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Beilage

Freitag, 2. November 1928.

Wenn ein Menschlein geboren wird.

Unhaltbare Zustände in der Berliner   Geburtshilfe.

Ein Freund unseres Blattes schreibt uns über seine Er­fahrungen bei der Unterbringung eines Familienmitgliedes in einem Entbindungsheim folgendes:

Die Ziffer der Geburten in den Entbindungsheimen ist ständig im Steigen. Die unglücklichen Wohnungszustände werden dafür die Hauptursache sein. Aber auch die Rücksicht auf die anderen Fa­milienmitglieder, die Sicherheit, im Notfalle sofort ärztlichen Bei­stand zu haben, und die Erkenntnis, in eine hygienischere Wochen­ftube zu tommen, als sie besonders die Proletarierwohnung bietet, werden zu diesem Entschluß wesentlich beitragen. Die Schwierig feiten bei der Ausführung eines solchen für die Schwangere immer bin nicht ganz leichten Entschlusses aber find groß. Sie liegen gewiß zum größten Teil in der Unzulänglichkeit der Entbindungs­heime begründet. Doch die zum Teil lieblofe und wenig rücksichts volle Behandlung der Patienten wird nicht durch die mangelhaften Einrichtungen der Krankenhäuser verschuldet.

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Willst du eine Gebärende in ein Entbindungsheim unterbringen, dann darfst du erst eine halbe Stunde vor der Geburt mit ihr dort hinfommen. Etwa 24 Stunden vorher die sich in Wehen   Krümmende aufzunehmen, ist nicht möglich. Dazu fehlt wohl der Platz. So kam ich nach dem Lichtenberger Kranten­haus. Der Beamte in der Aufnahmestelle war mit Schreibarbeit so start beschäftigt, daß er von seiner Arbeit nicht aufsehen fonnte und uns abfertigte wie jemanden am Fahrkartenschalter, der eine Fahr­farte für die Holzklasse verlangt. Es ist kein Bett frei, in der Chartté finden Sie Aufnahme." Erledigt. Für ihn fam der nächste Fall dran. Das nennt man dann Schwangerenfürsorge und be­ratung. Mir tam da so der Gedante: Wie mag wohl einem armen Mädel zumute sein, die vom Bater des zu erwar­tenden Rindes und von ihren Eltern verlassen, ihrer schweren Stunde entgegenfieht? Der gleiche tägliche Jammer stumpft vielleicht ab. Das Bersonal müßte in den Stationen deshalb öfter wechseln, und wer teine liebevollere Behandlung eines solchen leidenden Menschen fennt, sollte dieses Amt nicht übernehmen. Erst durch Bermittlung eines anderen Angestellten erlangte ich wenigstens eine Untersuchung durch eine Krantenschwester, die sich durch sehr freund­fiche Behandlung auszeichnete. Die Geburt ist noch nicht im Gange, diese Nacht wird's noch nichts werden, aber es tann bei dem zweiten Rinde auch plötzlicher tommen. Mit diesem un­gemissen, wenig tröstlichen Bescheid also um 8 Uhr abends wieder nach Hause. Um 10 Uhr sehen so verstärkte Wehen ein, daß wir uns entschließen, den weiten Weg von einem öftlichen Borort nach der Charité anzutreten auch schon in Rüd­ficht auf die unsichere Fahrverbindung in der Nacht nicht sehr an­genehm.

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In der Charité liebevolle Aufnahme, sofortige Untersuchung und Dortbleiben trotz der ähnlich lautenden Diagnose wie in Lich  tenberg.

Aber damit war auch der erfreuliche Teil in der Charité erledigt. Was nachfolgt, gereicht einem großstädtischen Entbindungs­heim nicht zur Ehre. Muß eine Gebärende denn wirklich awei Nächte und einen Tag direkter Augenzeuge von zehn Geburten sein? Muß sie diese Qualen Stunde um Stunde mitansehen, die Schmerzensschreie ihrer Leidens: genoffinnen mitanhören und an ihren verzweifelten Leibestrüm mungen einen Borgeschmad davon bekommen, was ihr blüht? Barum gibt es denn in der großen Charité feinen gesonder ten Raum für Kreißende?

handelt.

Der Abend

FUNK UND­

Spalausgabe des Vorwärts

AM ABEND

Freitag, 2. November.

Berlin  .

Aestulaps verschrieben die begehrte Medizin" nur, wenn wirklich triftige Gründe vorlagen, und selbst dann nur in homöopathischen 16.00 Camillo Schneider: Der Park im Herbst. Dosen.

Dies Bild änderte sich mit einem Shlage, als eines Tages ein Freundes, eines Herrn mit einem geheimnisvollen Kasten, Einzug neuer Arzt sein Schild heraushängte, der in Gesellschaft seines in Jenkins gehalten hatte. Der Freund, der im Hotel abgestiegen fonnte nicht ausbleiben, daß das Gespräch sehr rasch auf den be­war, machte schnell die Bekanntschaft der Honoratioren und es dauerlichen Mangel an geistigen Getränken fam. warf ein, daß laut Prohibitionsgesez jedermann, der von einer Der Fremde Schlange gebissen worden sei, auf Grund eines ärztlichen Rezeptes Anspruch auf einen Liter Whisky habe; und ganz bescheiden gestattete sich der liebenswürdige Gaft darauf hinzuweisen, daß er die hierfür erforderliche Schlange gleich bei der Hand habe, nämlich in jenem mysteriösen Rasten, der die Neugier shon lange auf eine harte Probe gestellt hatte. Zugleich erflärte er sich in menschen­freundlichster Weise bereit, seine Schlange gegen eine feste Gebühr von 2 Dollar beißen zu lassen; die Alkoholrezepte würde dann der neue Arzt, sein verehrter Freund, verschreiben. Eine Hochkonjunk­tur in Schlangenbissen" setzte nun ein und hielt die Bürgerschaft der guten Stadt Jenkins in Atem. Der neue Medizinmann aber fonnte sich vor Patienten nicht retten und der Drogist gar nicht genug Medizin" vom Prohibitionsdepot heranbekommen.

Aber Undant ist der Welt Lohn. Die beiden anfäffigen Aerzte veranlaßten eine Untersuchung. Es tam zu einer Gerichtsverhand­lung, in der die Patienten, die sich in den ungesetzlichen Ge­nuß eines Schlangenbisses" gefeßt hatten, freigesprochen wurden; auch der Drogist wurde aus der Haft entlassen, na hdem indessen, der sich als haar, Bart- und Bubitopfipezia­man seine Whistyvorräte beschlagnahmt hatte. Der gefällige Doftor ist entpuppte, erhielt Gelegenheit, fein früheres Gewerbe zmei Jahre lang im Staatsgefängnis zu betreiben, der Schlangenbändiger wurde ausgewiesen und die Schlange als Haupträdelsführer murde felbft unter Altohol gesetzt. Dr. Lily Herzberg.

16.30 Unterhaltungsmusik des Orchesters Schmidt- Gentner.

18.30 Fremdsprachliche Vorträge, Italienisch. C. M.. Alfieri, Dozent an der Universität Berlin: Annie Vivanti  : Sua Altezza! Favola candida. Saggi di lettura.

19.00 Dr. Adolf Grabowsky  : Die mozedonische Frage als Kern des Balkan­problems.

19.30 Hans- Bredow- Schule, Abteilung Betriebswirtschaftslehre. Staatssekretär Prof. Dr. Julius Hirsch  : Neue Entwicklungstendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft( IV).

20.00 Abendunterhaltung. Mitwirkende: Paul Graetz  , Jacob Tiedtke. 21.00 Soziale Weltreisen. 1. Oberreg.- Rat Donau  , Direktor. des. Internationalea Arbeitsamtes, Berlin  : Die internationale Regelung der Arbeiterfragen. Andante Allegretto( Brosa- Quartett, London  : Brosa, Greenbaum,

21.30

Streichquartett( K. V. 575) von W. A. Mozart  : Allegro

Minuetto

Rubens, Pini).

Königswusterhausen.

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16.00 Frau Ob.- Reg.- Rat, Dr. Gaebel: Berufsberatung. Die an- und ungelernte Arbeiterin( II).

16.30

Uebertragung des Nachmittagskonzertes Leipzig  .

17.30 Komm.- Rat Kithil: Die welt- und volkswirtschaftliche Bedeutung der deutschen   Spielwarenindustrie.

18.00 Dr. Münnich: Der unbekannte Schubert( I).

18.30 Stud.- Rat Friebel, Lektor Mann: Englisch   für Fortgeschrittene.

und Festigkeitslehre.

18.55 Min-- Rat Horstmann: Werkmeisterlehrgang für Facharbeiter: Mechanik 20.00 Uebertragung von Berlin  .

20.30 Thema und Name des Dozenten werden noch bekanntgegeben. Ab 21.00 Uebertragung von Berlin  .

Drei Jahre in Sowjetrußland.

Unter diesem Titel beginnen wir am Montag mit der Veröffentlichung der Erlebnisse des Arbeiters Franz Pakosch. Ein Proletarier, der mit dem ehrlichen Willen nach Rußland   ging, am ,, sozialistischen  " Aufbau mitzuarbeiten. Und der, wie so viele andere vor ihm, enttäuscht miedergekehrt ist....

Arztberuf oder ärztliches Geschäft?

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Die OKK.- Mitglieder dürfen nicht Patienten zweiter Klasse sein!

Die Stizze Ich gehe zum Arzt im Abend" vom 25. Oftober hat einige Leser angeregt, uns ihre eigenen Erfahrungen als Raffenpatienten mitzuteilen. Sie stimmen überein in den Klagen über die unbequemen Wartezimmer und über die turze Abfertigung des Rassenkranken bei manchen Aerzten. Schon das Verhalten des Arztes, wenn das Kaffenmitglied das Sprechzimmer betritt", schreibt ein Leser ,, erweckt den Ein­druck, daß man als Kranker zweiter Klasse betrachtet wird. Ein Gruß, wie er sonst unter bedeckten Räumen üblich ist, findet wenig Beachtung. Die Behandlung selbst ist sehr furz; Fragen werden taum beantwortet. Dabei sollte der Arzt doch bedenken, daß er der Berater der Kranken sein sollte und daß auf deren Vertrauen

zu ihm viel ankommt."

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Einzelfälle, die aber leiber feine vereinzelten Fälle find, geben wir im Folgenden wieder:

Und dann die vielen Untersuchungen von Aerzten, Braftifanten, die in der Frauenklinik herumlaufen und die mit ihren zum Teil noch ungeübten und ungelentigen Händen in diesen wehen, empfind­lichen Rörper hineingreifen. Ich habe gewiß dafür Berständnis, Nur vormittags- eigentlich..." daß dort Studium getrieben werden muß, aber man sollte doch nicht vergeffen, daß es sich um ein Studium am lebenden Objekt Mitglied einer Berufstasse, die zu der sogenannten Tarifgemein Eines Tages hatte ich Schmerzen und ging zum Arzt. Ich bin Auch manches für den Laien Unerklärliche in der medizinischen schaft gehört. Nach Bureauschluß suchte ich also einen Spezialarzt, Auch manches für den Laien Unerklärliche in der medizinischen Behandlung fällt, einem auf. Aber ich will darin zurückhaltend sein. der bis 19 Uhr Sprechstunde und das Tarifzeichen am Schild hat, Immerhin frage ich mich: Kann die gynäkologische Wissenschaft sich auf. Es war 18 Uhr. nicht auf ein gleiches Verfahren bei der Geburt einigen? In der muftergültig geleiteten Frauenklinik der Berliner   Ortstranfenfassen unter Leitung von Prof. Liebmann wird die letzte Austreibung in

einer leichten Nartofe gemacht. In der Charité tennt man so etwas

nicht.

Das ist nur so das Hauptsächlichste meiner Erfahrungen. Wa­rum sich noch niemand beschwert hat? Armes Bolt läßt sich alles gefallen. Berlin   im Licht! Sollten wir nicht einmal in die Berliner  Krankenhauszustände den Scheinwerfer hineinleuchten Laffen? Das Städtische Frauenkrankenhaus in der Gitschiner Straße charakterisiert sie, wo im etwa vier Meter breiten an der lärmenben Straßenfront gelegenen Garten" die Patienten Er holung fuchen. Tag und Nacht der Lärm von Hochbahn  , Straßen­bahn und Fuhrwerken, der den um Schlaf Ringenden nicht zur Ruhe tommen läßt. Sportpläge, große Schwimmhallen für den Winter, tünstliche Seen in Bartanlagen werden mit einem Kosten­aufwand von Hunderttausenden geschaffen, für Berlins   Kranken­häuser ist anscheinend kein Geld da.

An alle aber, die es angeht, Aerzte, Aufsichtsbehörden, Kassen­verwaltungen, an den Landtag, richte ich den Notschrei, dafür zu forgen, daß solchen schimpflichen Zuständen in der Weltstadt Berlin  ein Ende bereitet wird.

Verführung durch die Schlange

In dem amerikanischen Städtchen Jenkins in Missouri   litten, wie die medizinische Welt" mitteilt, die guten Bürger in diesem Jahr mehr als je unter den Folgen des Prohibitionsgefeges, nämlich an einer quälenden, durch nichts zu besiegenden Alkohol laffen, dem Gesez an irgendeiner Stelle ein Schnippchen zu schlagen. Die arte Andeutung verstehen. Ebensowenig war mit den beiden ergien bes Städtchens etwas anzufangen; dieje ehrlichen Jünger

Das Dienstmädchen öffnet und führt mich ins Wartezimmer.

Neue Wohlfahrtsmarken der Reichspost werden vom 15. November bis 31. Januar durch die Bostanstalten zum doppelten Nennwert( z. B. die 8- Pf.- Marken für 15 Pfennige) vertrieben. Die Wertzeichen sind bis 30. April 1929 zum Frei

DEUTS

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Deutsche Nothilfe

Jch bringe Glück

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machen von Poſtsendungen gültig. Sie werden zu 5, 8, 15, 25 und 50 Pf. hergestellt. Auch eine Wohlfahrtspostkarte( Wertzeichen in der Mitte der oberen Reihe) zu 8 Pf. wurde herausgegeben. Der durch die Berdoppelung des Verkaufspreises erzielte Mehrbetrag fließt der wohltätigen Deutschen   Nothilfe zu

Nach einigen Minuten erscheint sie wieder: Herr Dottor läßt fragen, ob Sie als Privatpatient tommen?" ,, Nein, von der Kaffe."

Sie geht und tommt wieder: Herr Doftor läßt fragen, von welcher Kasse und eigentlich ist die Sprechstunde für Kaffen­

patienten nur vormittags."

Ich: Ich bin in der Barmer Kaffe, aber wenn der Doktor keine

Beit hat, werde ich einen anderen Arzt aufsuchen."

,, Einen Augenblic, ich werde das dem Herrn Doktor sagen." Diesmal bringt sie die Auskunft: Herr Doktor läßt sagen, daß er Sie ausnahmsweise untersuchen wird, wenn Sie sonst mur vormittags tommen."( Dieser Herr Doktor fühlt sich wohl als lieber Gott  !)

,, Dante; ich gehe!" Und Bud, mar hinter mir die Tür zu. Meine Schmerzen waren noch nicht festgestellt. Aber neben dieser Sorge bewegte mich die Frage: Warum sind wir Bert. tätige immer noch Menschen zweiter Klasse? Warum müssen wir zahlen und werden wie Bett­ler behandelt?

Politik und Arzt.

Es war vor 2 Jahren, ich 18 alt.

-W

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An der Warschauer Brücke glitschte ich über eine Bananen­schale, torfelte an eine Straßenbahn, etwas heftig, so daß der Arm brach. Niemand kümmerte fich um mich. Ich lief in heftigem Schmerz der Arm war gequetscht und gebrochen- in eine Doerr Dottor hat Besuch und kann nicht behandeln."- Dort: Straße hinein, zu irgendeinem Arzt. Hier: Herr Doktor ist nicht da." Dort: Herr Dofior schläft." Herr Doftor arbeitet, er hat jezt feine Sprechstunde." Bier Aerzte und immer vergeblich. Der fünfte ein rundlicher Stunde später bekam ich schon den Verband. Mitten beim Ber band hatte er etwas Furchtbares entdeckt, die Parteinadel! ,, Ach, Sie sind Sozialist, na, dann fönnen Sie doch die Schmerzen ertragen. Sind Sie in der Kasse?"- ,, Nein!" ,, Das wird aber ne Portion toften! Warum haben Sie mich in meiner Ruhe gestört? Ein paar Minuten weiter ist die Rettungswache. Was ist Ihr Bater?"" Schneider." ,, Auch

Herr: Ach, son bischen verstaucht, nehmen Sie Play." Eine halbe

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Sozialist? Hier die Liquidation, 25 M., innerhalb drei Tage zu zahlen. Das nächste Mal, wenn Sie wieder mal was haben, gehen Sie als so einer( er zeigte auf meine Nadel) in irgendeine Klinit."

Dienst am Bolte.

In diesem letzten Fall war also fein affenpatient der Be­troffene. Auch nehmen wir an, daß der Arzt, der sich so weit vergaß, daß er die Politit mit seiner Behandlung vermischte, eine Ausnahme war. Ein älterer Patient hätte ihm wahrscheinlich auch eine Antwort gegeben, die ihm die Unwürdigkeit seines Ber haltens flar gemacht hätte.

Wir geben gerne auch die Anficht eines Lesers wieder, der die Erfahrung gemacht hat, daß im allgemeinen die jüngeren Aerzte

mehr Verständnis und wünschenswertes Entgegenkommen audy ben Kassenpatienten gegenüber zeigen. ,, Vielleicht hat dies andere Gründe," meint er ,,, vielleicht aber hat auch die neue Zeit dieses Berantwortungsgefühl für den Dienst am Bolte erweckt und bewirkt, baß auch bie DRR- Mitglieder als vollwertige Menschen behandelt merben. Möchte sie in der Lat   mehr und mehr dahin mirten!