Jfr. 463 ♦ 45. Iahfgang
± Beilage des Vorwärts
Gmmfog, 30. September 1925
Wiedererstehende Tierwelt
Präparate im Aufbau.
Viele Berliner Museen zeigen eine Reihe von Tierarten. die lebend Europa noch nicht erreicht haben oder niemals erreichen iverden. Diese toten Tier«, die in ihrer natürlichen Haltung pnd Stellung, womöglich gar in ihrer natürlichen Umgebung gezeigt werden, sind in einem ganz anderen Zustande in die Hönde des Museums gelang: als Felle, als Bälge oder in einer konservierenden Flüssigkeit. Don der Karikatur zur Natur. Erstaunlich ist es, wie aus Ueberrest«n die so natürlich an- mutenden Tiere im Berliner Zoologischen Mus'-um entstehen, die immer wieder die Bewunderung des Beschauers hervorrufen. Sie stehen in ihrer Form und im Aussehen keineswegs hinter dem lebenden Tiere zurück. Die Kunst des zoologischen Vräparators, dessen Kenntnisse und Fähigkeiten diese naturgetreuen Tiere ent- stehen lassen, war immer bemüht, ein« möglichst natürliche Wieder- gab« de» Tieres zu erreichen, es gleichsam wieder zu neuem Leben erstehen zu lassen. Die Bewältigung dieser Aufgabe v«r> langt die Ueberwindung grosser Schwierigkeiten. Welchen Weg hatte die Kunst des Präparierens zurückzulegen von jenen Schreck- gestalten und Karikaturen von Tieren, die man noch ver- einzelt als Ueberreste vergangener Zeiten im Museum sehen kann, bi» zu den heutigen Naturbildern! Die wachsende Kenntnis der Natur, der Geschmack de» Präparator», sein Wissen über Leben und Ausbau de» Tieres. Beobachtungsgabe und die fortschreitend« Entwicklung der Präparotionstechnik waren und sind die Bor- tedingungen für«in« erfolgreiche Präparationskunst. Die Anforderungen, die an den einzelnen Präparator gestellt werdrn, find völlig andere als zu sener Zeit, als man in das Tierfell den Körper„hineinftopste". Man nanme es„Ausstopfen". In Erkenntnis der Unzulänglichkeit dieser Methode ging man dazu über, den Tierkörper zuerst aufzubauen und zu modellieren Und nach naturgetreuer Modellierung des Körpers erst das Fell hinüber- ''«n. verschieden« Methoden und oerschiedenes Material bei Verwendung.
zuziebe fanden dal
Die neueste Methode.
Erst«in« neue Art des Präparierens. deren Ursprungsort Amerika ist, schaffte die Möglichkeit, vollkommene Darstellungen naturgetreuer Tierbilder zu schassen. Sie wird im Berliner Museum «ngewendet und ist durch die ausgezeichneten Präparatoren des hingen Museums dauernd vervollkommnet worden. Soll zum Beispiel ein Gorilla, jener grosse Menschenaffe des afrika - Nischen Urwaldes, ausgestellt werden, so wird zunächst der Körper in
Ton medslliert, um davon«inen Gipsabguh zu machen, über welchen wnnt wird. Diese Art der Pröparationstechnil große Lorleilie für eine naturgetreue Wiedergab« des Tieres.
das Fell
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den Ton können alle Feinheiten im Aufbau eines Armes oder eines anderen Gliedes, des Gesichtes, ja der ganzen Stellung wieder- gegeben werden. Um zu diesen Gipsabguß zu gelangen, fertigt der Präparator zunächst ein kleines Modell des betreffenden Tieres aus Plastelin an, je nach der betreffenden Tierart im Zoologischen Garten nach dem Leben oder nach Photographien und, wenn solche nicht vorhanden sind, nach einer guten Abbildung. <5r muß also auch ein guter Bildhauer sein, der eine natürliche Wiedergabe des Tieres zu schaffen versieht. Nach diesem kleinen Modell, das in seinen Ausmaßen und im Aussehen das Tier richtig wiedergeben muß, wird dann in der natürlichen Grösse der Gips- a b g u ß hergestellt. Bei großen Tierarren wird noch vom Kopf ein besonderes Modell aus Plastelin oder Ton angefertigt, in natür- licher Große, dessen Grundlage der natürliche Schädel bildet. Er zeigt seine sämtlichen Muskeln, um den charakteristischen Ge- sichtsausdruck zu erhalten. Von ihm wird wiederum ein Gips- abguß genommen, über welchen das Fell gezogen wird. Noch der tchafsunq des schwierigsten Teiles, des Kopfes, wird die eigentliche Aufstellung des Tieres in Angriff genommen. Zunächst wird ein rohes Skelett geschaffen. An einem Brett, das dem Längsdurchschnitt des Rumpfes entspricht, werden als Stütze für die Gliedmaßen mehr oder weniger stark« Eisen stanzen ange- bracht, die nach Möglichkeil die natürlichen Biegungen zeigen. Dieses Gerüst erhält sofort die Stellung, die das fertige Tier einnehmen soll, da auf ihm der o o l l st ä n d i g« Körper de» aufzustellenden Tieres modelliert wird. Di« Geschicklichkeit und die anatomischen Kenntnisse de« Präparator« müssen sich nun zeigen. Gilt e» doch, eine naturgetreue Wiedergabe all der Biegungen der Glieder und Anspannungen der ZNvskeln und Sehnen wiederzugeben, die der Drehung des Kopfes oder Hasses, der Stellung der Beine entspricht. Das kleine, nach einem lebenden Tier angefertigte Modell leistet ihm hier gute Dienste. Die kleinsten Feinheiten des Körpers müssen berücksichtigt werden, um einen guten Gesamteindruck zu haben. Von diesem feinmodellierten Körper wird dann ein Gipsabguß genommen. Das ursprünglich« Modell ist wegen seiner Schwere und aus technischen Gründen nicht zu verwenden, da der Ton beim Trocknen schrumpft. Der Tonkörper wird nun nur Gips um- kleidet, und es wird eine aus drei Hauptabschnitten bestehende Form, ein Negativ, hergestellt, welches innen mit einer Pottasche- l ö s u n g bestrichen wird, um ein leichtes Herauslösen des Positivs zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, wird die Innenseite mit in Gips getränkten Leinwandlappen belegt, die entsprechend der Größe des Tieres ein« Schicht von ein bis zwei
Zentimeter Dicke erreichen. Sobald alles getrocknet ist, können leicht die Teile der Form losgelöst werden. Die nun erscheinenden Teile des Körpers, die dann zusammengesetzt werden, zeigen nach Hinzufügung des Kopses eine naturgetreue Wiedergabe des Tier- körpers. Der Gipsabguß ist innen hohl und hat infolgedessen ein moglchist geringes Gewicht. Die ineinandergreifenden Lappen sorgen für die nötige Festigkeit. Der Körper wird noch geglättet und an den Nähten»«rputzt. Eine schwierig« Arbeit ist noch das Ueberziehen der gereinigten und ge- gerbten Haut. Hier muß jede Falte mit den Falten auf dem Gipskörper übereinstimmen. Tie werden zusammengeschoben und fortgeknetet, bis die natürlich« Lage auch der Hauptportien gegeben ist. Die richtig sitzenden Teile werden mit Metallstisten fest- gehalten, die oben durch Abknipsen unsichtbar gemocht werden. Nachdem dann die Augen«ingesetzt und die nackten Teil« der Haut ihre natürliche Färbung erhalten haben, ist das schwierigste Werk vollbracht, und vor uns steht ein lebend anmutendes Tier. das allerdings nur wieder„zum Leben erweckt" worden ist. Die Reptilien. Ewe große Sorge des Präparators war von jeher dos Auf- stellen von Fröschen, Eidechsen. Schlangen und ahn- lichem Getier. Ein„Ausstopfen" dieser Tier« kommt nicht in Frage, da beim Trocknen die Haut ihre Feinheit und Färbung verliert. Di« in Alkohol konservierten Tiere zeigten ähnliche Uebelständc. Man fand dann auch einen Ausweg, indem man Modelle des betreffenden Tieres anfertigt«,«in Verfahren, das mit vollem Erfolge am hiesigen Museum angewendet wurde. So wird zum Beispiel ein frisch getöteter Frosch mit Hilse von Draht und Ton auf einer Glasplatte in die gewünschte Stellung gebracht. Auf die Haut des Objektes wird eine vier bis sechs Millimeter dick« Schicht van Paraffin und Wachs aufgetragen, die bald erstarrt. Das Tier wird dann aus der Form vorsichtig hervorgeholt, damit diese ausgegossen werden kann. Sobald der Gips, der zum Aus- gießen verwendet wird erstarrt ist, wird die Schicht der Form in heißem Wasser abgelöst. Später erfolgt dann die Bemailing des Abgusses nach der Natur, so daß ein lebenswahres Abbild des Tieres entstanden ist.
Das fertige Präparat.
Di« Tätigkeit der Präparatoren an einem Museum ist keines- wcgs mit diesen Dingen erschöpft. Di« Anfertigung von wissen- schastiichen Präparaten, von Skeletten, anatomischen Objekten usw.. die Präparation der verschiedensten Tiere für die wissenschanlichc Sammlung gehören zu ihrem Wirkungskreis. Auch die Aufstellung der kleinen und großen biologischen G r n p p e n in der Schau- sammlung ist nicht zu vergessen. Für sie ist oftmals eme monate- lange Tätigkeit erforderlich. Sind doch dann nicht nur die Tiere zu präparieren, sondern auch die Umgebung ist naturgetreu wieder- zugeben. Felsen, Erdreich, Bäume, Gras und Blumen entstehen aus der Hand des Präparators.
Äer Fall Vareler. Voll Tristall Vernarb. (Einzig berechtigte Kebetsttzniig von Dl. Cr oll in.) Die Frau, die gerade dabei war, in dem an das Bahn- Hofsgebäude anstohenden Garten Wäsche aufzuhängen, wurde von ihrem Manne geholt, und sie konnte mir sofort alle Einzelheiten, deren ich bedurfte, geben. Sie hatte am Morgen nach dem Verbrechen gesehen, wie ein Reisender um sechs Uhr fünfundvierzig in den Personenzug stieg, der von Toul kam und in der Richtung nach Paris fuhr. Dieser Reisende, der dos BiUett von ihr verlangt hotte, sei ziemlich groß, etwas größer als ich gewesen, erklärte die Frau. Es war Lamers Figur. Sie hatte das Gesicht des Herrn nicht gesehen, er schien verschnupft zu sein, denn er hielt sich ein Taschentuch vor Nase und Mund. Der Reisende war entschieden Larcier gewesen. Ich mußte jetzt nach Toul zurück, den Schlächter aufsuchen und ihn fragen, ob diese Banknote einer von den drei Scheinen fei, die er am Abend vor dem Verbrechen zu dem alten Bonnel getragen hatte. Als ich nach Toul zurückfuhr, versuchte ich, mir die Reise Lamers vorzustellen. Ich konnte mir nicht denken, daß er nur eine kurze Strecke in der Richtung nach Paris gefahren und dann wieder zurückgekehrt war, um die Polizei auf eins falsche Spur zu bringen. Das wäre kompliziert und über- flüssig gewesen. Ich weiß wohl, daß in dem Augenblick ent- setzlicher Erregung, die einem Derbrechen folgt, die Mörder solche absonderlichen Borsichtsmaßregeln treffen. Aber es war eigentlich natürlicher, daß Larcier einen Personenzug bis zur letzten wichtigen Station benutzt hatte, um dann den Schnellzug zu besteigen. Die Fahrkarte, die er sich, auf dem Bahnhof gelöst hatte, war nach Bar-le-Duc gewesen, und die Frau des Stationsvorstehers hatte mir eine wichtige Aus- kunst gegeben: Larcier hatte zuerst eine Fahrkarte nach Paris verlangt, dann hatte er sich besonnen und«in Billett nach Bar-le-Dur gefordert. „Ich hatte große Schwierigkeiten." erzählte sie,„auf den Hundert-Franten-Schem herauszugeben. Hätte der Herr
ein Fahrkarte nach Paris genommen, so hätte ich genug in der Kasse gehabt, aber für ein Billett nach Bar-le-Duc mußte ich noch mehr Kleingeld geben. Ich hatte zwei silberne Fünf- Franken-Stücke, die ich beiseite gelegt hatte und eigentlich nicht ausgeben wollte. Ich hatte sie in meinem eigenen Portemonnaie und wollte sie für meine Enkelin aufheben." So hatte mir der Zufall durch diesen mit Blut beschmier- ten Schein einen sehr wichtigen Anhaltspunkt gegeben. Ein zweiter Fingerzeig waren die beiden Fünf-Franken-Stücke. um die Spur des Schuldigen zu finden. Mein Entschluß war gefaßt. Noch abends nach dem Esten würden wir nach Bar-le-Duc fahren, um unsere Forschungen bei der dortigen Schalterbeamtin fortzusetzen. Dort würden wir uns er- kundigen, ob ein Reisender ein Billett nach Paris mit einem Vierzig-Franken-Stück gelöst hatte. Uebrigens konnte er auch mit anderem Geld bezahlt haben, und eine verneinende Aus- kunft der Schalterbeamtin bewies durchaus noch nicht, daß Larcier nicht nach Paris gefahren war. Auf dem Bahnhof in Toul nahm ich mir einen Wagen, der mich zu dem Schlächter Felix führte. Dieser erkannte sofort den Hundert-Franken-Schein wieder, den er dem alten Bonnel gegeben hatte. Sodann ging ich ins Hotel und er- stattete Blanche, die mich im Salon erwartete, Bericht über das Ergebnis meiner Untersuchungen. 8. Es hat mir immer an Selbstvertrauen gefehlt. Ich habe mich nie für fähig gehalten, eine schwierige Nachforschung bis zu End« zu führen. Es fehlte mir nicht nur an Vertrauen zu meinem Scharfblick, sondern zu dem Scharfblick der Menschen im allgemeinen. Mir schien es immer, als fei der Gang der Ereignisse so kompliziert, daß die Intelligenz der Menschen nicht ausreichte, um ihn zu entwirren. Ich habe auch nie sehr an diese berühmten Detektiv« geglaubt, die ich für Erfindungen von Romanschriftstellern hielt. Die wirk- samste Hilfe für einen Polizisten ist der Zufall. Es war auch nicht meine eigene Geschicklichkeit, sondern der Zufall, der mich plötzlich auf Larciers Spur geführt hatte. Das machte ich mir in diesem Augenblick klar und gab mich durch diesen ersten Erfolg keinen törichten Illusionen über meine künstige Geschicklichkeit hin. Ich sagte mir, daß, wenn es mir gelungen war. den Mörder bis zu einem gewissen Punkt des Weges zu ver- folgen, ich doch bald ohne Führer an eine« Kreuzweg stehe«
| und nicht ein noch aus wissen würde. Wäre ich allein ge- wefen, so hätte ich sicher bei meiner Zaghaftigkeit mein Vor- haben aufgegeben. Glücklicherweife hatte ich einen Ansporn, und zwar Blanche Chiron: sie trug sehr dazu bei, daß ich meinen Plan nicht aufgab. Ich teilte meiner Gefährtin meine Entdeckung mit. Nicht nur. daß sie mich sehr ermutigte, sondern die zwischen uns bestehende Freundschaft wurde durch diese gemeinsame Auf-
gemeinsames Ziel. Es war wie ein Buch, das wir zusammen lasen und das um so spannender war, weil wir allein d«n Gang der Handlung folgen konnten, weil das Ende dieses Buches noch nicht vorhanden war, weil man nicht hintereinander darin lesen konnte, es nicht wie eifrige Leser zu überfliegen ver- mochten, um schnell das Ende zu erfahren. Diese gemein- same Besorgnis hatte auch den großen Vorteil, daß ich mich bei dem Zusammensein mit Blanche weniger verwirrt fühlte, denn ich hatte für meine Gegenwart eine ständige Entschul- digung. Ich mar nicht verpflichtet, ihr den Hof zu machen, sie brauchte nicht kokett zu sein. Jedes gegenseitige Miß- trauen fiel fort, man konnte sich viel natürlicher geben, und vielleicht entwickelte sich dadurch unbewußt zwischen uns beiden schneller eine intimere Freundschaft, wie es sonst der Fall gewesen wäre. Nach dem Abendbrot fuhren wir nach Dar-le-Duc. Aber als wir dort ankamen, konnten wir die so wichtige Auskunft nicht mehr erfahren. Es fuhr kein Zug mehr zu dieser Stunde, und die Schalterbeamtin war nicht mehr anwesend. So blieb uns also nichts anderes übrig, als bis zum nächsten Morgen zu warten. Wieder gingen wir in den Straßen der Stadt spazieren. Wir suchten ein Eafe auf, in dem musiziert wurde. Trotzdem es Blanche gar nicht behagte, blieben wir doch bis zum Schluß und kritisierten die ausübenden Künstler. Blanche war mit ihrem Mann zusammen in Paris ge- wesen, und sie hatten die üblichen Sehenswürdigkeiten be- sucht: die Com�die Francaise, die Oper, die Folies-Bergdres. Sie hatten im Bois de Boulogne Mittag gegessen, waren im Botanischen Garten gewesen und durch das Louore und das Eluny-Mufeum gejagt... Sie war von ihrer Reife sehr befriedigt zurückgekommen: sie war in Paris gewesen! _________________(Fortsetzung folgt.)