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Beilage

Freitag, 21. September 1928.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

,, Giganten der Landstraße.

Der neue Roman des ,, Abend".- Ein Hymnus auf sportliche Energie.

Anfang nächster Woche beginnen wir mit dem Abdrud des Rennfahrerromans Giganten der Landstraße" von André Reuze ins Deutsche übersetzt von Fred A. Angermayer. Alljährlich einmal gelangt in Frankreich die grandiose Straßen­rennfahrt Tour de France " zum Austrag. Es ist das Rennen der Straßenfahrer, es ist das Rennen, das von den Teilnehmern an Energie und Kraft das letzte fordert. Werfen wir einen Blick auf die Entstehung dieses sportlichen Wettbewerbes:

Es war im Jahre 1903, als der Chefredakteur der in Paris erscheinenden Sportzeitung L'Auto", Desgrange, den Sport freisen den Plan einer großen Straßenfernfahrt unterbreitete. Sie war als Etappenfahrt gedacht und sollte über 2500 Kilometer führen. Sechs. Etappen waren hierfür vorgesehen. Nachdem dieses Rennen unter dem Titel Tour de France " zweimal zum Austrag gebracht worden war, ging man dazu über, die Fahrt fchwieriger zu gestalten; die Strecke wurde ganz erheblich ver­längert und es wurden Bestimmungen geschaffen, die von den At­teuren schier Uebermenschliches verlangten. Zählte die Strecke, wie schon erwähnt, bei der Gründung 2500 Kilometer, so wird sie heute auf nahezu 6000 Kilometer bemessen. Die Fahrt wird ein­geteilt in 22 Etappen( in den Etappen erfolgt die Kontrolle, das heißt die Eintragung der gefahrenen Zeit) und sie muß in vier Wochen erledigt fein. Während früher nach jeder Etappe ein Ruhetag eingelegt wurde, wird nun an jedem Tag gefahren! Nur nach den ungeheuer anstrengenden Bergetappen gibt es 24 Stunden Rast. Es versteht sich, daß die Fahrer, soweit sie nicht für die gleiche Firma fahren, erbittert miteinander fämpfen. Noch er bitterter aber im anderen Sinne ist der Kampf der am Ausgang des Rennens intereffierfen Fahrradfirmen. Jede dieser Firmen hat eine Anzahl von Fahrern im Rennen liegen; fie liefern ihnen das Material und schließen mit ihnen Berträge ab, die mit mehr oder weniger Geldverbierst verbunden sind. Siegt der Fahrer einer bestimmten Fabritmarte, so tann natürlich die be­

nières". Eines Tages, zwischen neuen Romanplänen, Filmauf. trägen, Borlesungen und dem Feuilletondienst, tam ihm die Idee, sich einmal die berühmte Tour de France " näher anzusehen. Er begleitete das lange Straßenrennen im Auto, und wiederholte mun diese Rundreise um Frankreich achtmal. Dann begann er

soziale Gerechtigkeitsfanatifer seinen ersten durchschlagenden Erfolg| Bildnis" folgte der hervorragende Roman der Venus von As ernten. André Reuze ist am 14. Oftober 1885 in Saint- Servan, im Herzen der Bretagne , geboren worden. Mütterlicherseits stammt er von einer alten Korfaren- und Seefahrerfamilie ab. Und dieses mütterliche Erbe wirfte sich starf in ihm aus. Schon in früher Jugend zog es ihn aufs Meer und in ferne Länder, und sein heißester Wunsch war, Matroje zu werden. Als er die Jünglings jahre hinter sich hatte, bezog er die ,, Ecole Coloniale", absolvierte sie mit so startem Erfolge, daß er preisgetrönt wurde. Er hatte

nun die Absicht, in die Kolonial verwaltung zu gehen. Zu diesem 3wede reiste er nach Afrika und verbrachte mehrere Jahre im schwarzen Erdteil. In der Ein­samkeit weltverlorener Missions­stationen fand er seine Berufung für die Literatur. Er begann zu schreiben, zu sehen, zu dichten. Seine ,, Benus von Asnières" in der die Negerfrage eine entschei= dende Rolle spielt, ist in Afrika fonzipiert worden. Eine Menge erotischer Erzählungen verdanken diesem afritanischen Aufenthalt ihre Entstehung. Nach einigen Jahren Kolonialdienst war Reuze der Literatur so verfallen, daß er sein Amt aufgab, Afrika ver ließ, nach Paris ging und sich dort als Journalist niederließ. Neben feiner journalistischen. Tätigkeit schrieb er eine lange

Partie in den Pyrenäen . Im Morgengrauen.

treffende Firma mit diesem Sieger eine ungeheure Propaganda Reihe Abenteurerromane, die seinen Namen rasch popular machten.| feine Einbrüde von der höllischen Rundfahrt unter dem Titel zugunsten ihres Umsatzes machen. Die Fabrit birigiert der Fahrer hat zu gehorchen, das heißt zu fahren und möglichst mit dem Sieg zurückzukehren. Dann ist er der gefeierte Mann, dann ist er der Held des Tages. Verliert er jedoch, macht er unterwegs schlapp und bricht er schließlich vollends zusammen, so wird man für diesen Berufstätigen" sehr wenig übrig haben, es sei denn, daß er bei Vertragsabschluß schlau genug war, sich einigermaßen

zu sichern.

Da hat femand in Frankreich diese harte Fahrt jahrelang, be­obachtet, sich Aufzeichnungen gemacht und schonungslos das alles in wild- prächtigem, aber zugleich erschütterndem Romanstil ge­schildert. André Reuze schrieb diesen Roman, der einen-be­rauschenden Hymnus auf die sportliche Energie, darstellt und so gleich eine mitreißende Attacke auf die Ausbeuter der Proletarier des Ruhms, Und er widmete die deutsche Ausgabe seines Werkes gemeinsam mit seinem Uebersetzer Fred Antoine Anger* mayer dem Weltmeister Walter Rütt , der durch das Beispiel feines sportlichen Lebens und durch die Schöpfung der Rütt- Arena den deutschen Rennfahrernachwuchs entscheidend gefördert und der internationalen Klaffe ebenbürtig gemacht hat".

André Reuze.

Der Uebersetzer des Romans schreibt uns über den Dichter: Es ist eine sonderbare Ironie des Schicksals, daß André Reuze gerade mit jenem Roman weltbekannt geworden ist, von dem er fich's am wenigsten versprochen hätte. Als er vor einigen Jahren daran ging, seine unauslöschlichen Eindrücke von der franzöfifchen Rundfahrt zu einem Wert der Anklage zu verdichten, als er" Gi ganten der Landstraße" niederschrieb, hatte er bereits eine hübsche Reihe literarisch wertvoller Bücher veröffentlicht, ohne daß man besonders auf ihn aufmerksam geworden wäre. Er hatte vor allem bereits seine Venus von Asnières" geschrieben, ein Wert, das an

Abel Hermant , der berühmte Dichter, Mitglied der vier Unsterb­lichen", bot sich dem jungen Schriftsteller zur Mitarbeit an einem Schauspiel an. Und Reuze schrieb nun mit Hermant die vielgespielte, erfolgreiche Marraine inconnu". Jetzt wurden die Filmkreise auf ihn aufmerksam. In wenigen Tagen schrieb er die Cinq gentlemen maudits", die unter dem Namen Die 5 Teufel", einer der ersten Filme waren, die nach dem Kriege aus Frankreich zu uns gekommen find. Inzwischen hatte Reuze auch seinen ersten Literarischen Roman, " Das erste Bildnis", geschrieben, und damit eine der zartesten und menschlichsten Liebesgeschichten des neuen Frankreich geschaffen. Nun war sein Aufstieg verbürgt. Er wurde Feuilletonchef in eine der größten Pariser Tageszeitungen, Excelsior". Dem Ersten

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Bundfahrt um Frankreich ", fünstlerisch zu gestalten. Dieses Werk erregte erhebliches Aufsehen. Wer die Anklagen, die der Dichter in feinem Roman erhebt, gelesen hat, wird dieses Aufsehen be greifen. Es gab begeisterte Zustimmungen, Berge von Dankes briefen, aber auch Schmähungen und wilde Angriffe. Maurice Dekobra scheint aber recht zu haben. Er hat, nach der Lektüre diefes Rundfahrtromans, den Dichter als den Homer des Rad­sports" bezeichnet. Der Erfolg dieses Romans hat sich aber so stark ausgewirkt, daß man André Reuze, neben seiner Tätigkeit im Excelsior", als Chefredakteur des größten tontinentalen Sport­blattes, des Miroir des Sports"(" Sportspiegel") berufen hat. Fred A. Angermayer.

Helden" von der andern Seite.

Der Unterschied zwischen Pazifist und Feigling: Der Pazifist haßt den Krieg als solchen, der Feigling haßt ihn nur insoweit, als er persönlich unter ihm zu leiden hat; zwischen Proletarier und Lumpenproletarier: Der Proletarier fämpft für eine Aenderung der Eigentumsordnung schlechchin, dem Lumpenproletarier fommt es nur auf eine Eigentumsverschiebung in einem speziellen Falle an; zwischen Humanitätsstreitern und Jammermeiern: Die Humani­tätsstreiter sehen in der Menschlichkeit ein Lebensprinzip, für die Jammermeier bedeuter sie einen Dreh, um aus einer mißlichen Lage herauszukommen. Und da wären wir bei gewiffen Männern angelangt, die sich seit Wochen und Monaten am Busen der ihnen wohlwollenden Presse über das Ungemach ausheulen, das ihnen

widerfahren ist. Kürzlich hat Ober­leutnant Raphael in Hugen­bergs Nachtblatt seine Memoiren veröffentlicht. Was hat er zu be­richten? Er hat uns Kunde davon zu tun, daß 19 Monate Unter­suchungshaft etwas ungemein ,, Nervenaufreibendes" seien, daß die Zustände in Landsberg nicht mustergültig waren", und er stellt fich auf den Standpunkt, daß die vier Wochen Arrest bei Wasser und Brot, die ihm wegen eines Fluchtversuches zudiktiert worden waren, als ,, unmenschliche und entehrende Behandlung" bezeich: net werden müßten.

Raphael ist aber gewiß nicht der einzige Jammerer, einige Zeit vor ihm hatten schon Schu13 und andere Gesinnungsfreunde in den Zeitungen weinerliche Be­trachtungen über ihr Zuchthaus leid angestellt, und vor einiger Zeit stimmte auch Feldwebel U m- hofer in der Deutschen Zei tung" sein Klagelied an. Er tann ,, die Neumünster Zustände auf die Dauer nicht ertragen" und hat ,, geistig und seelisch" in diesem Eril Ungeheuerliches gelitten. Er bittet dringend, daß man ihn be­suche, und will anderswohin verlegt werden.. Schöne Offen­barungen, die uns diese alten Soldaten da machen, die bei anderen Gelegenheiten sich nicht gerade als nervenschwach erwiesen. Nie noch war es ihnen bislang im geringften aufgefallen, daß sich der Strafvollzug schlechthin mit tritischen Augen betrachten

Erfrischungen an der Kontrollstation.

Kühnheit der Phantasie, an utopischer Gestaltungskraft und so zialer Prophezeiung neben Standardwerke der Weltliteratur gestellt. werden kann. Aber erst auf der staubigen Spur" der nußlosen Helden der französischen Rundfahrt, die er nicht umsonst als Bundfahrt" bezeichnet, sollte dieser starte Menschenschilderer und

läßt. Nie noch waren sie der geringsten Befinnlichkeit gegenüber den Seelennöten anderer Strafgefangener verfallen: armer Teufel, die wirtschaftliche Not zu Verfehlungen verleitet hatte, gepeinigte Mütter, die ihre Leibesfrucht nicht hatten austragen wollen, politis h Linksstehender, die im Kampf für ihre Ideale schifanösen Staatsan­wälten in die Klauen geraten waren. Mit einem Male schlagen fie da jetzt die Leier der Weinerlichkeit, bekommen sie Nerven, appellieren sie an die Menschlichkeit, fühlen sie ihre Ehre herab­gesetzt. Aber auch jetzt denken sie nicht daran, über die Nöte der Gefangenfhaft im allgemeinen zu flagen. Sie ceden von sich und immer nur von sich. Ihre Schicksalsgefährten scheren sie einen Teufel. Wenn nur sie herauskommen aus dem Kittchen: dann ist alles, alles gut, dann wollen sie gewiß nie wieder über das Martyrium der Gefangenen reden, dann ist alles erledigt und alles in der schönsten Ordnung.

Es gab einmal ein Sozialisten gefeß. Damals wander ten Hunderte von Männern in die Gefängnisse, und zwar nicht wegen ehrloser Mordverbrechen an ihren Kameraben, sondern wegen thres Glaubens an eine bessere und schönere Zukunft der Welt! Nie­mand hat damals gewinfelt, niemand hat Nerven bekommen. Nie­mand hat sich in seiner Ehre verlegt gefühlt. Man war stolz auf seine Bestrafung. Sie galt als Auszeichnung, als Ehrentitel. Nationalisten pflegen in ihrer der Vergangenheit zugewandten Geisteshaltung niht eben Neuerer zu sein aber das muß man ihnen doch zugestehen, daß der Typ des tränenseligen Bolitischen" ihre spezifische Erfindung ist.

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Man hat einige Hemmungen zu überwinden, wenn man Leute schmäht, die in ihrer Verteidigung beschränkt sind und es wide:- strebt einem gewiß, sich literarisch an jemandem zu vergreifen, der seiner Freiheit entraten muß und also, was immer er angestellt haben mag. bedauernswert genug ist um der unzähligen Ramenlosen willen aber, die nicht weniger Seelenqual als Raphael, Shulz, Umhofer zu erdulden haben, es abe: verfchmähen, ihren Schmerz in die Welt zu posaunen, um dieser Stillen willen,: deren Aeußerungen sich feine Breffe. und für deren Sorgen fich feine Nothilfe" interessiert, sei auf die Beinlichkeit eines Egoismus hingewiesen, der nicht für die große Gemeinschaft de: Gleiches Er. duldenden, sondern nur für zwei, drei Prominente dieser Gemein schaft Mitleid zu ermeden versucht. Es sind feine beseelten Huma mitätstämpfe, die uns in den nationalistischen Jettungen unter die Augen treten, es sind schwazhafte Jammermeier, Helden" von der anderen Seite. Hans Bauer.

Der ominöse Freitag.

,, Glauben Sie, daß es gefährlich ist, an einem Freitag zu reisen?" ,, Bestimmt. Warum soll gerade dieser Tag eine Ausnahme machen auf unseren deutschen Bahnen!" ( Aus dem Wahren Jacob".)