Beilage
Donnerstag, 21. Februar 1929
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Am 21. Februar 1919 wurde Kurt Eisner vom Grafen Arco Valley in München ermordet. Systematisch war vorher eine Haßstimmung gegen ihn gezüchtet worden, die, genährt von der Lüge, wenige Wochen nach der bestialischen Ermordung Karl Liebtnechts und Roja Luxemburg, auch in München den Mordgedanken zur Tat reifen ließ.
Als am 7. November 1918 Sturt Eisner Arm in Arm mit dem blinden Bauern Ludwig Gandorfer den Münchener Kasernen: sturm führte, der mit dem Sturz der Monarchie endete, da fand sich auch nicht einer, der sich der Lawine des Bolfssturms enigegen zustellen wagte. Sie dachten alle nur an ihre eigene Sicherheit und oertrochen sich in ihre Mauselöcher. Kurt Eisner war stolz darauf, Daß die Umwälzung fich völlig unblutig vollzog. Und als die Gegner des neuen Berdens merften, daß die Arbeiterschaft tämpft, aber nicht mordet, daß sie die Presse- und Meinungs freiheit garantierte, da frochen sie wieder aus ihren Bersteden und erprobten, welches Maß von Lüge und Berleumdung sich die junge Republik gefallen laffe. Dieser Kampf mit der vergifteten Waffe der Lüge war gefahrlos, und man verstand sich trefflich darauf. Was galt da die Ehre eines Menschen? Kurt Eisners jüdische Abstammung wurde ihm wie ein Berbrechen vorgeworfen. Man verdächtigte die Motive feines politischen Handelns, ja, man stahl ihm sogar seinen Namen und verbreitete die Mär, er heiße gar nicht Kurt Eisner , sondern Salomon Kosmanowity. Eisner war eine viel zu vornehme Natur, als daß er sich mit diesem elenden Lügenfeldzug ernsthaft auseinandergesetzt hätte. Er ging feinen Weg, den ihm sein Gewissen vorschrieb, wie er ihn während des Krieges gegangen, durch alle Nöte hindurch im Kampf gegen die fejfellos tobende Barbarei, im Kampf gegen Kriegslüge und Zenfur. Wie er für seine Ueberzeugung im Januar 1918 ins Gefängnis ging, so erlitt er nach dem Umsturz im Kampf für das, was er als wahr und richtig erkannt, den Tod.
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Was wollte Rurt Eisner?
Kurt Eisners Politik als bayerischer Ministerpräsideni war vor allem darauf gerichtet; zu zeigen, daß das deutsche Bolt nichts zu tun habe mit den politischen Sünden und Verbrechen des uniergegangenen. Systems. Durch rücksichtsiose Aufdedung berge schichtlichen Wahrheit über den Kriegsausbruch und über die Kriegsfünden wollte er bei den Siegerstaaten Ber : trauen werben für das neue republikanische Deutschland . Das schien ihm, besonders mit Rücksicht auf die Außenpolitik und auf die bevorstehenden Friedensverhandlungen notwendig, aber mur dann möglich, wenn aus den Reichsämtern die mit der Politif des faiser. lichen Deutschlands Belasteten entfernt und durch neue Männer er: setzt würden. Deshalb sein leidenschaftlicher Kampf gegen das Aus. wärtige Amt in Berlin , deshalb die Be.räffentligung der bayerischen Gefandtfchaftsberichte, die der Fest stellung der Wahrheit über den Kriegsausbruch dienten. Innerpolitisch aber sollte dadurch das Bolt losgelöst werden von der fluchbeladenen Bergangenheit.
Die Internationale Gozialistenkonferenz in Bern .
Auf der Internationalen Sozialistenfonferenz in Bern im Februar 1919 setzte Eisner diese Politik fort. In seiner großen Rede zur Kriegsschuldfrage gelang es ihm, unmittelbar nach Kriegsende, Brüden zu schlagen, vom deutschen Proletariat zu den Sozialisten des übrigen Europa . Der unmittelbare Erfolg zeigte sich bei den Beratungen über die Frage der Kriegsgefangenen. Es war Eisner gerade durch die Feststellung der Berantwortlichkeit der österreichischdeutschen Kriegspolitik gelungen, die französischen Sozialisten zum Eintreten für die deutschen Kriegsgefangenen zu gewinnen. Er brachte auf dem Stongreß eine Entschließung ein, die fich gegen die Zwangsarbeit der Kriegsgefangenen und für ihre möglichst rasche Rückkehr in die Heimat aus: sprach. Unterzeichnet war diese Entschließung von dem deutschen Sozialisten Kurt Eisner und von dem franzöfifchen Sozialisten Pierre Renaudel. Mit glühender Leidenschaft und unter stür mischen Onationen der Delegierten des internationalen Proletariats begründete Eisner diese Resolution, wobei er forderte, daß man auf die Gefühle der Rache verzichte und die Gefangenen großmütig freigebe. Auch die. Angehörigen der Gefangenen zittern um das Los ihrer Brüder und Väter. Nichts regt sie fo auf, als die Nachrichten, daß die Gefangenen zu Zwangsarbeiten vermendet werden sollten. Das wäre nur eine schwache Bergeltung für das, was mir selbst getan haben Aber ich möchte meinen, auch Frankreich sollte einsehen: daß der Aufbau eines durch den Krieg zerstörten Gebietes nicht in Schande durch Zwangsarbeit vollzogen werden sollte". Mit einem leidenschaftlichen Appell an die Regierungen, gegen das deutsche Bolt Menschlich= feit zu üben, schloß Eisner feine Rede unter nicht endenmollendem Beifall der Bertreter aller Rationen. Die Kriegsgefangenenrefolution wurde darauf vom Kongreß angenommen.
Die tödliche Lüge.
Und jetzt geschah das Unglaubliche. Das erfolgreiche Eintreten Eisners in Bern für die Kriegsgefangenen wurde von der reaktionären deutschen Bresse um gelogen in Berrat an den Ge= fangenen. Man behauptete, Eisner habe in Bern gefordert, die deutschen Gefangenen müßten bis zur Beendigung des Wiederaufbaues Nordfrankreichs zur 3wangsarbeit in Gefangenschaft bleiben! Was half es, daß die rantfurter 3eitung" am 13. Februar 1919 schrieb:„ Wer aber in so überaus gebäffiger Weise die Arbeit Eisners in Bern entstellt, verdächtigt und herabwürdigt, wie das neuerdings geschehen ist, der hat nicht verstanden, worauf es eigentlich beim Soziafiftenfongreß anfam und wodurch das im ganzen für Deutschland wirklich nicht unbefriedigende Ergebnis der Konferenz überhaupt erst ermöglicht worden ist: Herr Eisner hat sich, alles in allem genommen, in Bern um die deutsche Sache verdient gemacht; insbesondere ist die Annahme der sehr erfreulichen Refolution über die Gefangenen auf fein Birken zurüdzuführen."
Das mar eine vereinzelte Stimme im bürgerlichen Blätterwald. Die Wahrheit wurde von der millionenfältig verbreiteten Lüge ermürgt, und diese Lige dridte dem Mörder Eisners die Waffe in Bie Hand.
Berleumdung übers Grab hinaus.
Inzwischen sind die Lügen über Eisners Auftreten in Bern zum eisernen Bestand der nationalistischen Agitation gegen die Sozialdemokratie geworden. Noch heute fehren sie in deutsch nationalen und völkischen Versammlungen wieder, und erst fürzlich wurde ein Stahlhelm- Flugblatt verbreitet, das die Berleumdungen gegen Eisner erneut bingt. In diesem Flugblatt wird auch die Frage aufgeworfen, ob die SBD. bereit je, jegt öffent lich und deutlich von Eisner abzurüden und sein Bekenntnis von Bern abzulehnen und zu wider rufen? Widerrufen müßten die Schreiber des Stah helm- Flug blattes, die heute noch die Zügen, die Eisner 1919 in den Tod hegten, verbreiten. Hier eine Probe dieser„ nationalen Lügen
tunft:
M.
„ Eisner erklärte auf der Konferenz in Bern 1919 u. a.: das gesamte deutsche Bolt ist schuld am Ausbruch des Krieges; beshalb ist das gesamte Bolt vom. Jüngling bis zum Greis ver= pflichtet, Steine zusammenzutragen für das zusammengeschoffene Gebiet; auch die Gefangenen haben fein Recht, nach Hause zu verlangen, sondern müssen, und wenn es 50 Jahre dauert, das Los der Gefangenschaft tragen, bis die zerstörten Gebiete wieder auf gebaut find, denn gerade sie haben mitgeholfen, fremdes Land zu zerstören."
Aufforderung zum Mord!
Mit dieser Lüge wurde im Februar 1919 in München die Mord atmosphäre geschaffen. Als Eisner nach der Rückkehr von Bern am 13. Februar 1919 in einer öffentlichen Versammlung in München über die Internationale Konferenz sprach, waren vorher von Studenten Handzettel verteilt worden, auf denen zu lesen war:
Kommilitonen! Alle Kommilitonen, die im Felde gestanden sind, werden hiermit aufgefordert, vollzählig in der Bersammlung von Kurt Eisner , Donnerstag, den 13. Februar, abends 6 Uhr, im Deutschen Theater zu erscheinen, um in aller Form Berwah rung einzulegen, daß der derzeitige Ministerpräsident es in Bern gewagt hat, gegen die Freigabe aller unserer friegsgefangenen Kommilitonen einzutreten. Ma dh' hurtig, anboogt, deine Uhr ist abgelaufen! Schiller, Wilhelm Tell."
Das war die Aufforderung zum Mord. Nur der Bachsamkeit einiger Anhänger Eisners war es zu danken, daß er nicht schon an diesem Abend ermordet wurde. Der Rektor der Münchener Univer fität, den Eisner auf diese Morddrohung aufmerksam machte, antwortete in einem Brief voll offenen Hohns. Die Universität verurteile eine Aufforderung zum Mord aufs schärfste, wie jede andere strafbare Handlung. Er, der Rektor tönne aber in der angeführten Stelle eine folche Aufforderung nicht erblicken, sondern nur eine Aufforderung an den Ministerpräsidenten zum baldigen freiwilligen
Rüdtritt. Und eine solche Aufforderung könne er den Studenten nicht vermehren.
Die Berleumdungen in Presse und Flugblättern löften eine Viele dieser Briefe schloffen mit der Flut von Drohbriefen aus. Drohung: Die Kugel, die dich trifft, liegt bereit!" Der Meuchelmord.
Am 20. Februar beschloß das Gesamtkabinett, daß die Regiemung am folgenden Tag dem zusammentretenden Landtag ihre Aemter zur Verfügung stelle. Als Eisner am Vormittag des 21. Februar gegen 10 Uhr vom Ministerium ins Landtagsgebäude ging, um dort den Rücktritt der Regierung zu erklären, baten ihn seine
Freunde, er möge nicht über die Straße, sondern durch den„ Bayerischen Hof" gehen, dessen rückwärtiger Ausgang gegenüber dem Landtagsgebäude liegt. Eisner weigerte sich entschieden. Minister Unterleitner und ich wiesen nochmals auf die vielen Drohbriefe hin. Vergebens. Eisner bestand darauf. den gewohnten Weg über die Straße zu gehen: Man fann einem Mordanschlag auf die Dauer nicht ausweichen, und dann, man fann mich ja mur einmal totfchießen... Die Zugangsstraßen zum Landtag waren militärisch abgesperrt. Bir gingen zu dreien. Rechts der Leiter des Bureaus des Ministerpräsidenten, in der Mitte Eisner und ich zu seiner Linfen. Wir waren eifrig im Gespräch über die weitere politische Entwicklung. Plöglich frachen hinter uns schnell nacheinander zwei Schüsse. Eisner schwankt einen Augenblick, er will etwas sprechen, aber die Zunge versagt ihm. Dann bricht er lautlos zusammen. Das alles geschah im Bruchteil einer Setunde. Im nächsten Augenblid hatte ich mich umgedreht, den Attentäter am Arm gefaßt und zu Boden geschleudert. Er blieb bewußtlos liegen. Ich ließ Eisner ins Ministerium bringen und sofort einen Arzt rufen. In der 3mischenzeit hatten herbeigeeilte Soldaten mehrere Schüsse auf den Attentäter abgegeben. Der vermeintliche Tote wurde in den Toreingang des Ministeriums gebracht. Als er sich plötzlich bewegte, wollten ihn Matrosen töten, wurden aber daran verhindert. Der Arzt stellte fest, daß die hinter dem Ohr aus allernächster Nähe in bas Gehirn eingedrungenen Kugeln den sofortigen Tod Eisners her beigeführt haben. Wie sich später ergab, hatte sich der Mörder Graf Arco Balley vor der Absperrung in einen Hauseingang versteckt und war dann, als Eisner die Straße entlangging, ihm nachgeschlichen.
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Der Mörder wurde nach seiner Wiederherstellung zum Tode verurteilt und zu lebenslänglicher Festungshaft begnadigt. Nach fünf Jahren, die ihm in jeder Hinsicht erleichtert wurden, leuchtete ihm zum zweiten Male die bayerische Gnadensonne. Er wurde völlig amnestiert, zum bayerischen Nationalhelden ernannt und ist jetzt Direttor der süddeutschen Lufthansa. Felix Fechenbach .
Welt werde froh!
Die Büchergilde Gutenberg hat zum 10. Jahrestag der Ermordung Kurt Eisners unter. dem Titel ,, Welt werde froh!" ein Eisner- Buch herausgegeben. Wir entnehmen der verdienst vollen Veröffentlichung einige Proben. Sie tennzeichnen den Menschen Eisner, fie tennzeichnen den Bealisten.
Der Schwindler.
Es war einmal ein frommer Knabe, der lernie ffeißig Bibelsprüche, und sonst nichts. Gott liebte ihn, und er bestand piele Brüfungen, wurde Professor, Geheimrat, Erzellenz. Da entdeckte man eines Tages zufällig, daß die Leuchte des Landes cin Einfalts pinsel war, gar nichts mußte und nicht fähig war, zwei Gedanken logisch zu entwickeln. Als man das sah, berief man ihn als erbliches Mitglied in die Erste Kammer, und alle Belt bewunderte ihn: Wie groß muß doch ein Mann sein, der nichts weiß und es doch so meit gebracht hat! Und es war ein anderer Knabe, ein gottloser
Bube, der immer mur hinter den Büchern saß und es deshalb nur zum Hausbiener brachte. Nicht einmal das verstand er. Er lief davon, durchwanderte die Welt, lernte viele Sprachen und mancherlei Wissenschaft. Schließlich fehrte er in die Heimat zurück, voll Tücke und Bosheit. Und er benußte eine schmache Stunde seiner Mitmenschen, nistete sich unbemerkt als Lehrer ein, gab Sprachunterricht und schrieb Bücher, die die Welt lobte. Die Schüler verehrten ihn, und eine Schülerin heiratete ihn sogar. Der Frau aber offenbarte er sich, daß er nicht das kleinste Examen bestanden babe. Die fiel erst in Ohnmacht, verweigerte dann die eheliche So erfuhr man, Pflicht und demenzierte schließlich den. Unhold. daß der treffliche Gelehrte ein ganz gemeiner Hausdiener gewesen sei und alle Belt fluchte dem Schwindler, der sich in die gebildeten Kreise eingeschlichen, und er ward ausgestoßen. Jezt ist er Kohlengräber!
Aus Briefen an eine Freundin.
Wenn man leiblich abftirbt, erwacht ganz, mit allmächtigem und ausschließendem 3wang die große Sache und heischt Hingabe bis zum legten Blutstropjen; menn man nicht einen Menschen mehr zu lieben vermag, beginnt man die Milliarden des ganzen Menschengeschlechts zur liebert, die vor uns waren, mit uns wandeln und nach uns zur Sonne schauen werden.
Jeßt, wo alles Sterbliche zwischen uns zerronnen ist, will ich zu dir reden, wie in eine weit verlorene Ferne, die ich zu mir loden mill. Ich will dich zu mir befehren, jezt, da es zu spät ist, ein rechter altmodischer Schwärmer, der die Heimat feines Gefühlslebens in einer längst verschollenen Zeit hat, während er äußerlich hart unb nüchtern und flügelnd auf dieser Erde kämpft, die das Fühlen verlernt hat. Ich baue dir meine Welt auf, dir ganz allein, wie einem einsamen verstoßenen Kinde zur Weihnacht, die ein Wunder ihm bescherte. Ich muß endlich einmal reden wie ein Mensch, der sich selbst zu bekennen magt, mit all seiner Wärme, seiner Begeisterung, feiner Empfindsamkeit und der ganzen Trauer seiner- befriedigten, friedlosen Ungeduld.
Wir genießen nicht nur den Ertrag von Jahrtausenden, wir erleben in jeder Stunde, an jedem Tage unmittelbar Jahrtausende. Das Reporterwort von der Bölferwanderung, das sich regelmäßig einstellt, wenn von der Bewegung großer Menschenmassen die Rede sein foll, ist ein ganz fünumerlicher Vergleich. Er soll eine gigantische llebertreibung sein und ist nur eine armselige BerEleinerung. Bos ist denn jene alte Bölferwandering, wenn mir thre ganze Bewegungsleistung fummieren, verglichen mit jener Wanderung, die vor der großen Festen innerhalb eines einzigen Sondes nollbracht wird: Ein fleinstädtischer Sonntagsspaziergang gegen die Bewegung einer Millionenstadt. Die dicen Geschichtsmerte über die Bölferwanderung würden, wenn sie mit dem Schrittmesser nachrechnen würden, nicht entfernt, die Wanderleistung eines einzigen Wochentages vor einem Fest ermitteln: Millionen Briefe und Batete, Frachten und Menschen, alles auf einmal durcheinander gewirrt, in den reißenden Strudel gemorsen, hinaus: geschleudert und umhergeheizt, sich freuzend und überſtürzend und doch ohne Berwedyflung und ohne Umweg ihr vorgesetztes Zic erreichend