Beilage
Freitag, 14. September 1928.
Einer, der zum Tode verurteilt war.
Ein Besuch bei Leister.- Wie er sich im Leben zurechtfindet.
Todesstrafe gefchienen."
Peifter ist mir immer als ein lebendiges Zeugnis gegen die Der Strafanstaltsdirektor Krebs als Zenge im Zeifterprozek. Wie ist ein durch Zuchthaus zerstörtes Leben wieder auf zurichten? Slaters nach 19 Jahren, des Maurers Leister nach 4½ Schren? Verlorene Jahre sind nicht wiederzugeben, zerstörte Gesundheit ist nicht wiederherzustellen, erlittenes Leid nicht wieder gut zu machen selbst nicht durch noch so hohe Entschädigung.
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Das Haus, in dem der Mord geschah Das Dachfenster(+) aus dem der Täter entfloh. Wie mag sich nur Leister, unschuldig wie er war, im Zuchthaus während der ganzen Zeit gefühlt haben? So fragte ich mich, als ich neulich die Thüringische Strafanstalt Untermaasfeld besuchte, im umfangreichen Anstaltshof um Rasen und Blumenbeete seine Leidensgefährten lustwandeln" fah, an seiner ehemaligen Belle vorbeitam und vom Direktor Krebs hörte, wie er in Briefen bittere Klagen führe, daß er seine frühere Arbeit als Maurer nicht wieder aufnehmen fönne.
vorgefunden? Haben die unter ihrer Abwesenheit start gelitten?" Und ob! Sie sind ja jetzt wie verwandelt. Das Mädel hat durch den Tod der Mutter was abgefriegt; fie mußte ja die Ermordung mitansehen. Jetzt ist sie bei der Schwester in Geisa . Der ältere Junge, der damals noch nicht 14 Jahre alt war, mußte verdienen helfen und konnte nichts Gescheites lernen. Der Jüngere ist Tischler. lehrling." „ Nein," sagt Leister haftig. Das wollte ich nicht. Sie hängen aber Haben die Kinder Sie im Gefängnis besucht?"
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fehr an mir und haben mir oft geschrieben."
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Da kommt gerade der Weltere, ein fräftiger Bursche von 19 Jahren. ,, Na sind Sie froh, daß der Vater zurück ist?" Er lacht über das ganze Gesicht:„ Natürlich!" ,, Haben Sie an die Schuld ihres Vaters geglaubt?" Er wird ernst: Nein. Wie konnte ich daran glauben, er war ja im Augenblid, als die Schüsse fielen. mit mir oben im Zimmer." ,, Haben Sie's denn nicht vor Gericht gefagt?" Was konnte ich denn da sagen? Ich war ganz dumm, als ich vor all' den Herren stand, ich konnte überhaupt fein Wort hervorbringen." Jetzt mischt sich Leister ins Gespräch. Er war ja damals erst 13 Jahre alt und die Kleine war 9 Jahre. Als sie gefragt wurden, fonnten sie überhaupt nichts sagen. Erst als vom Oberlandesgericht aus hier der Lokaltermin stattfand, da konnten sie richtig sprechen. Damals aber vor dem Gericht, da konnten die Rinder nicht aussagen."
,, haben Sie sich wieder in der Wirtschaft eingelebt?"- ,, Es war alles drunter und drüber gegangen, die Kühe mußten verkauft, das Land konnte nicht richtig bestellt werden. Dann übernahm meine Schwester die Wirtschaft; auch mein älterer Bruder half mit, es war aber alles nicht das Richtige. Jetzt habe ich in der Hoffnung auf die Entschädigung für meine unschuldig erlittene Haft schon wieder ein Stück Wiese gekauft, auch eine junge Ruh dazu. Ich will aber fort von hier; der Junge versteht seine Sache, wird wohl auch früh heiraten und dann hätte er zu viel alte Leute im Hause." Sie sind doch noch nicht alt, Leister! Kaum 40 Jahre." ,, Was soll ich denn aber hier? Wenn ich nach Haufe tomme, finde ich doch das Haus leer, und an den Sonntagen, da laufe ich voll Unruhe allein über die Wiesen; immer fehlt mir etwas." Er wirft einen schnellen Blick auf das Bett in der Ede, auf dem seine Frau ermordet wurde....
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Als ich später aus der Gastwirtschaft, wo ich zu Abend gegessen hatte, in Leifters Häuschen zurüddtomme, finde ich seinen Bruder vor und auch seinen 17jährigen Sohn, einen blafsen Burschen, den man die schweren Jahre, die sein Vater unschuldig im Gefängnis faß, wohl ansieht. Ich verabschiede mich von dem intelligenten, aufgeweckten und redegewandten Maurer und mache mich auf den Weg nach Geifa zurück.
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
genoffen nichts gemein hatte, jahrelang irgendwo in fremden Städten arbeitete, ein schlechter Katholik, beim Pfarrer übel angeschrieben? Da hätte er in Bayern begnadigt werden sollen? Ist nicht erst vor zwei Jahren in Roburg ein 19jähriger Bursche hingerichtet worden, der sein Mädel ertränkt hatte? Hier aber hatte ein Mann um einer Buhlerin willen angeblich seine Frau ermordet? Bestimmt wäre er hingerichtet worden! Und ich denke zurück an all die Lebenslänglichen, die ich in Untermaasfeld gesehen habe. An die Doppel- und andere Mörder, die dort jetzt zu den Besten gehören, Vertrauensposten innehaben und alle nicht hingerichtet sind
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Leister vor seinem Wohnhaus.
Es ist 10 Uhr. Ringsum Abendstille Dämmerung zieht dont herauf. Ich gehe langsam die Chauffee entlang und überlege. Eigent bie lich hast du mit einem Toten gesprochen; denn wäre dieser Mord an der Frau Leister nicht in Thüringen geschehen, sondern wenige Rilometer weiter in Bayern , so wäre Leister bestimmt nicht mehr unter den Lebenden. Dieser intelligente Kopf des Maurers wäre unzweifelhaft dem Henker zum Opfer gefallen. Seine Frau in Gegenwart der achtjährigen Tochter gemordet! Und weshalb? Um sich von ihr freizumachen und eine andere zu heiraten. Und war der Mörder nicht ein übelbeleumundeter Mensch, der mit seinen Dorfstrafe! Wie Leister!...
Und doch konnte Leister von Glück[ prechen! Denn in diesem Buchthaus hatte er es doch nicht so schwer, wie er es vielleicht in einem anderen gehabt hätte. Auch Arbeit fand er, die ihm gewissermaßen an dem großen Werf, das hier vollbracht wird, mitschaffen ließ. Ueberall hat Leister seine Hand mitangelegt; an den freudig bunten Farben des Speisesaals der zweiten Stufe, des Aufenthaltsraumes der dritten Stufe, der Kirche, des Vortragssaales. Wie mag es aber Leister jegt in der Freiheit ergehen?
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gleich Leifter. Ich denke an die Lebenslänglichen, die mir Mozart vorgespielt ,,, Sah ein Knab ein Röslein stehn" und anderes. an den Mörder", dem seine Frau, eine Arbeiterin, auf Ratenzahlungen ein Cello gekauft hatte, das er erst jetzt spielen gelernt hat, an das wundervolle Zusammenspiel von Orchester und Orgel: es war das. Largo von Händel an die Lebenslänglichen", die vom Turm des Schlosses herab den Ostersonntag mit dem Arbeiterstüd„ Die Sonne erwacht" einleiteten. Alles lebendige Zeugnisse gegen die Todes. Leo Rosenthal .
Besuch bei Cadbury.
Gruppe von 10 000 Arbeitern durch Zusicherung guter Lebensbedingungen aus der allgemeinen Kampffront herauszunehmen, solange die Gesamtverhältnisse der englischen Arbeiterschaft schlecht find?
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wenn auch nur
Dem Männer und Frauenrat der Bournville- Werke stehen Fonds zur Verfügung, mit deren Hilfe sie in jedem Jahre eine Internationale Konferenz teils in England, teils auf dem Kontinent, einberufen. Ende August dieses Jahres fand die sechste dieser Konferenzen in Woodbroke Bournville, in der eigenen Siedlung statt. Ueber 60 Gäste waren geladen, zur Hälfte Engländer zur anderen Hälfte Vertreter aus 14 europäischen Nationen, die sich der großzügigen englischen Gastfreundschaft erfreuten. Es waren auch fünf deutsche Delegierte anwesend, von freien Gewertschaften und vom Bunde der Freunde der Internationalen Kleinarbeit entsandt. Dieser Konferenz lag die Idee zugrunde, eine Anzahl Vertreter verschiedener Nationen zusammenzubringen, mit ihnen aktuelle politische Fragen zu besprechen und so im kleinen Maße praktisch zu einer besseren internationalen Verständigung beizutragen. Auch sollte das enge gemeinschaftliche Zusammenleben während dieser acht Tage persönliche Beziehungen entstehen lassen. Die Konferenzleitung hatte einen Zyklus von fünf Vorträgen über das Thema:„ Die Gründung des internationalen Friedens" angesetzt. Als Redner war Mr. Norman Angell ( Verfasser des Buches:„ Die falsche Rechnung") gewonnen worden. Seiner Leitung unterstanden auch die Diskussionsstunden. Angell führte besonders plastisch aus, daß ein Krieg immer eine falsche Rechnung sei, daß auch die den Krieg geminnenden Staaten verlieren, und daß selbst dann, wenn ein Staat Eroberungen macht, nicht der Staat gewinnt, sondern die großen Gesellschaften, die ihr Kapital in dem neu eroberten Gebiet arbeiten lassen. Es waren durchweg Vertreter solcher Richtungen anwesend, die sich für einen dauernden Frieden einsetzen, und so kam man zu dem Ergebnis, daß die Erhaltung des Friedens auf dem Wege der Verständigung möglich sein muß.
Ungefähr 6 Kilometer von der großen englischen Fabrikstadt| Für einen Gewerkschafter entsteht die Frage: Ist es richtig, eine Von Geisa führt der Weg 3,5 Kilometer über die Landstraßen Birmingham entfernt liegt das Arbeiterstädtchen Bournville, durch eine schöne Rhönlandschaft zum Dorf Bremen mit seinen eine Siedlung von etwa 1600 Einfamilienhäusern, die durch ihr 650 Einwohnern. Leisters Häuschen steht eingeengt zwischen zwei buntes Aussehen und durch die Blumenpracht in den Gärten auf anderen Häusern. Das linke war ihm beinahe zum Verhängnis ge- fallen. Die Bewohner dieser Siedlung sind zum größten Teil in worden; die Bewohner dieses Hauses waren seine Hauptbelastungs- der Schokoladenfabrit der Familie Cadbury tätig, zeugen, das rechte aber hat ihn herausgeholfen: der 13jährige Nach die 10 000 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt. Die Cadburys bar war es ja, der durch das Bodenfenster die Mörder schleunigst gehören zu jener Art von Unternehmern, die in England sehr verLeifters Haus verlassen sah. Eine Bäuerin es ist Leisters einzelt, in Deutschland bis jetzt überhaupt noch nicht zu finden sind. Schmester- geht in die Scheune, um Leister den Besuch anzumelden. Nämlich zu der Art, die aus eigener. Einsicht seit 50 Jahren un In Hemdsärmeln, verſchlafen, aber frisch, kommt er mir entgegen. ermüdlich bestrebt ist, die sozialen Einrichtungen ihres Werkes zu Er weiß, wer ich bin und was ich will er ist eben erst von der vermehren und zu verbessern. So hat die Familie Cadbury im Arbeit gekommen, muß Tag für Tag um 3 Uhr aufstehen und hat Jahre 1900 die von ihr gebaute Arbeiterstadt einem Berwaltungssich ein wenig aufs Ohr gelegt. Er bittet mich in die gute Stube. rat übergeben und auf jeden finanziellen Anteil verzichtet. Ueber. In der Ecke steht noch das Bett, auf dem seine Frau in der ver- schüsse wurden fortan für weitere Bauzwecke verwendet. Es enthängnisvollen Nacht ermordet wurde.„ Na, Herr Leister, wie haben standen außer neuen Siedlungshäusern Elementarschulen, FortGie sich eingelebt?" Er fährt nervös durch seinen Haarschopf: bildungs-, Kunst- und Gewerbeschulen, Barts- und Kinderspielpläge, ,, Eingelebt? Es ist doch nicht mehr das wie früher, ich fann meine Armenhäuser für alte Leute und das Vereinshaus der Quäfer. Auch Arbeit nicht mehr tun, bin zu schwach."- ,, Aber Sie haben es doch eine Kirche wurde gebaut, denn die englischen Arbeiter lösen sich verhältnismäßig gut gehabt in Untermaasfeld?"-Ja. das wohl, schwer von der kirchlichen Tradition. aber das letzte Jahr, das hat mir arg mitgespielt. Ich konnte überhaupt nicht mehr mitmachen, weder beim Sport noch beim Singen. Auch Bücher konnte ich nicht mehr lesen. Selbst bei der Arbeit hatte ich seine Freude mehr. Am liebsten war ich für mich allein. Die Aerzte versuchten. mich zu beruhigen, ich konnte aber feine Ruhe finden." In der ersten Zeit mußte es ja noch schlimmer gewesen fein." ,, Nein, damals hoffte ich noch immer und ich konnte nicht verstehen, daß ich verurteilt worden war. Als der Oberstaatsanwalt mir nahelegte, ein Gnadengesuch einzureichen, weigerte ich mich, es zu tun Ich werde doch kein Gnadengefuch einreichen, wenn ich unschuldig bin. Nach der Begnadigung schrieb ich aus Untermaasfeld an das Justizministerium. Mein Anwalt stellte Anträge auf Wiederaufnahmeverfahren dreimal nacheinander. Als der Vormund meiner Kinder eine Erbunwürdigkeitsflage gegen mich anstrengte, erklärte ich, daß ich auch so bereit sei, ihnen Haus und Land abzutreten. Beide Instanzen hielten an dem Urteil des Strafgerichts feft. Dann kam die Sache vors Oberlandesgericht." ,, Hören Sie, Leister, wenn der Vormund auf ihren Vorschlag eingeganger wäre, daß ihre Kinder ohne Erbunwürdigkeitsflage das Bermögen er. hielten, so fäßen sie doch heute noch und wer weiß wie lange im Gefängnis." Ja," sagt Leifter leise, das stimmt".
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Bie haben Sie aber nach so langer Trennung ihre Kinder
Die Cadburysche Schokoladenfabrit setzt jeden fremden Besucher in Erstaunen. Die Räume sind hell und luftig, die Arbeitsplätze find ziemlich weit auseinander. Eine Mädchen- Schwimmhalle, viele Sportpläge für Mädchen und Männer, ein Part mit Pavillon und Gesellschaftssaal dienen der Erholung in den Abendstunden. Ein großer Speisehauskomplex, der Ankleideräume, Küchen, Speise- und Klubräume, ja sogar ein Theater umfaßt, steht den Arbeitern zur Verfügung. Es besteht weder gesellschaftlich noch im Anstellungsverhältnis ein Unterschied zwischen einer Arbeiterin in der Fabrit und einer im Bureau tätigen Frau. Die Arbeitszeit beträgt 44 Stunden in der Woche. Außerdem fällt einmal im Monat die Arbeit am Sonnabend ganz aus, so daß ein langes Wochenende entsteht.
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Jedoch sind solche Unternehmen auch in England vereinzelte Ausnahmen von denen die Cadbury- Werte als die großzügigsten gelten. Haben diese dort tätigen Arbeiter noch enge Fühlung mit der englischen Arbeiterklasse? Sind sie gewerkschaftlich organisiert? Die Antwort lautete: Ja jedoch nur wenige. Sie haben faum noch das Verständnis für die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses der Arbeiterschaft. So sind z. B. während des englischen Generalstreits von den Bournville- Werfen nur 500 Arbeiter( von 10 000!) in den Sympathiestreit für die Bergarbeiter eingetreten.
Aus befferen Kreisen.
T. U.
Sie: Lies mal diesen anonymen Brief! Da schreibt so ein Sudler, ich sei oberflächlich, lasterhaft, betrüge meinen Mann Er: Unerhört! Das kann nur ein Bekannter von Dir gewesen fein!" ( Aus dem Wahren Jacob".)