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BERLIN  Mittwoch

17. April 1929

Der Abend

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Nr. 179

B 89 46. Jahrgang.

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D: Bug- Unglück bei Brüffel.

Zehn Tote, zahlreiche Verletzte.

Brüssel, 17. April.

Der aus Paris   kommende Schnellzug ist heute morgen bei al in der Nähe von Brüssel mit einem Güter. zug zusammengestoken. Man zählt 10 Tote und eine größere Anzahl von Verlegten, von denen mehrere in Brüsseler Krankenhäusern übergeführt wor den find.

Der Schnellzug schob sich durch den harten Anprall ineinander. Von den Verlegten ist der Zustand einer

großen Anzahl besorgniserregend.

Der belgische Eisenbahnminister ist sofort nach Be Tanntwerden des Unglücks an die Unfallstelle abgereist. Nähere Meldungen über das Unglück stehen noch aus.

Urteil im Bauernprozeß.

Gefängnisstrafen für die Hälfte der Angeklagten.

Jehoe, 17. April.

Im Beidenflether Bauernprozeß wurde um 12 Uhr mit der Urteilsberlesung begonnen. Die Haupt­angeklagten Heinrich Kod und Albert Kühl wur den zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. 15 Angeklagte erhielten wegen Vergehens gegen§ 115 des StGB. je 6 Monate Gefängnis.

30 Angeklagte wurden freigesprochen.

Vor dem deutschen   Memorandum. Rätselraten um die Ziffern.

Paris  , 17. April.  ( Eigenbericht.) Die alliierten   Delegierten auf der Sachverständigenkonferenz werden heute vormittag die Vertreter der kleinen Gläubiger­ffa afen Jugoslawiens  , Rumäniens  , Griechenlands   und Portugals  zu einer Ausfprache empfangen, um mit ihnen über eine etwaige Ermäßigung des auf sie entfallenden Reparationsanteils zu beraten. Jugoslawien   hat der Reparationskommiffion inzwischen eine Note zukommen laffen, in der es erklärt, daß es eine Verminderung feines Anteils über den Durchschnitt der sonstigen Konzeffionen hinaus nicht annehmen werde.

Vom internationalen Frauentag.

Herla Düby- Schweiz sprach vor den Berliner   Frauen

in zwei Versammlungen

Marie Juchacz  - Berlin  spricht auf der Kundgebung in Wien  .

Dorała Kluszinska ( Polen  )

sprach vor den Berliner  Frauen

Jorns und der Liebknecht Mord.

Ein Beleidigungsprozeß mit hiftorischem Hintergrund.

Als im März 1919 unter dem Druck der Boltsentrüstung ein Prozeß wegen der Ermordung Karl Liebknechts Die gesamte Pariser   Presse sieht dem angekündigten Schrift- und Rosa Luxemburgs eingeleitet wurde, bestanden die stück der deutschen   Delegation mit großer Besorgnis entgegen. Man Militärgerichte noch, und die schuldigen Offiziere und Sol­glaubt argwöhnen zu können, daß Reichsbankpräsident Dr. Schacht daten aus dem Eden- Hotel hatten Kameraden als Richter. Anfläger heute der Konferenz den Todesstoß versehen würde. Vor allem war, nach Entfernung eines schärferen Kollegen, der Kriegsgerichts­aber glauben sämtliche Blätter erklären zu müssen, daß die rat Jorns. Man weiß, daß die damaligen Angeklagten es im Ge­3ahlen, die heute das deutsche Memorandum nennen werde, fängnis fehr bequem hatten, so daß sie z. B. genau ihr Auftreten in genau so wenig besagen würden, als wenn fie der Hauptverhandlung besprechen konnten, daß der besonders schwer nicht genannt würden. Man würde den Alliierfen nicht belastete Oberleutnant Bogel   vor der Urteilsfällung mit falschem mehr geben als 3llufionen, schreibt das Journal", man werde mit Paß ins Ausland flüchten fonnte, und daß lediglich der Jäger Zahlen jonglieren, ohne fich faffen zu laffen. Das Deuvre" glaubt Runge zu einer nicht allzulangen Gefängnisstrafe verurteilt wor­vorausfagen zu können, daß das deutsche   Memorandum den den ist. Die famose Abholung des Bogel aus Moabit   geschah durch Gegenwert der einen angeblich falschen Offizier mit einem angeblich fal­Reparationszahlungen auf einen 36 milliarden, und dann den Gesamtbetrag der alliierten fchen- Befehl der Garde- Schüßen- Kavallerie- Division und einer- 3usahforderungen auf 8 milliarden herabsetzen werde. angeblich falschen- Empfehlung des Herrn Jorns. Die Wochenschrift Das Tagebuch" hat nun gegen den jetzigen Reichsanwalt Jorns den Borwurf erhoben, er habe das Berfahren zugunsten der Mörder verschleppt, besonders die Offiziere viel zu lange auf freiem Fuße belaffen und in der Hauptverhandlung dem Angeflagten nicht wehe getan. Schließlich wird behauptet, daß Jorns bei der Befreiung des Oberleutnants Bogel aus dem Zellengefängnis in der Lehrter Straße   seine Hand im Spiele gehabt habe.

Städte gegen den Finanzausgleich. Eine Interessengemeinschaft preußischer Städte. Die Konferenz der Stadtverwaltungen, die am Dienstag nachmittag im Berliner   Rathaus unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Böß tagte, hat einstimmig die Begründung einer Arbeitsgemeinschaft der durch den preußischen Finanzausgleich ge schädigten Städte beschlossen. Ein Arbeitsausschuß, der aus Bertretern der Stadtverwaltungen von Berlin  , Hannover  , Landsberg   a. d. W., Reuß, Ohligs   gebildet wird, soll sofort mit seinen Arbeiten beginnen, weil der Gesezentwurf zur Aenderung des preußischen Ausführungs­gesetzes zum Finanzausgleichsgesetz bereits am nächsten Dienstag um Haushaltsausschuß des Preußischen Landtags   beraten wird. Ebenso einstimmig beschloß die Konferenz beim Preußischen Landtag zu be­antragen, mit Wirkung vom 1. April 1929 ab den Einheitssag der relativen Garantie von 22 auf 25 Reichspfennig hinaufzusetzen.

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Der damalige Anfläger, Kriegsgerichtsrat Jorns, ist inzwischen zum Reichsanwalt befördert worden, und sein Auftreten im März 1928 bei einem Landesverratsprozeß gegen pazifistische Journalisten hat dem Tagebuch" Anlaß gegeben, einen tritischen Artikel von Staatsanwalt N. über Herrn Jorns zu ver­öffentlichen. In jenem Landesverratsprozeß- so erzählte der ange­flagte Redakteur Bornstein überfiel Reichsgerichtsrat Jorns den Angeklagten Berthold Jacob   mit der Frage, ob er wisse, daß sein Bruder in Paris   in Verbindung mit dem französischen   Generalstab stehe. In Wahrheit, so führte der jetzige Angeklagte aus, arbeitete der so Verdächtigte in Paris  

mit Hilfe der deutschen   Botschaft in franzöfifchen Archiven an einer Lebensgeschichte des Sohnes Ludwigs XVI., worüber Jacob auch ein Buch in Deutschland   hat erscheinen laffen. Dieses Auftreten des Herrn Jorns war nun die Veranlassung zu dem Tagebuch"-Artikel, der seine juristischen Fähigkeiten fritisierte, ihm erhebliche Bersäumnisse in der Prozeßführung gegen die Mörder vom Eden- Hotel vorwarf und gewisse ältere Behauptungen wiedergab, wonach die Rolle des Herrn Jorns bei der merkwürdigen Flucht des schwerbelasteten Oberleutnants Bogel   nicht klargestellt wäre.

In der heutigen Verhandlung unter dem Vorsitz des Land­gerichtsdirektors Marcard tritt der Berteidiger, R.-A. Dr. Paul Levi  , einen umfangreichen Wahrheitsbeweis an. Gleich zu Beginn wird der Ausweis besichtigt, auf Grund dessen ein Offizier den

Bogel aus dem Zellengefängnis entführt

hat. Dieser Ausweis trägt nämlich die Unterschrift des Herrn Jorns. Der Borsigende meint, beim Vergleich mit der Handschrift Jorns' ergebe sich doch sofort, daß diese Unterschrift nachgepaust fei. Sie fei im übrigen auch viel zu tattrig. Der An getlagte meint allerdings, das sei der Offizierswache des Zellen. gefängnisses nicht aufgefallen.

In der anschließenden Erörterung über die damaligen Zustände in den Gefängnissen führt Rechtsanwalt Levi feine eigenen Er.. fahrungen an. Obschon gegen ihn tein Verfahren fchwebte, wurde er verhaftet und so streng isoliert, daß er mit der Außenwelt in keinerlei Verbindung fommen tonnte. Da­gegen konnten die Liebknecht- Mörder Liebmann und Bogel   sich, ob­wohl verhaftet, Ausweise aus der Stadt holen, um dann wieder ins Gefängnis zurückzukehren. Der Borsigende meinte unter allgemeiner Heiterfeit, es sei doch gut, daß einer im Gericht sei, der mit den damaligen Gefängniszuständen so genau Bescheid wisse.

Nunmehr wird Reichsgerichtsrat Jorns als Zeuge vernommen, und zwar zunächst unvereidigt. Er war damals attiver Kriegs­