Nr. 185
46. Jahrgang
Technik
Sonnabend
20. April 1929
Das Lebenswerk des Agricola.
Ein Spiegelbild mittelalterlicher deutscher Technik.
Rann das Wert eines mittelalterlichen Gelehrten, der vor einem halben Jahrtausend gelebt hat, für den modernen technisch interessierten Arbeiter noch von Wert sein? Diese Frage, die für die meisten literarischen Erzeugnisse vergangener Zeit verneint werden muß, darf für das großartige Wert des Agricola ,, Zwölf Bücher vom Berg und Hüttenwesen" voll bejaht werden. Denn hier handelt es sich nicht um trockene, mittelalterliche Erkenntnisse, um wissenschaftlich längst überlebte Spekulationen. Das Wert des Agricola ist vielmehr ganz aus der Praris heraus entstanden, es atmet auf jeder Seite einen frischen, lebendigen Geift. Es ist in flarer, einfacher Sprache geschrieben und deshalb jedem verständlich. Aber nicht nur der Techniker, der Metallarbeiter, der Berg- und Hüttenmann wird dieses Buch mit großem Gewinn lesen, sondern jeder, der sich in die Kulturgeschichte der Vergangenheit verfenten will. Agricola hat einst als 3wed seiner Schriften die Absicht angegeben, vor allem der Jugend zu dienen und sie zur Erforschung der Natur anzuspornen. Diesen Zweck darf man auch heute noch unterstreichen. Denn aus diesem Wert, das allen Büchereien aufs wärmste empfohlen werden kann, gewinnt der junge Arbeiter und Handwerker einen Einblick, den ihm kein Geschichtsbuch vermitteln
sind Zwischenstunden, in denen die Berglaute kommen oder von den Gruben fortgehen. Die erste Schicht beginnt um 4 Uhr morgens und dauert bis 11 Uhr. Die zweite beginnt um 12 Uhr und endigt um 7 Uhr. Die dritte nimmt um die 8. Stunde ihren Anfang und endigt um 3 Uhr nachts. Die letztere genehmigt die Behörde nur dann, wenn es unbedingt nötig ist. Damit die Arbeiter infolge des langen Wachbleibens oder wegen Abspannung nicht einschlafen, so suchen sie sich die lange und harte Arbeit durch Gesang, der weder ungebildet noch unangenehm tlingt, zu erleichtern." Fast tönnte man nun annehmen, daß das Los des Bergmanns früherer Jahrhunderte doch wohl dem der modernen Grubenarbeiter vorzuziehen sei, und daß die damaligen Behörden durch Einführung des Siebenstundentages und Verbot der Nachtarbeit eine geradezu bewundernsmerte soziale Arbeit geleistet hätten. Aber der nachfolgende Sazz wirft einen gewaltigen Schatten auf dieses Bild: In manchen Gegenden ist es einem Bergmanne nicht erlaubt, zwei Schichten hintereinander zu fahren, weil ihn sonst meist der Schlaf in der Grube übermannt oder weil er dann gern später zur Schicht tommt oder sie früher beendet. Anderswo wieder ist es erlaubt,
R
H
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Mittelalterliches Förderwerk.
erst vor dem Weltkrieg tauchte der Gedanke auf, Agricolas„ Bergund Hüttenwert" so zu verdeutschen, daß jeder es lesen fönne. Aber auch im Ausland fand das Buch Interesse und Beachtung. Der einstige Bergingenieur Herbert Hoover , der 1925 als Handels minister den Abschluß eines amerikanisch - deutschen Handelsvertrags unterstützte, heute Präsident der U. S. A. , midmete ihm, unterstützt durch kameradschaftliche, tatkräftige Mitwirkung seiner Frau, fünf Jahre, in denen er den lateinischen Tert ins Englische übertrug und das Werk mit wertvollen Anmerkungen versah. In Deutsch land förderte das Deutsche Museum in München die Neuheraus. gabe, indem es eine Agricola- Gesellschaft gründete, die sich zur Aufgabe machte, die erforderlichen Mittel dafür zu beschaffen. Nunmehr ist Agricolas Lebenswerk unter der Mitwirkung her. vorragender Fachleute meisterhaft verdeutscht und illustriert neu aufgelegt.( BDI.- Verlag, Berlin .)
Was ist nun der Inhalt dieses mittelalterlichen und gleichzeitig so modernen Wertes? Kurz zufammengefaßt: Agricolas Buch ist ein Spiegelbild der mittelalterlichen deutschen Technik auf dem Gebiet des Bergbaus und Hüttenwesens. Es umfaßt alle verwandten Gebiete und Zweige, die mit der Gewinnung des Erzes und der Kohle zusammenhängen. Zur Zeit Agricolas galt der Bergbau noch vielfach als böse Kunst", da man glaubte, Gott habe die Metalle deshalb ins Erdinnere verlegt, weil er sie den Augen der Menschen entziehen wolle. Agricola setzt sich deshalb erst mit diesen und ähnlichen Einwänden auseinander und beweist, daß der Bergbau ein ehrliches Gewerbe sei. Für den modernen Arbeiter ist es außerordentlich interessant, die Ausführungen zu verfolgen, die von dem beruflichen Leben der Bergarbeiter erzählen. Agricola schreibt u. a. S. 77: Die 24 Tages- und Nachtstunden sind in drei Schichten eingeteilt, jede Schicht dauert drei Stunden. Die drei übrigen Stunden, die zwischen die Schichten eingeschoben werden,
maschinen im Bergbau.
fann: Einen Einblick nicht nur in die Geschichte der Metallgewinnung und verarbeitung, sondern auch in das Leben des Proletariers früherer Zeit.
Doch wer ist Agricola , und wie tommt es, daß sein Wert heute diese Bedeutung gewonnen hat? Es ist rasch erzählt. Anfang des 16. Jahrhunderts weilte unter den Studenten der Universität Leipzig auch ein junger Scholar, der sich durch seinen scharfen Verstand, feine Lernfreudigkeit und seine hervorragenden Kenntnisse auf dem Gebiet des Griechischen auszeichnete. Es war Georg Bauer, oder nach der damaligen Sitte ins Lateinische übersetzt: Georgius Agricola . Er muß wohl so etwas von dem Geist Fausts in sich perspürt haben, denn auch er hatte Philosophie, Philologie und ,, leider ach! auch Theologie studiert mit heißem Bemüh'n", ohne innerliche Befriedigung zu finden. Denn schon turze Zeit nach dem Abschluß seines Studiums in Leipzig treffen wir ihn an berühmten italienischen Universitäten, wo er sich allen möglichen Wissensgebieten, vor allem der Medizin zuwendet. Dann aber wagt der junge Gelehrte einen herzhaften Schritt in die Pragis. Zwar will er nicht, wie Faust, Deiche und Dämme bauen, aber das Lebenswert, das er sich schafft und die Tätigkeit, die er sich erwählt, steht an Inhalt und Bedeutung der Fausts nicht nach: Agricola läßt sich in einem jungen Bergwerksdorf, in Joachimstal im Erzgebirge als Arzt nieder. Hier tann er seinen ärztlichen Beruf gleichzeitig mit feiner Borliebe für Berg- und Hüttenwesen verbinden. Auch in Chemniß, in das er später übersiedelt und das er mehrere Male als Bürgermeister verwaltet, lebt er in ständiger Berbindung mit in und ausländischen Bergleuten, Naturforschern und Aerzten. So ift sein großes Wert, in dem er die Erkenntnisse und Erfahrungen feines Lebens niederlegte, ein lebendiges Spiegelbild der Wirklich teit, in die er tiefer eihgebrungen war als weitaus die meisten feiner Freunde und Zeitgenossen. Trog aller Berühmtheit und des großen Antlangs, das fein Wert fand, teilte es jedoch das Schicksal der meisten lateinisch gefchriebenen Gelehrtenbücher: Nur ein fleiner Streis von Wissenschaftlern tannte es, und selbst die Uebersetzungen, die bald vorlagen, blieben infolge ihrer Schwerfälligkeit und nicht zulegt ihres teuren Preises wegen, dem Handwerker und Arbeiter
Tretrad zur Wasserförderung.
weil er von dem Lohne nur einer Schicht, besonders wenn Teuerung schwer drückt, nicht leben kann. Die Behörde verbietet dann eine außergewöhnliche Schicht nicht..."
Auch die Gefahren und Krankheiten, denen die Bergleute zum Opfer fallen, übergeht Agricola nicht. Er berichtet, daß in manchen Gruben die Arbeiter in eiskaltem Wasser stehen müssen, wenn sie fich nicht genügend hohe Stiefel beschaffen fönnen. Andererseits sind Gruben dermaßen ausgetrocknet, daß der Staub, der durch die Grubenarbeit aufgewirbelt wird, dauernd in Luftröhre und Lunge gelangt und Schwindsucht erzeugt. Auf den Gruben der Karpathen findet man Frauen, die fieben Männer gehabt haben, welche alle jene unheilvolle Schwindsucht hinweggerafft hat." In Altenberg im Meißnischen findet sich eine Art arsenischer Säure, die als schwarzer Hüttenrauch aufsteigt und Wunden und Geschwüre bis auf den Knochen ausnagt. Auch gibt es eine Art von Cadmia, welche die Füße der Arbeiter, wenn sie vom Wasser naß werden, und auch die Hände zerfrißt, ebenso beschädigt sie die Augen und Lungen."
Agricola erzählt ferner von der Länge und Mächtigkeit der Gänge und Flöze, von Klüften und Gesteinsschichten. Er gibt ein lebendiges Bild von der Verwaltung und vom Bergbaurecht, vom Berghauptmann, Bergmeister und den Geschworenen, dem Bergund Gegenschreiber. Das Gewinnungsverfahren der Metalle, Gießereiwesen, Schmelzerei und Formerei finden in ihm einen lebendigen Schilderer. Endlich sei aus der unübersehbaren Fülle des Stoffes, den das einzigartige Werk behandelt und der hier nur unvollkommen angedeutet werden kann, das außerordentlich intereffante Rapitel von den Werkzeugen, Geräten und Maschinen hervorgehoben, aus dem wir einige Abbildungen bringen, die am besten geeignet sind, einen Einblick in die Arbeit des mittelalterlichen und doch auch so zeitgemäßen Forschers zu geben.
So ist die Neuauflage. des großartigen Werkes freudig zu begrüßen, denn es füllt nicht nur eine Lücke in der Geschichte der Technik aus, sondern es ist auch für jeden, der Einblicke in die Kulturgeschichte und in die sozialen Berhältnisse früherer Zeiten Dr. E. M.
verschlossen. Goethe tannte und schäßte das Werk hoch ein, aber Verschiedene Arten der„ Befahrung des Bergwerks fudyt, unentbehrlich.