ich bin nicht neugierig. Ich lieb' nicht den Umgang mit Fossilien. Ich suche Menschen. Ich möchte sie alle aber freilich gern in meine Erziehung bekommen
,, Sind Sie vielleicht auch Erzieherin? zinerin, Gouvernante?"
Schauspielerin, Medi
Herr Fernleitner legte sich ins Mittel und stellte sein Enteltind nun erst vor. Als Paul Bastian sich verabschiedete, versprach er so beiläufig doch, wiederzukommen.
P
,, Sie hoffen, daß bis dahin mein Großvater mich verstoßen hat?" ,, Vielleicht, selbst wenn er's nicht getan hat, und selbst, wenn Sie da sind."
Bald danach traten sie zu drei, der Oberlandesgerichtsrat, Hedwig Paul Bastian ließ den Bücherpack zu Boden fallen. und Hilde, die Reise nach Wien an. Die Meisterin war schon lange ,, Dazu ist kein Anlaß," sagte jeẞt Hilde, die ins Zimmer getreten zuvor abgedampft. Frau Fernleitner war nicht verständigt worden, war. ,, Es ist die natürlichste Geschichte von der Welt."
,, Alles, was unglaublich ist, pflegt natürlich zu sein," erwiderte Baul Bastian ,,, Aber arbeiten wir!" jagte er dann in seiner unerschütterlichen Ruhe.
Sie übersetzten die alten Chroniken und diskutierten über sie eingehend. Als sie damit zu Ende waren, sagte Paul Bastian: Ich fahre nach meinem Silberberg früher zurück, als ich ursprünglich die Absicht hatte."
,, Warum denn?"
,, Weil ich keine Familienszenen liebe!"
Herr Fernleitner und Hilde waren zuerst über diesen ein wenig brutal geäußerten Egoismus sprachlos. Dann bemerkte Hilde: ,, Wir sind über die ersten Rührungen schon hinaus."
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,, Mag sein. Aber ich habe um mein Leben einen Zaun gezogen, ben niemand übersteigen darf, niemand und nichts. Schauen Sie mich nicht so verzweifelt an, Fräulein Unbekannte, und sollten Sie, movor Sie das Schicksal bewahren möge, so viel, so Häßliches erlebt haben wie ich... Was mögen Sie so Gräßliches erlebt haben! Der Krieg, Der Krieg, freilich, aber der war doch kein Einzelerlebnis und der hat die härtesten Herzen erweicht. Und Sie selbst oh, furchtbar, was? Getäuschte Liebe?"
Sie sind scharfsichtig, fleines Fräulein." ,, Oh, schaudervoll, höchst schaudervoll! Und deshalb Sie sich das Leben?"
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,, Deshalb und wegen anderer Dinge. Heute sammle ich nebst dem Material für meine Arbeit, aber das ist was anderes panzerte Menschen, deren Rüstung gegen alles fest ist. Solange der Herr Oberlandesgerichtsrat in meine Sammlung hineingehört hat.
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Ich hab' ihn herausgezogen, hab' die Spennadel aus seiner Brust genommen, wie aus einem angehefteten Schmetterling, und hab' ihn wieder an die Natur gesetzt."
,, Gratuliere zu dieser Verwandlung! So lange und weil er in der Geschichte Vorarlbergs trefflich Bescheid wußte, hab' ich ihn so geschäßt, daß ich um seinetwillen meine Einsiedlerschaft verlassen hab'. Jetzt, da er, wie ich höre, gerührter Großvater geworden ist..." " Sie sind ja ein Ungeheuer, hinken Sie vielleicht deshalb, weil Sie der Teufel sind?"
Ich schwöre Ihnen, daß es eine russische Granate war, die mir das Hinten beigebracht hat. Ich gehe.
,, Und wenn es mir einfiele, Sie zu besuchen?" ,, Besuche freuen mich. Sie kommen und gehen wieder und lafsen mir dann Zeit.
,, Erwünschte Zeit...
,, Ueber Ihre Torheit nachzudenken. Kommen Sie also zu mir?" Nein, wir fürchten, Sie aus Ihrer Bersteinerung aufzuftören. Ich bin nicht indiskret, aber ich würde doch gern Ihre Geschichte hören."
,, Die ist lang. Zu lang."
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,, Sie hatten eine Geliebte und einen Freund. Wahrhaftig, Sie haben nicht nur einen scharfen, sondern geradezu einen nach rückwärts gewendeten hellseherischen Blick. Aber zwischen der Geliebten und dem Freunde liegt eine ganze Spanne 3eit. Genug davon! Wenn Sie es wünschen, sende ich Ihnen, wenn Sie in Wien sind, einen Freund von mir, den schon genannten Doktor Otto Werner.
Ihr Freund? Das fönnen Sie sich ersparen!"
das Geschwisterpaar quartierte sich in einem benachbarten Hotel ein und Hilde wurde als Botschafterin ausgeschickt. Wie sollte sie ihre Mission möglichst diplomatisch anfangen?
Also Hilde bat gleich am nächsten Abend, die Lutz Gruber und deren Bruder einladen zu dürfen, es wäre eine dringende Dankesschuld abzutragen und für solche Dinge hatte Frau Fernleitner immer Verständnis, und als ein ungewöhnliches Festmahl dastand, tamen
Geschwisterpaar Gruber, sondern der alte Herr Fernleitner und deſſen Schwester Hedwig. Und ehe noch Frau Fernleitner ein Wort sprechen und einen Schrei ausstoßen konnte, hatte sie der alte Herr in seine Arme geriffen und wie ein glückliches Brautpaar standen sie lange aneinandergedrückt da, stumm weinend, und Hedwig und Hilde, die anfangs irgend etwas sagen wollten, waren auch in Tränen ausgebrochen, und das Fräulein Rose hatte sich gleich anfangs davon= geschlichen.
,, Schuldig! Schuldig!" murmelte Herr Fernleitner. Ich bin schuldig!" Frau Fernleitner wollte erwidern, aber der Vater ließ sie nicht reden.
,, Nicht mehr von dem, was war! Nur mehr von dem, was fein wird! Wir wissen, warum wir ausgeharrt haben, wofür wir jetzt leben, und was uns wieder vereinigt hat."
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Hilde war nun Studentin der Medizin. Mit heiligem Schauer hatte sie die Universität betreten und sich in soviel Borlesungen und Kurse eingeschrieben, als der Tag nur dazu Möglichkeit bot. Sie hatte sich vor dem Besuche des Anatomischen Seziersaales gefürchtet das Grauen war sehr bald überwunden, und wie ihre Kollegen und ihre Kolleginnen sah sie in den Leichenteilen, an denen sie herumschnitt. nichts als Präparate, vor denen die wissenschaftliche Beziehung alle menschliche Beziehung zurüddrängte. Der füßlichfade Geruch, der aus den vielen Chemikalien drang und sich in die Gegenstände und Menschen einsog, wurde ihr später jogar lieb.
Es gibt im ersten Jahre der Medizin viel zu tun. Mit einem Sprung taucht man in der wissenschaftlichen Arbeit unter, da ist kein flanierndes Tändeln, wie bei der Jurisprudenz und der Philosophie, das zu anderem Zeit ließe.
Hilde hatte das Problem zu lösen, wie sie trotz all der vielen Arbeit, die ernst genommen werden mußte, noch Geld verdienen fönne. Und darauf hielt sie. In einem letzten ernsten Gespräch wies sie das Anerbieten des Großvaters, der ihr ein Taschengeld aussetzen wollte, ohne weiteres zurück. Möglichkeiten waren ja genug vorhanden, aber die Zeit war freilich knapp. Eine nachrückende Generation der Schülerinnen, die sie unterrichtet hatte, meldete sich bei ihr und mußte wegen Zeitmangels abgewiesen werden. Aber Salome Blau wollte jetzt nicht mehr wie bisher deutsche Philosophen, sondern die großen lateinischen Schriftsteller der Vergangenheit tanzen und bat, nachdem sie diese Idee gefaßt hatte, Hilde darum, fie den Geheimnissen dieser Literatur näherzubringen.
Da gab es Dichter von ländlicher Einfachheit, da gab es Geschichtschreiber wildbewegter Epochen, voller Verwandtenmord und blut= befleckter Unzucht, und es gab getreue Chronisten von Kriegen und Aufständen. Alles das wollte Fräulein Salome Blau in dem antiken nachgeahmten Tanzschritt und, was die Hauptsache war, möglichst nadt zum Ausdruck bringen, und dazu, nicht zum Tanz, nur zur Auswahl der Textstellen und zu ihrem eingehenden Studium, war ihr Hilde behilflich. Sie nahm es auf sich, weil Fräulein Salome Blau sich gern der Stundeneinteilung fügte, die der Zwang der ( Fortsetzung folgt.) | eigenen Arbeit Hilden auferlegte.
WAS DER TAG BRINGT.
Das Theater als Heilmittel.
Der Zufall weht uns einen Brief an August Wilhelm Iff land , den Schauspieler, Bühnendichter und Intendanten der königlichen Nationaltheater, zu, der so originell ist, daß wir ihn der Vergessenheit entreißen wollen:
M.
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führen lassen. Das sei auch so eine neue Mode, wie die kurzen nun, sagen wir Dünger Frauenröcke, damit ja nichts von seinem
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- verloren gehe. Aber auch dieser Düngerhaufen wird abgetragen. Nun wird das Gespräch politisch, natürlich lokalpolitisch. Einer bemerkt, daß man in Künzelsau Kanalisation habe, während in Dörzbach.( hier schenke man sich das bereits erwähnte tlaja
fische Zitat).
Eine kleine Familie aus einer kleinen Stadt, in deren Mitte fich eine Frau befindet, welche in einen Liebeshandel so verwickelt ist, daß man über kurz oder lang befürchten muß, sie auf dem Wege einer Entführung zu verlieren, wird gegen den 20. d. Mts. nach Berlin kommen, und man wünscht während ihres Hierseins die liebesieche Frau durch die Vorstellung des Schauspiels Menschenhaß und Reue" auf einen besseren Weg und ihrem Mann wieder in die Arme zurückzuführen. Wenn es nun öfter der Fall ,, An Herrn Shakespeare ." ist, daß Eine hochlöbl. Gen. Direction des K. National- Theaters auf Bitte einzelner Personen oder Gesellschaften in Ansehung eines aufzuführenden Stüdes Rücksicht nimmt, so schmeichelt man sich auch einer gütigen Erfüllung der inständigsten Bitte: Am Mitt woch, den 20. November das Schauspiel ,, Menschenhaß und Reue", welches lange nicht gegeben ist, und stets mit lautem Beifall vom Bublifum aufgenommen wird, vorgestellt zu sehen, vorzüglich, da es zu einem so guten Behuf abzwecken soll."
Großes Hallo. Die Köpfe erhitzen sich. Es gibt Anhänger und Gegner der Kanalisation. Schließlich aber triumphieren die Gegner der Kanalisation, denn einer von ihnen bringt alle Anhänger der Kanalisation mit folgendem Argument zum Schweigen:„ No und wer wird denn nacha die Kanalisation seibere!?" J.S.I.
Am Mittwoch, dem 20. November 1799, dab es zwar ,, Menschenhaß und Reue" nicht, aber zwei Tage später, am 22. November! Leider ist nicht festzustellen, ob die„ ,, liebefieche" Frau durch die Borftellung des Schauspiels ,, auf einen befferen Weg und ihrem Mann wieder in die Arme" zurückgeführt wurde. Schade!
Politik.
In Dörzbach in Württemberg , Ausgangspuntt eines Bähnles, mit dem man, wenn man viel Zeit und Geduld hat, nach dem ehemaligen Kloster Schöntal tommt, wo einst die Familiengruft derer von Berlichingen war und sich der Grabstein des Göz befindet, dann nach Ia gsthausen, wo die eiserne Hand aufbewahrt ist. Nebenbei: Göz von Berlichingen starb als Achtzigjähriger und keinesfalls als Rebell.
Es ist Nachmittag. Eingeborene Dörzbacher, mit Köpfen aus dem Bauernkrieg, feiern am langen Wirtshaustisch ihren Sonntag. Es herrscht heitere und laute Derbheit. Der Fremde merkt sofort, daß er sich auf klassischem Boden befindet. Jeder dritte Sag ist ein Goethezitat. Freilich ist es immer dasselbe. Man kann es im Göz" nachlesen.
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Zunächst werden die kurzen Frauenröde angeschnitten, zerzaust und verrissen, bis nichts mehr von ihnen übrig ist und sie sozujagen fein Goethezitat mehr wert sind.
Das Gespräch bekommt dann eine andere. Bendung. Einer
Oh, er ist ganz anders als ich, obgleich... cr so ist wie ich." kritisiert die hohe Mauer, die ein anderer( Abwesender) um den Das versteh' ich nicht." Düngerhausen( ich mildere ganz wesentlich den Ausdruck) hat auf
Aus Springfield in Massachusetts ( Amerita) hatte jemand einen Brief geschrieben und adreffiert an William Shakespeare , Stratford- on- Avon , England." Der Brief irrte längere Zeit umher, brei englische Poftbeamten suchten fich tot nach dem Empfänger, ein vierter, der ohne Zweifel mehr literarische Kenntnisse besaß als seine Borgänger, schrieb auf den Brief: Empfänger am 23. April 1616 verstorben" und sandte den Brief zurück. Der Absender konnte nicht ermittelt werden.
Hoovers Kinokampagne.
Ein Zeichen dafür, daß der amerikanische Präsidentschaftswahl tampf sich seinem Höhepunkt nähert, ist die Tatsache, daß nächstens in den Hauptorten der U. S. A. mit der Vorführung des republifanischen Werbefilms„ Der Gebieter des Schicksals" begonnen werden wird. Dieser Film zeigt Hoover in seiner Hilfstätig. teit für das friegsnotleidende Belgien und in seinen späteren mitteleuropäischen Hilfsaktionen. Der Film hat eine Länge von 16 000 Metern. Nachdem er bisher nur republikanischen Parteifreunden und Werbeagenten in New York vorgeführt worden war, werden nun nach entsprechender Kürzung und Bearbeitung zahlreiche Kopien von ihm angefertigt. Ein zweiter Hoover- Film, der den republikanischen Kandidaten bei seiner Propaganda. arbeit seit seiner Nominierung zeigt, ist in Vorbereitung. Metaphysika.
Die Lehrerin wollte den Kindern die Allgegenwart Gottes erklären.
,, Nehmen wir z. B. an, ihr geht jetzt alle nach Hause und ich bin ganz allein hier. Kurt, wer bleibt nachher noch bei mir in der Klasse?" ..Herr Lehrer Hennig, Fräulein!" Borauf Fräulein sehr rot wurde.
( Aus dem Wahren Jakob".)