Koalitionsdebatte in Frankreich
Renaudel, Blum und die Radifalen.
Paris , 25. September. ( Eigenbericht.) Das nahe Ende der Parlamentsferien hat die Kontroverfe um die endgültige Majorität in der neuen Kammer wieder belebt. In seinem Wahlkreise hat Renaudel am Somtag eine Rede gehalten, die deutlich zeigt, daß die Hoffnungen eines Teiles der Sozialistischen Bartei auf ein 3usammengehen mit den Raditalen auch während diefer Legislaturperiode feineswegs gefchmunben sind. Renaudel mill freilich zuerst die Gewißheit haben, daß es sich um eine wirklich zu Reformen entschlossene Majorität und nicht nur um eine„ republika. nische Etikette" handeln würde. In ersterem Fall set die Sozia listische Partei durchaus zur Zusammenarbeit mit den Radikalen bereit. Renaudel schlug schließlich eine Einigung auf der Basis les Programms der freien Gewertschaften vor. Die Stunde der nationalen Union, die die bürgerliche Demokratie zur Schleppenträgerin der Reaktion gemacht habe, jet endgültig vor
über.
Diese Aeußerungen Renaudels haben am Montag eine tarte Dämpfung durch einen Artikel Beon Blums erfahren, der alle Gerüchte von Absichten zur Biederaufnahme der Kartellpolitif energisch dementiert und erklärt, daß die künftige Haltung der Sozialisten allein von der Haltung der Radikalen bestimmt werde, deren Beschlüsse auf dem Parteitag in Angers man abwarten müsse. Die von Blum ausgedrückte Ansicht entspricht fraglos den Auffaffungen der Mehrheit der Sozialistischen Partei.
len fich
Die Tertilherren fühlen sich.
Lohnfürzung oder Entlassung.
In der Hamburger Bolttämmerei Wilhelms. burg wurde von der Betriebsleitung 2200 Arbeitern und Arbeiterinnen gefündigt, weil fie fich weigerten, einer willkürlichen Arbeitszeitverkürzung unter gleichzeitiger Herabfegung des Lohnes zuzustimmen. Die Gefündigten wurden fofort auf die Straße gesetzt.
Nette Methoden! Und dann jammert noch die Arbeitgeberzeitung" in ihrer neuen Nummer( 39) fiber, a cht. gebote der gemertschaftlichen Spizenverbände in den Arbeitstämpfen der Textilindustrie!
Der nordfranzösische Zegtilarbeiterstreif.
Paris , 25. September. ( Eigenbericht.)
Der Textilarbeiterstreit von Halluin hat weiter um sich gegriffen. Namentlich in Armentières und in Hauplines fchloffen sich zahlreiche Arbeiter der Bewegung an. Die Kommunisten bemühen sich, leider nicht ohne Erfolg, bie Bewegung für ihre Parteizmede einzuspannen und einen Generalstreit in ganz Nordfrankreich zu provozieren. In den meisten Zentren der Tertilindustrie find schon jetzt Teilstreifs zu verzeichnen. In Lille selbst wird noch überall ge arbeitet, da dort die Verhandlungen mit den Unternehmern noch
andauern.
eine
Auf Grund einer vertraulichen Mitteilung, die der Landesfriminalpolizeistelle in Hannover zugegangen war, wurden von dieser in Betheln im Kreise Gronau folgende Waffen beschlagnahmt: vier schmere Maschinengewehre, 63 Militärgemehre Modell 98, 18 Karabiner, 48 Kästen mit gegfirteter Maschinen, gewehrmunition, außerdem einige Holzfiften mit Munition. Nach den bisherigen Ermittlungen follen die Waffen Don der Drgesch herrühren. Sie sollen 1921 ober 1922 aus der Nähe von Hildesheim auf zwei Aderwagen, deren Führer ebenfalls ermittelt merben fornten, nach Betheln gebracht worden sein.
Das Reichsarbeitsgericht selbständig. Reuordnung beim Reichsgericht.
Die notorische lleberlastung des Reichsgerichtes wird in abseh. barer Zeit eine Veränderung in der Geschäftsverteilung notwendig machen. Soweit über die dahingehenden Pläne in der Presse schon berichtet wurde, ist es ohne jeste Anhaltspunkte und ungenau geschehen. Die Entscheidung über das, was notwendig ist, steht beim Präsidenten Dr. Simons, der erst Ende dieses Monats wieder in Leipzig sein wird. Geplant ist
1. eine Abtrennung des Reichsarbeitsgerichtes vom dritten Zivilsenat. Das Reichsarbeitsgericht muß unbedingt felbständig werden, da der bedeutende Arbeitsanfall in einer Sigung in der Woche nicht bewältigt werden und die durch die Belastung des Gerichtes unvermeidliche Verzögerung der Entscheidungen nicht ge
tragen werden kann.
2. Zusammenlegung der beiden erstinstanzlichen Straffenate, des vierten und des fünften, zu einem Senat, und 3. Schaffung eines weiteren Straffenates für Revisions. angelegenheiten.
zu bemerten ist noch, daß der vierte Strassenat ber pofitische und der fünfte der Senat für Landesverrat und Spionageangelegenheiten ist.
Das Totenfeld am Douaumont.
Falschmeldung über herumliegende Knochen.
Berdun, 25. September.
Bürgermeister bg. Schleicer läßt eine Nachricht demenfieren, wonach argentinische Touristen beim Fort Douaumont Gebeine deutscher Soldaten ausgegraben und als Andenken mit genommen hätten. Der Bürgermeister erklärt, daß die deutschen Gräber mit derselben Sorgfalt unterhalten werden wie die franzöfifchen und daß dies die zahlreichen deutschen Touristen felbft täglich feststellen können.
Luftbomben auf Maroffaner.
Bei den füdmarottanischen Stämmen ist wieder lebhaftere Tätig. feit bemerkbar. In Arbaua fam es zwischen Marokkanern und franzöfifchen Truppen zu einem Kampf, bei dem es auf beiden Seifen Berluste gab. Französische Flieger haben in der vergangenen Woche das Lager der Izer Louroug als Vergeltungsmaßnahme für Waffenlieferungen an benachbarte Stämme mit Bomben be worfen.
Der Zug der Zeit."
Politische Revue im Theater in der Klosterstraße.
Die Wanbertatten, bereits befannt durch ihre flotten Aufführungen der Wahirevue der SPD. , haben nun aufs neue in Berlin ihre Zelte aufgeschlagen. Im Theater in der Kloster. straße spielen sie eine politisch- fatirische Revue mit dem Titel Der 3ug der Beit". Die Verfasser, Leo Freund und Friß Berg wollen den Rud nady linis in 15 Bildern darstellen. Die Bilder sind eindrucksvoll und schlagfräftig ausgedacht: die ersten fieben spielen Auf der Fahrt in der Eisenbahn, die ja die Klassengegensäge hübsch deutlich veranschaulicht. Die zweite Bilder folge nennt sich Jm Borbeifahren und zeigt andere fleine Süge ber Seit. So sieht man den medizinischen Professor im Kolleg, der gegen die Geburtenregelung polemistert: denn wacht Kinder einer Arbeitermutter, wenn sie auch fein erfitlaffiges Material abgeben,
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Kahw
Szene aus dem Zug der Zeit.
so genügen sie doch für die Arbeiten, für die fie später im Leben gebraucht werden". Und man darf der Arbeiterfrau nicht das Glid der Mutterschaft rauben, oder so ähnlich. Wir tennen den Ton gut. Dieses Bild wirft hervorragend schlagfräftig.
Ausgezeichnet sind auch die Coupleteinlagen Ein fleiner Zug der Zeit“ und„ Es war einmal' ne Republik ". Friedel Hall, die vielen Rollen gerecht wird, trägt das letztere mit Schmiß und Witz vor. Ari Bater bringt den„ fleinen Zug der Seit" ein bißchen
Die Rothausgaffe."
Rein und unversehrt
Primus Palast.
mie Asbest durchs Feuer geht diese junge tilaba, felber Tohter eines Freudenmädchens, durch das vornehme Freudenhaus, in dem sie zunächst als Stubenmädchen Zuflucht gefunden hat. Eben soll sie selber dem Beruf des Hauses zugeführt werden, da rettet sie ein junger Mediziner. Beide erleben Die reinfien Freuden einer jungen Liebe. Aber das Elternhaus und die Vorurteile bringen sie auseinander. Milada sucht Hilfe bei einem älteren Herrn, den sie in der Rothausgasse zum Freunde
störend mit billiger Parodie, die nicht echt wirkt. Er ist sonst ein so guter Schauspieler, daß er auf solche Mäßchen verzichten tann. Theo Maret, der Leiter der Wanderratten, beweist immer wieder, daß er ein trefflicher Darsteller und Sprecher ist. Nur in dem Bild 3weiter Klaffe" sollte er den Buchthäusler, der dem Staatsanwalt im Traum erscheint, visionärer, unförperlicher geben: bewegungsIns, monoton, traumhaft in der Sprache; nur ein letzter Schrei, eine letzte Betonung darf aufgellen. Vor allem aber muß gerade in Der Sträfling barf diefem starken Bild viel gestrichen werden. nicht soviel begründen. Es ermüdet die Zuschauer, wenn er ihnen Beitartikel über eine Strafrechtsreform rezitiert. Er muß anflagen, turz, fnapp, suggestiv.
Ueberhaupt follte der Regisseur Ernst Raden in bem ganzen ersten Teil noch gründlich den Blaustist walten lassen. Gut gelungen ist in seiner Einfachheit das Bühnenbild von Gotthardt Stting. Claus Claubergs Mufit ist wirkungsvoll als Be gleitung. Melodien, die die Terte dem Zuhörer rasch einprägen, gelingen ihm nicht. Das ist für eine Tendenzrevue besonders schade. Von den Darstellern muß noch Charlotte Arno, ebenfalls eine begabte, wandlungsfähige Schauspielerin, genannt werden.
Die fleine Revue wurde am Premierenabend mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Sie wird noch stärfer einschlagen, menn man fidh entschließt, einige fleine Schönheitsfehler zu beseitigen, und sie wird dann wirklich das werden, was sie sein will: cin politisches Boltsstüd. Tes.
Schweriner Ballade.
Der Dntel liebte die nichte, Das Mädel endet an Gift. Es ist eine alte Geschichte, Rur tötet sie oft, den sie trifft. Doch wo im Familienverbande Patriziergeschlecht unter sich, Da wird die heimliche Schande Mit Leichtigkeit öffentlich. Der's hier besorgt, war der Neffe. Sein Herz war völkisch entflammt. Drum fühlt er in jedem Betreffe Die Sendung zum Rächeramt. Es galt eine Tat, eine deutsche! ( Der Onkel mar fast Demokrat). Fest druff mit der Hundepeitsche Was nüßt der Standal, der privat?! So mard der Dntel gezüchtigt, Das Blut vom Antlig ihm troff. Der Neffe fühlt sich ertüchtigt, Und das Hitler - Organ hatte Stoff. Der Dnfel nahm sich das Leben, Die Kleinstadt schlürfte Standal. Laßt uns die Gläser erheben: Nichts geht über echte Moral!
Jonathan
Friedrich 3elnit inszeniert mit viel Routine dieses vertitschie Manuskript. Er verteilt funstvoll die Rührungen, schaltet humoristische Intermezzi ein, zeigt hübsche Aufnahmen aus einem Wander zirtus, gibt auch genügend Pomp und rettet durch seine fultivierte Regie, mas eben noch zu retten ist. Wie immer mischt Lya Mara sehr geschicht Schmerz, Energie und Schaltheit, dazu zeigt sie neben holdem Lächeln eine bittere Träne. Louis Lerch beschränkt sich diesmal auf sein hübsches Aussehen. Gut Adele Sanbrod, Rampers
und Kowal- Samborsti in Nebenrollen.
-t.
Am Sonntag fand in der Mittagsstunde im Logenheim, Georgen straße 46a, vor geladenen Gästen eine Kundgebung der neugegrün deten Freien Hochschule statt. Der Vorsitzende, Dr. H. Dur begrüßte die erschienenen Gäste und Freunde und führte aus, daß es in jeziger Zeit von großer Bedeutung sei, eine freie Hochschule wieder ins Leben zu rufen, die in derselben Weise wie die bis 1915 in Berlin erfolgreich arbeitende alte Freie Hochschule das Bertrauen weitester Kreise und namentlich auch der werftätigen Bevöl terung zu gewinnen bestrebt sein werde. Zum Leiter sei Dr. Mar pel gewählt, der neben Wille, Bölsche, Benzig, Lug u. a. von 1908 bis 1915 an der Spitze der alten Hochschule gestanden hätte.
gewann. Ihr Geliebter überwinbet indes alle Hemmnisse, er holt Gründungsfeier der Freien Hochschule Berlin . fie als Braut zurüd: der Rothausgasse ist ein Opfer entrissen. Diese gefühlvolle Geschichte wird erträglich und glaubhaft durch Grete Mosheim , die den ganzen Zauber ihrer Einfachheit und Natürlichkeit über das Mädchen breitet. Schmutz und Lafter prallen an ihrer Stindlichkeit ab. prallen an ihrer Kindlichkeit ab. Und doch vermag fie, als ihr junges Glück zu erlöschen droht, den ganzen Jammer einer hilf Ipfen Atreatur in ihren Mienen mitleiderregend auszudrüden. Für Richard Oswald bietet der Film, der sehr frei nach dem tiefer schürfenden Roman „ Der heilige Starabäus" der Elfe Jerufalem gearbeitet ist, erwünschte Gelegenheit, Milieustudien in einer Freudengasse zu treiben. Absichtlich steigert er das Milieu des Galons. Die Abschreckung besorgte die Titel, die oft merkwürdig moralisch geschraubt sind. Die Nebenrollen find alle gut befezt: Maria 2eyto zeichnet die ältere Prostituierte, die feine Stellung mehr findet und im Krankenhaus stirbt; Else Helms trifft die Dornehmtuende Saloninhaberin sehr glüdlich. Der rechte Partner Grete Mosheim ist Gustav röhlich sein junger Mediziner hat das ganze frische Drausgängertum der Jugend. Im ganzen doch nur eine Liebesgeschichte, der das Milieu ein interessantes Relief gibt.
zu
Birfus und Emigranten.
" Mary Lou" im Capitol.
T.
Die große Liebe der deutschen Filmindustrie gehört augenblic fich den russischen Emigranten und dem Zirkus, und man ist über glücklich, wenn man beide Elemente in einem Film vereinigen fann Dies gelingt Herrn Carlfen ohne Schwierigkeiten in feinem Manuskript Mary Lou". Die gerettebe Inchter eines Großfürsten tommt, nachdem ihr Pflegevater ermordet worden ist, zum 3irtus und verliebt fich bort programmäßig in einen Kunstreiter, der selbstverständlich auch ruffischer Ariftofrat ist, aber die Liebe findet ein frühes Ende durch den Onkel der jungen Dame, der zu den Großfürsten gehört, die ihr Vermögen mit in bas Egil genommen haben und ihren Größenwahnsinn ebenfalls. Am Ende heiraten die Liebenden, daran besteht von Beginn an tein Zweifel. Das Manustript zeigt die bürgerliche und aristokratische Welt wieder einmal als die schönfte aller Welten, in der man durch Subordination und treue Liebe zum Reichtum gelangt. Dazu goldene Worte über Ehre, Offiziere, Großfürsten und ähnliche wirksame Requifiten des bürgerlichen Films. Wir lachen darüber und fordern vom Film, daß er endlich einmal brennende Problemte der Gegenwart gestaltet.
Dr. A pel entwidelte darauf seine Ideen über den Lebenswert der Volkshochschule . Er wies hin auf die ungeheuren Probleme, die wie mit allen Bildungsfragen, so auch mit der Volkshochschule gegeben seien. Gegenüber den politisch, weltanschaulich oder religiös gebundenen Hochschulen vertrat er die Berechtigung und die Notwendigkeit einer allgemeinen Bolkshochschule, die sich von diesen Gebundenheiten freihält. Aber eine Bindung habe auch die Freie Hochschule: den Glauben an Wert und Macht des Geistigen, die Anerfennung des Rechts aller Bolfsgenossen auf Ausbildung der Geister, quf Teilnahme an den Gütern des Geistes. Damit entsteht die soziale Forderung, die Bedingungen des Lebens so zu ordnen, daß Kraft und Zeit für geistige Arbeit gegeben ist. Es handle sich aber nicht nur um Entwicklung der Berstandestraft sondern auch der
feelischen Kräfte, tes Gefühls und des Willens, der ganzen Persön iheit. Apel schloß seine Ausführungen mit einem persönlichen Be tenninis. Bor 20 Jahren bestimmten ihn Bruno Bille und Adolf Deutsch , die Leitung der alten Freien Hochschule auf sich zu nehmen. Seßt, nach ben legten Jahren schwerer Enttäuschung dante er den Freunden der Freien Hochschule für die Möglichkeit, wieber zu wirfen für allgemeine freie Boltsbildung im Dienste derer, die aus dem Dunfien zum Helfen streben.
Die Tollstühne, Thea'er am Bülowplah, bringt als ei fie Einstudierung für ihre onderabteilungen die Uraufführung von Günther ettenborns Die ametitanische Tragöble ber feas Matrolen von 84. Für eine ber nächsten Aufführungen im gleichen Rahmen bat die Boltsbühne das Drama von Erich B. B. Roller Douaumont" ader Die geimfehr des Soldaten Odyssens angenommen. 100A
Jugoslawische junge Aunff. Der Direfior der internationalen Rebue der neuen Kunst Sant", Ferd. Dela!, beginnt am 26., 20, Uhr, im Sturm", Aurfürstendamm 58/ I mit bein Vorträgssyklus: Die jugofla wife junge unit.