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Morgenausgabe

Mr. 597

A 302

45.Jahrgang

Bochentic 85 31. marafie 3.60 E tm voraus zahlbar. Boltbezug 4.32 2. einicht Beftelgelb, Auslandsabonne ment 6- M. pro Monat

Der Borwärts" ericheint wochentag fich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abenbausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Dez Abend". Illuftrierte Beilagen Boll and Zeit" und Rinderfreund". Ferner Unterhaltung und Biffen".. Frauen ftimme". Techni!" Blid in bie Bücherwelt" und Jugend- Borwärts

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch

19. Dezember 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

2e etnipeltige Ronparethezelia 40 Bfennig. Reflame eile 3.- Reichs mart. Kleine Anzeigen' bas tettge brudte Bort 25 Pfennig( zuläffig gwel fettgebrudte sorte), jebes meitere Bort 2Bfennig. Steuengefuche das erfie Bort 15 Bfennig. jedes weitere Bort 10 Blennig. Borte über 15 Buchstaben sählen für zwei Borte. Arbeitsmart Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für bonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden Straße 3, wochentagl, von 81%, bis 17 Uhr,

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68. Lindenstraße 3 fernsprecher: Tönboft 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Bostichedlonto: Berlin 87 536. Banktonto: Banf der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenstr. 3

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Brief über ein Buch.

3u Hermann Müllers Novemberrevolution".

Von Eugen Prager ,

Soviel über meine persönlichen Verhältnisse, über Familie, Gesundheit und was dergleichen Dinge mehr find. Aber du willst noch etwas anderes von mir missen, du willft meine Meinung über das Buch von Hermann Müller über die Novemberrevolution hören, das bor furzem im Berlag des Bücherkreises" erschienen ist. Du schreibst, mein Urteil wäre für dich von besonderem Berte, meil ich als ehemaliger Unabhängiger einen anderen Blid für die Borgänge der Revolutionszeit habe, als du ihn wahr scheinlich hast, der du damals zu den Mehrheitssozialisten gehörtest. Und du verlangft Offenheit und Klarheit von mir. Da will ich dich an eines vor allem erinnern: Es war für dich und für mich die bitterste Zeit unseres Lebens, als die Einheit der deutschen Sozialdemokratie zerbrach. Als wir zur Partei tamen, hatten wir alle Brücken hinter uns ab brechen müssen. Die Bartet, das war für uns die Welt, das war unser Heim, unfere Religion. Der 3wed des Da feins schien uns erschöpft, wenn wir der Partei dienten, wenn wir ihr unsere Lage und unsere Nächte opferten, wenn wir ihretmegen auf alles verzichteten, was das Leben sonst noch wertvoll und köftlich macht. Dann aber fam doch die Spaltung, die uns vordem als undentbar und unfaßbar er­chienen war. Es tam die Trennung von Freunden und Rampfgefährten, weder von euch noch von uns gewollt en Jahre hindurch stonden wir uns feindselig und haffend

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Wir haben uns wieder gefunden und wir möchten nicht, daß noch einmal foto bitterböle Zeit wiederlehre. Denn über allen Birrungen und Spaltungen haben wir nicht ver. en geffen um mit den legten Worten in Hermann Müllers och Buch zu sprechen daß die Befreiung der Arbeitertiaffe nur durch die geeinte Arbeiterflasie zu erreichen ift". Aber gerade meil wir das wissen, weil wir das foft bare Gut der Einheit der Sozialdemokratie erhalten, weil wir die uns noch fernstehenden proletarischen Schichten für bie Ginheit der Arbeiterklasse gewinnen wollen, muß ich bei Gelegenheit dieses Buches doch einmal von dem sprechen, was uns vor zehn Jahren auseinandergeriffen hat. Der schärfte Gegenfag ergab sich mohl aus dem Unter­fchiede zwischen dem Realpolitiker" und dem Phantasten". Der eine steht mit beiden Füßen auf der Erde und pflüdi die Früchte, die ihm zunächst erreichbar sind; der andere Seegreift nach den Sternen und fällt dabei zuweilen auf die Naje. Bielleicht feib ihr mehr die Menschen der Gegenwart, und darum habt ihr zumeist die Mehrheit hinter euch, weil ihr das fofort Faßliche zeigen fönnt. Uns immer unzufrie. bene, uns Mörglet, uns Quertreiber aber hat man von je gefreuzigi und verbrannt", um zur Abwechslung mit Goethes Fauſt au reben. Und das Tragische dabei ist, daß wir uns zu auweilen nicht verstehen, fcbalb unsere Unruhe Eure Ord.

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Todesopfer der Brandkatastrophe.

Bernachlässigung der Schutzbestimmungen.- Die Opfer meist junge Mädchen.

Die Brandkatastrophe in der Schönleinstraße, von der weitere schredliche Einzelheiten bekannt werden, hat bisher 2 Todesopfer gefordert. Der Juhaber der Möbel­fabrik Paul Sawlikkh und Fräulein Elfriede rause, 16 Jahre alt, find im Krankenhaus ge­storben.

Im Urban- Krankenhaus liegen 31 Verletzte, bar. unter junge Mädchen mit lebensgefährlichen Brand. wunden.

Schönleinstraße 5.

Schönleinstraße 5. Ein Haus mit der üblichen Fassade einer Mietstaserne im Berliner Osten. Ein Torweg führt in einen engen Hof. Lints eine Mauer, rechts ein bewohntes Hinterhaus. Der Hof wird abgeschloffen von einem Fabrit gebäude, drei Stockwerke hoch, nüchtern, kahl. Hier vollzog fich das Unglüď.

Im ersten Stock die Fabrik für Radio- Artikel von Dr. Baecker u. Co. Man tapfelt Spulen mit Zelluloid, aus Belluloidabfällen werden Platten geprägt, die Prägestempel werden über Gasflammen erhißt. Es ist hochkonjunktur, Weihnachten vor der Tür. Radiobestandteile sind ein viel. perlangter Gefchentariilet, Radio ist immer noch Mode. Wer denkt baran, wie diese Bestandteile hergestellt werden! Hier Schönleinstraße 5, werden fie fabriziert. 25 Arbeiterinnen, zumeist junge Mädagen, 14, 15, 16jährige man jagt, es fet auch eine Dreizehnjährige darunter gewefen- arbeiten mit dem gefährlichen Rohstoff. Junge Mädchen find billige

Arbeitsträfte!

In zwei Stodmerten über dem Betrieb eine Tischlerei und eine Klavierwerfstätte Betriebe mit leicht brenn­barem Material. Eine einzige Treppe aus Holz. Die Fenster start unterteilt, teine großen Scheiben, die Fenstertreuze nicht aus Holz, fondern aus Eisen, im Falle der Gefahr die Flucht nach außen erschwerend. Der Betrieb hat vor turzem feinen Siz verlegt, die Polizei wollte ihn nicht in der Nähe einer Garage bulben. wegen der Feuersgefahr! Schönlein­straße 5, mitten in Wohnhäuser eingeklemmt, in Räumen, die nicht den Grundsägen für die gewerbepolizeifiche lleber: wachung der Betriebe zur Herstellung von Belluloidwaren entsprechen, wurde er geduldet. Bis das Unglück geschah. Eine jugendliche Arbeiterin wollte die Gasflamme zur Erbigung des Prägestempels mit einem Zelluloidstreifen an­zünden. Der Streifen flammte auf, erschreckt warf sie ihn fie sollen möglichst in weg, er fiel in Zelluloidabfälle Blechbehältern mit Waffer aufgefangen werden und das Unglüd war geschehen.

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sich auf Weihnachten wie Rinder freuten. Sie arbeiteten an dem Tand, der zu Weihnachten die Freude der anderen ist. Man sieht ihm nicht an, woher er tommt, ahnt nicht, welche Schicksale und welche Not mit ihm verknüpft sind, ihn herstellen, die Gefahr, der sie sich aussehen. Welches fieht nicht den grauen Arbeitstag der jungen Mädchen, die Gewiffen könnte ruhig bleiben, wenn ihm mitten in der Festesfreude die Verknüpfungen flar vor Augen liegen würden!

Sie fönnen in

Eine der beiden Arbeiterinnen, die an den schweren Brandmunden gestorben sind, ist sechzehn Jahre alt. Sechzehn Jahre! Wir denken mit Entsezen daran, daß unter den Opfern ein Mädchen von knapp vierzehn Jahren liegt. Die mohlbehüteten Töchter wohlhabender Familien wissen in diesem Alter noch nichts von Berdienenmüssen, das die Broletariermädchen in die Fabrit treibt. diesem Alter noch Kinder fein die anderen aber werden zur Arbeiterin. Aber der findliche Sinn, die Lust und die Freude des Kindesalters, die bleibt auch ihnen, die Freude auf Weihnachten , die Erwartung, die nur der Jugend eigen ist. Mädchen von 14, 15, 16 Jahren in der Fabrites find Kinder. Nun- tot, schwer verbrannt, entſtellt auf Lebenszeit Weihnachtsschiajal von Proletariertindern.

Redet nicht vom sträflichen Leichtsinn der jungen Ar­beiterin, die das Feuer verursacht haben foll! Redet vom fträflichen Leichtsinn, der halbe Kinder in gefährlichen Be­trieben beschäftigt, redet von der Gebantenlosigkeit, die den Rinderschug und den Schutz jugendlicher Arbeiterinnen nicht meiter ausdehnen will. Wieviele Betriebe mag es in Berlin noch geben, in denen halben Kindern täglich dasselbe ge­

schehen kann!

Möge dies Unglüd nicht nur an den Sinn für Gen­fationen rühren, sondern an die Gewissen. Wer mit Ent­egen und Erschütterung an die jugendlichen Opfer denkt, der möge fich prüfen, ob nicht auch eigene Gedankenlosig feit und eigene soziale Gleichgültigteit mit Schuld daran trägt, daß junge Arbeitermädchen solches Schicksal erfahren

müssen!

Kontrolliert feuergefährliche Betriebe!

In der Berliner Stadtverordnetenverfammlung bringt die fozialdemokratische Frattion folgenden Antrag ein:

fraße 36 und in der Schönleinstraße 5 haben gezeigt, in Die letzten Brandunfälle in der neuen Friedrich­welche Gefahr die in feuergefährlichen Betrieben beschäftigten Perfonen geraten, wenn nicht die feuerpolizeilichen und baupolizei­

lichen Borschriften befolgt werden. Der Oberbürgermeister als Be­

nung ftört, trobem wir doch eigentlich eines Samens, einer Alter, liegen mit schweren Brandwunden im Krantenhaus auftragter der Baupolizei wird erfucht, so bald als möglich jämf

Klaffe und eines Zieles find. Um aber auf Hermann Müller und sein Buch von der Novemberrevolution zurückzukommen. Das ist ein hand­feftes Euch von einem gefchrieben, der weiß was er mill, von einem, der leinen Weg sieht und ihn auch im Dunkeln nicht verliert. Eine Fülle von Material ist in der Schrift berarbeitet, man erfährt manche wichtige Einzelheit daraus uzum ersten Male. Das Weien des Mannes spiegelt sich in feiner Schrift. Kein himmelstürmender Eroberer, wohl aber ein zuverlässiger und treuer Verwalter und mehrer über nommenen Gutes. Er hält Distanz zu den Menschen und Lingen , und darum ist sein Urteil über sie weder von Haß noch von Liebe getrübt. Nur selten spricht er in feinem Buche von sich selbst. Ich bedaure es, daß er an einer Stelle bas private Borleben eines Bolitifers erwähnt. Aber dazu trieb ihn wohl der Bille zur Genauigkeit, der ihn an einer anderen Stelle noch zu der Erzählung veranlaßt hat, daß er furz vor Ausbruch der Revolution ohne sein fleines Ge­pad eine Reise nach Riel nicht antreten mochte. Bielleicht hätten wir anderen es ebenso gemacht; aber trok aller Liebe ur Wahrheit hätten wir wahrscheinlich solche Menschlichkeit Der Nachmelt unterschlagen.

2.03

Sie faßen an den Arbeitstischen, die aufschießende Stich flamme hat sie erfaßt, an den Armen, im Gesicht, an der Bruft. Die Aerzte waren entfeßt und erschüttert, als ihnen die jungen Menschen mit diesen schweren Berlegungen ein geliefert wurden, verbrannt, entstellt, mit Brandwunden, die nur zu viele der unglücklichen jungen Mädchen zeitlebens entſtellen werden.

Was helfen Schutzbestimmungen für so überaus ge­fährliche Betriebe, wenn fie lag gehandhabt werden, wenn solche Betriebe Arbeitskräfte beschäftigen, von denen man nicht dasselbe Verantwortungsgefühl, dieselbe Kenntnis der Gefahr verlangen fann wie von erwachsenen Arbeitern. Junge Mädchen, fast noch Kinder, faum aus der Schule entlaffen sie sind die Opfer. Not und Arbeitslosigkeit sind groß-die jungen Mädchen müssen verdienen. Die Fabri­fation von Massenartiteln braucht billige Arbeitskräfte. Einundzwanzig Arbeiterinnen liegen mit schweren Brandwunden im Krankenhaus- Kinder unter ihnen, die

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gänge Ende 1918 und Anfang 1919 nicht richtig geschildert| habe. Wenn ich als ehemaliger Unabhängiger über jene Beit zu erzählen hätte, dann würde gemiß manches anders herauskommen. Doch für uns darf es fich jetzt nicht mehr um die Formulierung irgend welcher Schuldfragen handeln, sondern nur noch um die gemeinschaftliche brüderliche Ar­belt für den Sozialismus. Ich gestehe Hermann Müller durchaus das Recht zu, die Vorgänge in der Revolutions zeit so nieberzuschreiben, wie sie ihm in der Erinnerung als wahr erfcheinen. Dabei erkenne ich ebenso gern an, daß er dabei alles vermeidet, was die verlegen fönnte, denen sich die damalige Zeit in der Erinnerung anders darstellt.

Doch warum soll es in einem Buche nicht menscheln, das den Untertitel Erinnerungen" tragi? Das heißt doch soviel, daß die Novemberrevolution" fein Geschichtswert, ondern ein Baustein für den noch kommenden Historiker fein sp. foll. Eine reine unvoreingenommene Wissenschaft gibt es ja überhaupt nicht. Sie wird immer Jubjeftin beherricht fein ebes bon der Erziehung, von der Umwelt, von der Klaffenzuge hörigkeit des Forschenden, sie wird immer objettio be einflußt werden von der Kenntnis der Quellen und ihre zu gänglichkeit. Aber je größer der Abstand wird, den wir von den Geschehnissen gewinnen, je geringer die persönlichen Berührungspunkte mit ihnen, desto eher entsteht die Mög So, da hast du meine Meinung über das Buch. Freuen ihteit einer Darstellung, die von allen Seiten als objettin mir uns, baß wir freundschaftlich über folche Dinge tact empfunden mird. prechen tönnen und nicht mehr wie vor zehn Jahren Das mußte ich hier einschalten, um nor mir felbft ben barüber ftreiten müssen. Was gibt unserer Bewegung Berfaffer nor dem Borwurf zu schüßen, als ob er die Borben fortreißenden Schmung? Daß fie eure tühi abmögende

liche Fabritbetriebe auf ihre Feuersicherheit

hin( notausgänge, Feuerleitern. Fenster usw.) kontrollieren zu laffen, um den darin beschäftigten Arbeitern den größtmöglichen Schutz zu schaffen. Wo der Schuß nicht zu beschaffen ist, find ble Betriebe zu schließen. 2uch foll Borsorge getroffen werden, daß Betriebe, die feuergefährliche ex­plofible Stoffe verarbeiten, nicht im Bereiche der Wohnungen liegen."

Wieder zwei Großfeuer.

3n Alt- Stralau und in Weißensee.

In den gestrigen Abendsfunden wurde die Feuerwehr zu zwei weiteren Großbränden gerufen. Der erste Alarm fam aus Alt- Stralau, der zweite aus Weißenfee.

In der Jufefpinnerei Alt- Stralau 54/55 war gegen % 8 Uhr aus unbekannter Ursache Feuer entstanden, das an Juteballen und ähnlichen leicht brennbaren Vorräten reiche

Besonnenheit mit unserer mehr draufgängerischen Himmel­stürmerei verbindet. Muß denn immer ein Gegensaz daraus entstehen, fann es nicht viel mehr ein 3usammenflang werden, wenn die verschiedenartigen Temperamente in einer Bewegung miteinander um Geltung ringen? In unserer Partei ist ebenso Blag für solche, die mehr wägen, wie für solche, die mehr wagen: Wenn sie einig in der Gesinnung, einig im Ziel find!

Um aber diesem Briefe ein Ende zu geben, so will ich nur noch sagen, daß ich dem Buch Hermann Müllers eine große Verbreitung wünsche. Es sollte auch denen zur bo

finnlichen Lektüre dienen, die vor zehn Jahren im anderen Lager gestanden haben. Zuleht noch einen anderen Wunsch: Dir und den Deinen frohe Weihnachten und uns allen ein befferes neues Jahr als es das alte gemesen ist.

Dein alter

E. B.