Morgenausgabe
Nr. 79
A 40
-46. Jahrgang
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Sonnabend
16. Februar 1929
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Schlichtung in der Textilindustrie. Gegen die Panitmacherei!
Die Vorschläge der Gewerkschaften als Grundlage.
Die Verhandlungen der Tegfilarbeiterorganisationen mit dem Arbeitgeberverband der deutschen Textilinduftrie, die am Freitag stattfanden, brachten eine Einigung der beiden Parteien auf der Basis des Gegenvorschlags der Tegtilgewert schaften. Die Punkte 1, 2 und 3 des Vorschlags der Gemertchaften blieben bestehen. Sie lauten:
Sämtliche zurzeit schwebende Tarifftreitigkeiten der TextilIndustrie werden im neutralen Schiedsgerichtsverfahren erledigt. Das Schiedsgericht fetzt fich aus 3 Schiedsrichtern zusammen. Den Borfhenden ernennt der Reichsarbeitsminister, die beiden Parteien je einen Belfiber. Die Verhandlungskommiffion besteht aus je 5 Bertretern. Für den einzelnen Fall ist es den Parteien überlaffen, einen dieser Bertreter auszuwechseln. Bei Punkt 4 erfolgte eine Wenderung Die bisherige Faffung lautete:
Die beiden lehten Säße des Punktes 4 fielen weg. An deren Stelle trat folgender Sah: Kommt ein Schiedsspruch nicht zu flande, oder werden die Schiedssprüche von einer oder von beiden Parteien abgelehnt, dann entscheidet der Reichsarbeitsminister in fürzester Frist endgültig."
Punkt 5 blieb bestehen. Er lautet: Bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts bzw. der zuständigen amtlichen Stelle bleibt der bisherige Zustand unverändert." Dem Textilarbeitervorschlag wurde dann noch ein 6. Punkt hinzugefügt; er lautet:„ Die Berkündigung der Schiedssprüche erfolgt gemeinsam."
Der Gegenvorschlag der Gewerkschaften hat sich also als brauch bares Verhandlung werkzeug erwiesen. Sein Kern, die Einschaltung des staatlichen Schlichtungsfattors in das Schiedsgericht, mußte auch von den Unternehmern anerkannt werden.
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Mißlingt der Verfuch des Schiedsgerichts, eine Einigung herbeizuführen, fo fällt das Schiedsgericht einen Spruch. 3st dieser Spruch einstimmig, gilt er für beide Parteien als verbindlich. Die eigentlichen Verhandlungen zur Beilegung der Konflikte in 3 der Spruch mit Mehrheit zuffandegekommen, entscheiden die Parteien innerhalb 24 Stunden über Annahme oder Ablehnung der Textilindustrie werden, wie wir erfahren, wahrscheinlich schon des Spruches. Auf Antrag der annehmenden Partei entscheidet am nächsten Dienstag beginnen. Jedenfalls ist damit zu die zuständige amtliche Stelle über die Berbindlich- rechnen, daß im Verlauf der kommenden Woche alle Streitfälle zur telt des Spruches. Der Antrag auf Verbindlichkeit muß inner- Berhandlung kommen. Die Aussichten auf eine baldige Beilegung halb 3 Tagen gestellt sein.". der Konflikte haben sich gebessert.
Legale Waffen aus früherer Zeit. Seipels Gewalttat gegen die Arbeiterpartei.
-US
platz an der Ringstraße zu versammeln und in geschlossenem 3uge an dem fozialdemokratischen Parteihaus in der Linten Wienzeile vorbei nach Meidling zu ziehen.
Löbe über den Ansch'uß.
Die bürgerliche Preffe hat am Freitag über die Hausfuchung im sozialdemokratischen Parteihaus alle möglichen Lügen und Erfindungen veröffentlicht. U. a. wurde behauptet, daß etwa 30 maschinengewehre gefunden worden feien. In Wirf ichkeit ist nur ein altes gebrauchsunfähiges Maschinengewehr gefunden worden. Von den Lösung durch wachsendes Vertrauen zwischen Deutschland übrigen Waffen sind die meisten Kleinkalibergewehre, die für den Arbeiterschützenverein legal aus Deutschland bezogen wurden und wofür die Zollbehörden die amfliche Einfuhrerlaubnis gegeben haben. Die anderen Waffen stammen aus der Zeit unmittelbar nach dem Umffurz. Damals verteilte der deutschnationale Staatsfekretär Mayer an alle Parteien Gewehre, andere wurden den Ar. beitern zur Zeit des Einfalls der ungarischen Banden in das Bur genland zur Verfügung gestellt.
B
Die Arbeiter Zeitung" schreibt, daß es sich um einen An schlag des Bundeskanzlers Seipel handle und das ge= famte politische und parlamentarische Leben durch solche Maßnahmen vergiftet werden müsse. Wie tonne man mit einer Regierung fachlich über irgendwelche Fragen verhandeln, wenn sich diese Regierung nicht scheue, eine von langer Hand vorbereitete Gewaltat auszuführen. Die Frage, mas Dr. Seipel damit bezmeden wollte, fei nebenfächlich. Wichtig sei nur, daß er die schnöde Gewaltat gegen die Sozialdemokratie verübt hat. Selbst wenn die Waffen zum Schutze des Parteihauses und der tostbaren Drudereimaschinen gedient haben sollten, wäre das nach den Erfahrungen in anderen Ländern, besonders in Deutsch land und Italien , mehr als gerechtfertigt, zumal bie Heimwehr , die aus den staatlichen Depots Geschüße gestohlen hat und fich unter Leitung von Offizieren des Bun besheeres bei Schießübungen mit Maschinengewehren öffentlich photographieren lasse.
Man bedauert fchon.
Wien , 15. Februar. In politischen Kreisen bedauert man, wie auch in der Breffe zum Ausdrud tommt, diesen Zwischenfall, da gerade in der letzten Zeit zwischen den bürgerlichen Parteien und den Sozialdemokraten, besonders im Parlament, eme versöhnliche Stimming ge herrscht hat.
Wien , 15. Februar. Bie der Abend" erfahren haben will, ist der für Sonntag, ben 24. Februar, geplante Aufmarsch der Wiener Heimwehr. fchusorganisation im Arbeiterbezirk Meitling der Polizeidirektion bereits vor einigen Tagen gemeldet worden. Die Polizei hat die Anmeldung zur Kenntnis genommen. Dem Blatt zufolge beabsichtigen die Heimwehren, sich auf dem Schiller.
Frankfurt a. d. D., 15. Februar.( Eigenbericht.)
In einer überfüllten Bersammlung in Frankfurt a. d. D. sprach Reichstagspräsident Löbe im Auftrage der Reichszentrale für Heimatdienst über die Anschlußfrage. Er leitete die Note wendigkeit des Anschlusses aus der nationalen und wirtschaftlichen Bufammengehörigkeit Deutschlands , und Desterreichs her und wandte fich mit betonter Schärfe gegen die von Bolen und Frankreich aus gesprochene Befürchtung eines Handstreiches. Er meinte, diese Völker führen ihre Befürchtung auf Ereignisse ihrer eigenen Geschichte zurück, an Gegenwart zu denken sei sinnlos und gefährlich. Der Krieg habe gezeigt, daß es Sieger nicht mehr gebe. So habe das siegreiche Frankreich mehr Tote im Kriege betrauert als ElsaßLothringen Einwohner zähle. Nicht aus Gewaltstreichen, sondern aug dem wachsenden Bertrauensverhältnis 3 wifchen Frankreich und Deutschland erwarte er die Löfung der Anschlußfrage. Sie werde erfolgen, wenn die Welt nicht mehr in Regimentern und Refruten denke. Die Rede Löbes wurde mit großem Beifall aufgenommen.
Kommt eine Lebensmittelnot?
Die lange und strenge Kälte dieses Winters, besonders der sibirische Frost und die Schneestürme der letzten Tage, bracht. Die Weltstadt Berlin hat mehrere hunderttausend haben besonders für das Volk von Berlin große Sorgen ge Arbeitslose, die heute für ihre Familien faum mehr als die Hälfte ihres früheren Einkommens haben. Dies wenige Geld hat infolge der Kältefatastrophe auch noch weniger Wert. An die Beschaffung wärmerer Kleidung ist nicht zu denken. Die Brennstoffe werden knapp und die arme Bevölkerung friert um so mehr, als sie in meist schlechten Wohnräumen vielfach auch noch schlechte Betten hat. Noch immer sind die Einfommensverhältnisse der arbeitenden Massen so ungünstig, daß nur die wenigsten sich Brennstoffe für den ganzen Winter hinlegen fönnen Man lebt von der Hand in den Mund, man muß beim Kleinhändler zentnerweise oder gar eimerweise nach Bedarf laufen, und die Händler selbst legen bei der traurigen Organisation des Berliner Kohlenhandels nicht mehr Vorräte hin, als sie in 8 oder 14 Tagen verkaufen fönnen. So muß heute in vielen Gegenden von Berlin um Brennstoffe angestanden werden und der Bedarf gerade der Aermiten wird am spätesten und am schlechtesten befriedigt. Diese Lage ist im höchsten Maße traurig. Sie erfordert feit überhaupt im Verbrauch von Brennstoffen. fandern auch die höchste Anspannung der Behörden nicht nur Sparjamorganisierte Sparsamkeit überall. Es ist selbstverständlich, feit überhaupt im Verbrauch von Brennstoffen. sondern auch daß die Gas- und elektrischen Kraftwerke, die die Haus haltungen und die Betriebe perjorgen, poll in Gang gehalten werden müssen. Aber es ist ebenso notwendig, daß wenn bei den Großverbrauchern von Brennstoffen, auch bei der Reichsbahn. heute Borräte vorhanden find, die vorübergehend für den Hausbrand freigemacht werden könnten. oder wenn die Rufuhren ausreichend groß sind, damit diefe Bestände für den Hausbrand gelockert werden können, die Behörden mit aller Kraft in diefer Richtung eingreifen.
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Die vorübergehende Schließung der Schulen ist zweifellos eine richtige Maßnahme. Mit drakonischen Mitteln müssen die Behörden auch dagegen Vorsorge treffen das Polizeipräsidium hat die Bevorzugung entsprechender Anzeigen angekündigt, daß aus der Brennstoffnot von unverantwort lichen Händlern nicht noch besondere Elendsprofite gemacht werden. Die Brennstofffäufer müssen die gestern von uns veröffentlichten Brennstoffpreise fennen. um fich neqen llebervorteilung schüßen zu können, weil sonst die Aussicht auf höhere Preise auch noch zur Hamsterung von Kohlenlagern bei den Händlern führt.
Das wirklich ernste und wirklich gefährliche an der jeßigen Situation scheint aber nicht einmal die wirklich vorhandene Not zu sein. Viel schlimmer ist, daß die natürliche bei iedem vorhandene Sorge man fann in der Tat nicht wissen, ob die Kälte und die Schneestürme nicht anhalten bzw. wiederkehren fünstlich zu einer panifartigen Beunruhigung der ganzen Bevölkerung von schreibseligen Leuten und sensationshungrigen Blättern gesteigert wird. Die Unterrichtung des Publikums über die wirkliche Lage ist eine unbedingte Notwendigkeit Unverantwortlich aber ist es, in einem Augenblick. wo von den Behörden die größte Anivannung verlangt wird. die Unruhe zur Banit au steigern. Während heute noch alle Bahnen fahren und höchstens Verinätungen eintreten, die aber die Versorgung nicht gefährden fönnen, wird behauptet, die Zufuhr von Lebensmitteln nach Berlin sei abgeschnitten. Zweifellos sind schon die Kar= toffeln fnapp. Sicher wird es sehr schwierig. vielfach unmöglich sein, die Kartoffeln von den Mieten auf dem Lande in die Stadt zu bringen. Es ist also durchaus möglich, daß eine Unterversorgung mit Kartoffeln eintritt, wenn die strenge Kälte anhält.
Aber es ist eine große Uebertreibung. aus der Kartoffelnot eine allgemeine Lebensmittelnot zu machen, denn es ist einfach nicht wahr, daß etwa Margarine, Butter, Eier und Fleisch heute schon knapp wären. Wir leben heute nicht mehr in Kriegs- und Inflationsverhältnissen, wo Getreide, Brot und Mehl. Teigwaren und Hülsenfrüchte, mit denen man immerhin die Kartoffel ersetzen fann. einfach nicht vorhanden waren. Gerade diese wichtigen Lebensmittel aber unterliegen der Verknavpung durch die Kälte nicht. Aufs gelejenes bürgerliches Spätohendblatt in risfiner Aufmachung eine Lebensmittelpanik geradezu züchtet. Dieses Blatt bringt es fertig zu schreiben, daß wir jetzt., todsicher einer Wiederholung der traurigen Kriegs- und Inflationstage entgegensehen werden", wo alle Stürme auf die Lebensmittelgeschäfte nichts halfen.
Paris , 15. Februar.( Eigenbericht.) In einem Teil der französischen Bresse finden sich am Freitag heftige Angriffe gegen die Art, in der die in englischen Häfen einreifenden Franzöſinnen, auch junge Mädchen, die in England Stu dien treiben wollen, auf ihre Gesundheit in einer Art unterschärfste zu verurteilen ist es deshalb, wenn gestern ein viel sucht werden, daß das Anstandsgefühl aufs empfindlichste verletzt werden müsse. Ein Pariser Blatt schlägt vor, da alle Proteste ohne Wirkungen geblieben seien, einfach gleiches mit gleichem zu vergelten und auch auf die nach Frankreich reifenden Engländerinnen eine solche Untersuchung anzu
wenden.
Am 13. Februar eingetroffen.
Das Berliner Organ der kommunistischen Linksopposition hat ein Telegramm aus Konftantinopel erhalten, in dem Troßfi selbst seine Ankunft mit Frau und Sohn anzeigt.
Gerade weil wir alle die ungeheure Notzeit der Kriegsund Inflationsverhältnisse noch in zu guter Erinnerung haben, gerade weil wir wissen, was wir damals jahrelang gelitten haben und wie sehr alle Käufer- und Verkäufermoral, einfach weil das Elend dazu zwang, damals zum Teufel gegangen ist, gerade deshalb ist es unverantwortlich in heutigen Verhältnissen, aus Fahrlässigkeit oder Sensationsluft auf eine Panikftimmung hinzuarbeiten. Die Brennstoffnot ist heute wirklich