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Ar. 33* 46. Jahrgang

Sonntag, 20. Ianuar 1929

.Mcse rrtbtofc Schlamperei auf der Post! Beinahe eine Stunde steht nion hier und wartet! Di« Beamten icheinen auch nichts anderes zu tun zu haben als zu frühstücken! Ein Skandal ist dos! Man sollte sich bei der Obcrpostdtrektion beschweren!" Wer mal in den fwuptbetriebsstauden auf ein Postamt gekommen ist, wird solche oder ähnliche Reden oft genug gehört haben. Wer ganz ehrlich ist, wind sogar zugeben, daß er selbst in ähnlicher Weise des öfteren seiner Ungeduld Lust gemacht hat. Auf der Post und beim Barbier haben die Leute prinzipiell keine Zeit. Wer hat schon einmal versucht, die Zeit abzuschätzen, wenn er ungeduldig auf etwas wartet? Man verschätzt sich da immer. sfünf Minuten kommen einem da wie die halbe Ewigkeit vor und sechs wie die ganze. Länger als zehn Minuten- Wartezeit kommt nur in ganz seltenen Fällen vor. Wenn man aber die Leute vor den Postschaltern hört, so warten sie mindestens schon eine halbe Stunde. Von Hunderten beschwert sich kaum einer, wenn er es auch dem Postbeamten angedroht hat. Da kommt jemand und will einen eingeschriebenen Eilbrief nach Neustadt in Thüringen aufgeben.Meinen Sie etwa Neustadt a. d. Orla ?* erkundigt sich der Beamte. Ja."Dann müssen Sie es gleich richtig aufschreiben: es gibt nämlich dreißig verschiedene Neustadt!" Ich schaue im Ortsverzeichnis der Telc� graphenanstalten nach. Wirklich, das ist ja schlimm, wie viele Neustadt es gibt. Mit Neustadt a. d. Wich fängt es an, an der Donau , am Main , an der Orla , an der Saale , an der Warth « liegt ein- Neustadt: fast scheint es, als ob jeder Fluß stolz darauf wäre, an seinen Ufern ein Neustadt liegen zu haben. Es gibt ein Neustadt im VogUand und eins an der Hardt. In Oderfchlesien gibt es zwei: aber es gibt sie nicht mehr. Das frühere Neustadt bei Pinne heißt nämlich jetzt Lwcmek, und das Neustadt bei Rhede nennt sich jetzt Wejherwo. Briese, die nicht den polnischen Namen trogen, kommen einfach nicht an. Sie gelangen zwar an den Tiiy tigen Ort. bekommen aber dort den Bermerk:Unbestellbar, Neu- stadt unbekannt". Auch Telegramme snü» früher zurückgesandt morden. Jetzt weiß der Beamte schon vorher Bescheid und mach: den Auflieferer auf seinen Fehler aufmerksam. Man sollte meinen, daß die berühmten Hauptstädte der Welt einmalig« Namen seien. Aber auch das ist weit gefehlt. Peters- borg gibt es«lue» im Kreise Kirchheim in Preußen, drei Peters­burg gibt es in den vereinigten Staaten, eins in Kanada und schlleßllch noch eins in der Tschechoslowakei : aber dos heißt jetzt Petrvhrnd, und dosrichtige" Petersburg ist ja das heutige Lenin- grab. Man sollte meinen, daß ein so auffälliger Ortsname wie Buenos Aires wenigstens einmalig wäre. Aber Telegramm- anstchten haben: die Hauptstadt Argentiniens , ferner der Ort Buenos Aires in Kolumbien und die gleichnamige Stadt in Nika- vogtw, außerdem noch je ein Buenos Aires in Kostoriko und in Kuba . Brasilien will nicht zurückstehen. Es besitzt einen Ort Buenos Ayrcs da Nazareth . Und da wir schon mal in der Geo- graphie sind, sehen wir uns das Post Verzeichnis auf die verfchie- denen Berlins hin an. Die deutsche Hauptstadt kennen ja die

meisten Leute: daß es aber im kreis Scgebcrg in Preußen auch einen Ort Berka gibt, ist weniger bekannt. Ein Verlin liegt in Afrika , eins im Staate Salvador in Südamerika und neun in USA . Wer also nach Berlin in den Vereinigten Staaten schreibt, muß den einzelnen Staat, den es betrifft, besonders angeben. Schwierig wird für den Postbeamten, wenn er es mit Orten zu tun kriegt, die in Duplikaten existieren und von denen der eine eine Postanftolt hat und daher im Postanstaltenverzeichms zu finden ist, während der andere keine Postanstalt Hot. So gibt es im Bezirk Leipzig ein Borna und ebenso ein Borna - Chemnitz . Ein weiteres sächftfchcs Borna liegt bei Bornitz in der Amtshaupt- Mannschaft Oschatz und Hot keine Postanstalt. Dos Borna bei Pirna hat die Postanstalt Liebstadt und gehört zur Amtshauptmaimschaft Pirna . Das Taucha bei Leipzig muß in der Telegrammadresse abgeändert werden in Taucha Bezirk Leipzig : dann kostet es nur ein Wort nach dem Telegramm adreßbuch, während für Taucha bei Leipzig drei Worte bezahlt werden müssen. Ebenso ist es mit Taucha bei Weißens eis, während Taucha Kreis Weißcnfels dasselbe ist. aber um zwei Worte billiger. Da sind wir schon bei' den Telegrammen angekommen. Auch das ist eine Geheünwissenschaft. Der Beamte muß zunächst feststellen, ob das Telegramm in offener, geheimer oder gemischter Sprache abgefaßt ist: je nachdem ist die Buchstalienzahl, die für ein Wort zulässig ist. verschieden. Auch die Wort.zufammenziehungen sind eine Art Gehcimwissenschaft. Das WortVahnexpreß" gilt in der offenen Sprache als ein Wort, in der verabredeten dagegen, weil es mehr als zehn Buchstaben hat, als zwei Worte.April- ende" ist ein Wort. TagegenAprilkupfer" zwei Worte, weil nicht handelsüblich.(?) In Leipzig , wo der Pelzwarenhandel zu- Hause ist, werden viele Telegramme nach Amerika und England aufgegeben. In deutscher Sprache ist Steinmarder ein Wort. litone marcken' dagegen sind zwei Warte, auch wenn es sich bloß um ein Tier handelt. Der Telegrommoufgeber darf schreiben und

Alle haben eine Frage.

zusammenziehen, so viel er Lust hat. Wenn es ihm Spaß macht, darf er das ganze Telegramm in einem Wort schreiben. Der Be- omte hat seinen Schlüssel und weiß genau, wie viele Worte der .Kunde bezahlen muß. Wer in einem französischen Telegramm .a-t-il" zu aril zusammenzieht, muh gleichwohl für drei Worte seinen Ovolns entrichten. Soeben wird ein Telegramm noch Valencia (Venezuela ) aufgegeben. Das ist die richtige Telegrammadresse, wie der Bc- omlc feststellt. Es gibt nämlich imßerdem nach fünf Valencia in Spanien , eins in Südafrika , eins In Australien , eins in Kanada und zwei in den Verein igien Staaten. Der.Kunde hat nun die Wahl, auf welchem Wege dos Telegramm an den Bestimmungsort befördert werden soll. In diesem Falle kann er bestimmen.via Triansradio", via Emden Madeira Valparaiso" oder über die Kabel von vier verschiedenen privaten Telegrapheiigesellschaft«i. Transrodio heißt durch Radio gefunkt, und dort kostet das Wort 4,25 M., gekabelt über Emden dagegen 9,I0 M. und über die pri- vaten Telegraphengesellschaften 4,25 M. Der Kunde war an- scheinend genau informiert und hatte»via Transradio" schon vor- geschrieben. Spätestens zehn Minuten nach der Auflieferung im Postamt befindet sich dos Telegramm auf dem Rohrpostioege schon im Telegraphenamt und wird sofort von hier nach Berlin gekabelt und von dort gefunkt, so daß es günstigstenfalls schon«ine halbe Stunde später in Venezuela sein kann. Eine besondere Geheimwisfenschaft lst der Drucksachen Paragraph, den die Postbeamten selber den Doktorparagraphe» nennen. Er hat so viele Feinheiten und Hinterhältigkeiten und Säiliche, daß man bei ihm nie auslernen kann, was Drucksachen sind:Alle aus Papier, Pergament oder festem Papier durch Buchdruck oder ein ähnliches Verfahren. Umdruck oder Belichtung hergestellte Vervielfältigungen, die als solche deutlich erkennbar und nach ihrer Form und sonstigen Bezeichnung zur Beförderung mit der Briespost geeignet sind". Dos klingt sehr einfach, ist es aber m'cht. Durchschläge mit der Schreibmaschine, auch wenn man zehn Stück aus einmal macht, sind kein« Drucksache. Schreibt man aber eine Wachsplatte und macht nur zwei Abzüge davon. so kann man diese Abzüge als Drucksache verschicken. Für Zci- tungen bestimmte Manuskripte sind keine Drucksache: bekommt man aber von der Zeitung einen Korrektnrabzug unter Beifügung des- selben Manuskriptes zurückgeschickt, so darf das gan.ze als Druck- fache versandt werden. Das sind aber nur die einfachsten Schmie- r-.gkeiten des Drucksachenparagraphen, der allein sieben Druckseiten der Postordnung mit vielen Korrekiiiren und Einfchiebungcn mn- faßt, und bei dem sich eigentlich niemand ganz auskennt. Der Beamte hat vor sich ein Markenalbum mit den verfchie- denen Briefmarken liegen, manchmal muh»och die Inoaliden- marten und Steuermarken. Er muß zu gleicher Zeit Telegramme aufliefern, Ferngespräche aumeloen, Gelder für alles kassieren, acht­geben, daß die erledigten Ferngespräche nicht über drei Minuten gedauert lyaben, da sonst nachgezahlt Wertteil muß. Er muß au, tausend Fragen oft euch aus unnütze Austunst geben und soll allezeit höslich und entgegenkommend sein. Wer einmal eine Viertelstunde hinter dem Schalter gestanden hat und wer nur ein- mal einen oberflächlichen Bück in die Wressenbücher, die Auwei- sungen und Gebührenordnungen geworfen hat, der wird in Zu- kunft kaum nach den Mut besitzen, auf den Postbeamten zu schimpfen. Was mich anlangt, so will ich es bestimmt nicht wieder tun- P- 2.

Panamerikauischer Idealismus und die Wirklichkeit der ivlec- amerikanischen Beziehungen" ist das Thema eines Vortrages von Professor Dr. Constantine E. M c C8 u i r e vom Institute o! Economics In Washington . Der auch durch seine Mitarbeit am Reparationsproblcm bekanntgewordene Griehrte spricht am Frei- tag, dem 2 5. Januar 1929, 29 Uhr in der Deutschen Hochschule für Politik, Schinkelplotz 6. Karten auf Anruf im Sc- krctariat, Zentrum 7986, 7987.

Rohislh einet Revolulion. Von Geclt&ci Hetcyna.nn Moslat Der Soldat führte ihn in das ranchdurchschwelte, halb- dunkle Wachlokal.Wir missen Sie trotzdem hierbehaln. Es ist strenger Befehl." Wagner drückte ihm ein Geldstück in die Hand.Ich werde einen Brief an den Herrn Intendanten von Kügel- gen schreiben, besorgen Sie ihn bitte!" Ich habe jetzt Wache. Aber mein Kolleje kann jo jehn." Er gab einem zweiten Soldaten die Hälfte des Trinkgeldes. das er siä) rasch neu, Wagner wechseln ließ. Der warf hastig einige Zeilen auf ein Blatt Papier und bezahlte den miß- travisch dreinblickendcn Kutscher. Dann saß er zwei Stunden lang an, Fenster der Wachstube und starrte einen Zettel an, der an der gegenüberliegenden Mauer befestigt war: Heute, den 1«. März 1848, I wird im Herzoglichen Hoftheater zu Bernburg aufgeführt werden: Der Freischütz. Eine große romantische Oper in drei Aufzügen. Die Musik ist von Monsieur Karl Maria von Weber . Dirigent ist Mr. Richard Wagner , Kapellmeister w wirkt kgl. sächsischen Diensten." Und Mr. Richard Wagner , Kapellmeister in wirklich königlich sächsischen Diensten, saß verhaftet auf der Woche. Eine Stunde vor der Aufführung, auf die nun alles ankam. Die schwarzen Buchstaben begannen zu tanzen, zu flottern vor seinen Augen, wurden rat, wurden Flammen, wurden ein Brand, der mit einem prunkvollen Gebäude «üne prunkvolle Zukunft fraß. Nun hatte«s der Musik- direkter Halomon Reiffiger in Dresden nicht mehr nötig, gegen den Emporkömmling zu intrigieren, den an Können ttederlegenen feiner freiheitlichen Gesinnung wegen ga de­

nunzieren. Nun brauchte Semper, der treue Freund Georg Semper , nicht mehr zu warten. Nun kam es auf die Gnade eines kleinen Duodezfürsten an, in dessen Wachstube er ge- fangen saß. Die Flamme verzuckte, der Zettel hing wieder da, schwarz gelottert und mahnend: in zwanzig Minuten be- gann die Aufführung. Wo blieb der Bote'? War Kügelgen erkrankt, verreist? Endlich, nach zehn Minuten, überbrachte der Soldat einen Befehl Kügelgens: der Herr Kapellmeister sei«nver- züglich frei zu lassen. Zwei Minuten nach seiner Ankunft im Theater saß Wagner am Pult und hob den Stock. Ohne Probe. Wagner liebte dies Werk. Und obgleich es gewiß nicht allzu warm war im Orchester und die Oefen des Herzog- lichen Hoftheaters zu Bcrnburg lediglich dekorative Wir- kung hatten: die Musiker fuhren sich trotzdem bereits nach der Ouvertüre mit geblümten Taschentüchern über schweiß- rote Glatzen, und eindringliche Blicke zu dem jungen Kapell- meister hinauf flehten um Nochsicht oder drohten mit Ob- struktian: je nach Temperament und Instrument. Lediglich der Harfenist schien die Situation erfaßt zu haben; wenig- stens rief er leise zum Dirigcntenpult herauf:Aber wozu denn, Herr Kapellmeister? Durchlaucht sind ja noch gar nicht da!" Wagner vermochte heute keinen Sinn für Komik auf- zubringen. Er wandte jäh, zum erstenmal, den Kopf zum Publikum um, das sich durch das Abbrechen der Musik nicht im Austausch der Stadtneuigkeiten hatte stören lassen, und sah über die wenigen Rechen hinweg zur Hofloac: wahr- hastig, die vorderen Plätze waren leer, der Herzog fehlte noch. Vielleicht kommt er überhaupt nicht," dachte Wagyer, während er wieder den Taktstock hob. Und indes der Vor- hang aufging, Ländler, Spottlied. Arie verklangen, sah er noch oft zur Hoflogo zurück, um sich erst gegen Schluß des ersten Aktes mit feinem Schicksal zufrieden zu geben und sich von der Musik seines Lehrmeisters mitreißen zu lasten. Er überstürzte die Tempi nicht, eher mar das Gcgeittctl der Fall: aber dieser kleine, krumine Mann mit dem für einen Goliath berechneten Kopf hotte eine Art. mit der Linken die Töne aus Instrumenten und Kehlen zu ziehen und mit der taktierenden Rechten, wenns chm noch nicht genug schien, geradezu zu drohen, daß ein wohltemperiertes Hof» theateceusiunble bedeutend über die sonst übliche» Wärme-

grade getrieben wurde und der rundlichen Agathe einige verfrühte Tränenrinnen in die Schminke gerieten. Als nach dem Fallen des Vorhangs der ob des Fehlens Seiner Durchlaucht etwas unsichere Beifall verplätschert mar, begann wieder der eifrige Austausch der Meinungen, und Wagner erhaschte dies und jenes aus der ersten Parkett- reihe. Die guten Bernburger hatten dieselbe Sorge wie«r. Warum kommt denn der Herzog nicht?" Er soll's wieder mit den Nerven haben." Naja, man kann sich ja denken: Staatsgeschäsie und so. Gerade jetzt. In Berlin soll's Unruhen gegeben haben." Wagner zuckte zusammen. Und in Dresden ...? Das behaglich plätschernde Publikum zwischen den engen Ufern dieses Theaterchens konnte, mußte der Hafen für ihn sein, so lange es draußen stürmte... Unsinn!" gab eine fette Stimme zurück.Soll's etwa hier auch Unruhen geben? Wer hat denn einen Grund? Sie? Ich?" Nee, nee, aber* Uebrigens weiß ich, wie Durchlaucht den Nervenschock bekam. Ich war dabei." Der Redende senkte die Stimme. Er hat den schiefen Calm gesehen." Den schiefen Calm? Na, aber warum soll er denn da Dos dritte Glockenzeichen schepperte, Wagner hob den Taktsteck, dos Weitere ging für ihn in der Musik unter, die in feiner Misere das einzige mar. woran er sich halten konnte. Da, während Agachens Arie, rauschte ein Köpfewenden. Seffelklappen, Scharren durchs Publikum alle stände u auf, und selbst Agache auf der Bühne, die gerade beimEr ist's, er ist's" angelangt war, machte einen tiefen Knicks uns winkte mit der Flagge der Liebe, als welche ein Taschentuch diente, statt zum Fenster hinaus zur Hofloge hin und er war's wirklich. Wagner, der sich wieder umwandte, sah ein paar weiße Handschuhe auf der Logenbrüstung liegen das untrügliche Zeichen, daß Alexander Carl , feines Namens der Erste, Herzog von Aichalt-Berichurg, erschienen war. Wagner empfand eine leise Angst vor diesen ge- spenstisch leuchtenden Handschuhen: erst nachher, in der Pause, wurde ihm gesagt, daß Alexander Carl , wenn ihm erwas nicht paßte, einen dieser HaMchube über das schmale Par- tett hinweg als Zeichen seines Mißfallen» ins Orchester zu werfe» pflezte, w Ganz jchlnnwen Fasten sogar alle beide, st**)