Morgenausgabe
Nr. 89
A 45
be lodosiu
-46. Jahrgang
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Freitag
22. Februar 1929
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Die Volkspartei will sparen.
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Hilfe für die Bauern.
Die Massenbelastung fann es nicht schaffen. Ein unmöglicher Antrag.- Schlechtes Zeichen für die Finanzreform. Der ehemalige Reichsernährungsminister Schiele führt feit Tagen die Reichslandbundmannen zum neuen Sturm Die Reichstagsfraktion der Deutschen Bolts vorzulegen, dessen Kosten auf hunderte von Millionen Mark der katholischen Bauernvereine. Schieles Weisheit gipfelt in gegen die Reichsregierung. Er findet dabei die Unterstützung partei hat am Donnerstag zur Frage der Gestaltung des jährlich geschäßt werden. Außerdem trat sie noch in den letzten der unerhörten Behauptung, die gegenwärtige ReichsregieReichshaushalts folgenden Beschluß gefaßt: Tagen dafür ein, daß Subventionen an Industrierung habe für die Landwirtschaft nichts getan und habe für unternehmungen in Höhe von etlichen 20 Millionen die Landwirtschaft nichts übrig; insbesondere wird der bewilligt werden. rich hart angegriffen. jezige Reichsernährungsminister Dr. Diet
1. Der Haushalt muß ohne neue Steuern ausgeglichen
werden.
2. Um dies zu erreichen, ist der Haushalt um rund 380 Mil lionen zu entlasten.
a) Bon dieser Gesamtsumme find rund 200 Millionen durch Ab
striche im ordentlichen Haushalt 1929 zu ersparen.
b) Angesichts der Finanznot des Reiches und der Ueberlastung der Wirtschaft ist auch in Ländern und Gemeinden größte Sparsamteit unabweisbar. Wir halten es für unbedingt erforderlich, daß die den Ländern auf Grund bestehender Borschriften zustehenden Beträge aus den Ueberweisungssteuern nicht nur um die von der Regierung vorgeschlagenen 120 Millionen, sondern um 300 millionen gekürzt werden, zumal die Länder troß dieser Kürzung noch immer erheblich mehr erhalten, als die ihnen gewährleistete Mindestsumme von 2600 Millionen. Do eine Erhöhung der Realsteuern dem 3mede der Ersparnismaßnahme widersprechen würde, so find geeignete Borkehrungen gegen folche Erhöhungen zu treffen.
3. Nicht nur aus steuerlichen, sondern vor allem aus wirtschafts politischen Erwägungen heraus fordern wir die steuerliche Gleich ftellung der Betriebe der öffentlichen Hand mit denen der Privat wirtschaft."
Es ist eine starte Zumutung der Deutschen Boltspartei an die Deffentlichkeit, an den Ernst ihres Beschlusses zu glauben. Denn noch in diesen Tagen hat sie die Reichsregierung aufgefordert, ein Kleinrentnerversorgungsgefez
So sieht die Einleitung einer großen Sparattion aus! Man fann infolgedessen wohl ohne partei nach Abstrichen in Höhe von 200 Millionen nichts weiteres annehmen, daß die Forderung der Deutschen Volksanderes bedeutet, als eine Verfürzung der für soziale 3wede im Etat vorgesehenen Mittel. Dieselbe Wirkung aber würde die Durchführung der volksparteilichen Forderung haben, das Reichsdefizit durch eine wesentliche Kürzung der Ländern und Gemeinden zustehenden Beträge zu decken. Auch die Einführung der Steuerpflicht für öffentliche Unternehmungen geht auf Kosten der Länder und Gemeinden und der Masse der Bevölkerung. Wenn die Deutsche Boltspartei fordert, daß der Haushalt ohne Steuern ausgeglichen werden muß, fo wollen wir ihr durchaus nicht im Bege stehen, sobald sie zeigt, wie das gemacht werden kann. Auf den Wegen, die in ihrem Beschluß angedeutet werden, geht das nicht, und wir fönnen uns nicht vorstellen, daß eine Einigung über den Etat möglich ist, wenn die Deutsche Volkspartei auf diesen Forderungen besteht.
Auch die Sozialdemokratie wünscht, daß im Reichshaus halt Ersparnisse gemacht werden, aber nicht auf Roften der Fürsorge für diejenigen Volksschichten, deren Arbeitsfähigkeit und Eristenz nur durch die Unterstüßung der Allgemeinheit zu erreichen ist. Jede antisoziale Sparsamkeitspolitik wird bei der Sozialdemokratie auf Widerstand stoßen.
Dr. Dietrich wird das nicht allzu tragisch nehmen. Er Ihm wird auch jeder Unparteiische bescheinigen, daß während ist in der glücklichen Lage, auf Erfolge verweifen zu fönnen. feiner Amtstätigkeit pofitiver gearbeitet worden ist als zur Beit seines Vorgängers Schiele. So hat Dr. Dietrich bas von seinem Vorgänger Schiele übernommene landwirtschaftliche Notprogramm auf wesentliche, baldigen Erfolg verfprechende Gebiete erweitert. Es scheint uns aber, als ob der gegenwärtige Ernährungsminister dabei set, allzusehr en führer entgegenzukommen. Ist es zum Beispiel Forderungen der Reichslandbundwahr, daß sich der gegenwärtige Reichsernährungsminister mit dem Gedanken trägt, die Biehzölle den Fleisch 8öllen anzupassen? Hat man im Reichsernährungsminifterium in legter Zeit nicht auch wieder den Plan erörtert, die veterinärpolizeilichen Bestimmun= gen für die Einfuhr von Innereien bedeu fend zu perfchärfen? Man will wissen, daß sich der Reichsernährungsminister Plänen zugänglich zeigt, die auf eine direkte oder eine vertappte Zollerhöhung hinauslaufen. 3war lehnt der Minister eine Aufhebung der zollfreien Gefrierfleischfontingente ab; andererseits foll er aber entschlossen sein, die Erhöhung der Sped und Schmalzzölle beim Reichsfabinett zu befürworten. Sie sollen auf den Stand der Schmedenzölle gebracht werden, was eine 3rlfteigerung um 4 M. pro Doppelzentner ausmacht. In einer Reichsausgleichsgebühr für Weizeneinfuhr draht ein neuer Zoll.
Begründet werden diese Maßnahmen, mit denen sich das Reichskabinett boid zu beschäftigen haben wird, mit der Notwendigkeit, die Einnahmen der landwirtschaftlichen Erzeuger für ihre Produkte zu steigern. Wir sind die letzten,
Deutschlands Methodenanregungen durchgedrungen. Kommissionsberatungen die biele Notwendigkeit verneinen, müssen uns aber aus
über Transferproblem und Wohlfahrtsindex.
Paris , 21. Februar.( Eigenbericht.)
Die Experten- Konferenz hat am Donnerstag telne Sigung abgehalten, weil der am Dienstag eingesetzten Fünfertommiffion Gelegenheit gegeben werden follie, ihre Beratungen zu Ende zu führen und der Konferenz konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Wenu aud) über die einzuschlagende Prozedur eine restlose Einigung noch nicht erzielt ist, so hat doch die Diskussion in den lehlen 24 Stunden nicht unbeträchtliche Fortschritte gemacht. Den deutschen Delegierten ist es gelungen, den von ihnen vertretenen Standpunkt zur Geltung zu bringen, daß man unmöglich auf dem Wege des& uhhandels zu einer Feffiehung der deutschen Zahlungsverpflichtung gelangen fann und es deshalb feinen 3roed hat, schon jekt bestimmte Ziffern in die Debatte zu werfen. Die Konferenz hat sich demgemäß, wenigstens im prin3ip, mit der von den Deutschen empfohlenen Methode einverff and en erklärt, die durch eine vorherige klärung aller für die Höhe der deutschen Leistungen maßgebenden Faktoren vorbereiten will. Man ist ferner darüber einig geworden, als wichtigste von diesen Vorfragen das Transferproblem und den im Dawes- plan vorgesehenen Wohlfahrtsinder in Angriff zu nehmen. Um Zeit zu sparen, ist die ursprünglich nur mit Prozedurzelf fragen befaßte Fünferfommiffion, der, unter Ausschluß Ameritas und Japans , die europäischen Länder angehören, ersucht worden, fich auch dieser Aufgabe zu unterziehen. Sie foll Freitag dem Plenum über die Ergebniffe ihrer Beratungen Bericht erstatten.
Poincarés Mehrheit- eine Minderheit Nachträgliche Berichtigungen von Stimmabgaben.
Paris , 21. Februar.( Eigenbericht.) As das Abstimmungsergebnis der Kammerdebatte am legten Dienstag bekannt wurde, erklärte Innenminister Tardieu in den Wandelgängen der Kammer, das Ministerium Poincaré könne fehr gut mit sechs Stimmen Majorität regieren. Das Ministerium Combes habe vor dem Krige sogar dreißig Monate lang mit vier Stimmen Majorität regiert. Combes, der Vater der Laiengesetz gebung, muß aber glücklich gewesen sein; denn die Majorität Poincarés wurde am nächsten Tage
auf drei Stimmen berichtigt,
und vier Abgeordnete, die für ihn gestimmt hetten, erklärten, fie hätten sich eigentlich der Stimme enthalten wollen.
Ja Wirklichkeit befiht also das Ministerium Poincaré überhaupt
feine Mehrheit mehr, und wenn nicht die besondere Arithmetit der Rammer wäre, so würde das Kabinett auch ohnedies jeden Tag an der Haltung der Kommissionen seine wahre Lage erkennen. Es muß Niederlage auf Niederlage einheimfen, und es dürfte die Zuversicht des Ministerpräsidenten nicht erhöhen, daß aus den Reihen seiner eigenen Mehrheit immer heftigere Angriffe gegen ihn gerichtet werden. So wählte der Rechtsausschuß oftentativ seinen Vorsitzenden wieder, der wegen eines Konflittes mit der Regierung in der Frage der Justizverwaltungsreform zurückgetreten war. In der Verwaltungstommission unternahm der rechtsstehende Abgeordnete Mandel einen Borstoßz gegen verschiedene Sparmaßnahmen der Regierung, während ein anderes Mitglied der Majorität, der Abgeordnete Heraud, in der auswärtigen Kammerkommission unumwunden erklärte, die 3ufammensetzung der Kongregationen in der von der Regierung vorgeschlagenen Form stehe zum Geist der Laiengesetzgebung in offenem Widersprud).
In den Wandelgängen der Kammer wird der Regierung feine lange Frist mehr gegeben. Immerhin wird sie sich über die Dauer der Repa rationsverhandlungen hinweg noch halten tönnen, wenn fie darauf verzichtet, bei jeder Gelegenheit die Vertrauensfrage zu stellen. Daß das inzwischen berühmt gewordene Trou- Sur- Mer, das französische Boſemudel, sein seit dem Jahre 1926 aufgehobenes Gericht wiederhaben soll, wird das Kabinett nicht zu Fall bringen. Barthou läßt bereits mit sich handeln, und man feilscht zwischen Regierung und Majorität noch um einige 50 Gerichte.
Aufstand in Benezuela.
Schärffte Nachrichtensperre.
Havanna, 21. Februar.
Ueber Venezuela ist strenge Nachrichtenzenfur ver hängt, jedoch Meldungen aus Bogota ( Kolumbien ) bestätigen, daß nach dem Attentat auf den Präsidenten Gomez eine revolu. tionäre Bewegung unter Beitung des Generals Arevalo Cedeno ausgebrochen ist. Die Rebellen sollen auf dem Marich nach der venezolanischen Hauptstadt Caracas lein. Der in Havanna weilende Vertreter des aufständischen Generals, Laguado, behauptet, daß die Rebellen überall siegreich seien; direkte Meldungen aus Caracas liegen nicht vor.
bitten, daß man dabei zu Mitteln greift, die wirklichen Erfolg versprechen, ohne daß man den Massen die Lebenshaltung verteuert. Der Reichsernährungsminister fann das für feine Pläne nicht in Anspruch nehmen. So handelt es sich zum Beispiel bei der Einfuhr Don Inrereien bis zu 80 Broz. um den Import dänischer Leber. Sie wird in Deutschland zu Leberwurst verarbeitet. also zur billigsten Wurst. die für den Konsum der Massen in Frage kommt. Es handelt sich auch um so große Quantitäten, wie sie die deutschen Schlachtungen niemals liefern fönnen. Eine Erhöhung des Zolls bedeutet also nur eine direkte Belastung der Massen. Dabei liegt kein Grund für einer Verschärfung der veterinärpolizeilichen Bestimmungen vor. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland zum Beifpiel 20 Erfrankungen infolge Genusses von Leberwurſt feſtgestellt. In keinem Fall hat man dabei nachgewiesen, daß eingeführte Leber schuld daran war.
Aehnlich liegt es bei Sped und Schmalz. Das ausländische Schmalz foftete beispielsweise im Durchschnitt des Jahres 1928 in Berlin rund 77 Bf., das inländische aber 1.10 M. Wenn man nun durch Zollerhöhung das ausländische Schmalz um einige Prozent verteuert, wird kein Mensch das zum Anlaß nehmen, das meit teuere inländische Schmalz zu laufen. Der inländische Schmalzpreis würde auch wohl faum davon berührt werden, womit die Absicht, die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zu steigern, glatt ins Waffer fiele. Die Landwirtschaft hat also nichts von folden 3ollmaßnahmen Die breite Masse wird aber belastet, denn die Zollerhöhung steigert ja den Preis für das ausländische Produkt. Man soll auch nicht vergessen, daß die Einfuhr von ausländischem Speck und Schmalz in den letzten Jahren dauernd zurückgegangen ist.
Der Gedanke, die landwirtschaftlichen Preise auf eine Höhe zu stabilisieren, daß der Produzent mit ihnen bestehen fann, hat alles für sich. Man muß diesen Gedanken aber auch fonsequent perfolgen. Was Dr. Dietrich in seinem Ministerium hat cusarbeiten lassen, scheint sich in Halbheiten zu erschöpfen. Es flingt überzeugend, wenn man im Reichsernährungsministerium ausgerechnet hat, daß man den Milchpreis nur um einen Pfennig pro Liter zu steigern brauche, um der Landwirtschaft zufäßliche Einnahmen in Höhe von 180 Millionen Marf zu verschaffen. Die Frage ist aber die, wer diesen Pfennig bezahlt werden die Massen Damit belastet, so ist der Landwirtschaft nicht geholfen, denn der erhöhte Preis wird den Milchverbrauch verringern. Wir haben das ja in den letzten Wochen gesehen, wo infolge der vermehrten Kosten für Feuerung usw. der Milch- und der