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Beilage

Freitag, 8. Februar 1929

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärt

Nachtbild aus Petersburg Arabischer Bilderbogen

Der Wladimirklub befindet sich im Zentrum der Revolutions­stadt, der Stadt Lenins  , am Nachimsonprospekt, und ständig, Tag und Nacht, stehen seine gastfreundlichen Tore weit offen und seine Fenster sind voll lebenslustigen Lichterglanzes.

Nach 12 Uhr nachts, wenn die elektrischen Blumengewinde be= sonders hell und lockend erblühen, wallfahrten die Menschen zu bem erleuchteten Portal mit dem Portier aus Zarenzeiten. Uebrigens find diese hier nicht wert, Menschen genannt zu werden. Aus sämtlichen Bezirken der Stadt, aus allen Gesellschaftsschichten und Gruppen strömt das auserlesenste Gesindel zusammen, der Auswurf der Ber­gangenheit, die grauenhafte Fäulnis der Stadt. Hier kann man sowohl den bestialischen Vergewaltiger im weiten Mantel treffen mit dem fed emporgezwirbelten Schnurrbart über der syphilitischen Raubtierfraze, mit dem Blick des liftigen, hungrigen Wolfes, als dem verantwortlichen Volkswirtschaftler, dem man am Tage mit aller gehörigen Achtung in irgendeinem Trustkabinett die Hand drückt. Hier werden alle gleich.

In diesen fäulnisdurchsetzten, vollgespienen Sälen, an den Lotto-, Roulette- und Kartentischen gleichen sich alle Unterschiede der An­schauungen aus. Und hinter der blassen Haut der menschlichen Ge­stalt kommt die Bestie zum Borschein, vereinheitlicht durch das Pro­Hasard und Wettspiel.

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Betrachtet diesen Tisch, wo buntmastrig zerstreut die Erzeugnisse der staatlichen Banknotenfabrik rascheln. Betrachtet die Gefichter der Menschen, deren Hände die Karten umflammern, und die Ge­sichter derer, die, eng gedrängt, den Tisch umringen.

Sie sind blaß und leblos gleich Masken. Sinnlos und gläsern ihre Blicke. Und schaut man in die Tiefen dieser grauenhaft un­beweglichen Sehfterne, so kann man leibhaftig in der Netzhaut dieser Drei, Fünfrubelscheine, den Tischerwone spiegeln sehen.

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Bitternde Hände, auf bleichen Gesichtern aussagartig grellrote Flecke. Da sitzt ein Bürger". In grauem, gutsigendem Anzuge, schneeweißem Kragen. Gepflegte Hände, ein prächtiger assyrischer" Bart. So wird ein Bart ,, à la roter Kaufmann" genannt. Doch dieser prächtige Bart, den er mit den Lippen beißt und der im selben Tatt schwingt wie sein Gesicht, verrät das Wesen des Verschleuderers anvertrauter Staatsgelder. Es tut nichts weiter zur Sache, daß er eben von Rechtswegen ihm gehörendes Geld verspielt, fein Spezia liftengehalt nebst Gewinnanteil. Für alle, die sich hier einstellen, gibt es so wenig Heilung wie für Aussäßige, und vorerst schüchtern, allmählich fühner werden der Brieftasche dienstlich anvertraute Sum­men entströmen. Und nach Ablauf einer Woche wird eine ein­gesunkene Gestalt mit zerzaustem Bart in der Kriminaluntersuchung die Veruntreuung melden. Oder der kleine Graue dort, mit ab­stehenden Ohren eines Kobolds, der mit schweißbedeckter Hand einen Geldschein zerknittert. Wer ist er? Der Verwalter des großen Hauses einer Wohnungskreditgesellschaft, der in Erwartung eines unerhörten Wunders die von den Einwohnern beigetriebene ärmliche Mietssumme als Einsatz stellt? Oder der Kassierer irgendeines Konjumvereins, der die Tageseinnahme aufs Spiel fett?

Er ist verloren. Das verrät der wahnsinngetrübte Blick, die ganze Hoffnungslosigkeit der grauen, schlüpfrigen Gestalt.

Das vergessene Paradies im Jemen  

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,, Wenn das Paradies im Himmel ist, so schwebt es über Sanna: I den steilen Leib des Djebel Schibam zieht sich der Weg auf Bän fant es unter die Erde, so liegt es im Grunde von Sanna.". So dern der Felswand hinüber zum nächsten Grat, zur Hauptstadt fingen sie von der Hauptstadt Jemens  . Für unsere Askaris, die nach von Harraz. drei Jahren fort aus der schwülen Ebene wieder zurück in die Berg­heimat dürfen, ist sie ein irdisches Paradies. Aber kann es noch schöner sein, als hier auf halbem Wege im wilden Harraz, dem rings aus dem Hügelland ragenden Hochgebirgsgau, den Berge, nicht fie­berige Täler zusammenhalten? Die Grate find Arme des Djebel Sch bam, des gewitterandodenden Alpengipfels im Zentrum durstiger Länder, wo jeder Regen gesteigerte Fruchtbarkeit, jede zergehende Wolkenbank Hunger bedeuten kann.

Von Manachas   belebten Basaren führt uns die unvollendete strategische Straße der Türkenzeit, Vorsprünge, Bänder und Rinnen benutzend, in engem Zidzad vier Stunden die Felswand hinab, wo Burgen wie Adlerhorste fleben und mir auf geschützten Stufen in Wasserrissen sich Kaffeegärtchen verstecken. Drunten durchschlängelt der Weg ein felsiges Buschland.

Nach anderthalb Tagen in weißem, vogelbelebtem Hügelgewirr, in dem sich nur wenige Dörfchen versteden, stehen wir wieder am Fuß einer Gebirgswand, der Land­schaft Haime, dem faltigen Mantel des Hathur- e Nebi- Schuaih. Er ist der höchste Gipfel im Lande der Ararat der jemenitischen   Sintflut. Die Grabmoschee eines Propheten, des Schwiegervaters von Moses  " trägt er und setzt sich im Winter selten einmal eine Schnechaube auf.

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Dort in der Hochmulde unter den Gipfeln bewässert ein brausen­der Bach, ein Wunder im Lande Arabien  , mit Kaffeebäumen be­Bass pflanzte Terrassen und ruht ein wenig in kleineren Teichen, ehe er in tiefe Tobel hinabstürzt. Auf schmalem Sporn, hart über tiefen Gründen, steht dort die Dorfburg Atara. Vertrautes und Fremdes wächst in ihrem Schutz beieinander, Heckenrosen blühen in Hainen hoher fafteenähnlicher Wolfsmilchbäume mit wenigen Kandelaberästen. Durch Runsen und Schluchten ziehen Familien von Mantelpavianen und räubern in versteckten Gärten, wo unter Walnußbäumen und blühendem Pfirsichgebüsch Bananen reifen.

Hinter dem schweißigen Tuche dieser fluchbeladenen Tische wird das Verbrechen geboren und vertieft. Häufig locken die einladenden Lichter einen zufälligen Besucher von der Straße herbei, und dann gibt es feinen Ausweg mehr für ihn. Er wird aufgefogen von diesem Schlamm, angezogen vom Licht, wie ein Schmetterling und wieder ein Mensch, ein nüglicher Bürger weniger.

Doch das Widerlichste sind hier die Frauen. Ständig taltes Feuer in ihren Blicken, trüber Hasardrausch und Bereitschaft zu allem. Eine Frau mit blaffem, müdem, doch reinem Profil. Noch zmei drei Einsätze und sie erhebt sich langsam, überfliegt den Tisch mit leeren Blicken.

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Felswände, Terrassen und wieder Terrassen begleiten die Straße hinauf auf den Kamm, wo das Städtchen Hadjere, Turm über Turm wie eine Gralsburg auf einen Felskopf drängt. Ein Trupp in lichten Gewändern, der Amel der Stadt mit seinem Gefolge, wandert zum nächsten Dorf und gibt uns ein wenig Geleit. Um

Ständig geht es bergan in die tahle Region, an Feldern, Turm­weilern und tiefen Abgründen hin, über Sättel, Felsplatten und Grate hinauf bis in die Zugspitzhöhe. Später umschlingt die Straße vom Gipfel rings ausstrahlende Seiten­fämme. Die Felder sind taht, das Land ohne Grün, denn wir sind in der Trockenzeit.

Nur in den Wildbachtälern liea gen Dasen, von Quellen bewässert, mit Wiesen, blühenden Weizen- und Luzernenfeldern. Darüber auf Felsenspornen die Dörfchen. End­lose dichte Heuschreckenschwärme schwirren glitzernd um uns, über dürres Land, verfolgt von Raub­vögeln und Störchen. Dann führt auf schnurgeraden Strecken durch Ackerböden die Straße dem Sattel im östlichen grauen Bergland zu. Dort stehen wir lange und schauen. Tief unten vor uns in der Fläche des breiten, mit toten Feldern bedeckten Grabentals liegt unser Ziel, liegt die große Stadt, von Mauern und Türmen um­geben. Unter den Halden des felsengestuften, in ruhigen Linien aufsteigenden Djebet Nuffum lagert das Araberviertel. Aus dem Gedränge der Häuser, über den Dunst der Gassen ragen hier zahl­reich weiß leuchtende Nadeln, die schlanken Minaretts. schließt die grüne Gartenstadt an, ein Fruchthain mit weißen, ver­streuten Billen, zuvorderst auf engem Raum das weiße Viertel der Juden. Grüne Gärten und turmüberragte Einzelgehöfte ziehen im Norden weit über das Städtchen Rautha hinaus.

Davor

Wir eilen zur Tiefe. Die Nacht überfällt uns. Die maffigen Tore der Stadt find längst schon verschlossen.

Bei Tagesgrauen heraus aus dem Lager im Gipsstaub des Zimmerwinfels. Ein kleiner Storpion muß im giftigen Riech­fläschchen" sterben. Hinauf auf das Dach. Es ist eisig und klar. Noch schlafen die Farben der tiefgrünen Gärten ringsum; dort

Wie der Reich den Armen friẞt" fiert das Weiß an den blütenschweren Kronen der Pfirsich­

Berstreut, von einem einzigen Gedanken verfolgt, durchquert sie den Saal. Ihr leerer Blick trifft einen Mann, der in einer Ede seltener Zufall 99 die gewonnenen Scheine zählt. Im Nu reißt sie sich zusammen, im Nu sind die traurigen Lippen mit dem Stift auf-. gefrischt. Scheinbar zufällig ist das Kleid von der Achsel geglitten, und aus den Augen blickt Locken und Versprechen. Wer ist sie? Eine Prostituierte? Opfer gesellschaftlichen Temperaments, wie man einst zu sagen pflegte? Nichts dergleichen.

Sie hat Mann und Kinder. Ist vielleicht keine schlechte Familien­mutter in ihrer Häuslichkeit. Doch an dieser Stätte des Aussatzes ist alles vergessen. Ein paar Worte, ein Päckchen zerknitterter Scheine. ins Täschchen und sie ist bereit, mit jedem zu gehen, so widerlich und gemein er auch sei, denn sie muß spielen.

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Und dann wird sie vielleicht einen gewonnenen Hunderter heim­bringen, Geschenke für die Kinder und gleichzeitig Syphilis und eine Tragödie.

Hier gibt es eigene Berühmtheiten, die seit Jahren in den Sesseln dieser Säle sizen. Erst vor kurzem hat dieses Haus des Ausmurfs eine solche Berühmtheit verloren, die nad) Mostau übersiedelte. Diese Persönlichkeit war ein nicht unbekannter humoristischer Dichter, Mitarbeiter sämtlicher satirischer Zeitschriften, der seinen ganzen Verdienst dort abgesetzt hatte. Die übrigen sind vollzählig. Sie genießen Ehren und Achtung. Jeder Kleinlichkeit wird hier furzer Prozeß gemacht. Der geringste Versuch, eine Karte zu unterschlagen - und mit Bligesschnelle fliegt der Schuldige hinaus, um nie wieder­zukehren. Der Begriff der Spielerehre und der Disziplin ist hier eigentümlich übersteigert.

Langsam gärt die Infektion der Fäulnis und des Verbrechens, um von hier sich über die Revolutionsstadt zu verbreiten. Oft schon hat man die Schließung des Wladimirschen Klubs aufgerollt.

Doch es erweist sich, daß man es für möglich hält, die Kinder zu erziehen für das Geld, das aus den Händen von Berbrechern tommt, von Beruntreuern, Ueberfallshelden und Banditen, die in diesen gastfreundlichen Mauern hausen.

( Aus der sowjetrussischen Zeitschrift ,, Ogonet".)

Moskaus   Hofpoet

Der Hofpoet" des Kremis, Demjan Bedny  , der arme Demjan, feierte fürzlich sein zwanzigjähriges Schriftstellerjubiläum. Seine bissigen und geistreichen Satiren auf Sowjetfeinde und Miß­stände im Sowjetftaat haben ihn zu einer der populärsten Persön lichkeiten des Sowjetstaates gemacht. Er selbst pflegt sich als einen Nachkommen der Romanoms zu bezeichnen. Er beansprucht den Großfürsten Konstantin Konstantinowitsch als seinen natürlichen Bater und legt Briefe des Großfürsten an ihn als Beweis vor. Man peiß aber nicht recht, ab das Ernst oder Satire ist...

Das jechzehnte und siebzehnte Jahrhundert sind in ihren sozialen Kämpfen unserer Zeit nahe verwandt. Das erweist sich in den Druckwerken, vornehmlich in den politischen und religiösen Flug­schriften, von denen der neue Katalog des Antiquariats Martin Breslauer   in Berlin   eine reiche Auswahl bietet.

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Ein Kupferstich mit bildlicher Darstellung z. B. behandelt das Thema. Wie der Reich den Armen frißt." Gedruckt zu Augs­ burg  , Inn   Berlegung Johann Rold hers Kunsthändlers, Anno 1629 Ein Mann in vornehmer Kleidung, den seine Größe als den Stärkeren kennzeichnet, gräbt seine Zähne in den Kopf eines fleineren einfachen Mannes. Er selbst wird von einem fratzenhaften Teufel angefressen, der mit der Linken nach einer Frau greift, die vor ihrem Geldjack kniet und gerade Geld ausspeit. Darunter steht ein Gedicht von 20 Berszeilen, das mit den Worten beginnt:

Der Arm der leidt iez große Noth. Man nimpt ihm von dem Mundt das Brodt, Zur Krafft fan er nicht tommen mehr, Man gönnt Ihm weder Gab noch Ehr, Ein jeder dicht nach falschem Sinn, Das man ihn ausfaug wie ein Spinn Der Armen dürren Mucken thut, Und labet sich mit ihrem Blut, Haut, Fell, wird alles gezogen ab, Das man ihn bring an Bettelstab.

Das Blatt[ piegelt die unsozialen Zustände des ersten Jahr zehnts des Dreißigjährigen Krieges wieder, in dem der alte gefestigte Besitz zusammenbrach und Kriegsleute, Abenteurer und Spetulanten ihr Glück machten. Aber ob der Vers, nicht auch für unsere Zeit jeine Bedeutung behalten hat?

bäume, und drüben vom falfgetünchten Biegelschaud am nahen Gebetturm. Im schmalen Rundgang erscheint der Muezzim und Lobpreiſt Gott  . Getragen hallen die Strophen. Viermal wieder holen sie sich in alle pier Winde.

Wieder ist Stille. Doch bald flingt wieder verträumt der Ge­fang aller Brunnen der Gartenstadt fort und fort, der nur furz verstummt war. Denn alles Grün wird von tiefen Brunnen ge= tränkt. Auf schiefen Ebenen zieht ein Kamel das Seil hinab, das über das quietschende Rad einen überströmenden Lederschlauch aus der Tiefe zieht. Indem es zur Höhe wandert, senft und füllt fich der Schlauch. Ein Knabe füttert und führt das schreitende Tier und läßt es vielleicht aus der Höhe der Dächer mit langem Hals hinab in die Gassen starren. Manch einer singt zum Motiv seines Brunnenrades eine schichfalergebene Begleitung.

Der Himmel beginnt zu leuchten. Aus tauigen Gründen im Garten lösen sich Farben, blaue Luzernen, tiefrote Granatapfel­blüten.

Ein Festtag im Ga'el Jahaud, dem Viertel der Juden. Alles in frischen Gewändern. Die engen Gassen' wimmeln von Knaben und freundlich gesinnten Männern in schlichten fließenden Hemden, braunen Käppchen auf dem geschorenen Kopf und schwarzen Locken bis zu den Schultern. Aus allen Fensterchen schauen vergnügt die Frauen und Mädchen mit talerumsäumten Hauben in Blau und Rot, daraus ein ovales Geficht mit Mandelaugen und langen Wim­pern hervorlacht. Nur selten sieht man alte Matronen in nonnen­artigem Kleid. Die weißen Häuser sind niedrig und sauber, die Zimmer in fleinstem Format. Auch die Synagogen sind unschein­bar. Dort im gedämpften Lichte hocken weißbärtige Bäter vertieft

in die Thora  .

Mauer und Tor verschließen die Stadt der Muslim auch gegen die anderen Viertel.

Dichtes Gedränge strömt uns entgegen. Ein Teil der großen Bajare umgibt uns. Nische liegt neben Nische. In jeder preisen hodende Händler die Waren an, die dicht um sie verstaut find. Scharen von Buben wirbeln im heißen Staub, umbrängen uns schreiend, mißachten die Flüche und Drohungen unserer Soldaten. Auf Reitfamelen in wiegendem Gang zieht eine Beduinen­gesandtschaft aus der Dase Nedschran an uns vorbei. In bunten Gewändern zeigen sich junge, faulenzende Stußer und würdige Alimin stehen, in Gesprächen beisammen. Dunkle Beduinen im Lendentuch, mit verfilzten Loden, betrachten mißtrauisch die Läden; mitten hindurch traben Mulis mit schweren Lasten und Weg frei!" schreienden Reitern. Bäuerinnen in Pluderhosen tragen auf ihrem Stopfe einen Turmbau getrockneter Mistscheiben, Brennmaterial im waldlosen Land. Astaris, Juden mit vollen Säden bepackt, stapfende Lastkamele und wilde Treiber.

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Megerle Mühlfeld,