Beilage
Sonnabend, 5. Januar 1929
Der Abend
Spadausgabe des Vorwäre
Jugend am Gesetz
Lebensschicksale junger Rechtsbrecher.
Im Verlage von Gottfried Martin , Berlin - Jhehoe, ist soeben ein Buch des Strafanstaltsoberlehrers Frizz Kleist aus Breslau erschienen, das obengenannten Titel trägt. Es enthält Bilder und Bekenntnisse von jugendlichen Rechtsbrechern", die in ihrer erschütternden, aber doch sachlichen Art und der feinen jugendpsychologischen Auswertung auf diesem Gebiete nicht ihresgleichen haben. Friz Kleist ist uns fein Unbekannter, erst fürzlich brachte der Verlag Hensel und Co., Berlin , von ihm ein Büchlein Im Jugendgefängnis" im Auftrage der Entschiedenen Schulreformer heraus, das besonders in den pädagogischen Kreisen der Arbeiterbewegung starte Verbreitung gefunden hat und das man als fleinen, streiflichterartigen Vorläufer dieser größeren Arbeit ansprechen darf. Wenn aus jenem Büchlein die verfstehende, wegweisende Liebe des Verfassers zu uns sprach, so wird sie in diesem zur Vollendung größter Mitmenschlichkeit, die sich nicht erschöpft in tönendem Wortschwall, sondern in streng analysierender Weise darüber hinaus zu funftsfrohe Lösung zu geben vermag. Das ganze Wert ist ein mutiger Griff in die Welt der Wirklichkeit, des tatsächlichen Geschehens, mie es die Kulturperiode unserer Zeit als beschämende Kehrseite ihrer selbst, trog Revolution, Volksstaat und Reform freudigkeit, noch weiter bestehen läßt.
Und dennoch, die Veröffentlichungen von Fritz Kleist sind auch in ihrer Anflage an die Gesellschaft ein Anfang der Bädagogifierung des Strafvollzugs, sie ist eine Tat, die den gegenwärtigen, in neue Ideen hineinwachsenden Staatsbürger reif macht zur Ueber= brückung der Kluft zwischen sogenanntem Bo11bürger und dem zweiter Klasse, dem Vorbe. straften.
Möge das Büchlein zu Taufenden Berbreitung finden und fein Geist, den es atmet, nicht nur die Bolksvertreter unseres Landes beseelen, sondern tatsächliches Allgemeingut des deutschen Bolkes werden. Georg Arndt - Neukölln.
I.
Bierundzwanzigmal wurde Johann zwangsmeise in die Er ziehungsanstalt eingeliefert. Bierundzwanzigmal entlief er. Er war ein notorischer Ausreißer. Er war ein hoffnungsloser Fall.
Zum 25. Male steht Johann vor dem Tor der Erziehungsanstalt. Nicht allein. Eine feine Stahlfette ist um féin rechtes Handgelenk gelegt. Ihre Enden hält ein großer starter Mann, dem man den gewesenen Militär ansieht, in seiner linken Hand. Schrill läßt er die Pfortenglocke erschallen. Es ist Nacht. Das Pforten licht wird eingeschaltet. Neben dem Manne steht bewegungslos der junge Mensch.... Es iſt, als ob fein Leben in ihm wäre. Er steht da wie ein Baket, wie eine Sache, die transportiert wird. An nichts ist die Schwere und Dumpfheit, das heiße Aufbäumen und der entschiedene Widerspruch gegen die Anstalt und ihre Menschen äußerlich zu erkennen. Stumm und steif steht er, wie ein großes Patet, in dunkler Nacht, von einer feinen Stahlfette gehalten, vor einem grünen Tor, das ihm ein Tor der Hoffnung fein soll.
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Das Tor sieht einladend und hoffnungsvoll aus. Es hat hinter ihm keine Hoffnung. Er hofft nicht auf ein freundliches Willkommen. Er fürchtet.... Die Zeit des Leidens und der Sehnsucht aus vormaligem Aufenthalte steht groß und bitter vor ihm, mie die im Dunkel der Nacht gespenstisch wirkenden und furchterregenden, wie graue Ungeheuer drohenden Gebäude der Anstalt. Jenseits der Tore empfing er Prügel, meil er davon gelaufen war und er- entlief wieder. Und er bekam neue Prügel, Er entlief und empfing neue Prügel. Die Anstalt ist ihm ein Haus, in dem man ihn nur prügelt, an das ihn nichts mehr bindet, das er ablehnt, heiß, leidenschaftlich, unüberlegt, ablehnt mit aller Aktivität, deren er fähig ist. Was tut's, wenn man ihn erwischt, wenn man ihn zuführt", wenn man ihn züchtigt wie einen Hund. Nun erst recht bleibe ich nicht!"
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II.
Der Schlüssel freischt im Pfortenschloß. Aus dem Dunkel der Bachtstube tritt in den hellen Lampenschein ein Mann in graugrüner Uniform des Anstaltsbeamten. Die Männer wechseln wenige Worte. Sie leisten Alltagsarbeit.
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und wie
Der Nachtbeamte pact ihn am Kragen. Ein Spiel ohne Worte, Johann kennt den Weg. Er geht ihn zum 25. Male oft noch! Er weiß, wo er diese und kommende Nächte schlafen wird. ... Er fragt nichts. Er spricht nichts. Er geht in die Arrestzelle! ... Das Schloß frächzt!
Er ist allein! Das tote steife Paket mird lebendig. Es be wegt sich förperlich. Es lebt feelisch.... Aus dunklem Gewölf tritt der Mond heraus. Er zeichnet die vor dem Fenster liegenden Eisenstäbe in vielfacher Kreuzform an die fallgetünchte Wand, vor der er steht. Auf seinem Leben liegen Kreuze, schwer und lastend!... Er fällt auf die Pritsche und meint bitterlich
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Gellend fallen seine Schreie gegen die Wände. Er friert. Die dünne Woll" decke zieht er unter seinem Körper hervor. Er versucht, sich mit ihr zu bedecken. Der Geruch des Elends dringt ihm scharf in die Nase. Er sieht um sich die tausende zertretener, gequälter, belasteter, gepeinigter und sehnsüchtiger Seelen, die diesem Deckenfezzen den Elendsgeruch gaben. Mit mitleidsvollen, sehnsüchEr meint, meint, meint figen Augen starren sie auf ihn.. Grau und gräßlich war alles, und nebelschwer ahnt er die Zukunft. Warum hat er feine liebende Mutter? Warum führt nicht ein fester Baterarm sein Lebensschiff! Mutter, Bater, Mutter, warum kenne ich euch nicht? Warum beschützt ihr mich nicht vor allem, dem Gräßlichen? Ihm wird keine Antwort.
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Er hört die Uhr des Direktionsgebäudes schlagen. Geräusche, die den Anbruch des kommenden Tages anzeigen, lassen seinen Körper unter Angst schauern erschüttern. Birr tasten feine Augen die Wände ab. An der Tür ist ein Haken zum Aufhängen der Meiderstüde. An ihm bleiben sie haften. Die Augen hängen an dem Kleiderhaken, wie er fich mechanisch von seinem Lager erhebt, und seine linke Hand gleitet über seinen Hosenträger. Seine Hände wollen ihn abfnöpfen. Sie zittern in nervöser Ungeduld. Die einfache Arbeit ist ihnen ein schweres Bert. Mit
stierem Blid steht er vor dem Kleiderhaken. Er sieht sich schon hängen, alle Qual hat ein Ende. Diesen Schritt tut er allein. Man führt ihn nicht. Er ist frei!...
Ein Kinderweinen bannt ihn. Erinnerungen, eigene Kindheit läßt ab von dem Sprunge, den er tun wollte.... Er fällt auf die Pritsche zurück. Er möchte sich in ihr Holz eingraben. Der Junge ist hilfloser als der Säugling in der Biege. Mutterhände, nur Mutterhände vermöchten seine Wunden zu heilen...
...„ Hast du was bei dir?" schlägt ihm talt und laut die Stimme des Uniformierten, des Vaterseinwollenden, entgegen. Bor dieser Kälte erbebt er. Er schnellt empor. Er weiß, was nun fommt. Müde verneint er die Frage mit einer Kopfbewegung. Mit zwei großen und mächtigen Schritten steht der starke Mann vor ihm.
Seine Haltung und sein Blick sagen:„ Junge, du lügst!" Begier und Freude find in ihm, den Jungen bei einer Lüge ertappt zu haben und ihm zu beweisen, daß das bei ihm nicht gelingt, daß ,, ihm" feiner was" Dormacht". Das stärkt seine väterliche Autorität, und wenn er jemand bei einer Lüge ertappt hat, dann fann er mit gutem Recht seine väterliche 2lutorität zu Ansehen und zur Geltung bringen.
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,, Gib es nur heraus! Finde es doch!... Schuhe runter!.. Romm mit!" Friseurstube!- Kopf tahl Drillichanzug. Mensch, mach schnell! Die Konferenz wartet nicht."
III.
tritt fein Mensch, den irgendwelche Bande an Menschen fetten, vor Menschen. So steht die gezüchtigte und in Angst und Schrecken versette Bestie vor ihren Bändiger. Leise winselt Johann. Durch die Fragen des Direktors wird das leise Winseln zu wehem Heulen. Er antwortet nicht. Die Pädagogen stellen fest, daß Berstocktheit und Schuldbewußtsein an ihm deutlich zu erkennen sind. Aus Schuld fann nur Strafe erlösen!
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Für diesmal mag es noch mit 15 Hieben ausreichend sein. Jäh und heiß springt Johann das Blut in die Schläfen. Eine schwarze Röte steht vor seinen Augen. Ein heller Schrei und ein dumpfes Stöhnen entringt sich seiner Brust. Er sieht nicht, wie einer der Pädagogen" sich erhebt. Er sieht nicht, wie dieser einen langen Rohrstod vom Schrank nimmt, ihn hin und her biegt. Er fühlt nicht, daß man ihn, Johann, über einen Stuhl legt, er spürt nicht, daß die Falten seiner dünnen Drillichhose ausgezogen werden... Vor seinen Augen tanzen Funken. In seinen Ohren ist ein dumpfes Summen und Saursen. Der erste flatschende Schlag brennt ihn aus seiner Betäubung heraus. Endlos dehnt sich die Zeit von Schlag zu Schlag. In seinem Innern hämmert es wild, und großes Weh will ihm die Brust zerreißen. Früher sprang er auf, warf sich auf die Erde, wälzte sich, schlug mit den Armen um sich und stieß mit den Beinen. Aber es half ihm alles nichts. Hiebe trafen ihn, wo
sie viel heißer brannten und ihn viel stärker schändeten.
Sein Schmerz ist unbeschreiblich, Scham und Schande brennen in ihm heiß und wild. Er wirft sich aber nicht vom Stuhle. Tief beißt er seine Zähne in das harte Holz. Nur einen Gedanken hat er: Ihr gräßlichen, ihr verfluchten Menschen, schlagt mich doch tot, schlagt mich doch ganz tot!"
Aus meiter Ferne hört er 15... Weiß ist das Gesicht. Vera steint sind die Züge, als Johann das Konferenzzimmer, den Ort pädagogischer Klugheit und Weisheit verläßt, in dem Pädagogen glauben, einen werdenden Staatsbürger und fünftigen Kulturmen schen für den Staat und die Menschheit erzogen zu haben.
Entsetzlich hallt ein Schrei durch dumpfhallende Korridore: Ihr gräßlichen, ihr verfluchten Menschen, schlagt mich tot, schlagt mich
" Johann, herein!" Zaghaft klopft er an und tritt ein. So doch ganz tot."
Der Flug über das Silbermeer
Kopenhagen ! Im Hafen Kastrup schaufelt ein Flugboot am Landungssteg. Gegen den scharfen Kreuzerbug jagt der unruhige Derefund seine kurzen Wellen, läßt sie unermüdlich gegen Rumpf und Schwimmer anrennen, daß die lustigen Schaumfämme golden in der Nachmittagssonne aufleuchten.
Arbeiter füllen die letzten Benzintants, laden Sandsäcke als Ballast in die Maschine; Monteure prüfen noch einmal Motore und Leitungen. Das neue Flugzeug soll auf Geschwindigkeit und Steigvermögen erprobt werden. Endlich sind die letzten Vorbereitungen beendet, liegt das Flugboot flar zum Start. Die Piloten erhalten letzte Anweisungen. Auf den Sandsäcken im Passagierraum nehmen zwei Monteure Plaz, Führersiz und Luken werden geschlossen. Frei!" Der Bristolstarter surrt, und schon springt der erste und kurz darauf der zweite der mächtigen Motoren fnatternd an. Frei...." Die Haltekabel fallen, und unter dem Druck der Propeller gleitet das Boot in den offenen Sund hinaus. Rollt wohl eine halbe Stunde lang auf dem Wasser, gehorcht willig, spielend dem Seitenruder. Endlich ist der Startplatz erreicht! Und nun geht ein Zittern durch den Rumpf. Vollgas!... Mit 2000 Lauren stimmen die Motore ihr chernes Lied an. Gischt sprigt
Ein neuer Tauchapparat
Der Amerikaner Williamson hat einen Apparat erfunden, der die Tieffeeforschung auf die bequemste und gefahrloseste Weise ermöglicht. Eine Kabine wird an einem großen Schlauch vom Schiff aus in das Meer versenkt. Der Schlauch dient gleichzeitig der Luftzufuhr. Die Unterwasserzelle ist aus Stahlplatten hergestellt, die dem Druck des Wassers genügend Widerstand entgegensetzen. Die Belle ist so eingerichtet, daß ein längerer Aufenthalt möglich ist. 3wei Fenster gewähren Ausblid. Sobald die Kabine geeigneten Grund gefunden hat, mird sie veranfert.
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auf, immer schneller raft das Flugboot durch die bewegte See. Jeßt, im 100- Kilometer- Tempo, heben sich vordere Stufe und Seitenschwimmer vom Wasser. Weiter jagt die Maschine, jetzt jetzt hebt sie sich vom Wasser, fällt noch einmal, zweimal, mit furzem, harten Schlag auf die See zurück und ist dann frei frei. Aufwärts führt der Weg... 3200 Meter Höhe!
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Schon zeigt der Geschwindigkeitsmesser 160-170-180 Kilometer. Unten gleißt Kopenhagen in der Abendsonne. Kleiner und fleiner werden Menschen und Tiere. Wie aus der Spielzeugschachtel aufgebaut, erblickt man nur noch den Hafen, die Stadt. Winzige Fischerboote bahnen sich dort unten ihren Weg. Hier und dort zieht ein Dampfer seine Bahn. Höher und immer höher schraubt sich das Flugboot. Erst viereinhalb Minuten sind seit dem Start verflossen und schon hat die Maschine 1000 Meter erreicht. 2000 Meter zeigt der Höhenmesser! Tief unten liegen See und Festland. Weiße Wolkenfezzen verhüllen ab und zu die Aussicht. Ruhig und gleichmäßig brummen die Motore, gehorcht das Flugzeug dem Höhensteuer. Aufwärts führt der Weg... 2300 2500 Meter.
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3010
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Die Wolfen haben sich mehr und mehr unter der Maschine zusammengezogen. Nur hin und wieder noch ist ein Durchblick möglich. Mitten im grauen Wolfenmeer liegt jetzt die Maschine und steigt, steigt immer noch! 2900 3000 Urplötzlich sind die grauen Nebel verschwunden. Weiß und unendlich wogt ein Wolfenmeer unter dem grauen Flugzeug. Und im gleichen Augenblid steigt dort, weit, weit im Osten der Vollmond auf. Wirst ein violettes Licht auf diese weißen Wogen, daß sie unendlichen Schneegefilden gleichen. Höher steigt der Mond! Und da liegt mit einem Male da unten ein Märchensee aus flüssigem Silber, auf dem Mondesstrahlen einen tollen Reigen tanzen. Daß Augen und Sinne schmerzen vor folch unirdischer Schönheit, vor solch leuchtendem Zauberglanz.
Es geht nicht höher!
Die bisher so willige Maschine will sich dieser Märchenpracht nicht verschließen. Sie gehorcht erst widerwillig und dann gar nicht mehr dem Höhenruder. Wohl rasen die Motore, geben die Propeller ihr Letztes her. Es geht nicht höher!
Also den Höhenflug abbrechen. Da heißt es Abschied nehmen, Abschied von dieser. Geisterlandschaft der Mondstrahlen, von diesem Silbersee. Noch ein letzter Blick auf dieses Bild, dann geht es abwärts. Durch graue Wolkenfeßen abwärts! Bald ist die schwedische Küste, ist der Sund und Kopenhagen wieder in Sicht. Das Flugzeug gehorcht längst wieder dem kleinsten Steuerausschlag, so beruhigend, so gleichmäßig brummen die Motore. Größer und größer werden die Boote dort unten, schon sind wieder Menschen zu erkennen. Nun liegt das Boot nur noch 10, 5 Meter über dem Waffer, Vollgas... Und noch einmal stimmen die Maschinen ihr ehernes Lied an, geben ihr Aeußerstes an Kraft zum Geschwindigkeitsflug. 180$ 190 205
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200
210
Fischerboate, Dampfer, Hafenforts
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212
faum,
216 Kilometer.. tann sie das Auge bei diesem Sturmfluge wahrnehmen; Momentaufnahmen im wahrsten Sinne des Wortes! Und immer noch fteigert sich die Geschwindigkeit. 100 Rilometer hat die Meßlinic, in 23 Minuten ist sie durchflogen! Dann werden die Motoren abgedrosselt, das Tagewerk ist vollbracht. Noch ein, zwei Kurven über dem schon erleuchteten Kopenhagen , eine Runde um den Leuchtturm und schon schlägt der Rumpf in zwei, drei kurzen, harten Stößen auf die See auf. Nun schießt auch das Motorboat heran, die Besatzung wird an Bord genommen und das Flugboot an die Boje gelegt.
Und als dann noch eingehend die Resultate des Tages erörtert werden, da bleibt wie auf geheime Verabredung nur ein Punkt
unerwähnt:
„ Die Zauberlandschaft über den Wolken!"