Morgenausgabe
Tr. 610
A 309
45.Jahrgang
Böchentlich 83 Bt., moretlid 3,60 ti voraus zahlbar Boltbe ug 4,32 R. einfchl. Bestellgeld, Auslandsabonnement 6,- pro Monat
Der Bormorts eridheint pochentag fich zweimal, Sonntags und Montags einmal die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend. Juustrierte Beilagen Bol und Zeit" und„ Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen". Froyen. Stimme". Technit Blid in die Bücherwelt und Jugend- Borwärts
Freitag 28. Dezember 1928
Groß- Berlin 10 Pi Auswärts 15Pf.
Die etnipattige Ronpareillezeile 40 Bfennig. Reflame eile& Reichs. wort. leine Anzeigen das tettge crudte Bort 25 Pfennig( zuläfig zwe ettgebrudte sorte), jedes meitere Bort 3 Pfennig. Stenengehuche das erite Bart 15 Bfennig, jebes weitere Bort 20 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben bien für zmei Borte. Arbeitsmartt Seile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigea annahme im Hauptgeschäft Linden Straße 3, wochentägt, von 8 bis 17 Uhr.
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts: Berlag G. m. b. H.
Bernspreder: Tonhoff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat, Berlin
Richtlinien der Wehrpolitik.
Entwurf für den Parteitag.
Die Rommiffion zur Prüfung des Behr problems, die der Barteivorstand eingelegt hat, unter breitet hiermit den Barteigenossen bas Ergebnis ibrer Arbeit. Die Rommiffion hesteht aus den Genoffen Breit scheid, Crispien, Dittmann( Borf.), sau ba Hamburg , Hölfermann Magdeburg, ünfig. Reber, Ruhnt. Künstler, Manr München, Mierendorff Darmstadt( Schriftf.), Mofes, Quard Schöpflin, Tonn Senber, Stampfer und Ströbel. Den nach ftehenden Entwurf wird der Borsigende der Kommission, der Genosse Dittmann, auf dem am 10. März 1929 in Magdeburg beginnenden Parteitage als Referent be gründen.
I.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands vermirit den Krieg als Mittel der Volifit. Sie fordet friedliche Cölung aller infer nationalen konflitte durch obligatorische Schiedsgerichte, Demofra. ffierung des Bölterbundes und feine Ausgestaltung zu cinem mirf. famen 3nftrument des Friedens.
Sie ist enffchloffen, gemäß den Beschlüffen des Brüffeler Kon grelics der Sozialistischen Arbeiter.Infernationale vom August 1928 den, ftaefften Drud, jeibji mii revolutionären Mitteln, gegen jede Regierung auszuüben, die es ablehnt, fich einem Schiedsspruch zu unferwerfen und zum Kriege fchreitet.
IL
Als Mitglied der Sozialistischen Arbeiter- Internationale fämpft die Sozialdemokratische Partei Deutschlands für vollständige Ab. rüfung durch internationale blommen
Die Wehrmacht tann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie in ihrem Denten und Fühlen mit dem Bolte verbunden ist und fich im Gegenfah zu allen militoristischen Tendenzen, die auf die Beherrichung des Staates durch das Militär hinauslaufen dienendes Glied in die demoftafifóne Republir einordnet.
als
Um die Reichsmehr in diesem Sinne umzugestalten, ftellt die Sozialdemokratijdje Partei Deutschlands insbesondere folgende Forderungen:
1. Kontrolle des Reichstages, über alle Verträge der Heeresverwaltung.
2. Keine Subvention on Brivatfirmen, die mittel. bar oder unmittelbar illegalen Rüstungen dient. 3. Verbot der Bestrafung von Veröffentlichungen über illegale Rüstungen. 14. Gejekliche Bestimmungen zur Sicherung einer unparteiischen Refrutierung.
5. Beseitigung des Bildungsprivilegs für das Offizierstorps und gefchliche Festlegung eines Mindestkontingents für den aus dem Mannschaftsstande zu entnehmenden Offizierserjat. 6. Sicherung der staatsbürgerlichen Rechte der
Soldaten.
7. Schutz der Rechte der Soldaten durch eine von ihnen gewählte Personalvertretung. 8. Demokratisierung des Disziplinarrechts und des Militärstrafrechts.
9. Republifanische Lehrkräfte und Lehrbücher
beim Unterricht.
10. Berbot der Verwendung militärischer Kräfte
Bostichedlonto: Berlin 37536. Bonflonto: Bán! der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 3
11
Das Heren- Einmaleins.
Die Versicherungsmathematif gegen die Gozialversicherung..
Du mußt peritehen! Aus Eins madi Zehn, Unb 3mei laß gehn Und Drei mach gleich, Go bift du reich. Berlier die Bier!. Bus Fünf und Sechs, So fagt ble her, Mach Sieben und Acht, So it's vollbracht:
Und Mein ist Eins, c Und Behn, ist keins.
Das ist das Heren- Einmaleins!.
In der Herenfüche des Fauft hat Goethe jene Sorte von Versicherungsmathematifern vorausgeahnt, die dereinst ihre turbulenten Szenen auf dem Gebiete der Sozialperficherung aufführen werden. Und wenn Faust auf solche nole Weisheit nur zu antmorten mußte: Mich dünft, die Alte fpricht im Fieber, so sind heute wie damals die meisten von der Erlenntnis so einfacher Wahrheit noch weit entfernt. Es ist deshalb notwendig, in diesen Hokuspokus noch gründ lich hineinzuleuchten.
Die Regierungsparteien, mit Ausnahme der Bolkspartei, hatten auf Grund der Initiative der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion einen Antrag zum Ausbau der A11 gestelltennersicherung eingebracht, der angenommen murde. Zu diesen Forderungen hat sich auf Wunsch des Reichsarbeitsministers auch das Direttorium und ber Verwaltungsrat der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte geäußert. Das Direttorium hot den geforderten Ausbau ein stimmig, der Verwaltungsrat gegen die Stimmen der beiben, AfA- Bertreter abgelehnt. Die Grundlage dieser ablehnenden Haltung bildet die fezte, versicherungstechnische
nicht eine elufeifige Berpflichtung if wie fie den Besiegten des bei Konflikten zwischen Kapital: und Arbeit, Bilanz diefe Rechenfünstler ein hienig näher an..
Die brüftung wird nur dann dem Frieden dienen, wenn fic Weltkrieges durch die Sieger auferlegt wurde. Nur zwischen gleichbered figten Kaflonen ist douernder Friede zu erreichen
Der Deutschen Republic ist die historische miffion zugefallen, Torfämpfetin der internationalen brüftung zu sein. Diese Mission fann sie nur dann erfüllen, wenn sie die ihr aufgezwungenen einfeiligen Rüftungsbeschränkungen nicht überschreitet und nicht durch Berfuche, fie zu umgehen oder zu verlegen, anderen Mächten Grund oder Borwand zur Ablehnung internationaler Abrüftungsübereintommen und zu noch flärteren Rüstungen liefert.
Eine Berpflichtung der Deutschen Republik, die ihr auferlegten Rüftungsbestimmungen ohne Rüdficht auf ihre politische und militärische Zweckmäßigkeit auszuschöpfen, erkennt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands nicht an.
III.
Der wirksamste Schutz der Deutschen Republit beruht auf einer deutschen Außenpolitit, die auf die verständigung der Bälter und die Erhaltung des Friedens gerichtet ist. Noch droht aber die Machtpolitit imperialistischer und faschistischer Staaten mit fouterrevolu. flonären Jnterventionen und neuen kriegen. Deutschland tann als Aufmarschgebiet mißbraucht und wider willen in blufige Berwid lungen hineingeriffen werden.
Solange diefe Gefahren besleyen und folange fie nicht durch fozialistische Regierungen, wenigftens in den wichtigsten Ländern zam Berschwinden gebracht werden können, ist die Deutsche Repubfit genötigt, zun: Schuhe der Selbstbestimmung ihres Boifes eine Wehrmacht aufrechtzuerhalten.
Nach dem Finanzskandal. Ein Antrag der franzöfifchen Gozialisten.
Paris , 27. Dezember.( Eigenbericht.)
Der Standal der„ Gazette bu Franc", deren Wachenschaften Laufende von tieinen Sparern zum Opfer gefallen find, hat die sozialistische Kammertration am Donnerstag zur Borlegung eines Gelegentwurfes veranlaßt, durch den die Spar, tätigteit energisch geschützt werden soll. Der Entwuri enthält außer genauen Bestimmungen über das Bantiergewerbe Borschriften über ben Börsenhandel und die Reglementierung der Aftiengesell. Ichaften, Darüber hinaus sollen die Banten verpflichtet werden, fünftig bei allen ftaatlichen Emiffionen auf ihre Provisionen Ju verzichten.
In später Abendstunde wird bekannt, daß der Direttor, der Barifer Zettung Rumeur", Anquetil, der in den Finanzskandal ber, Gazette bu Franc" verwidelt sein soll, nach einem längeren du Berhör verhaftet wurde.
Gegen Parlamentarier als Aufsichtsräte. Paris , 27. Dezember. Jin Senat wurde der Senatsbericht über die Borlage eingebracht, die den Batlamentariera die Beteifgang an Finanzgefellichaften verbieten foll. Der Berichterstatter schlag vor, dag die Zorlage nicht in das Finanzgefeh aufgenommen, sondern Gegenstand eines befonderen Geleges fein foll
IV.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekämpft die immer flärter hervortretende Absicht führender Militärs aller Länder völkerrechtliche Semmungen der Sriegführung, die in jahr taufendelanger Enfroidlung Gemeingut geworden find, gänzlich zu befeitigen und den Zukunftsfrieg tüdfichtslos über die Heeresfronten hinweg gegen die Zivilbenölferung zu fehren.!!
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands brandmarkt diese barbarische Absicht und fordert die Neufeftigung des Bölkerrechts im Sinne der Humanität. Insbesondere fordert fie Berbot des Gas frieges und der Verwendung von Batterien zur Kriegführung.
V
Die jozialistischen Forderungen fönnen nur verwirklicht werden durch die gemeinsamen und energifchen Bestrebungen der organifierten Arbeiter, durch die unablässige Aufklärung der Arbeiter über die Ursachen und Gefahren der Rüffungen, durch Erziehung und Unterricht im Geifte des Friedens, um auch die moralische Abrüffung vorzubereiten, und durch den gesteigerten politischen und wirtschaftlichen Kampf des Proletariats gegen die herrschenden Klaffen bis zur Berwirklichung des Sozialismus.
Das fozialistische Endzlet bildet eine Gesellschaft ohne Aus beutung und Unterdrüdung, allo ohue klaffen und ohne Klaffen. fämpfe, eine Gesellschaft ohue Streben nach Ausdehnung von Aus beutungsgebieten, alfo ohne Rüftungen und ohne Kriege. Der Sozialismus ist die Macht, die der Welt den dauernden Frieden bringen wird.
Kloh möchte geistesfrank sein.
Paris , 27. Dezember. Obmohl die drei Irrenärzte, die den ehemaligen Finanzminister
og breimal eingehend untersucht haben, thn für geistig gefund erflärten, muß man wahrscheinlich das Resultat einer Gegenmter fuchung abwarten, die von dem bekannten Bariter Juristen und Berteidiger Alog. Henry Torres gefordert wurde, als diefer über den Ausgang der ersten Untersuchungen benachrichtigt worden war.
Baris, 27. Dezember.( Eigenbericht.) Eine neue Illustration zu der Abrüstungspolitit der franzöfifchen Regierung bietet das in der Kammer eingebrachte Lottenprogramm, bas die Stärke der Marine für die nächsten 13 Jahre festlegen foll. Danach soll die Flotte fünftig be stehen aus: 175 000 Tonnen Großlampfschiffen( Linienfchiffe und große Kreuzer), 390 000 Tonnen leichten Kampfeinheiten, das heißt teine Streuzer unter 10 000 Tonnen, Torpedobonte, Torpedoboots zerstörer , und aus 96 000 Tannen Unterseebooten. Außerdem find 60.000 Tonnen an Flugzeugmutterſchiffen vorgesehen. Spezialfchiffe, wie Minenleger, Schulfchiffe, Kohlenidiffe uim. find nicht ein bezogen. Die Linienschiffe und großen Kreuzer werden noch 20 Jahren erjeht, Torpedoboote uf. nach 15 Jahren, literjeeboote
anach 12 Jahren.
Sehen wir uns
Das
Bei der Schaffung der Invalidenversicherung und später. der Angestelltenversicherung, die beides Rentenversicherungen. find, war es Glaubensfag, daß zur dauernden Sicherung der Leistungen die Beitragsberechnung nach dem Anwart. haftsdedungsverfahren erfolgen müsse. Vorbild war auch hier die private Versicherung. Schon damals mies hermann Moltenbuhr, der Altmeister unserer modernen Sozialpolitit, auf den grundsäglichen Fehler der mechanischen lebertragung privattavitalistischer. Bersicherungsprinzipien auf die Sozial versicherung als einer staatlichen Zwangsversicherung hin. Je mehr sich die Sozialversicherung ihrem Wesen gemäß zu einer sozialen. Funktion auch in der Defonomie entwidelte, um fo stärker traten die privatkapitalistischen Versicherungsprinzipien in den Hintergrund. Am deutlichsten tommt das bei der Rentenverficherung, also bei der Invaliden- und Angestelltenversiche rung, zum Ausdruck. Zwei Tatsachen, die man auch im Hinblick auf ihre Auswirkungen als soziale Katastrophen bezeichnen fann. warfen die versicherungstechnischen Grundlagen beider Rentenversicherungen radikal über den Haufen: der Weltkrieg und die Inflation.
Die Anmartschaftsdeckung geht von einem bestimmten Bersichertenbestand, von einer bestimmten Entisidlung im Altersaufbau dieses Bersichertenbestandes und von be itimmten versicherungstechnischen. Wahrscheinlichkeiten über Eintritt und Dauer der Rentenfälle aus. Auf Grund solcher mathematischen Wahrscheinlichkeiten merden Beiträge und Leistungen in ein gewisses Berhältnis gesezt. Im großen Durchschnitt zahlt jeder an Beiträgen ein, was er an Leistungen zurüderhält. Die Bermögensrudlage ist fo bemessen, daß auch bei einem Aussterben des Versichertenbestandes die lehten Rentenansprüche gedeckt sind.
Selbst wenn diese versicherungstechnischeit: Borousfegungen so richtig wäre mie fie folich find, stimmen fie aber selbst dann nur, wenn die gesellschaftliche Ent mid lung so verläuft, wie es der Kopf eines solchen famojen Versicherungsmathematikers zu erfassen vermag. Er leugnet Weltkrieg und Inflation, er leugnet aber auch jede soziale Höherentwicklung. Für ihn existiert nicht der innere Wert von Leistung und Gegenleistung, er rechnet nur mit feften Zahlen und tut fo, als ob sie emig das gleiche bedeuten.
Der Weltkrieg veränderte nicht nur den Versicherten bestand und feinen Altersaufbau, feine Folgen ließen auch die Leistungen gewaltig anjohwellen. Noch verheerender waren die Folgen der Inflation. Sie verschlang das Bermögen der Versicherungsträger, das doch nach Meinung der Mathe matiter die fünftigen Rentenleistungen gewährleisten sollte. Die Invalidenversicherung hatte über 2 Milliarden angesammelt, die An geftelltenversicherung über 800 Millionen Mart. Bon diesem Bermögen ist bei der Angestelltenversicherung auch durch die Aufwertung fast its gerettet worden. Dagegen waren die Anwarthaften gemachfent. Rein versicherungstechnisch gefehen also ein potommenez Bantrott. Während der Inflation ergab sich andererseits die Tatsache, daß die reinen Bersicherungsleistungen fast mertlos maren; den Renten