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-~vl von JAsazl SBvrgßsbUszr
(45. Fortsetzung.) Im Lehrbuo».er Anatomie steht freilich nichts davon. Aber dort ist nur von Toten die Rede, und das ist was Lebendiges. Es wird großartig werden!* Und er rezitierte jetzt laut auf der Straße, unbekümmert um die Passanten, die sich umdrehten: Höret die rufend« Stimme der Winde, Die aus den wogenden Lüften ertönt, Ob sie vom Süden spricht, weich und gelinde, Ob si« vom Westen her rüttelnd erdröhnt; Wo wir auch perlend» Stirnen umfachen, Wo wir auch stöhnende Herzen mwweh'n, Ueberall seh'n wir die Armen erwachen, Ueberall sehen wir Kämpfer«rsteh'n!... Die Begeisterung Drobauers gefiel Hilde. Aber sie mahnt« doch zur Mäßigung. Diesmal werden S' mitzieh'», Fräulein Hilde,* rief Drvbauer. 3ch wcrd'! Sie meinen, daß Si« mir dos vorschlagen," ont- wartete Hilde, die einen Eingriff in ihre selbständigen Entschlüsse nie oertrug und ihn, ob er im Scherz oder im Ernst geschah, stets abwehrte. Nein, das sag' nicht ich, daß Si« mitziehen werden, das muß Ihnen Ihr... Ihr Pflichtgefühl eingeben! Bedenken Sie, wo wir heute sind! Sie wollen uns kleinkriegen, die Wiener und die Genfer! Aber justoment nicht! Wir werden ihnen zum ersten Male zeigen, wie stark wir sind! Da müssen alle mit, auch die Hilde Fernleitner... Wissen S', daß ich am Abend auch Vortrag'?* Wo, im Musikoereinssaal?" Nein, in Kagran  ! Dort rezitier' ich Freiheitsgedichte. Uebrigens Sie haben mich seit den schönen Tagen der Meisterin nie vor- tragen gehört. Ich bin gewachsen..." Das hat Ihnen noch gefehlt." Ich mein' künstlerisch, als Rezitator bin ich gewachsen. Ihr Erster Mai gehört mir, ja? Am Vormittag Umzug, nachmittag die Turnvorführung, die ist womöglich noch schöner, und am Abend wird es am schönsten sein: Rezitation von Revolutions- und Freiheit?- geoichten. Vortragender: Maximilian Drobauer." Hilde versprach ohne weiteres, mitzukommen. Am Abend nach Kagran   undmeinetwegen* auch mit dem Festzug. Meinetwegen!" brummte der Drobauer.Freuen S' sich denn nicht darauf?" und rezitierte wieder:Die Masse, die schön ist, wenn da» Wunder sie ergreift." Hilde war aufrichtig, wenn man si« über ihr« Stimmung und Meinungen befragte. Freuen!" sagte sie.Ja, so ein Vergnügen ist es nicht, drei bis vier Stunden lang Schritt für Schritt über den Ring zu mov- schieren. Langsam gehen kann ich nicht, das wissen Sie, ich muß immer lausen." Und der höhere Sinn eines solchen Spazierganges geht Ihnen noch immer nicht«in? Demonstrationszug, demonstrieren, das heißt zeigen, an den Tag legen! Und hunderttausendmal an mehreren hunderttausend Menschen zeigen, was man will das ist nicht besonders?" Aber ich geh' schon mit, regen S' sich nicht aus," sagt« Hilde. Mitgehen mit Begeisterung müssen S' mitgehen, nicht um mich loszuwerden..." Sie werden ja ganz gewiß an meiner Seite sein." Oder um mich jetzt loszuwerden. Wenn Sie's nicht fühlen, bleib«» S' zu Haufe oder verbringen Sie den ersten Mai auf Schloß Wunder aller Welt!" Himmel, das war wieder einmal hellseherisch gesprochen. Hilde hatte an da» Gespräch mit Edi, an sein« Einweihungsfeier und an ihr Versprechen, dabei zu sein, gor nicht gedacht. Jetzt bracht« Dro, bauer ihr oas alle» in Erinnerung Ansang Mai hatte damals der Edi bei der Lutz gesagt, na, hoffentlich kommen die zwei Feste, das des Sohnes von Adolf Grubers Söhne und das des Wiener Volkes nicht«inander in» Gehege. Es wurde ober anders. In der vorletzten Aprilwoche langte ein Brief von Edi ein Auf sem Papier, das etwa da» Format eines mittelalterlichen anit- lichen Dokuments hatte, war da» Abbild des Jagdhäuschens auf- geprägt, auch dies von einem Format, dos die üblichen Dimsysionen gewiß übertraf und eher dem einer staatlichen Villa entsprach. Und in seinem Briefe teilte Edi in seiner Schülcrschrift mit. daß die Ein- weihung seines eigenen Hauses für den ersten Mai festgesetzt wurde, nicht für eine Woche, sondern bloß für zwei Tage, und daß Hilde ihm ja versprochen habe, bei dieser denkwürdigen Gelegenheit einmal sein Gast zu sein, und daß er, weil sie ihre Zusagen immer halte, bestimmt auf ihr« Anwesenheit rechne. Da» Auto werde pünktlich zu Mittag am 3l>. April vor ihrer Wohnung stehen und sie zuerst nach dem Schloß Wunder aller Welt und am nächsten Tage vor­mittags in da, Iagdhäusel bringen, das noch keinen Namen habe, weil Fräulein Hilde Fernleitner gebeten werde, selbst»inen schönen, guttlingenden. angemessenen Namen zu ersinnen. Krach! Da traten sich wieder zwei Männer al» Vertreter zweier Welten, zweier Anschauunaea, entgegen. An und für sich hält« Hilde ohne weiteres auf das Einweihung»- i fest verzichtet, aber sie wollte den lieben Jungen nicht kränken. Und dann war sie wirklich gewohnt, das, was sie versprach, auch stets einzuhalten. An der Maifeier war ihr, aufrichtig gelogt, auch nicht viel gelegen, aber vor der stand mahnend Drobauer, der auch auf «in Versprechen pochen konnte, und übrigens, das ahnt« sie, diesmal ungemütlich werden würde, wenn er sich in seinen Erwartungen betragen sähe. Also? Sie zeigte die Karte Drobauer. und sagte Ihm, wie olle» ge- kommen sei. Drobauer zuckt» die Achsel. Ich zwing' Sie nicht, SI« müssen selber wissen, wa» Si« wollen. Fräulein Hilde. Wenn d>» reichen Leute oom Schloß Wunder aller Welt wieder anlocken, bitte, da» Auto wird ja vor der Tür stehen." Für die Ironie ist jetzt gar kein Anlaß," antworiete Hilde. Mir ist die©ach« selbst peinlich. Und auch Ihre Vorlesung, ich wäre sehr gern dabei gewesen."
Die Vorlesung ist nichts. Bitte, in Kagran  ! Auf dem Schloß Wunder aller Welt, und selbst im schlichten Iagdhäusel, wird es ungleich prächtiger sein, da» kann ich Ihnen von hier aus sagen." Hilde macht« eine abwehrend« Handbewegung. Nein, wirklich, und ich werd' ja noch mehr Vorlesungen halten. Mit denselben Frciheitsgedichten.©i« werden mich auch im Timme-
ringer Klima hären können. Reden S' sich also nicht auf mich aus, wenn Sie der Maizug nicht lockt, dl« Demonstration... Schließlich, auf eine Person kommt es nicht an." sagte Hilde ziemlich kleinlaut. Ha, ha!" lachte Drobauer. ,/)ab' ich erwartet! Jetzt ist's heraußen! Daß Sie auch so an Blödsinn reden können. Da plag' lch mich mit Ihnen seit wieviel Jahre sind's schon? und Sie
reden daher wie a Spießbürger, der nicht vom Wein weg zur Wahl gehen will. Als ob man nicht um seiner selbst willen an einer Demonstration teilnimmt und ol» ob nicht alles zu Wasser werden möcht', wenn o jeder so redet! Ich sog' Unen was, Fräulein Hilde, tun S'. wozu Sie Ihr Herz treibt, und gestehen Sie sich's ehrlich ein. Am ersten Mai. in der Früh', steht mein Automobil vor Ihrem Haustor, und wenn Sie nicht di sind, so fährt es wieder weg. Adieu!" Und fort war er und ließ Hilde in ihrer Unfchlüssigkest stehen. Rat holen? Bei wem? Rein, Rot ist niemals bei anderen zu finden, das wußte sie wohl, und wenn man ausgeht, um sich beraten zu lasten, so tut man's meist nur, um in einem heimlich schon ge- faßten Entschluß bestörkt zu werden. Von Doktor Werner verlangt« sie wahrhaftig keinen Rot Den behandelt« si« wie ein Kind, wie ein kluges.Kind, dem man gern zuhört. Aber er fing selbst vom ersten Mai zu sprechen an. ..Hat Sie der Herr Drobauer richtig dazu gebracht, mit dem Zug zu gehen?" Ich bin noch nicht sicher," sagte Hilde zögernd. Tun' Sie's nicht! Tun Sie's nicht! Das soll für Sie ebenso ein Smybol sein, wie das Mitziehen für die anderen ein Sym- bol stt." Warum? Das versteh' ich nicht." Bleiben Si« Sie selbst! Nicht in der Mast« unleriouchen! Das ist eine Forderung unserer heutigen Kultur, in der wirkliche Persönlichkeiten und das sind Si«, Fräulein Hilde, das garantier' ich Ihnen sich nicht solle» von dem allgemeinen Strom über- schwemmen lassen. Es ist doch zu lächerlich, wenn Si« da in einan Riesenzug fini), sich ein« Tafel vorantragen lassen, daß sie vom achten Bezirk sind- das muß der Welt verkündet werden und genau vorschreiben lassen, daß Sie gerade auf den Stufen de» Burgtheaters zu stehen haben, und dann um soundso viel Uhr die'Internati anale" anstimmen müssen. Es ist nicht auszu- denken, wie man Sie uniformieren will! Das ist doch nicht für unsereinen!" Hilde antwortete nicht. Zwang war ihr freilich von seher schon verhaßt gewesen, und sie hätte wohl nie etwa» gelernt, wenn es ihr aufgezwungen worden wäre. Doktor Werner merkte das Zögern und fuhr nun mit Belchrungeeiser fort, wobei er das Wort erriet, da» bei Hilde stet, den stärksten Wide: willen wach- gerufen hatte.(Fortsetzung folgt.)
WAS DER
,Dle Sacht vor der Enthauptung.'4 Stadtarzt Dr. Alfred Korach sendet uns folgende Zeilen: Der2lbend" brachte am 23. August 1928 einen meiner Feder entstammenden Aufsatz, der die Persönlichkeit und die Krankheiten des Raubmörders Böttcher schildert« undDi« Nacht vor der Enthauptung" betitelt war. Es war Bezug genommen auf die in der Aerztlichen Sachoerständigenzeitung" veröffentlichten, den Fall Böttcher betreffenden interessanten Ausführungen des Strafanstalt»- medizinalrats Dr. Bernhard. Zur Vermeidung eine» Mißvcr- ständnisses fei darauf aufmerksam gemocht, daß in jenem Auftotz« zu der Frage, ob die Böttcherschen Untaten etwa nicht al» Mord, fondern möglicherweise als Totschlag hätten angesehen werden können, nicht eine(nicht vorhandene!) Meinungsäußerung de, Strafanstalt»- arjtes wiedergegeben wurde. Sie stammte aus eigenen Erwägungen." Das war erst 1904. Di« Frau von heute hat sich auf allen Gebieten die Gleich- berechtigung mit dem Mann errungen. Unsere Mädchen, sei es, daß sie kameradschaftlich mit den Jungen« wandern, paddeln. schwimmen, sei e». daß sie ohne denmännlichen Schutz" ihren sportlichen Uebungen obliegen, halten es sür ganz selbstverständlich, daß si« gleichberechtigt auch in den össentlichen Lokalen austreten. Und doch hat noch die ältere aber heut« noch lebende Generation ihre» Äeschlcchts andere Verhöltniste gesehen. Ein Brief au» dem Jahre 1904, den die gesamte Berliner   Presse veröffentlichte, zeigt, was damals in Berlin   noch einer Frau ohne Herrenbegleitung passieren konnte. Der Brief war gerichtet an die bekannte Frauen- rechtlerin Frau Marie Stritt   in Dresden   und lautete: » Hamburg  , den 27. Juni 1904. Hochgeehrte Frau Stritt! Ich halte es für meine Pflicht, ein Vorkommnis zu Ihrer Kenntnis zu bringen, welches mir am 23. d. M., kurz vor meiner Abreise, in Berlin   widerfahren ist und welches wohl geeignet lein sollte, der Oefsentlichkcst übergeben zu werden. Meine Freundin, Frau Hauptmann K.. und ich gingen am Abend des genannten Tages nach dem Besuch des Theaters in das große Restaurant des Ausftellungsparkcs. um zu Abend zu speisen. Auf unsere Frage nach der Speisekarte erwidert« uns der Kellner achsclzuckend, daß er uns nicht servieren könne. Auf unseren Wunsch wurd« der Wirt herbeigerufen, der uns erklärte, daß an Domen ohne Herrenbegleitung nichts verabfolgt werde und daß eine diesbezüglich« Warnung in den Zeitungen ver- ösfentllcht worden sei. Erbittert über die mir als Kost des Kongresses angxtone Schmach, fand meine Freundin, eine geborene Berlinerin, welche die Konversation führte, es angezeigt, meinen Namen und Stellung zu nennen� was den Wirt aber nicht veranlassen konnte, seine beleidigende Abweisung zurück- zunehmen, so daß wir vor den Augen de» umhersitzenden Publikums das Lokal oerlaslen mußten. Nandi Blehr in Ehristiania, Vors. äor dlork-lc Kvioässsgs forennig und der Korste afdeling afB L'AlIiance universelle des femraes pour la paix" usw. Es sei hinzugefügt, daß Frau Vlehr die Gattin eines früheren Staatsmlnisters von Norwegen   war. Kein Lokalinhaber würde es heute wohl noch wagen, Frauen, die gewillt sind, bei ihm Ihr Geld
AG BRINGT. zu verzehren, eine solche Beleidigung zuzsügen. Daß die De- wegungsfreiheit der Frauen eine Folge des politischen Kampfes und der politischen Gleichberechtigung ist, ist freilich noch lange nicht allen von ihnen zum Bewußtsein gekommen. Die Seitseherin macht Karriere. Di« Insterburger Hellseherin Günther-Scheffers wurde vor kurzem nach Lettland   gerufen, damit sie bei der Entdeckung eines Mordes behilflich fei. Das Opfer war ein gewister Misk« und der Tat verdächtig war sein Schwager. Die Beweis« gegen ihn reichten jedoch zur Ueberführung nicht aus. Frau Günther-Scheffers begab sich im Troncezustand zur Wohnung des Schwager, des Getöteten, sie wurde aber durch einen Lärm wach: der Derfuch soll wiederholt werden. Frau Günther�chefser» macht also Karriere. Türkische Staatsbeamte auf der Schulbank. Wie aus der Türkei   berichtet wird, ist dort die Hitze in den letzten Wochen so groß geworden, daß eine der wichtigsten Aufgaben, deren Erfüllung Kemal Pascha sich gestellt hat, nämlich die Ein- führung der lateinischen Schriftzeichen an Stelle der bisher im Ge- brauch gewesenen arabischen, ernstlich in» Stocken geraten ist. Denn dieSchulbuben" streiken und liegen lieber irgendwo im kühlen Schalten, soweit sich ein solcher in dem sonnigen Anatolien   findet, oder sern dem Äuge ihres Herrn und Gebieters an den Gestaden des Bosporus  , als sich in dumpfe Räume zu setzen, und mühsam die Buchstaben nachzumalen, die ihnen auf der Tafel vorgeschrieben werden. DieSchulbuben" nämlich, von denen hier die Rede ist. sind teils die würdigen Mitglieder des Parlaments, teils die hohen Beamten, die in dieser Hitze wenig Verlangen in sich oerspüren, auf ihre alten Tage noch schreiben zu lernen und lieber die Schule schwänzen. Das Erlernen der lateinischen Buchstaben sällt den Türken überhaupt nicht so leicht, wie es sich der Präsident gedacht hat. Ilm nun vor ollem den Parlamentsmitgliedern die Aufgab« zu er- leichtern, hat er selbst eine Vorlog« in lateinischen Schriftzcichen wiedergegeben(die übrigens auch picht sonderlich flüssig sein sollen) und nun müssen seine parlamentarischen und sonstigen Schüler auf den Schulbänken sitzen und sich im Schweiße ihres Angesichts ab- mühen, aus der von ihrem Präsidenten verfaßten Fibel die An- fangsgründe des Schreibens zu erlernen. Die Sozialrente des Senkers. Im fernen Uzt-Bolscheretzk aus Kamtschatka  (im Nord- osten Asiens  ) wohnt der frühere Henker Grigori Golynsky. Im Jahr« 1889 wurde er als Zuchthäusler nach der Insel Sachalin   ver- bannt. 24 Jahre lang üble er auf Sachalin   dos Amt eines Henkers aus, bis zum Ausbruch des rujsisch-japanischen Krieges. Im Jahre 1923 erschien bei der Sozialversicherung in Wladiwcfwk ein dürs: alte« Männchen, legt« eine Bescheinigung vor, wonach er«lt Jahr« als Heizer gearbeitit habe und suchte um eine Rente noch. Der all« Mann erhielt seitdem anstandslos feine Aitererent« Erst sc tu kam der Sozialversicherung zur Kenntnis, daß der Rentner nicht bloß Heizer, sondern einstmals auch Henker gewesen war. Die Frage ist nun: soll man dem ehemaligen Henker nach sowietrussischem Recht den Prozeß machen oder dem späteren Heizer die Altersrente weiter zahlen?
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