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Nr. 545 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Verschollen im Atlantik.

NEW YORK

ADELPHIA

NORFOLK

BOSTON

BA

HAITI

REUBA J

KARIBISCHES MEER

Kapitän Franz Romer

überquerte in 58 Tagen den Ozean mit einem Klepperfaltboot

1. Renor Rega

EMORUDD

Der Zeppelinflug über den Atlantik, die zahlreichen Ueber­euerungen der großen Wasserwüste mit Flugzeugen haben in Amerika und Europa ein Uebermaß von Begeisterung ausgelöst. Bei diesen modernen Hilfsmitteln des Verkehrs handelte es sich um das modernste, was die Technik hervorzubringen vermochte. Wie cin Proteft gegen die mit hunderten oder tausenden von Pferde Stärken betriebenen Maschinen wirken daher die Unternehmungen, die mit primitiven Mitteln zur Uebermindung des Ozeans oder weiter Landstrecken versucht werden. Da in unseren Tagen mur has Außergewöhnliche Aufmerksamkeit erwedt, murde der Droschten futscher Hartmann für seinen Pariser Ausflug bejubelt.

Sturm auf dem Atlantik.

Aber eine viel größere Leistung ist in diesem Jahre von einem Seemann vollbracht worden, der nur mit Hilfe seiner Körperfraft in einem leichten Paddelboot über den Atlantischen Ozean fuhr. Nach sehr eingehenden Vorbereitungen startete der deutsche Kapitän Franz Romer am 28. Marz in Lissabon mit einem Klepperboot zur Reise nach New York . Bei diesem Faltboot handelt es sich um me Sonderfonstruktion der Klepperwerke. Das Boot ist 6,50 Meter lang, das Gerippe ist aus Eschenholz gebildet. Die größte Breite Feträgt 95 Zentimeter, die Höhe 45 Zentimeter, der Tiefgang etma 22 Zentimeter. Schon bald nach der Abfahrt mußte Romer an ier Südspizze Portugals in der Nähe von Kap St. Vinzent bei Sagres notlanden. Erst am 17. April fonnte die Weiterfahrt in er Richtung auf Madeira erfolgen. Romer hatte ursprünglich die Absicht, ohne Benugung eines Segels die lleberfahrt durchzuführen. Aber schon die erste Etappe von Lissabon nach Kap St. Vinzent Fatte ihm gezeigt, daß er ohne Segel nicht in der Lage war, die non ihm vorgesehene Zeit für die Fahrt einzuhalten. Bei dem starfen Nordmestwind mar es ihm nicht möglich, Kurs auf Madeira 7 behalten. Unter voller Ausnutzung des Windes steuerte er daher Die Kanarischen Inseln an. Auf diesem Teil der Fahrt hatte er sehr inter Seefrankheit zu leiden, und wenn auch das Boot sich als röllig stabil ermies, so fonnte bei den überkommenden Brechfeen nicht verhindert werden, daß das Waffer in das Boot selbst ein­rang. Am 22. April, so berichtet Romer, murde der Shirm so start, daß sein Boot nicht mehr steuerfähig war. Er lupte an und legte fich quer in die See. hätte ich nicht im selben Augenblic", bißt es in Romers Bericht ,,, das Fall für das Segel gelöst, so wäre ich meine gesamte Tatelage los gewesen. Zur felben Zeit wurde ich von zwei gemaltigen Brechjeen dermaßen überlaufen, daß ich,

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Soldat Suhren.

Roman von Georg von der Bring. Copyright 1927 by J. M. Spaeth Verlag, Berlin . Das gotische Fenster.

Da ziehen sie hin, fort zum Kalvarienberg, ein Feld­webel, ein Gefreiter und vier Mann. Die vier Mann find Strafererzierer, Albering ist unter ihnen. Was die anderen drei auf dem Kerbholz haben, ist mir nicht bekannt. Albe­ring hat sich vergangen, indem er seinen Helm ohne Erlaub­nis lüftete, um den Schweiß passieren zu lassen.

Da ziehen sie hin, ich möchte schreien darüber, daß fie hinziehen. Sie verschwinden über die Placette. Ich will zum Feldwebel gehen und eine Rede halten, es ist unmöglich, daß sie ausmarschieren, sie sind ja alle frant. Die ganze Kompanie ist frant, es wird fein Dienst abgehalten. Die ganze Rompanie hat Ruhr, aus dem Wasser angetrunken oder sonst woher. Bas weiß ich?

Auch ich bin frant, schleppe mich hin. Will zur Latrine gehen, ziemlich rasch, und mich neben den Kameraden auf den langen Balfen jezen. Es ist heiß, ich gehe zum vier­zehntenmal heute. Wir fizen da nebeneinander, und einige plaudern leise von der Seeschlacht am Stagerrat, deren Er gebnis eben befanntgegeben ist. Andere saugen ergeben an erloschenen Pfeifen und lesen Zeitung. Auf den Zeitungen frabbein hundert Fliegen, sie spazieren sogar auf der Pfeifen­asche umher. Im Eingang aber stehen wieder andere Sol daten und wollen auch zum Sigen kommen. Sie fluchen und verbieten den Plaudernden, lange Romane von Stapel zu lassen. Manche gehen ingrimmig wieder fort; doch von den Sigenden beeilt sich jeder, so sehr er fann.

Oben liegen die Kameraden im Stroh, und manchmal eilen sie die Treppe hinunter. Ich gehe nicht hinauf, sondern werfe mich unter einen der Wagen, die auf dem Hofe stehen, in den Schatten. So habe ich die Latrine im Auge.

Bergesse ich immer wieder, daß Albering abmarschiert ift? Ich will mich immer mieder daran erinnern, auch er ist frant. Ich kann mir so gut das Strafererzieren vorstellen. Feldmebel Engelte macht es gnädig und läßt es neben der Rapelle unter den Lindenbäumen abhalten, wo Schatten

MADEIRA

KANARISCHE

16 1

SPANIEN

LISSABON

GIBRALTAR

MAROCCO

AFRIKA

nachdem ich wieder auftauchte, erst mal überlegen mußte, was fos sei. Es blieb mir weiter nichts mehr übrig, als alles gut festzu machen, das Boot vor den Treibanter zu legen und schlafen zu gehen." Trotzdem Romer jeden Augenblick das Schlimmste fürchten mußte, schlief er ein. Nach einer Stunde aber war der Schlaf be­endet. Die See hatte die Sprizwasserdecke eingeschlagen, und nun faß er in seinem Bot wie in einer Badewanne. Berzweifelt schöpfte er das Wasser mit einer Konservenbüchse von 4 Liter Inhalt aus. Fast einen ganzen Tag arbeitete er so mit Aufbietung aller Kräfte. Die Außenhaut des Bootes aber war infolge der Fahrt so ver Schlammmt, daß die Geschwindigkeit um mindestens die Hälfte herab. gesetzt war. Erst am 23. April fonnte Romer das erste warme Essen nach fiebentägiger Fahrt zu sich nehmen.

Auf den Kanarischen Inseln.

28. April endlich den Hafen Arecife auf den Kanarischen Inseln Im ständigen Kampf mit Wind und Wellen gelang es ihm, am Schlammschicht bedeckt, und noch im Hafen selbst machte sich eine Sein Boot war mit einer etwa 10 Zentimeter dicken

zu erreichen.

Das Boot wird aufgebaut.

ist. Der fade Christus redt über ihnen seine rosanen Arme. Sie müssen Kriechübungen machen, die beim Gefreiten Hoyer sehr beliebt find.

Christus litt aus freiem Willen und nach Gottes Rat­schluß. Albering, der auf dem Bauche friecht, leidet, weil eben die Welt ein Narrenhaus ist. Er fann jo komische Frazen schneiden, es beluftigt ihn, wenn es recht toll her geht. Er wird so tun, als ob er eine Klapperschlange sei, während er den Lindengang hinunterkriecht auf allen vieren, den Gewehrlauf unterm Kinn. An der Kapelle steckt er dem frisierten Christus die Zunge aus.

Doch weil er frant ist, faßt ihn heute die Berzweiflung. Der Hoyer faltet seine findlichen, weißblonden Brauen und tut feine Pflicht in Nagelschuhen, ohne jeden Gedanken an feine Braut in Wolfenbüttel . Sonst tönnte es geschehen, daß er Albering mit Bergißmeinnicht anredete. Und Dienst ist Dienst und feine Gefälligkeit.

Sonnabend, 17. November 1928

derartig starte Strömung bemerkbar, daß er ohne Hilfe der Be wohner noch im letzten Augenblid gescheitert wäre. Romer erflärte daß er nur der Elastizität und Stabilität des Gummibootes feir Leben verdante. Ein Holzboot wäre bei den gleichen Beanspruchungen zerschlagen worden. Auf diefer elftägigen Fahrt von St. Binzent nach den Kanarischen Inseln hatte Romer 580 Seemeiler zurückgelegt. Wenn sein Boot nicht verschlammt gewesen wäre hätte er diese Reise in der halben Zeit vollenden können. Romer hatte den Anfang seiner Fahrt so gelegt, daß er bei richtiger Reise geschwindigkeit die im Herbst an den Südwestküsten der Bereinigten Staaten auftretenden orfanartigen Stürme vermeiden mußte. In folge der geringen Geschwindigkeit aber, die er bisher mit seinem Boote erreicht hatte, rechnete er schon auf den Kanarischen Insefr damit, daß er den Wirbelstürmen nicht entgehen würde, und er rechnete meiter damit, daß er zur Reinigung seines Botes Kuba oder Florida anlaufen müsse. Von da aber wollte er sich dann etappen weise während der Zeit der Wirbelstürme bis nach New Yorl burchschlagen.

Den Ozean überquert!

Am 30. Juli, nachdem er eine Gesamtfahrzeit som 72 Tagen und eine Strede von 3852 Seemeilen == 7135 Rilometer zurückgelegt hatte, erreichte et St. Thomas auf der anderen Seite des Ozeans. Insgesamt hatte er nur vier mal 24 Stunden geschlafen, so daß eine reine Fahrzeit von 68 Tagen anzusehen ist. Seine Tagesleistung betrug dann 56,6 Seemeilen oder 105 Kilometer. Am 1. September erreichte er eine größte Tagesleistung von 128 Seemeilen. Dreizehn Dampfern war er auf dieser Reise begegnet, aber nur drei von ihne hat er erkennen können. Bei seiner Ankunft in St. Thomas mat er Gegenstand begeisterter Feiern der Bevölkerung. Bekanntlich jesten im September die großen Wirbelstürme ein, die gerade in diesem Jahre besonders schwer waren. Wir besitzen seit dieser Zeit von Romer, der St. Thomas wiederum zur Fahrt nach New York Derlaffen hatte, teine Nachricht mehr. Es ist möglich, daß er sich auf eine einsame Insel retten fonnte, es ist aber auch möglich, daß feine glänzende Fahrt über den Ozean durch die alles nieder werfenden Gewalten der Wirbelstürme beendet wurde. daß man mit einem einfachen Baddelboot über den Ozean fammen

Mag das Schicksal Romers nun sein wie es wolle: er hat gezeigt,

tann. Er konnte diese Leistung vollbringen, weil er auf Grund seiner nautischen und meteorologischen Kenntnisse die Reise bis in alle Einzelheiten, soweit das überhaupt möglich war, theoretisch vorbereiten fonnte, und meil er sich vorher einem geeigneten Training unterzogen hatte.

Der Lübarfer Mörder verhaftet? Als Schweizer auf einem Bauernhof bei Altono.

Der Mörder das Malers Michalzit, der bei Lübars mit durchschnittener Kehle tot aufgefunden wurde, ist gestern auf einem Bauerngut bei Altona , wo er sich als Schweizer verdingt hatte, von der Kriminalpolizei ver­haftet worden.

Wie alle anderen Behörden, so waren auch die von Hamburg und der ganzen Umgebung von der Berliner Mordkommission um Mitfahndung nach dem unbekannten Verbrecher von Lübars ersucht worden. Wie mitgeteilt, hatte der ermordete Michalzit einem Malergesellen Gustav Alexander aus Margöwen bei Königs berg alle Ausweispapiere entmendet, wanderte seitdem unter diesem Namen und trug sich in den Herbergen, in denen er übernachtete, so ein. Am 22. Oftober war er in Deutsch - Krone. Hier ging die Spur zunächst zu Ende. Die weiteren Ermittlungen ergaben, daß am 27. Oftober ein Mann mit den Papieren Alexanders in einer Herberge in Hamburg übernachtet hatte. Als man sich diesen Mann näher ansehen wollte, hatte er die Herberge bereits verlassen und war nicht mehr zu finden. In Hamburg , Altona und den übrigen Ortschaften in der Gegend setzten nun die gründlichsten Rach forschungen ein. So stieß man bei dem Bauern Oldendorff in Billstedt auf den angeblichen Kuhmelter Alexander aus Marg ömen, der in Wirklichkeit der Kuhmelter Alnis Paul Beder aus Hammerstein- Schlochau war. Dieser hatte kurz vorher an einer anderen Stelle um Arbeit vorgesprochen und mar dann bei Oldendorff auch untergekommen. Bei ihm fand man bei einer gründlichen Durchsuchung außer den Papieren Alexanders einen

"

Horch! Jemand geht an meinem Wagen vorbei. Ich höre Feldwebel Bloibooms Stimme sagen: Geh in den Stall und melde, daß der Herr Leutnant heute nicht aus­reitet; das Pferd soll sofort auf die Weide. Und dann höre! Kein Bier für heute abend holen, ich lege mich jetzt nieder. Wenn eine Meldung fommt, bin ich nicht da. Ich sei meinetwegen sag, ich sei im Zirkus."

-

Zu Befehl," antwortet die Stimme des bebrillten

Philipp. ,, Und noch was: daß sich keiner von euch beiden zum Leutnant getraut. Er ist unpäßlich. Sage es auch den Unter­offizieren,"

Ich höre und sehe das Zusammenklapppen zweier Stiefel, die sich entfernen. Also unpäßlich, denke ich. Nennt man das so? Oho, der alte Gaul hat den meisten Nugen davon, er wird das süße, grüne Gras raufen und mahlen. Er miehert den anderen Pferden, die schon bald satt sind, zu: Sieh da, Berta, sieh da!... Sieh da, Mohr, sieh da!... Schön saftig ist das Gras unter Bäumen... rupf, rupf, rupf... fieh da, wir rauschen, sieh da. rupf, rupf, rupf... sieh da, mir lauschen... Ich wir lauschen... rupf, rupf, rupf... Es ist immer genügend Futter für uns alte Pferde vorhanden, rupf... rupf.

Werde ich mich aufraffen, zum Feldwebel zu gehen? Er ist schlecht gelaunt und wird sagen: Was geht Sie das an! Ein richtiger Feldwebel würde mich sofort den Strafererzierern nachichiden. Aber er ist eben fein richtiger Feldwebel. Ich frieche aus meinem Wagenschatten und mache mich auf den Weg zur Schreibstube. Aber unterwegs fällt mir ein, daß ich wieder zur Latrine muß, und hernach bin ich zu flein mütig und lege mich wieder unter den Wagen.

Von hier aus fann ich einen anderen Wagen sehen, mitten in der Sonnenglut des Plages, er hat einen lleberbau über dem Lenkersiz. Ich ziehe das Stizzenbuch hervor und zeichne ihn. Es soll eine qualvolle Sonne auf der Zeichnung fein, und so ist der Wagen ganz weiß, und der Ueberbau des Wagens fieht aus wie ein gotisches Fenster. Da ich nicht imftande bin, einen Brief zu schreiben, will ich Lisa heute nur diese Zeichnung schiden. Sie wird denken: Sieh da, ein gotisches Fenster, er lebt bei einer alten Kirche, das ist gut; und es war ein sonniger Tag. Er zeichnet wieder, da wird ihm froh zumute sein. Nur wenn er fröhlich ist, zeichnet er.

Es gehen böse Gedanken durch meinen Kopf, und ich habe das deutliche Gefühl, daß ich ein Tier geworden bin. Aber nicht ein Tier der freien Wälder, sondern rundweg ein Haustier. Nicht ein Schwein, denn das ruht im Stroh und frißt sich rund und voll, sondern ein Pferd. Eins mit Bunden an Brust und Beinen, welches den Steinfarren ziehen muß! Aber auch das trifft meinen Zustand nicht.

Die Pferde vergessen schnell die schlimme Zeit, ihre Rüstern bemegen sich vertrauensvoll, fie miehern in ihre fleine Freiheit hinaus, doch die große Freiheit haben sie nicht gefannt.

Das gotische Fenster genügt mir nicht mehr. Ich schreibe einen Brief, der so lautet:

Liebe Lisa! Hat der Mensch jemals die Freiheit ge­tannt? War ich nicht immer und immer irgendwo polizeilich angemeldet, und lautete mein Eramen auf der Kunstschule nicht auf genügend? Berzeih diesen Brief, ich bin so frant-

Ich habe sie doch gekannt, die Freiheit, wenn ich mitten in einer Ebene lag zwischen pluftrigen Disteln und Brennessel­früchten. Da sah ich den fleinen eifrigen Wolten nach, die der Sandzug hinterließ, wenn er fortrollte in den Abend, und ein Stüd Mond plöglich da war und mich anschielte, daß ich dachte: Guten Tag, alfer Bekannter, da bist du schon! Eigentlich ist noch Lag, aber ich werde jetzt in einen Apfel­baum flettern und einige Stunden darin verweilen. Ein Apfel fällt unters Hühnervolt, fie fahren flügelschlagend aus­einander. Auch ich fann mich aus dem Baum fallen lassen, menn ich es will. Das Gras ist weich.

Fortsetzung folgt.)