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Beilage

Mittwoch, 14. November 1928.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Letzte Tage der Gefangenschaft.

Waffenstillstand: Die Stunde der Befreiung hat geschlagen.

Bon einem Leser, der bis Mitte November 1918 in englisher Gefangenschaft mar, mird uns geschrieben:

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Ein trüber, grauer Morgen troch herauf, als wir wie an jedem Tage seit einem Jahr uns am Tor des Gefangenenlagers Dersammelten, wir, siebzig stämmige Burschen als Steinbruchar= beiter, um von den Eskorten zu der nahegelegenen Bahnstation ge­bracht zu werden, mo schon unser Extrazug" auf seine hohen Gäste" martete. Wir fannten uns alle und waren mit dem Loko­motioführer, dem Heizer, dem Stationsvorsteher gut befreundet- und auch mit dem schmächtigen Zeitungsjungen, der allmorgendlich, ob Regen oder Sonnenschein, hier seine Zeitungen abholte.. mir waren seine besten Kunden. Wir fausten den Manchester Guardian" und Daily Herald". Vielleicht, vielleicht stand doch etwas darin von der Heimreise der Kriegsgefangenen nach Deutsch­ land  . Aber es stand nichts davon drin. Freilich mußte sich der tleine Bursche hüten vor unseren Estorten; denn wir hatten jeden Tag andere und manche fonnten seinen Geschäftsgeist nicht unterſtügen, sie durften es ja auch nicht.

den

ganzen

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Wir träumten von Hause...

3wanzig Minuten pruftete unser Züglein durch die Gefilde, irgendwo hart an der Grenze von Südmales, vorbei an schmucken Bauerngehöften, an schlafenden Kühen auf den Beiden, die hier Winter draußen bleiben, und an Kornmandeln, die nicht in die Scheuer gebracht werden konnten, weil es regnete und immer wieder regnete, und die nun ganz schwarz geworden waren. Aber was fümmerte uns das. Wir sahen nicht aus den Fen stern; wir träumten von Hause; denn es lag etwas ungemisses in der Luft mer weiß vielleicht ging der Krieg doch zu Ende. Rud... Da stand der Zug." Porthywain" hieß das Nest, wo mir ausstiegen und dann den Bergpfad emporfragelten. Auf halbem eg wurde ganz automatisch eine allbekannte fleine Pause einge­legt, um dann den Rest des Weges zu überwinden. Und oben von des Berges Kuppe war die Aussicht manchmal so weit, so meit... " Du, in dieser Richtung liegt Deutschland  ." sagte jemand ,,, wir merden wohl doch bald nach Hause kommen. Jetzt sind es vier Jahre, daß ich diesen Weg gehe." Es war einer von der Königin Luise  ", die in der Themse   Minen gelegt hatte und dabei geschnappt

worden war.

Oben auf dem Berge, mo der Steinbruch mar, stand eine Barade, in der unser guter Adolf" den Küchendienst tot. Und er hatte eine schwierige Aufgabe. Jeder von uns fiebzig Mann hatte feinen 3miebadsbeutel, in dem er fich fo fechs bis acht Kartoffeln mithradyte, um dann zu Mittag einen warmen Happen zu haben. Und die Kartoffeln in den Beuteln, die fein zugebunden waren, legte Adolf sorglich in einen riefigen Kessel, goß Waffer darüber und tochte sie mit solcher Liebe gar, daß wir alle fest überzeugt waren, es habe niemals jemand schönere Bellfartoffeln getocht. Und mährend er fo feine Beschäftigung hatte, auch noch Kaffee fochen mußte, gingen mir anderen hinaus, hinunter in den Bruch 600

Die Gleine waren schwer und groß.

Dort standen die Wagen vor den riesigen Wänden und warteten auf die fleißigen Hände der Kriegsgefangenen, die sie mit den Ichweren Steinen füllen sollten. An jedem Wagen arbeiteten zwei Mann, ein Gefangener und ein Zivilist; die letzteren waren meist betagte Männer, deren Söhne auch im Felde waren. Aber sie haßten uns nicht. mir maren Arbeitsbrüder...

...

Die meisten von ihnen standen her schon dreißig und mehr Jahre, um Schritt für Schritt vorzubringen, Stein um Stein auf die Wagen zu laden. Und die Steine waren schwer und groß, und mußten zerklopft werden, bis man sie auf den Wagen heben konnte. Nun, der Hammer wog zwanzig Bjund und hatte einen geschmeidi­gen Stiel, damit es nicht in den Händen brummt. Die Alten schman­gen ihn ohne Unterlag, und wir machten mit, so gut wir fonnten. Wir hatten ja schon Uebung.

Ein guter Alter war dabei, der öfter fein Brot verlor oder den Tabat liegen ließ oder seinen Sped irgendwohin gelegt hatte er war gut. er verlor" so oft etwas.

Er hatte auch einen Sohn, der im Felde war, und seine Liebe, die er seinem Sohne nicht geben fonnte, auf den er so stolz mar, wir übertrug er auf uns, die wir um ihn waren. Und wir.. Denn mußten ihn jeden Tag belügen... mir mußten es. mir mußten es, daß sein Sohn auch in deutscher Gefangenschaft ge­raten war und hinter der deutschen   Front ihn eine englische oder französische   Fliegerbombe getroffen hatte. Er war tot Alle wußten es, nur er nicht. Wir fragten ihn oft: hat dein Sohn geschrieben?" Nein," fagte er, weiter nichts.

Und es tat uns fo weh, daß wir lügen mußten; aber eine Rotlüge war beffer als die schredliche Wahrheit.

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Schweigend standen wir vor der hohen Mauer und ließen die Hämmer Stunde um Stunde auf die harten Leiber der Steine faufen, bis sie barsten. Sieben Stunden

3u Mittag gingen wir hinauf in die Barade, wo unser guter Adolf" schon die dampfenden Zwiebacsbeutel zurechtgelegt hatte und nun den Kaffee verteilte. Jeden Mittag Kartoffeln mit Salz und dazu Kaffee. Unser Abendessen befamen wir nach Feierabend im Lager- aber Hunger hatten wir immer.

Die große Neuigkeit: Waffenstillstand. Nach dem Mittagessen wieder an die Arbeit. Bieber sausen die Hämmer. Die Alten taten so geheimnisvoll; ihre Frauen, die ihnen Mittagessen gebracht hatten, mußten eine Neuigkeit mitgebracht haben. Aber sie schwiegen. Unser guter Alter fonnte es aber doch nicht übers Herz bringen und flüsterte uns zu, daß die Frauen etwas vom Waffenstillstand erzählt hatten. Wir lauschten. Sollte etwa doch der Tag des Friedens gekommen sein? Und die Nachricht ging hinauf wie ein Lauffeuer zu den Sameraden auf der Ruppe", hin über zu den Bohrern, jauste über die Rutsche zum Schmied, der die Biden und Hämmer in Ordnung hielt, und fam im Kreislauf wieder

zu uns zurüd. Und jeder Hammerschlag, der den Stein traf, jeder Stein, der auf den Wagen polterte, jeder Breßluftbohrer, der tief im Herzen der Steine saß: alle riefen sie Waffenstillstand!"

D, wenn es doch Wahrheit wäre! Wie oft schon war etwas durchgefickert und wie oft waren es Parolen. Sollte es doch Wahrheit geworden sein? Nun, der Krieg mußte ja einmal ein Ende nehmen ein einziges,

Die Stunden bis Feierabend waren lang... stetes Raunen: Waffenstillstand!

Oben standen wir angetreten auf dem Berg und sahen unten im Tal unseren Zug stehen, der schon auf uns wartete. Er stand da, wie alle Tage...

Es war also doch Wahrheit.

Aber was war in unserer Kolonne für ein Leben, für ein eifriges Geplauder, wie waren die Gesichter so frisch, die Augen noch so blank und der Schritt so beflügelt. Zum ersten Mate mar das Wort gefallen, das uns auf die Heimat hoffen ließ. Und lints­rechts links rechts- jo ging's die Bergstraße hinab. Bald mußten wir an den ersten Häusern vorüberkommen. Wie flopfte das Herz, wie suchten die Augen nach Menschen, die es uns jagen fonn ten. Und wie wir nun vorbeimarschierten, da fliegen die Türen

und Fenster auf, und überall tamen Männer, Frauen und Kinder heraus und schwenkten weiße Tücher.

Weiße Tücher.. Waffenstillstand...

Es war also doch Wahrheit.

Ein eigentümliches Würgen kroch den Hals hinauf und trieb die Tränen in die Augen, Tränen der Freude, die Heimat wieder­zusehen. Wir haben auf unserem Marsch zur Arbeit nie gesungen, trotzdem die Engländer unsere Lieder gerne hören wollten; denn wir waren ja gefangen und hatten zum Singen keine Lust. so großes Geschenk gemacht hatte, da mußte es heraus aus der Brust, und brausend klang es in Gleichschritt:

Aber heute, am 11. November 1918, an dem Tage, der uns ein

In der Heimat, in der Heimat,

Da gibt's ein Wiederseh'n!

Viele von den Engländern, Männer, Frauen und Kinder, be­gleiteten uns. Sie verstanden wohl nicht, was mir sangen; aber fie ahnten es. Biele Mütter waren ja dabei, deren Söhne auch in solch einer Kolonne marschierten wir wir. Sie freuten sich mit uns,

Arbeiter der ganzen Welt, vereinigt Euch! Wir.hätten sie alle umarmen können, unsere Feinde" mit der weißen Tüchern. Ob sie etwas mußten von Lissauers ,, Haßgesang gegen England"?

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Haß der Hämmer und Haß der Kronen, Drosselnder Haß von siebzig Millionen Hoffentlich wußten sie davon nichts; denn wir haßten sie nicht, hatten sie noch nie gehaßt.

Und überall, wo wir mit unserer" Eisenbahn vorbeifuhren wir lagen alle aus den Fenstern überall aus den Häusern wehten weiße Tücher... sie wollten es uns sagen: Waffenstillstand.

Die Hinterlassenschaft des Krieges: ein amerikanischer Soldatenfriedhof in der Umgebung von Paris  .

Im Lager ist es felten fo leb haft zugegangen wie am Abend des 11. November 1918. Nun ware wir alle bald zu Hause...

Doch keiner mußte von uns, daß die Heimat so meit, noch so unendlich weit entfernt lag; denn erst am 25. Oktober 1919, also über ein Jahr später erst fonnten wir die schönste Fahrt des Lebens antreten: die Fahrt in die Heimat. Aber der 11. November 1918 mar doch für uns der Tag, da mir es wußten: Der Krieg ist vorüber..

Und jener Alte, der so gut mar, er steht vielleicht noch heute an seinem Wagen, flopft Steine und wartet auf seinen Sohn, der nicht schreibt.

In seinem Kopf war es nicht mehr richtig in Ordnung. Immer hoffte er noch, daß sein Sohn tommt.

Er gab mir ein Andenken, das mir teuer ist, ein Abzeichen des englischen Eisenbahnerverbandes, als Anhänger an der Uhrkette zu tragen, auf deffen Rückseite zu lesen steht:

Workers of the world, unite!" W. R.

Wallace  : ,, Die blaue Hand".

werden gezeigt, um die Handlung porwärtszutreiben und die Span­nung zu erhalten. Die besondere Kunst Wallaces besteht darin, seine Leser oder Hörer möglichst lange im unklaren darüber zu halten, wie die Geschichte ausgehen wird. So auch bei diesem Roman, bei dem die Lösung der Vorgänge sich ganz anders vollzieht, als man es sich zuerst vorgestellt hatte. So erhalten wir hier ein Meisterstück moderner Romantechnit.

Wir beginnen am Donnerstag mit dem Abdruck des Romans| Erbschaftsstreit geschildert, alle Requisiten moderner Kriminalistit Die blaue Hand" von Edgar Wallace  . Es ist eine außerordentlich spannende Detektivgeschichte. Ihr Verfasser, der jetzt in den fünfziger Jahren stehende Engländer Edgar Wallace  , kann als eine der eigenartigsten Persönlichkeiten bezeichnet werden. Er wurde als elternlofer Säugling von einem Londoner Fisch händler an Kindesstatt aufgenommen. Seine Stiefbrüder endeten im Gefängnis, er selbst erhielt nur eine dürftige Schulbildung. Schon als Kind mußte er auf Erwerb ausgehen; als Zwölfjähriger etablierte er sich als Zeitungsverfäufer, dann wurde er in bunter Reihe Hilfsarbeiter in einer Druckerei, Maurer, Schiffsjunge und Milchhändler. Als er das vorschriftsmäßige Alter erreicht hatte, ließ er sich in das englische Söldnerheer aufnehmen. Als Sanitäts­soldat fam er nach Südafrika  , und hier entdeckte er seine literari schen Fähigkeiten. Zuerst schrieb Wallace Gemeinderatsberichte für ein Lokalblatt, dann verfaßte er Gedichte und kurze Erzählungen, und schließlich tam er mit den Größen der englischen Literatur in persönliche Berührung. Um die Jahrhundertwende brach der Burentrieg aus Wallace hatte seinen Abschied vom Soldaten­Leben genommen, er wurde zweiter. Korrespondent für das Reuter­bureau. Durch einen Zufall tamen seine Kriegsberichte direkt an die Daily Mail", eines der größten Tagesblätter Londons  . Er verstand die Situation außerordentlich geschickt auszunußen, und so konnte er unter Umgebung der scharfen Zensur vieles mitteilen, was dem amtlichen Reuterbureau und den anderen Kriegskorrespon- dennoch lächeln. Sie halten die Wäscheklammern mit den denten verborgen blieb.

Nach dem Burenfrieg machte ihn ein füdafrikanischer Kaufmann zum Chefredakteur eines der größten Blätter der britischen Kolonie. Benige Jahre später fehrte er aber in die Heimat zurück und wurde in London   einer der gesuchtesten Reporter des Harmsworthschen Zeitungskonzerns. In fürzeren und längeren Erzählungen schildert er dazwischen das Leben in Afrifa. Seine Beobachtungen in den Gerichtsfälen veranlassen ihn, friminalistische Studien zu treiben und sie in Erzählungen und Dramen niederzulegen. Heute ist Ballace mohl der meistgelesene Schriftsteller nicht nur Englands, sondern der ganzen Welt. Allein im Jahre 1927 foll er 26 Detektiv­gefchichten und 6 Theaterſtüde verfaßt haben! Und was er schreibt, hat immerhin eine gewisse dichterische Qualität. So ist sein Detektiv­ftüd Der Herer" in allen Ländern der Welt und von den ersten Bühnen der Welt aufgeführt worden. Auch seine Erzählungen werden in Zeitschriften und Zeitungen abgedruckt, deren Leserkreis hohe Ansprüche zu stellen gewohnt sind.

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Der Roman Die blaue Hand" ist eines der neuesten Bücher von Edgar Ballace. In lebendigem Fluß wird darin ein

Auch in der Zeit seines Erfolges hat Edgar Wallace   niemals feine proletarische Herkunft vergessen. In seinem kürzlich erschienenen autobiographischen Roman Menschen" singt er den Frauen des Londoner Armenviertels ein hohes Lied, jenen Frauen, deren Leben zwischen Arbeit, Gebären und Kinderaufziehen ab­wechselt. Da sagt er von ihnen: Die sauberen, anständigen Armen! Ihre Frauen sind mehr zu bewundern als die Töchter von Königinnen. Ich habe mit ihnen zusammen eingekauft, ich stand mit ihnen an den Türen ihrer Behausung und schwatzte mit ihnen; nur selten bitten sie einzutreten, um ihre Dürftigkeit nicht sehen zu lassen. Ihre Spizenvorhänge sind weiß wie Schnee, hinter ihren geputzten Fensterscheiben, nach der Straße zu, steht immer­grünes Geranium, und über ihren Hühnerställen und Taubenschlägen im Hinterhof wehen und flattern Dienstags oder Mittwochs die fleckenlosen Banner ihrer verschämten Armut. Ihr seht die Frauen Wäsche aufhängen: starke Frauen, die an Krebs sterben und Zähnen, stüßen die Waschleinen, halten in der Arbeit inne, um ihre nassen Stirnen mit noch nässeren Armen abzuwischen und tauschen ein Scherzwort mit dem Weib in der Tür des Nachbars  . Arbeiten, gebären, sterben. Der Versicherungsagent spricht einmal in der Woche vor, damit sie Vorkehrungen für ein anständiges Be­gräbnis treffen ihr Ehrgeiz selbst liegt in der Richtung des Grabes."

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Die stets aufgezogene Uhr.

Bor einiger Zeit wurde von einer Uhr berichtet, bei der ganz geringe Temperaturunterschiebe genügen, um die Uhr in Gang zu halten. Ein Uhrmacher in England hat nunmehr eine Taschenuhr erfunden, die ebenfalls nicht aufgezogen zu werden braucht. Schon die geringen Schwankungen des Blutdrucks im menschlichen Körper reichen dazu aus. Wenn man die Uhr etwa zwei Stunden am Hand­gelent trägt, so genügt es, sie für 30 Stunden in Bewegung zu halten. Wird die Uhr ständig getragen, so sorgt eine besondere Vorrichtung dafür, daß teine Ueberspannung ihres Werkes auftritt.