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«««ojSe ÜHrAfilttd Mittwoch, 17, April 19Z9 llZvJL,
Als ich Liebknecht   und Engels   traf Aus unveröffentlichten Erinnerungen Paul Axelrods
Heilte jährt fleh der Tag. an dem Paul Axelrod starb. Er war einer der ersten, der den Gedanken des Sozialismus in dos zaristisch« Rußland   trug. Unsere russischen Genossen sehen m ihm einen der Väter der Sozialdemokratischen Partei Rußlands Sic ehren sein Andenken, indem sie ihm gemeinsam mit den verstorbenen Genossen Martow  , Weinstein, Kabzan und Ettin aus dem Bruder- grab iiy Krematoriumssriedhof, Gerichtstraße, ein Denkmal er- richten, das dieser Tag« eingeweiht wird. Das Gedenken Paul Axelrods verknüpft sich in mannigfacher Weise mit dem der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  . Axelrod war einer von denen, die die Vor- kämpfer des deutschen   Sozialismus persönlich kannten. Aus dem St. Eallener Parteitag, auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Paris  , dem wir die 2. Internationale und den l. Mai als Welt- arbeitsfeiertog verdanken, und später in London  , hat er ihr Wirken beobachten und bewundern gelernt. Es klingt heute fast wie Prophetie, wenn er nach dem glänzenden Wahlsieg der beut- scheu Sozialdemokratie im Jahre 1890 es war kurz noch dem Fall des Sozialistengesetzes sein« deutschen Genosien gegen den Vorwurf von russischer Seite, die deutsche Sozialdemokratie sei nicht revolutionär, weil sie auf den Wahlsieg nicht die soziale Revolution folgen laste, mit dem Argument verteidigte, der Sozialismus in Deutschland   habe die historisch« Mission, als Dorkämpfevin der Republik   zu wirken, die sie automatisch in den Besitz der Macht bringen werde. Wir ehren dos Andenken dieses Mannes, wenn wir an dem Jahrestag seines Todes Teile aus seinen unveröffentlichten Er- innerungen der Oesfentlichkeit übergeben, die uns den Menschen und den Vorkämpfer des Sozialismus noch einmal in das Gedächt­nis zurückrufen. > 0<r Parteitag in St. Gallen  . Unser ziemlich einförmiges politisches Leben der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurde durch-wei sozialistische Tagungen unter- brachen: dem Parteitag der deutschen   Sozialdemokratie in St. Gallen  (1887) und dem Internationalen Sozialistentongreh in Paris  (1883). Die Delegierten zum St. Gallener   Parteitag kamen geheim zusammen. Das Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemo- kratie machte eine Tagung auf deutschem Gebiet unmöglich. Roch mehr: selbst die Teilnahme an einem Parteitag im Ausland zog Gerichtsverfahren und Haft nach sich. Wegen Teilnahme am vor- hergegangenen Kopenhagener Parteitag von 1883 waren Bebel. Liebknecht, Auer und andere Parteiführer verhaftet und zu Ge- sängnis oerurteilt worden. Dos-hinderte sie aber nicht daran, sich nach Abbüßung ihrer für deutsche Verhältnisse recht langen Haft öffentlich an die Parteiorganisationen zu wenden und sie zur Teilnahm« an dem nächsten Parteitag auszusordern. In diesem Aufruf war das Datum für die Tagung angegeben, nur der Ort wurde geheimgehalten. St. Gallen, eine kleine Stadt in der Ostschweiz  , wurde vor ollem deswegen zum Tagungsort bestimmt, weil man hier aus Schutz durch die recht freiheitlich eingestellten Kantonolbe- Hörden rechnen konnte. Dennoch hatte die St. Gallener   Polizei die Delegierten gebeten, ihre Anwesenheit nicht an die große Glocke zu hängen und sich möglichst wenig auf den Straßen zu zeigen. Daher wurde für die Delegierten so etwas wie ein Massen- quartier in dem Tagungslokal eingerichtet, und zwar in einem Hofgebäude, das einer Scheune oder einem Heuschober, ähnlich war. hier schliefen die meisten Delegierten(insgesamt waren 70 bis SO gekommen) ans he« oder Stroh, einige übernachteten in Privatwohnungen. Ich war als Gast zu dem Kongreß eingeladen worden*) und diese Tage haben bei mir einen außerordentlichen Eindruck hinter- lassen. Auf dem Parteitag war die ganze Elite der deutschen   Sozial- demokratie versammelt Bebel  , Wilhelm Liebknecht  , Singer, Eduard Bernstein  , Auer. Viele Delegierte, darunter Bebel und Liebknecht waren eben erst aus dem Gefängnis ent- lassen worden, wo sie ihre Strafe für Kopenhagen   absaßen. Trotzdem waren olle bereit, neue Verfolgungen auf sich zu nehmen. Man suhlte, daß zehn Jahre Kampf unter dem Sozialistengesetz diese Menschen hart gemacht und zu einer einige nFa- milie zusammengeschweißt hatten. Eiserner Will«, zähe Energie und ein ganz besonderer, sachlicher Ernst, der sich mit Begeisterung und tiesem Glauben an sein Werk paarte das war es, was den Parteitag auszeichnete. Die Sitzungen dauerten vom Morgen bis in den späten Abend hinein, mit kleinen Unter- brechungen zum Mittag- und Abendessen. Insgesamt wurde etwa i 4 Stunden täglich getagt, so daß Auer schließ- lich witzelte:Wir kämpfen für den Achtstundentag, Genosten, dabei arbeiten wir hier selber 14 Stunden täglich und geben da- mit ein schlechtes Beispiel." Besonders eifrig wurde über die Frag« der W a h l t a k t i k debattiert. Auer trat dafür ein, daß man sich unter bestimmten Umltänden mit den Liberalen gegen die Reaktionäre verständigen müsse. Bebel und Singer waren gegen jedes Wahlbündnis. Auer verteidigte seinen Vorschlag mit Energie und Nachdruck und griff den Standpunkt Bebels, Singers und seiner anderen Gegner ziemlich heftig an. Er sprach mit großer Beredsamkeit, sehr geist- reich und mit beißender Ironie. Dieler frühere Sattlergesell« imponierte mir sehr, obwohl mich d«« Schärfe, mit der er Bebel angriff, ärgerte. Uobrigen, blieb Bebel ihm auch nichts schuldig. Zch sollte mich jedoch bald überzeugen, daß der scharfe Zu- sammenprall aus dem Parteitag den persönlichen Beziehungen wle auch der politlschen Zusammenarbeit dieser Männer keine« Abbruch tat. Bald nach dem St. Sallener Parteitag wurden in Deutschland  Reichstagswahlen anaefetzt. Kurz davor wurde Auer schwer nervenkrank. Die Partei schickte ihn zuerst in ein Eanotorium, und dann, als er sich etwas erholt hatte, nach Mon- "*) Paul Axelrad«ohntr damals i» Zürich  .
treux am Genfer See  . Der Wahlkampf war damals im vollen Gange und so übernahm Bebel, den Auer in St Gallen  so scharf bekämpft hatte, die Bearbeitung se-nes Wahl- k reifes. Er bereiste den ganzen Wahlkreis, sprach in unzähligen Versammlungen, führte den Kampf mit all seinem Feuer und all seiner Energie, und schickte Auer von Zeit zu Zeit Telegramme mit der Mahnung, sich doch nicht aufzuregen, und seine Gesundheit zu schonen. Leidenschaftliche Debatten rief auf dem Parteitag auch ein Au sschlußan trag gegen zwei Reichstagsabgeordnete hervor, die sich geweigert hatten, den Ausruf der Fraktion zum Parteitag mit zu unterschreiben. Der eine der Angeschuldigten war Viereck, unter den Delegierten wunde erzählt, er stamme von den Hohen- zollern ab. Der andere Abgeordnete war Geiser, der Schwieger- söhn Wilhelm Liebknechts. Er saß damals noch im Gefängnis, und viele Genossen, besonders Bebel, wiesen auf verschieden« mil- dernde Umstände hin, da sie anscheinend Liebknecht nicht durch Geisers Anschluß kränken wollten. Zu guter Letzt verfiel nur Viereck dem Ausschluß. Schließlich muß ich noch einen bezeichnenden Vorfall er- wähnen, der sich auf dem Parteitag abspielte. Aus irgendeinem Grunde kam man auf ein Sanatorium zu sprechen, das für kranke Parteigenossen eingerichtet worden war. Gegen die Ver- waltung dieses Sanatoriums wunden verschiedene Vorwürfe er- hoben, wobei sich die Redner stets an Singer wandten. Er verteidigte und rechtfertigte sich, und ich hatte den Eindruck, daß die Partei ihm die Aufsicht über das Sanatorium übertragen hatte, daß er aber mit dieser Ausgabe nicht ganz fertig geworden sei. Auch Bebel trat gegen Singer aus:Warum hast du denn das Sanatorium getauft, und wozu hast du es denn unter die Aufficht der Partei gestellt und so vor den Parteigenossen verant- wortlich gemacht, wo du doch eigentlich der Besitzer bist?" Singer antwortetetDu vergißt, daß nach dem Gesetz jemand als Besitzer gelten muh. Na, und da habe ich eben meinen Namen gegeben. In Wirklichkeit gehört das Sanatorium natürlich der Partei." Erst jetzt wurde mir klar, daß Singer auf eigene kosten dos Sanatorium gekauft und der Partei zur Verfügung gestellt hatte, für Parteigenossen, die der Pflege und der Erholung be­durften. Ich konnte nicht umhin, den Edelmut dieses Mannes zu bewundern, der sich gang bescheiden gegenüber allen Vorwürfen, die überdies ganz unbegründet waren, rechtfertigte, und anscheinend ganz vergessen hatte, daß er selbst der Eigentümer dieses Sana- toriums war und seine Weiterexiftenz ermöglichte. Der St. Gallener Parteitag hat meine alte Sympathie für die deutsche Sozialdemokratie noch oerstärkt. Oer internationale Sozlalistenkonqreh in Paris  . Der Pariser Kongreß.des Jahres 1889 war von der deutschen  Sozialdemokratie gemeinsam mit den französischen   Marxisten oder Guesdisten einberufen und vorbereitet worden. Gleichzeitig hatte auch der andere, die Guesdisten bekänipsende Flügel der französi- scheu Sozialfften, diePofsibilisten" oder, wie sie nach ihrem Führer Brousse genannt wurden, dieBroussiten", beschlossen, einen inter  - nationalen Kongreß zu veranstalten. So kam es, daß in der Haupt- stadt Frankreichs   zur gleichen Zeit zwei internationale Kongresse tagten. Die gemäßigteren sozialistischen   Parteien und Gruppen waren auf dem Kongreß der Broussiten vertreten, während die radikaleren Elemente bis zu den extremsten Anarchisten an dem Kongreß der Marxisten teilnahmen. Plechanow   und ich erhielten gleichzeitig die Einladung zu diesem.zweiten Kongreß. In Paris   wunde damals anläßlich der Hundertjahrfeier der Großen Franzöfifchen Revolution eine Welt- ausstellung veranstaltet. Aber ich habe merkwürdigerweis« weder von dieser Ausstellung noch von der Stadt, in der ich zum ersten­mal in meinem Leben war, etwas bemerkt so sehr war meine ganze Aufmerksamkeit durch den Kongreß in Anspruch genommen. Auf dem Kongreß war ein großes Durcheinander, insbesondere die Anarchisten machten ein geordnetes Arbeiten fast unmöglich. Trotzdem waren wir in sehr gehobener Stimmung Dos war zum großen Teil das Verdienst der deutschen   Sozial- demokratie, die allen Ausnahmegesetzen zum Trotz eine glänzend« Abordnung geschickt hatte. Ungeachtet des Wirrwarrs bei den Debatten, der lärmenden Unterbrechungen durch die Anarchisten, und der Skandale, die sie veranstalteten, war die moralische Bedeutung unseres Kongresses so groß, daß er tatsäch- lich seine geschichtliche Ausgabe, die Begründung der Zweiten Internationale, erfüllen konnte. Bald schlössen sich uns auch diejenigen Parteien an, die 1889 an dem Kongreß der Broussiten teilgenommen hatten. Auf unserem Kongreß wurde dann auch die alljährig« Feier des 1. Mai in, allen Ländern beschlossen. Plechanow   hiell eine kurze Rede auf Französisch, die er mit den jetzt historisch gewordenen Worten abschloß:Die revolutio- näre Bewegung in Rußland   kann den Absolutismus nur als revo- lutionäre Arbeiterbewegung überwinden, oder sie wird ihn über- Haupt nicht überwinden!"> Der Pariser Magistrat, in dem damals die radikalen Elemente des Bürgertums vorherrschten, veranstaltete ein Bankett zu Ehren der Delegierten der beiden Kongresse. Der angesehenste Gast aus diesem Bankett war der alte Wilhelm Liebknecht   Auf ihn waren alle Blicke gerichtet. Später pflegte Plechanow   mit viel Humor darzustellen, wie Liebknecht, rechts auf Guesde, links auf Daillant gestützt, durch die Säle schritt, gleichsam wie ein Hohepriester die andächtig von rechts und links zusammenströmen- den Massen segnend. Bei Friedrich Enaels. Während des Kongresses bekamen Plechanow   und ich einen Brief von unserem Freund Stepnjak aus London  : er schlug uns vor, ihn zu besuchen. Besonders verlockend war, daß er uns «inen Besuch bei Friedrich Engels   in Aussicht stellte. So beschlossen wir, nach Schluß des Kongresses nach London   zu fahren. Dem Marxismus   stand Stepnjak ablehnend gegenüber. Er stritt sich oft mit uns herum, aber immer in freundschaftlichster Weife. Am ersten Sonntag nach unserer Ankunft in London   sagte Stepnjak zu uns:Na, jetzt mutz ich euch mal zu Engels   bringen.
Ich selbst mach' mir ja nichts aus ihm. Aber ihr!" Unnötig zu sagen, daß wir zu Engels   voller Ehrfurcht gingen, und in dieser Hinsicht stand Plechanow   mir in keiner Weise nach. Bei Engels   kamen an den Sonntagen immer Freunds und Genossen zusammen. Wir trafen dort Eduard Bernstein  , der vom Pariser Kongreß wieder nach seinem ständigen Wohnort London   zurückgekehrt war: Eveling mit seiner Frau(Eleonore, Marx' jüngste Tochter), Schorlemmer, Chemieprosessor an einer englischen Universität, Teilnehmer der 48er Revolution, nach deren Scheitern er Deutschland   verlassen hatte. Schorlemmer war ein naher Freund Marx und Engels   und hatte stets mit ihnen die Ferien verbracht, in ihrer Unterhaltung fand er geistige Erholung. Im Sommer fuhr er meist mit Engels   zusammen auf die Insel Wight   im Aermelkanal  . Unter anderem half Schorlemmer Engels bei den Chemiestudien, die er als Vorarbeit zu seinem Anti-Dühring  " brauchte. Engels   wußte durch Kautsky  , Bernstein und Stepnjak von der Gruppe der Befreiung der Arbeit"*) und von uns beiden. Er las russisch und kannte PlechanowsUnsere Meinungsverschiede»- heiten". Er nahm uns sehr freundlich, beinahe zärtlich auf. Der Ruhm, der sich an seinen Namen gehestet hatte, hatte an der herz- lichen einfachen Art, durch die er sich immer auszeichnete, nichts geändert. Bei unserer ersten Begegnung sprachen wir wenig über politische Fragen. Die allgemeine Unterhaltung hatte mehr scherz- haften Charakter. Lenchen Demuth  , die Engels   die Wirt- schaft führte, wie sie sie früher Marx geführt hatte, bewirtete uns eifrig, ich weiß nicht mehr womit, aber ich glaube, es gab einen großen Kuchen, Punsch und Bier. Als wir von Engels   fortgingen, war es schon spät. Er bat uns, ihn noch zu besuchen, und von jenem Tag an bis zu unserer Abreffe von London   waren wir fast täglich bei ihm. Jedesmal, wenn wir bei Engels Schorlemmer vorfanden, wurde auf dem Tffch eine ganze Batterie Bierflaschen aufgefahren. Die Allen Engels und Schorlemmer zeigten uns dann, wie man trinken muß, und wir überzeugten uns bald, daß wir ihnen in dieser Kunst nicht gewachsen waren. Unsere Gespräche drehten sich Haupt- sächlich um theoretische und politische Fragen: man berührte auch wichtige Ereignisse oder sprach sich, über bedeutende Freiheits- kämpfer aus, insbesondere über B a k u n i n und L a s s a l l e. Als Engels   von uns hörte, welche Maßregeln die Zaren- regierung getroffen hatte, um die Ausbreitung der Bildung im Volke zu hindern, rief er aus: �,W e n n jetzt«in Krieg ausbricht, werden sie keine tüchtigen Offiziere haben!" Ich erinnere mich auch noch, daß Engels   mit großem Interesse die Affäre Boulanger oerfolgte, die sich damals in Frank-.. Feich abspielte. Er hielt das Abenteuer dieses ehrgeizigen Generals,'" der so etwas wie eine bonapartistische Umwälzung in Frankreich  geplant hatte, für eine große Gefahr vom Standpunkt der Demo- kratie, und freute sich sehr, daß sein Versuch mißglückte.. Plechanow   verbrachte in London   etwa ein« Woche, ich blieb noch etwas länger, da ich die Evelings, Bernstein und andere Genossen besuchen wollte. Mein erster Artikel in derNeuen Zeit"'. Bald nach meiner Rückkehr in die Schweiz   bot sich derGruppe der Befreiung der Arbeit" die finanzielle Möglichkeit zur Heraus- gäbe einiger umfangreicher Sammelwerke. Für die erste Nummer dieser Rundschau schrieb ich nur einen kleinen Auffatz über die BroschüreNach zehn Jahren" von Jgnaz Auer. In den nächsten drei Bänden dagegen mar ein längerer Artikel von mir abgedruckt über:Die politische Rolle der Sozialdemokratie und die letzten Reichstagswahlen in Deutschland  ". Zu jener Zeit(1899 bis 1892) war das Sozialistengesetz schon gefallen. Die Partei war als Siegerin aus dem zwölfjährigen Kampfe gegen die preußische Reaktion hervorgegangen. D i e Wahlen von 1 899, bei denen die Sozialdemokratie 1 S99 999 Stimmen(gegen 759 999 bei den vorigen Wahlen) sammelte, hatten gezeigt, wie wunderbar die Kräfte der Partei in den verflossenen Jahren gewachsen waren. Dieser glänzende Erfolg hatte einerseits den Zustrom neuer Wähler in die Partei noch verstärkt und viele Illusionen erweckt, andererseits aber den Anlaß zu ganz unsinnigen Ansichten in russischen Emigrantenkreisen gegeben, die von derun- revolutionären", ja sogarantirevolutionären" deutschen   Sozial­demokratie sprachen. Dies einzig und allein aus dem Grunde, weil die deutschen   Sozialdemokraten ihren Wahlsieg nicht dazu ausgenutzt hatten, die sozialistische Revolution durchzuführen oder wenigstens auszurufen. Zum Schluß meines stark angewachsenen Artikels betonte ich, daß die deutsche Sozialdemokratie zwar stark genug geworden sei, um der Bourgeoisie Furcht für den Bestand der kapitalistischen  Ordnung einzujagen, aber noch lange nicht stark genug, um die Durchführung der sozialen Revolution auf sich nel/men zu können. Besonders aber wies ich auf die Rolle der Sozialdemokratie als d« r einzigen republikanischen Partei in Deutschland   hin. die so zum Sammelbecken aller anti-monarchistischen Kräfte und zur Vertreterin der republikanischen Tendenzen würde. Ich zeigte die Konsequenzen auf, die sich daraus für die Taktik der Partei ergaben. Bei der Besprechung der Aussichten der deutschen   Sozialdemokratie versuchte ich nachzuweisen, daß die kommende politische Umwälzung in Deutschland   die Sozialdemokratie zur Macht bringen müsse, wo- durch das Land in das Zeitalter der sozialdemokratffchen oder kom- muniftischen(was ja damals dasselbe war!) Umgestaltung oller gefelllchaftlichen Verhältnisse eintreten würde. DieNeue Zeit" druckte die deutsche   Uebersetzung der letzten Abschnitte meines Auffatzes ab.(Aus derNeuen Zeit" wurde dieser Teil meines Artikels ins Italienische überfetzt. In Italien  erschien er dann als besondere Broschüre mit einem Vorwort Filippo Turatis.) Aus diesem Anlaß schickte mir Karl Kautsky  , der Redakteur derNeuen Zeit", einen sehr freund- schaftlich und herzlich gehaltenen Brief, in dem er schrieb, daß er die in meinem Artikel ausgesprochenen Gedanken über die geschichtliche Lage und die Taktik der deutschen   Sozialdemokratie vollkommen teile.
*) Die erste marxistische Organisation, die Keimzelle der rufst- schen Sozialdemokratie. Plechanow   und Axelrod waren ihr« Führer. (Arnn. d. Uetxrf.)