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Nr. 439 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Mode

Nach vor 100 Jahren war man der Ansicht, daß die Tracht eine Schöpfung des Volkes, ein Werk der Volksgemeinschaft sei. Die moderne Volkskunde ist zu anderen Ergebnissen gelangt. Sie hat nachgewiesen, daß es sich auch hier, wie beim Volkslied und bei der Bauweise, in der Hauptsache um Nachahmungen handelt, um so­genanntes gesunkenes Kulturgut", das von einer aristokratischen Oberschicht langsam hinab in alle Kreise des Volkes drang. Es ist ja auch heute noch so, daß die Großstadt das Vorbild für das Land ist, daß weder Kleinstadt noch Dorf als bäuerlich, als rückständig gekennzeichnet sein wollen. Ueberall, wo Berührungen mit den Städten eintraten, wo Verbindungswege zwischen Land und Stadt geschaffen wurden, da wichen die alte Baumeise, die ererbte Ein­richtung wie die Tracht dem städtischen Einfluß. Das alte, stroh bedeckte Bauernhaus mit dem tief zur Erde geneigten Dach, mit dem festgestampften Lehmboden der Räume wurde durch das Steinhaus erfegt, wie es die Stadt kannte, die alten bunten Schränke und Truhen mußten der modernen städtischen Möbeleinrichtung weichen. Und genau das gleiche Bild bei der Tracht. Immer mehr murde sie zurückgedrängt in abseits liegende Ortschaften, und wenn sie heute nech auch in befannten Rurorten und Modebädern getragen wird, so geschieht dies mehr dem Fremdenverkehr zuliebe als aus einer inneren Notwendigkeit.

Der Geist der Vergangenheit.

Und doch ist es mert, daß man sich mit den alten Trachten beschäftigt. Denn sie bieten die interessantesten Einblicke in den Geift der Vergangenheit, sie sind lebendige Zeugen früherer Moden, die man vor Jahrhunderten trug. In den stillen Schwarzwaldfälern fann man in der Zeit des jonntäglichen Kirchgangs heute noch Trachten sehen. Der Bauer trägt den lang über die Knie reichenden Rod, enge nichofen mit dem charakteristischen Band, lange Etrümpfe und Schnallenschuhe. Ein eigenartiges Bild, das Gegen­mart und Vergangenheit zu verbinden scheint. Es erinnert ungemein an die alten Bilder aus der Zeit Friedrichs II., und wenn man die einzelnen Teile sowohl wie das Gesamtbild mit den alten lleber: Lieferungen vergleicht, so zeigt sich tatsächlich eine weitgehende lleber­instimmung. Während draußen, außerhalb dieser abgeschlossenen Vebirgseinsamkeit, das Weltenrad in rasendem Lauf vorwärts rollte, maren hier die Zeitbewegungen unendlich langsam und schwerfällig. Luf diese Weise ist es zu erklären, daß auch die Modeströmungen est spät in die stillen Gebirgsdörfer famen, als sie draußen in den Etädten schon anfingen, überlebt zu sein, und der ernste, konservativ on Alten hängende Charakter der Schwarzwaldbauern tat das übrige, um sie so lange als möglich, zum Teil bis zur heutigen Zeit, 8 erhalten. Aber es ist nicht so, daß nun das Dorf stlavisch alle Moden der Stadt nachgeahmt hätte, ohne ihnen eigene Züge hinzu­zufügen. So war die lange Schleppe des Stadtfräuleins für das auf Tem Felde arbeitende Bauernmädchen eine Unmöglichkeit, so mußie die ungeheure weiße, gestärkte und vielfach gefältelte Halskrause, mie fie früher üblich war, verschwinden. Dafür aber fügte man auf dem Lande der Tracht viele ausschmückende Bestandteile hinzu, bunte Bänder, Berlen, Ketten, Münzen, billigen Glasflitter aller Art.

Die Nacht nach dem Verrat.

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Roman von Liam O'Flaherty  .

und

Tracht.

Sonntag. 16. Geptember 1928

und bunt, wie man sie sich nur denken mag, himmelblau, smaragd= grün, rosenrot. Ueber dem roten oder blauen Rock sitzt das bunte fleine Mieder, und Schulter und Brust sind mit leuchtenden Bändern verziert. Das Halstuch wird kreuzweise graziös über die Brust ge= schlagen, und darüber legt sich ein fleidsamer weißer Spizenfragen. Welches mögen die Ursachen dieser so stark ausgeprägten Verschieden heiten zwischen den beiden so nahe beieinander liegenden Gegenden sein! Bei längerem Verweilen und einem Streifzug in die Geschichte des Ortes werden sie uns bald flar. Gutach   ist eine alte profeftan­fische Gemeinde, und seine Tracht hat die ernste, strenge Feierlichkeit der protestantischen Sekten des 18. Jahrhunderts bewahrt. Schapbach­fal dagegen ist fatholisch, und die hellen, freudigen Farben gleichen der lebhaften, freudigen Ausstattung seiner Kirche.

Der Giegeszug der europäischen   Mode.

Auch andere deutsche Landschaften haben ihrer Tracht den Stempel der Vergangenheit aufgedrückt. So bietet der alte thürin= gische Bauer in seinem Mantel und Zylinder ein Bild aus der Zeit des Biedermeier. Im Altenburg   trug der Bauer um das Jahr 1709 die Mode des Zeitalters Karls V., also des 16. Jahrhunderts, das start unter spanischem Einfluß stand. Alte Trachtenbilder zeigen uns den großen spanischen   Hut mit dem kleinen Müßchen darunter, und die charakteristische Barttracht Karls V., den Vollbart. Heute sind die weiten spanischen   Kniehosen enger geworden, und an die Stelle des roten Rockes ist ein turzes Jackett getreten, das vorn mit zwei Reihen von Knöpfen verziert ist. Dieses Jackett aber ist ganz außerordentlich interessant, denn seine Entwicklung ist heute noch gut zu verfolgen. Es entstand nämlich aus dem bis fast zum Fuß reichenden langen, dunklen Rock des 18. Jahrhunderts, der ebenfalls heute noch, aber sehr selten, von alten Leuten dieser Gegend getragen wird. Die Tracht war also absolut nicht etwas Feststehendes, Unveränderliches, sondern sie empfing immer neue Ströme, immer neue Aenderungen und Trachtteile, die sie sich einfügte. So entstand ein bewegtes, vie'­feitiges Gemälde, das unzählige Farbentöne, unzählige Schattierun gen aufzuweisen hatte.

Schon der Meier Helmbrecht", die erste deutsche   Dorfgeschichte aus dem Mittelalter, die so viele föstliche Beschreibungen des bäuer­lichen Lebens enthält, schildert die phantastisch verzierte Tracht des Bauernknaben, der die Ritter nicht nur nachahmte, sondern noch übertreffen will: Den Koller, der bis unters Kinn reicht, das blaue Tuch, das pelzgefütterte Gewand und vor allem die unzähligen Knöpfe und Knöpfchen auf dem Rücken und auf der Brust, während die Aermel mit einer Menge hell erklingender Schellen geschmückt find. In späteren Jahrhunderten ist es nicht anders gewesen: Das Land versuchte die Mode der vornehmen Bürger, der Stadt­bewohner, nicht nur nachzuahmen, sondern es hatte auch das Be- Daß die Trachten heute immer mehr verschwinden, ist nur zu streben, sie noch besonders auszuschmücken, ihre Merkmale besonders erklärlich im Zeitalter ausgedehntester und hoch entwickelter Ver­zu betonen. Aus diesem Wunsche heraus erklären fich die oft felt- kehrstechnik, die auch die weltabgelegensten Gegenden in ihr großes famen llebertreibungen und Bizarrerien, die man heute noch ge­legentlich antrifft, so die ungeheure eljässische Schlupffappe, oder der sonderbare Panzer der Altenburger Frauentracht, der bis unters Kinn reicht.

Katholizismus und Protestantismus  .

Zuweilen finden wir heute noch hochinteressante Trachtenbilder, aus denen sich die ganze Bergangenheit der Gegend oder der Ort­schaft herauslesen läßt. Einen vielleicht einzig dastehenden Einblic in diese Probleme bieten zmei nahe beieinander liegende Gegenden des Schwarzwaldes: Bon Offenburg aus führt die Schwarzwaldbahn in verschlungenen Windungen an Hausach   und Hasiach vorüber bis ins Tal der Gutach  . Hier ist noch eine eigenartige Tracht zu sehen, die seltsam ernst und herb wirkt. Die Bauern tragen einen langen Rock, der aus schwarzem Samt angefertigt ist. Die schwarzfamtene Weste schließt erst oben am Halse ab. Auch die Kopfbedeckung, ein Filzhut, ist schwarz gefärbt. Im gleichen Farbton ist die Kleidung der Frau gehalten, der steife, vielfach gefältelte Rock, das Samt­leibchen und die schwarzseidene Rappe. Nur der Hut, der auf dieser Kappe sitzt, und auf dem die elf roten oder schwarzen Wollrosen be­fonders auffallen, gibt dem Ganzen ein etwas freundlicheres Aus­sehen. Ganz andere Trachtenverhältnisse bietet jedoch das ganz nahe gelegene Schapbachtal. Hier herrschen lichte, helle Farben, so freudig

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Altenburg  

Flaming.

Hessen  .

Ob.Franken

Ob.Bayern Allgäu

Cummins und versuch's zu rauchen. Wie' nen Hund hast du mich behandelt, seit ich hierher gekommen bin in deinen ver­rotteten Taubenschlag von Bude, und trotz alledem weißt du, daß du nicht wert bist, mir die Schuhe abzuwischen. So gebe ich denn keinen verdammten.

Louisa Cummins frächzte: Herrje, hörst du, was sie sagt, hörst du, was sie sagt?"

Sie fing an zu lachen, wobei sie ein Geräusch in ihrer Kehle machte wie eine Henne, jenen absonderlichen, bösen, nörgelnden Laut, wie ein Huhn macht, wenn man es bei Nacht von seiner Stange aufftört.

( Aus dem Englifchen überseht von R. Haufer.) Gereizt schrie fie ihn an: ,, Lieg   nicht auf dem Boden. Mach', daß du ins Bett tommst. Leg' dich in meine Ede bin. Rümm're dich nicht um Louisa. Die Ecke gehört mir. Gypo hatte das Bettzeug zu seiner Zufriedenheit ge­h fann da reinlassen, men ich will. Louisa, wenn du nicht fliegst, mach' ich dich falt, so sicher wie unser Herr geordnet. Die Decken hüllten seinen Körper bis zur Brust ein. freuzigt worden ist. Ich tu's. Ranst du was anderes er­marten? Ich will jetzt nichts sagen. Gypo, ich sehe die Lage, in der du stecst, aber trotzdem hast du's zu büßen. Ich hoffe, di machst dir nichts draus, daß ich geradeheraus rede. Jezt hast du's zu büßen. daß du die Leute verläßt, die freundlich zu dir sind und dein Geld megwirfft an ein Stüd wie das. ber, wie meine arme Mutter, Gott sei ihrer Seele gnädig, immer sagte

H

Heraus mit dir,' raus mit dir!" freischte die alte Frau und fuchtelte mit dem Stoď.

Gypo hatte sich rüflings auf das Bett geworfen. Die olte Frau begann schwächlich mit ihrem Stod nach ihm zu fchlagen. Er beachtete jie nicht. Er beschäftigte sich mit dem Faufen der verknüllten Decken und wickelte sie sich um die Zeine.

Katie For hob die Feuerzange vom Boden auf und räherte sich von der Seite dem Bett, indem sie der alten Frau vergeblich heimliche Zeichen machte, sich ruhig zu ver­Falten.

Die Alte gab nach und murmelte etwas. Katie ging rieder zum Feuer und legte die 3ange hin. Sie fuhr mit eden fort. Reißend schnell wurde sie immer erregter. Ihre Augen hatten jetzt einen Ausdrud von Irrfinn. Ihre Lippen nerzogen sich andauernd zum Lächeln wie bei einem Mond­süchtigen, der in seinem wirren Hirn an irgendeine ge­spenstische Marrheit denkt.

Mit frecher Stimme rief fie mährend sie sich eine Ziga­rette anzündete und nach der Tür hinjah:..' s wissen's zwar nur ein paar Leute, aber meine arme Mutter mar als richtige Dame geboren. Stopf' dir das in die Pfeife, Louisa

Die Augen begannen ihm zu sinken. Sein kleiner runder Hut jaz immer noch auf seinem Kopf, vorn über die Stirn gezogen. Durch sein Gehirn ging ein beständiges Murmeln. Die Geräusche, die Worte, die Gerüche um ihn her hatten keine Bedeutung mehr für ihn.

Schlaf, Schlaf, Schlaf.

Jesus  !" freischte wiederum die alte Frau und versuchte voller Wut, sich zu erheben. Ist das ein Verräter, neben dem ich liege? Heraus mit dir. An deiner Hand flebt Blut. Da ist

"

Gefahr, Furcht, alles mar vergessen in seinem Berlangen nach Schlaf. Schlaf, Schlaf.

,, Lieg   still, oder ich schlag' dir das Gehirn ein," zischte Katie, wiederum zum Beit stürzend.

Mit einem schläfrigen Seufzer streďte Gypo seine linke Hand aus und ließ sie quer über den Körper der alten Frau sinken.

Sie unterlag dem Gewicht der mächtigen Hand. Sie lag über ihr, gelockert und erschöpft. Neugierig blinzelte fie über die Wölbung der Deden nach ihr hin. Bielleicht er­blidte fie fie mit Schreden. Wer meiß. melche Gefühle sich hinter diesem häßlichen Schädel verbargen?

Gnpo sah nicht nach ihr hin. Seine Augen waren fast geschlossen. Seine Nüstern dehnten sich lautlos und zogen sich zusammen.

Schlaf, Schlaf. Schlaf.

Dann ein wildes Rennen zu den Bergen., Schlaf. Schlaf, Schlaf.

Katie For stampfte auf den Boden. Berdammte Ge­

schichte."

Netz einbezieht. Damit aber ist den Trachten der Hauptnährboden entzogen. So ist es selbstverständlich, daß aus den ungezählten ver= einander abgesonderten Städten und Dörfern sich eine Einheit eni­wickelte, deren Bewohner immer stärker einer Einheitsmode, der europäischen, der Weltmode, zuneigen.

Einsturzunglück im Zeitungsviertel.

Zwei Arbeiter schwer, einer leicht verlegt.

Jm Uuffein- Haus in der Martgrafenstraße 68 ereignete fich gestern nachmittag ein schweres Einsturz­unglück, bei dem zwei Arbeiter schwere Ber. lchungen erlitten. Ein drifter Arbeiter zog sich zur leichte Haut abschürfungen zu.

Im fünften Stockwert werden zurzeit Abbrucharbeiten vorgenommen. Dabei stürzte plötzlich die Dede in einem 2usme'; von etwa 6 bis 8 Quadratmeter ein und Durchschlug die Decke des nierten und dritten Stockwerkes. Zwei Arbeiter, der 22jährige Richard Gienemann aus der Gustav Adolf- Straße 19 Eu Weißensee  , und der 28jährige Christoph Löwenstein aus der Schintestraße 25 zu Neukölln, wurden mit in die Tiefe ge= rissen und unter den Steintrümmern begraben. Die Feuerwehr, die auf die Meldung Einsturz Menschenleben in Gefahr", mit drei Zügen anrückte, sorgte für die Ueberführung der Schwerverlegten in das Urbanfrankenhaus. Der leicht­verletzte Arbeiter Erich Palm aus der Potsdamer Straße   14 fonnte nach ärztlicher Behandlung in seine Wohnung gebracht werden.

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Die Aufräumungsarbeiten dauerten mehrere Stun den und waren erst gegen 17,30 Uhr beendet. Eine polizei­liche Untersuchung über die Schuldfrage ist cingeleit: t

worden.

Die älteste Frau der Niederlande  , die Witwe Elisabeth Asselmann, ist dieser Tage im Alter von 106 Jahren in Sas van Gent   gestorben. Die Greisin war noch bis kurz vor ihrem Ableben sehr rüftig.

Sie ging in die Mitte des Zimmers. Dann verschränkt: sie die Arme und stand mit weitgespreizten Beinen und vor­gestreckter Brust und starrte mit glitzernden Augen nach der verschwommenen Wand. Sie warf den Kopf zurück und

lachte.

,, Er schläft wie ein Toter," flüsterte sie. ,, Na, ist das vielleicht ein Wunder?"

,, Wed' ihn nicht auf, während ich fort bin, Louisa." ,, Wo willst du hin?"

,, Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Louisa. Ich warne dich."

,, Willst du zur Polizei?"

,, Red' nicht so laut. Ich gehe nicht auf die Polizei. Ich geh' bloß eben mal weg."

,, Ha! Berraten willst du ihn, du Teufelsbrut. Angeben willst du ihn."

Nichts von der Sorte. Ist er vielleicht fein Verräter? Mach keinen Lärm. Wed' ihn nicht auf, oder sie werden dir Blei zu freffen geben. wenn sie fommen. Die Warnung geb' ich dir. Halt den Mund."

Sie bewegte sich rückwärts gegen die Tür, die Hand drohend gegen das alte Weib geredt. Die sah ihr nach. Ihr Mund war weit offen, ihre Augen irrten umher

Dann verschwand Katie zur Tür hinaus. Ihre Schuhe tappten die Treppe hinab. Die Geländer quietschten. Die Stube war still, nur Gypes schwerer Atem ging. Das alte Weib blieb mehrere Sekunden reaungslos und blickte nach der Tür. Dann tastete sie nach ihrem Stock und versuchte Gypo damit zu weden. Aber Gypos Arm lag immer noch quer über ihren Leib und hielt ihn nieder. Sie blinzelte ihn an und erschauerte. Der Stod entfiel ihr, sie lächelte.

a! jetzt ist fie gegangen, dich zu verraten, mein Jung. sie werden bald hier sein, hinter dir her. Trau' ner Frau und du traust dem Teufel. Sie wird dein Verderhon sein. mein fühner Krieger, und viele von den hübschen Mädchen deiner Heimat würden ihre beiden Augen geben für eine Nacht mit dir, und da liegst du schlafend und schmach, mit der Erichöpfung des Todes über dir. Ha! Der Teufel hol' euch alle. Ha! Da bist du nun. Ha! Da bist du nun und ver­dammt sollst du sein. Ha! Ha!"

Schlaf, Schlaf, Schlof. Schlaf und seltsame Träume.

( Fortsetzung folgt.)