Morgenausgabe
Nr. 61
-46. Jahrgang
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Mittwoch
6. Februar 1929
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Noch fein Rücktritt Guérards.
Neue Frist bis heute 12 Uhr.
Das Hin- und Hergezerre des Zentrums und der Bolts| lungen stets den Standpunkt vertreten habe, daß er im partei um die Aktivierung der Großen Koalition und die Ver- Kabinett nicht verbleiben fönne, wenn den teilung der Ministersize im Reich und in Preußen hat auch Wünschen des Zentrums nicht stattgegeben werde. Da dieser gestern noch fein Ende gefunden. Tatbestand jetzt eingetreten sei, sehe er sich genötigt, die Zentrumsfraktion zu bitten, ihm den Austritt aus der Reichsregierung zu gestatten.
Nachdem am Vormittag der Reichskanzler nacheinander Vertreter der Deutschen Volkspartei und des Zentrums zu fich gebeten hatte, traten die Führer dieser beiden Fraktionen am Nachmittag unter seinem Borsiz zusammen, um über die Möglichkeiten einer Verständigung zu beraten. Die Bolkspartei berief sich nach wie vor auf das im November zwischen den an der Regierung beteiligten Parteien getroffene Abkommen, wonach die Große Koalition, auch wenn die Boraussetzungen zu ihrer Bildung im Reich geschaffen seien, erst in dem Augenblid perfeft werden sollte, in dem in Breußen die Regierungsumbildung vollzogen werde. Das Zentrum vertrat den Standpunkt, daß das Zurückgreifen auf diese Abmachung doch nicht mehr am Blaze sei, da das bevorstehende Zusammentreten der Reparationsfachverständigen eine Lösung der Regierungsfrage im Reich dringend mache, und außerdem die Verhandlungen in Preußen erfolgversprechend im Gange seten. Es wurde schließlich der Bolkspartei folgender Bor schlag gemacht:
nannt.
1. Die Zentrumsminister im Reich werden sofort er2. Der interfrattionelle Ausschuß wird im Reich erst in Kraft gesezt, wenn in Preußen die Große Koalition zu standegekommen ist.
3. Reichstagsfraktion und Parteileitung des Zentrums werden tun, was in ihren Kräften steht, um ihre Freunde in Preußen zu einer Beschleunigung der preußischen Berhandlungen zu veranlassen.
Die volksparteilichen Bertreter erklärten sich nicht für befugt, diesen Anregungen zuzustimmen; sie unterbreiteten sie ihrer sofort zusammenberufenen Fraktion, die ablehnend entschied.
Reichsverkehrsminister v. Guérard erschien dann am Abend, nachdem ihm der Beschluß der Deutschen Volkspartei bekanntgeworden war, beim Reichskanzler Müller, um ihm mitzuteilen, daß er während der ganzen Regierungsverhand-|
Die Not der Erwerbslosen.
Kommunistische Schamlosigkeit im Reichstag.
Der Reichstag besprach gestern die Not der Erwerbslofen. Die Verhandlung hätte ein ernster Ausdruck der Solidarität der gesamten Arbeiterschaft mit den Erwerbslosen, des festen Willens aller Arbeiterrertreter sein fönnen, den Erwerbslosen zu helfen- wenn die Kommunisten nicht die Kommunisten wären.
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Die tommunistische Reichstagsfraktion sezt ihr schamlos. demagogisches Spiel mit der Not der Erwerbslosen fort. Sie hat eine Reihe von Anträgen gestellt, die niemals durchgeführt werden können. Sie hat versucht, ihre Gewiffenlosigkeit hinter einem Trommelfeuer von Schimpfworten gegen die Sozial demokratie zu verbergen. Der tommunistische Redner forderte die Erwerbslosen auf die Lebensmittelgeschäfte zu stürmen. die Lebensmittelgeschäfte zu stürmen. Der Reichsarbeitsminister, Genoffe Bissell, fündigte fofortige weitere Ausdehnung der Krisen fürsorge an, er stellte eingreifende gefeßliche Maßnahmen in Aussicht. Die Kommunisten beschuldigten ihn deshalb des Verrats an den Erwerbslosen. Sie nannten ihn einen ,, Knecht der Bourgeoisie", den Reichstagspräsidenten Genossen Löbe einen Mörder der Erwerbslosen". Gegen den sozialdemokratischen Redner, Genossen Breŋ, schleuderten sie einen Sturm niedriger Schimpfworte.
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Die wahre Gesinnung der Kommunisten enthüllte sich in dem Zuruf des fommunistischen Abgeordneten Daußen berg: Die Unorganisierten sind zehnmal besser als die Organisierten."
So denken und handeln nicht Vertreter der Arbeiterschaft, so handeln nur Schädlinge der Arbeiterbewe gung zum Schaden der Erwerbslosen!
Reichskanzler Müller bat, wie das Nachrichtenbureau der Beitungsverleger mitteilt, den Reichsverkehrsminister, feine endgültige Entschließung vorerst noch zurückzustellen, da er noch einen legten Vermittlungsverfuch unternehmen wolle. Reichsverkehrsminister v. Guérard hat dann seiner Fraktion von dem Wunsch des Reichstanzlers Kenntnis gegeben. Diese hat beschlossen, die endgültige Entscheidung bis Mittwoch 12 Uhr mittags zu verschieben, um auf diese Weise dem Reichstanzler nicht die Möglichkeit zu nehmen, seinen legten Vermittlungsversuch durchzuführen.
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Schöpferische Sozialpolitik Grundsätzliche Bemerkungen zum Arbeitsschutzgesetz
Das Arbeitsschußgeset steht heute zur ersten Lesung auf der Tagesordnung des Reichstags.
Auch Gesezentwürfe haben ihre Schicksale. Der Reichstagsdrucksache Nr. 753 sieht man es schon an ihrem äußeren Umfange an, welche wechselvollen Kämpfe um die Ge296 Seiten führen mitten hinein in die Grundfragen moderstaltung des Arbeitsschutzgesetzes geführt wurden. Ihre ner Sozialpolitik. Von ihnen soll hier die Rede sein. Ueber Einzelheiten wird noch eingehend zu sprechen sein, wenn der foziale Ausschuß des Reichstags in die Beratungen eintritt. Zunächst: wie ist das Verhältnis von Wirts fchaft und Steuerpolitit? Die Unternehmer, ihre politische und wirtschaftliche Interessenvertretung, lieben es, die Dinge so darzustellen, als handle es sich bei der Sozial politit um eine humanitäre Angelegenheit, der man nur so weit nachgeben dürfe, als sich die daraus entspringende wirtichaftliche Belastung in erträglichen Grenzen halte. Was er träglich ist, darüber haben die gleichen Kreise wieder sehr bescheidene Borstellungen. Nach ihrer Auffassung ist schon die gegenwärtige Sozialpolitik überspannt. Man liebt es, uns Milliardenziffern über die Belastung durch den Sozialetat vorzurechnen.
Die Situation ist also die, daß sich der Reichstanzler und der preußische Ministerpräsident in gegenseitigem Einvernehmen um die Lösung bemühen, die aber bisher nicht zu finden war, weil 3entrum und Boltspartei ein ander nicht über den Weg trauen. Man tann nicht sagen, Diese in tapitalistischen Gedankengängen befangene Bedaß das Bild, das die ehemalige Arbeitsgemeinschaft der weisführung hält das tote Kapital für den Schöpfer aller Mitte" im gegenwärtigen Augenblid bietet, sehr erhebend Werte; es erscheint in der privatwirtschaftlichen Bilanz auf wirkt. Die Bolkspartei hat durch Ablehnung der Borschläge der Aktivaseite, dagegen ist alles, was mit der Arbeits des Zentrums gezeigt, wie wenig Vertrauen es in die Vertraft zusammenhängt, gehört also auf die Passivaseite. In tragstreue dieser Partei segt, und es ist verständlich, daß sich diese Rechnung paßt nur die Frage, welche Rente das tote bas Bentrum darob etwas verlegt zeigt. Auf der anderen Kapital abgeworfen hat und daraus beantwortet sich die Seite scheint das Zentrum nicht genügend bedacht zu haben, weitere Frage, wie es gearbeitet" hat. Die volkswirtschaftdaß es sich durch die Zurückziehung seines einzigen Ministers lich entscheidende Frage, ob das lebende Kapital, nämlich die aus dem Kabinett der Berantwortung für das, was Arbeitskraft, sozialbiologisch richtig eingesetzt und verwertet meiter werden soll, feineswegs entziehen kann. wird, das heißt, ob auch voltswirtschaftlich kein Raubbau mit ihr getrieben wird, diese wichtigste Frage eriftiert gar nicht für das privatwirtschaftliche Denken. Deshalb hat man auch noch gar nicht begriffen, daß umfassende Sozialpolitik gar fein humanitäres Postulat ist, sondern in Wirklichkeit einen wesentlichen Teil der Nationalökonomie bildet. Es ist fein Zufall, daß sich alle Prophezeiungen über wirtschaftliche Untragbarkeit als falsch erwiesen haben. wenn es sich um den Ausbau der Sozialpolitik handelte. Man fann geradezu nachweisen, daß der Ausbau. der Sozialpolitik. die Voraussegung für jeden wirklichen ökonomischen Fortschritt ist. Die hohen Biffer im Sozialetat find fein Beweis dafür, daß zu viel geschieht, sie zeigen vielmehr, daß wir nachträglich in unzulänglicherweise zu treiben suchen, was zum Teil durch eine vorausschauende schöpferische Sozialpolitik vermieden werden kann.
Sollte Herr v. Guérard heute wirklich zurücktreten, so müßte das Rabinett über sein weiteres Berhalten beschließen. Sein Beschluß tönnte faum anders lauten, als dahin, daß es zu nächst bleibt und sein weiteres Bleiben vom Willen des Reichstags abhängig macht. Das Volk würde in diesem Falle ficherlich für diejenigen sein, die bereit sind, fachliche Ar beit zu leisten, und es würde nicht verstehen, wenn versucht werden sollte, diese Arbeit wegen ungeftillter Portefeuilleschmerzen zu hindern.
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hier Münzenberg . Genoffe Löbe, würden Sie nicht die Liebenswürdigkeit haben und mir beistehen. Ich will morgen nach Moskau reisen und das Polnische Generalkonsulat verweigert mir den Durchreisepaß durch Polen . Früher habe ich ihn immer er halten. Würden Sie nicht die Güte haben und Ihren Einfluß aufwenden, damit ich dieses Bisum bekomme.
Löbe: Sie überschäßen meine Beziehungen zur gegenwärtigen polnischen Regierung, aber ich will den Versuch machen, ob der hiesige polnische Gesandte Ihnen das Bisum verschaffen Münzenberg : 3hdante sehr, Genoffe Löbe, darf ich in einer Stunde noch einmal anläuten?
tann.
Löbe: Ich weiß nicht, ob das so schnell geht. Ich werde Ihrer Frattion selbst Bescheid fagen."
Inzwischen traf auch eine Abordnung, bestehend aus einem fom munistischen Abgeordneten und einem Frattionssekretär ein, um Löbe die gleiche Bitte zu unterbreiten.
Nach zwei Stunden hatte der Knecht der Bourgeoisie dem Abgeordneten Münzenberg das Bisum besorgt und mit Dantesmorten wurde das fonstatiert. – 3mei Stunden später wurde Löbe in der öffentlichen Sigung wieder mit Schimpfworten überhäuft. So geht es dauernd.
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Der Oftfriede wird gesichert. Das Litwinow - Protofol wird unterzeichnet. Warschau , 5. Februar.
Der polnische Gesandte in Moskau , Pater, wurde vom stellvertretenden Volkskommissar für Aeußeres, Litwinoff, empfangen und teilte ihm die Antwort Polens und Rumäniens über den Termin der Unterzeichnung des Litwinoff- Protokolls mit. Polen und Rumänien sind mit dem von Litwinoff vorgeschlagenen Termin am 7. Februar für die Unterzeichnung einverstanden. Estland beteiligt sich.
Der Sowjetgefandte Petromsfy überreichte gestern dem Minister des Aeußeren Lattit die Einladung der Sowjetunion , am 7. Februar in Moskau das Litwinow- Protokoll zu unterzeichnen,
Vor und hinter den Kulissen. Kommunist Münzenberg und der„ Knecht der Bourgeoisie". Am Sonnabendabend hatte sich die kommunistische Reichstags fraktion in der üblichen Weise unter Schimpfworten wie aus Inechte, haustnechte der Roalition, Kettenhunde der Bourgeoisie" usw. von der sozialdemokratischen Fraktion und dem Reichstagspräsidenten Löbe verabschiedet und damit Der Dzeanflieger Freiherr v. Hünefeld ist gestern nacht um wieder einmal ihrer tiefsten Berachtung Ausdruck gegeben. Am Montagvormittag gab es dann am Telephon folgendes Zwiegespräch 23 Uhr in einem Sanatorium im Westen Berlins nach längerem Krantenlager gestorben. mit einem Mitglied der tommunistischen Fraktion:
Hünefeld gestorben.
Nur von einer solchen Grundeinstellung tommt man zur richtigen Lösung der im Arbeitsschutzgesetz gestellten Aufgaben. Es geht allgemein darum, die Arbeitsträfte Dor vorzeitiger Erschöpfung zu bewahren und damit ihre Produktivitätsgrenze zu erhöhen. Das bedeutet zweierlei: längere Berwertungsmöglichkeit der Arbeitsfraft und Entlastung der Sozialversicherung und Fürsorge. Im engsten Zusammenhang damit steht ein ausreichender Unfallschutz und nicht zuletzt eine soziale befriedigende Neuregelung des Kinderschutzes.
Aus dieser allgemeinen Aufgabe ergibt sich die Notwendigkeit, daß sich das Arbeitsschutzgesetz auf alle Arbeitnehmer erstrecken muß. Davon ist im vorliegenden Entwurf
leider keine Rede. Es fennzeichnet seine Undurchsichtigkeit
an diefer wie an vielen anderen Stellen, daß in den allgemeinen Vorschriften im ersten Abschnitt große Schichten der Arbeitnehmer ganz allgemein vom gesamten Arbeitsschutzgesetz ausgenommen sind, im dritten Abschnitt über die Arbeitszeit aber noch weitere Schichten hinzutreten, soweit es sich um den Arbeitszeitschuß handelt. Die Herausnahme der Arbeitnehmer im Bergbau wird damit begründet, daß die Arbeitszeitfrage in dem besonderen Berqarbeitsgesetz mit ge= regelt werden soll. Die Folge davon ist, daß über das Infrafttreten des Arbeitsschußgefeges bestimmt wird: Das Arbeitsschußgefeß tritt gleichzeitig mit dem Bergarbeitsgesetz an dem durch Verordnung des Reichsarbeitsministers zu bestimmenden Tage in Kraft. Die Verordnung bedarf der ZuStimmung des Reichsrats. Diese Regelung ist überhaupt teine Regelung.
Es besteht fein zwingender Grund, irgendeine Arbeitnehmerschicht auszunehmen. Soweit Sonderregelungen für einzelne Gruppen notwendig sind, kann das auch in einem allgemeinen Arbeitsschußgefeß geschehen. Der Regierungsentwurf beweist an vielen Stellen, daß dieser Weg gangbar ist. Die allgemeine Herausnahme bestimmter Arbeitnehmergruppen sekt nicht nur diefe unter ein Ausnahmerecht, sie hat zur weiteren Folge, daß durch den Ausschluß der Landund Forstwirtschaft der hier schon längst fällige Kinderschuh nicht in Angriff genommen wird.
Der Regierungsentwurf gibt vor, die Voraus se ungen für die Rafifizierung des Wa= shingtoner Uebereintommens zu schaffen. Man