Morgenausgabe 3lr.il5
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46. Jahrgang
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Sonnabend 9. März 1929 Groß-Äerlin 10 pf. Auswärts 15 pf.
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Sturm in der Kammer. Falsches Gihungsprototoll der Anlaß.
pari«. K a m m« r, 8. März.(Eigenbericht.) In der Kammer kam es zu einem schweren Zwischem fall. Zum erstenmal in der Geschichte des französischen Parla- ments wurde das Protokoll der letzten Sitzung a b g e l e hn t, und zwar wegen„illoyaler Manöver" oder zu deutsch Schiebung. In dem Protokoll stand verzeichnet, dah in der letzten Sitzung der Bericht der auswärtigen Kommission über die Wiederzulaflung der Missionsgesellschoften eingebracht worden sei. Die Kommission hat über diesen Bericht noch nicht beraten, sie hat ihn also noch nicht gebilligt: er konnte daher noch viel weniger im Plenum eingebracht werden. Daher wütender Protest der Linken, unge- heure Lärms zenen, hunderte geballte Fäuste bedrohen de« Ministerpräsidenten poincare. Der radikale Wg. B e r t h o d erklärt«, daß die Regierung .illoyale Manöver habe spielen lassen". Weiß vor Zorn erhob sich P o i n c a r e und unter lärmenden Unterbrechungen ruft er:„Die Regierung hat überhaupt kein« Manöver spielen lassen, noch viel weniger etwa ein unlauteres Manöver!" Seine Stimme wird von den wütenden Protesten übertönt, während die Rechte tumultuarisch Beifall klatscht. Vergeblich sucht Poincare weiterzusprechen. Endlich entschlüpft ihm der verzweijelt« Ausdruck: „Aber meine Herren, welche Räuber hähle!" Er sei immer ein überzeugter Republikaner gewesen, fährt d« Mi« nisterpräsident fort, und er Hobe immer die Rechte des Parlaments verteidigt. Es sei schamlos, mit derartigen Mitteln die Debatte über die Missionsgesellschaften zu oertagen. Das sei kein ehrlicher Kampf. In wilder Ausregung schreitet die Kammer zur Abstim- ntung. Durch handausheben wird das Protokoll abgelehnt.
Jetzt protestiert die Rechte derart, daß die Sitzung unter- brachen werden muß. Wöhrend der nur wenige Minuten dauernden Unterbrechung blieben Poincarä, Barthou und Cheron auf der Regierungsbank sitzen. Nach Wiederaufnahm« beginnt die Kammer dann mst der Er- örterung der Interpellation betr. die Maßnahmen zum Schutz« der Kleinsparer. Kampfansage der Radikalen. Paris , 8. März.(Eigenbericht.) Die radikal« Fraktion hat am Donnerstag einstimmig beschlossen. sich jeder Forderung der Regierung aus Diskussion über die Kon- gregationsgesetze zu widersetzen. Es wird bei der Austimmung Fraktionszwang ausgeübt werden. Demnach wird sich die für nächsten Dienstag festgesetzte Debatte über die Festlegung des Datums der Diskussion des Kongregationsgesetzes wiederum zu einer Kraftprobe für die Regierung gestalten. Torems' Rache an L6on Blum. Gr kandidiert gegen ihn. Paris . 8. März.(Eigenbericht.) Der Pariser Rechtsanwalt Torres, der kürzlich in einem Pariser Vorortwahltreises sich als offizieller Kandidat der svzialisti- sehen Partei ausstellen lassen wollte und von der Parteileitung ab- gelehm wurde, will setzt an L ö o n B l u m. den er für seinen Haupt- gegner Hütt, Rache nehmen. Er wird bei der Nachwahl in der Stadt Norbonne(Departement Aude ) gegen Blum kandidieren. Ein radikaler Kandidat ist ebenfalls aufgestellt, so daß die Zersplitterung der Linken im vollen Gange ist. Torres Hot Löon Blum wissen lassen, er werde sich ihm künftig bei jeder Gelegenheit entgegen- stellen.
Kein Fortschritt in Parts. Schwere Differenzen unter den Sachverständige«. Paris . 8. März.(Eigenbericht.) Die Reparationssochverständigen haben am Freitag zwei Boll- sitznngen abgehalten. Da auch die Stimmung in der Konferenz ein« fühlbar« Abkühlung erfahren hat, liegt die B«r- mutung nahe, daß man auf unvorhergesehen« Schwierigkeiten gestoßen sst. Di« erste Freüagsitzung hört« ein ausführliches Referat über die Arbeiten des Transferausschusses, der sich in den letzten Tagen besonders mit der Frag« der Prozedur befaßt hat für den Fall, daß der Transfer des geschützten Teils der deut schen Annuität Schwierigkeiten bereiten sollte. Auch das Problem war erörtert worden, ob und welche Erleichterungen Deutsch - land gewährt werden können, wenn es den ungeschützten Teil seiner Schuld freiwillig erhöhen würde. In der Generaldebatte über die Einheitsvorschläge der drei Unterkommissionen kam es zu einer eingehenden Diskussion der Schaifung eines Clearing-Haufes oder einer Reparationsbank. die als Zentralinstanz die deutschen Zahlungen an die Alliierten weiter leiten soll. Keine der Delegationen hat gegen diesen Ge- danken einen prinzipiellen Einwand erhoben, dagegen scheinen die Meinungen über die Machtbefugnisse der Zentralüber- roachungsinstonz, die vielleicht die Form eines Aussichtsrates einer Bank annehmen würde, noch weit auseinanderzugehen. Bon dem Kernproblem der Festsetzung der Gesamt. schuld, der Zahl und höh« der deutschen Annuitäten ist man noch genau so weit entfernt wie am ersten Tag. Der englische Delegiert« Sir Iosiah S t a m p ist zum Wochen- ende nach London abgereist. Der Reichsbankpräsident Schacht reist zur Teilnahme an einer äswchzeit in seiner Familie am Montag nach Berlin . Er kehrt am Mittwoch zurück. Die Diskussion über die Fest- setzung der Gesrnntschuld wird also kaum vor Ende der nach st en Woche sortgesetzt werden können, wenn auch die nächst« Vollsitzung für Montag angesetzt ist. Angesichts der t i e f« n K l u f t. die noch immer zwischen den Forderungen der Alliierten und der An- sicht der deutschen Delegation über die effektive L e i st u n g s- fähigkeitderdeutschen Wirtschast besteht, zweifelt man. ob der Zeitpunkt heute wirtlich schon gekommen ist. um die in Gens in Aussicht genommene Endlösung vorzunehmen. oder ob man sich wiederum mit einer provisorischen Lösung wird begnügen müssen. Asylrecht in Frankreich . Pari». 8. März. Die Anklagekammer in Lyon hat«inen von der italienischen Regierung gestellten Antrag auf Auslieferung des ehemoligen Abg. Alstmso Imperati abgelehnt. Imperati hat 7924 einen jgschistischen Stadtrat von Costellamare medergeschosieu. wie er be-
hauptet ia Rotwehr. Di« Anklagekammer stellt sich auf den Standpunkt, daß es sich um ein politisches Derbrechen handelt und hat die Freilassung Iniperatis angeordnet. Mexiko gibt Rachrichtenfreiheit. Oepefchenzensvr aufgehoben. New Port. 5. März. Ja Meldvage« au» Mexiko wird die lebhafte Befriedi- gung über die Erhaltung de» waffeaoerkauss an die mexikanische Regierung durch die Regierung der Rereinigten Staaten geschildert. Die Zensur für Pressemeldungen ins Ausland wurde gestern abend a u f g e h ob e a. sie wird jedoch für geschäslliche Kabel- Meldungen aufrechterhalten. Zwei von den drei unterbrochenen TeiegraphenNnlen au» Veracruz sind wiederhergestellt. Iuarez von den Rebellen erobert. London , 8. März. Die Straßenschlacht im mexikanischen Grenzort Iuarez hat nach weiteren Berichten aus El Paso Freitag vormittag mit einem Sieg« der Aufständischen geendet. Sämtlich« in dem Kampf um Iuarez mit wechselnde« Erfolge geschlageneu Aufständischen, die die Grenze überschritten hatten. wurden durch die Amerikaner ia El Paso eatwassnet. Wie da, Krieg-aint in Washington erfährt, flick» einige Personen durch verirrt« Sögeln verletzt worden. Außer einem sechsjährigen Knaben sind noch dreiAmeri- taner durch mexikanische Kugeln verwundet worden. Nach dem Kampfe durchsuchten Rote-Kreuz-Schwestern die Straßen in Iuarez, die von Toten und Verwundeten übersät sind. Auf den Nahtampf folgten blutige Barrikadenkämpfe. Der haupttampf entspann sich um das h o t e l, in dem der Kommandant der Regierungstruppen sich stark verschanzt hatte. Als dieser ver- trieben wurde, war das Schicksal der Regierungstruppen entschieden.
Harakiri in Moskau . 1 Selbstmord eines japanischen Offiziers. London . 8. März. Ein Adjutant de» Marineattaches der japanischen Bosschast in Moskau , Kapitän Kisahura Kojanogi beging vor dem Bilde de« japanischen Kaisers Harakiri(Selbstmord), indem er sich den Bauch aufschlitzt«. Eine Sowjetzeitung hott« berichtet, daß in der Wohnung des Kapitäns ein« wild« Orgie gefeiert und eine Tänzerin mit einem Dolch angegriffen worden sei. Diese Beröffent- lichung Hot den Ossizier zum Selbstmord veranlaßt.
Wehrstage/ Sozialdemokratie Gin Beitrag zur Oiskusflon über die„Richtlinien". Vau Otto Bauer -Wien . Genosse Otto Bauer , der, ebenso wie K a u t s k y und Julius Deutsch , der Programmkommission auf ihr Ersuchen ein Gutachten zur Wehrfrage erstattet hat, be- schästigt sich im„Kampf", der Wiener sozialdemokratischen Monatsschrift, mit den„Richtlinien" und der Kritik, die sie gesunden haben. Er tritt den im.Massenkampf vertretenen Anschauungen mit den folgenden Ausführungen entgegen. Bor dem Kriege hat die Deutsche Sozialdemokratie den deutschen Militarismus entschieden bekämpft. Sie hat ihm „keinen Mann und keinen Groschen" bewilligt. Aber hat sie die„B« s« i t i g u n g" jeder Wehrmacht im k a p i t a- l i st i s ch e n Staat verlangt? Nein! Sie hat die Ersetzung des stehenden Heeres durch eine Miliz gefordert. Deutschland ist umgeben von ungleich stärker gerüsteten Staaten. Wie verhalten sich die sozialdemokratischen Par- teien dieser Staaten zu den Rüstungen? Fordern die f r a n- z ö s i s ch e sozialistische Partei, die polnische sozialistische Partei, die tschechoslowakische Sozialdemokratie die „Beseitigung" der Wehrmacht im kapitalistischen Staat? Nein, sie fordern die Förderung internationaler Ab- rüstungsabkommen, die Einschränkung der Heeresausgaben, die Demokratisierung der Wehrmacht, aber nicht die ein- seitige vollständige„Beseitigung" der Wehrmacht. In Dänemark , in Schweden , in den Nieder- landen treten die sozialdemokratischen Parteien allerdings dafür«in, daß diese Staaten, ohne internationale Ab- rüstungsabkommen abzuwarten, abrüsten sollen. Sie be- gründen dies damit, daß die Wehrmacht diese kleinen Lander im Falle eines modernen Krieges ohnehin nicht zu schützen vermöchte. Kann die Sozialdemokratie in dem großen, für die europäische Gesamtentwicklung so entscheidenden Deutschen Reiche dieselbe Forderung stellen wie in diesen kleinen Ländern? Das ist es, worüber zu entscheiden ist. Unsere Freunde von der deutschen Linken argu- mentieren: Im kapitalistischen Staat ist jede Wehrmacht ein Machtwerkzeug der herrschenden Klasse. Wir müssen der herrschenden Klasse ihre Machtwerkzeuge entwinden. Darum müssen wir für die„Beseitigung" jeder Wehrmacht im kapi- talistsschen Staate kämpfen. Diese Argumentation hat den Vorzug der Einfachheit. Aber sie vergißt«ine Kleinigkeit. Die„Beseitigung" der Wehrmacht im einzelnen großen Staat würde ja nicht nur die Machtverhältnisse der Klassen inner- halb dieses Staates, sondern auch die Machtver- hältniss« zwischen den Staaten Europas verschieben. Kann es dem internationalen Sozialismus wirklich ganz gleichgültig sein, in welcher Richtung die inter - nationalen Machtverhältnisse verschoben werden? Im Jahr« 1893 hat Friedrich Engels die Frage auf- geworfen:„Kann Eurova abrüsten?" Seine ganze Unter- suchung ging von dem Gedanken aus, die Abrüstung soweit zu fordern, als sie nicht ein« bestimmte, dem internationalen Sozialismus unerwünschte Verschiebung der Machrverhält- nifle zwischen den Staaten— nämlich eine Machtverschiebung zugunsten des russischen Zarismus— herbeiführt! Engels hat auf Erund einer glänzenden ökonomischen, sozialen und militärischen Analyse dargelegt, wie weit das Eurova van 1893 abrüsten könne, ohne dadurch den Zarismus zu stärken. Er ist auf Grund dieser Analyse zwar für«ine allgemeine Verkürzung der Dienstzeit, aber nicht für die„Beseitigung" jeder Wehrmacht in den kapitalistischen Staaten eingetreten. Ich glaube, daß wir nach Engels' Methode verfahren müssen. Es ist allzu simpel, unsere Stellung zum Heere nur aus der Erkenntnis zu deduzieren, daß jedes Heer im kapi- talistsschen Staat ein Machtwerkzeug der herrschenden Klasse ist. Wie weit wir in einem llestimmten Lande zu einer be- stimmten Zeit die Abrüstung fordern können, müssen wir davon abhängig mocben, ob und inwieweit die militärische Schwächung dieses Landes«ine der Arbeiterklasse dieses Landes und der internationalen Arbeiterklasse überhaupt unerwünschte Verschiebung der internationalen Machtverhältnisse zur Folge hätte. So sind wir in Oesterreich verfahren. Ungarn be- reitet die habsburgische Restauration vor. Ein Habsburger in der Ofener Königsburg würde sich sehr bald auch Oester- reich zu unterwerfen suchen. Die Erfahrungen von 1921 haben gezeigt, wie leicht Ungarn einen Bandenkrieg in das Burgenland tragen, wie leicht es vom Burgenland aus die österreichische Republik bedrohen könnte und wie wehrlos wir gegen einen solchen Versuch wären, wenn wir kein Heer hätten. Deshalb fordert unser Linzer Programm keineswegs die„Beseitigung" der Wehrmacht im kapitalistischen Oester- reich. Wir halten ein republikanisches Heer für unentbehr- lich zum Schutze gegen die von Ungarn her drohende Gefalzr einer monarchistischen Restauration. Das Deutsche Reich ist natürlich in einer ganz anderen Loge: ihm droht nickt die Gefahr, daß die man- arckistische Reaktion auf den Spitzen der Bajonett« fremder Heere in das Land getragen werden könnte. Aber würden