1929
Der Abend
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B 117 46. Jahrgang.
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: Der stellvertretende Führer der deutschen Delegation Dr. Bögler hat heute vormittag der Reichsregierung seinen Entschluß mitgeteilt, von seinem Amt zurückzutreten. An seine Stelle wird der Delegierte & a ft l, gefchäftsführendes Vorstandsmitglied des Reichsverbandes der Deutschen Juduftrie, zum ftellvertretenden Delegationsführer ernannt werden.
Der Rüdtritt Dr. Böglers ist das Ergebnis von Bor gängen , die sich im Kreise der deutschen Schmerindustrie vollzogen. Nach Mitteilungen, die die„ Boff. 3tg." heute morgen machen fonnte, sollen es besonders Friz Thyssen und Kirdorf gewesen sein, die den Generaldirektor in seinem unversöhnlichen Verhalten bestärkten. Hinter Vögler und seinem Rücktritt stehen Kreise, die in internationalen Berhandlungen stets eine sehr unglückliche Hand bewiesen haben.
Bögler hat die deutsche Delegation in einem Augenblid verlaffen, in dem sie gerade in einem überaus schwierigen Endkampf stand; das macht sein Berhalten noch weniger vers ständlich. Je nachdem konnte er dem Gesamtergebnis, um das jetzt noch heftig gerungen wird, seine Zustimmung geben oder verweigern, er hat es aber vorgezogen, vorzeitig aus der Front auszubrechen. Daß die Rechtspreffe diefes Borgehen als besonders preismert rühmen und Herrn Bögler gegen über seinen Mitdelegierten als den besseren deutschen Mann" hinstellen wird, läßt sich voraussehen. Nicht voraussehen läßt sich allerdings, welchen Eindruck dieses Manöver auf die anderen Delegierten Schacht, Kastl und Melchior machen wird. Wünschen fann man ihnen die Einsicht, daß die zur Debatte stehende Frage mit einem Mehr oder weniger an ,, nationaler Gesinnung" überhaupt nichts zu tun hat.
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Schließlich ist jedermann in Deutschland national" genug, um zu wollen, daß die neue Regelung der Reparationen das deutsche Volt, und damit ihn selbst, so wenig wie möglich belasten möge. Ob das deutsche Bolt und die deutsche Wirtschaft aber besser fahren, wenn nichts zustande kommt, als wenn ein schwer erträgliches Kompromiß gefchloffen wird, ist eine Frage der reinen Zweckmäßigkeit und der taktischen Auffassungen. Bom Arbeiter standpunkt aus tann nur gefagt werden, daß ein Scheitern der Pariser Verhandlungen für die Masse des schaffenden Volkes bedrohlichere Folgen hätte, als für die sogenannten ,, Wirtschaftsführer". Womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß die deutschen Delegierten in der Zwangslage feien, alles, was von ihnen gefordert wird, annehmen zu müssen..
Gerade jegt brauchen die deutschen Delgierten für ihre Entscheidungen, die rein verstandesgemäß gefällt werden müssen, einen fühlen Kopf und ein ruhiges Urteil. Darin werden sie sich hoffentlich durch den dramatischen Effekt, den Herr Bögler mit seinem Rücktritt hervorgebracht hat, nicht beirren lassen.
Sachlich scheinen die Differenzen nicht mehr so groß, daß sie nicht bewältigt werden könnten. Sollte die Be= wältigung der Delegierten nicht gelingen, fo wäre es Aufgabe der Regierung, sich in direkten Verhandlungen über Die offen gebliebenen Buntte zu verständigen.
Der Stand der Dinge in Paris .
Ueber den Rücktritt Böglers und seine Ursachen wird noch folgendes bekanntgegeben:
Dr. Bögler hat heute früh sein Amt zurückgelegt. Berfuche, ihn von diesem Entschluß abzubringen, find nicht mehr gemacht worden. Als sein Nachfolger ist Geheimrat Kastl in Aussicht genommen, der schon bisher der Vertreter Dr. Böglers war. Spezielle Gründe für seinen Rücktritt hat Dr. Bögler in seinem Schreiben nicht angegeben, Man hört über seine Motive folgendes: Dr. Bögler hat der Young Zahl von 2050 Millionen jährlich nur sehr schweren Herzens zugestimmt und nur unter ganz bestimmt formulierten Borauslegungen. Um biefe Boraussetzungen ist der Kampf in den legten vierzehn Tagen gegangen. Die deutsche Delegation ist von ihnen in leichten Nuancen zurüdgegangen, wobei es fich weniger um die Sache als fozusagen um eine Anpassung an den Sprachgebrauch des Young- Berichts gehandelt hat. Dr. Bögler. hat zwar seine Bedenken verschärft geltend gemacht, aber feinen Anlaß gesehen, zurüdzutreten. Als sich aber nun herausstellte, daß Die Boraussetzungen auch in dieser etwas reduzierten Form nicht ( Fortsetzung auf der 2. Seite.)
Dynamit im Landratsamt.
Eine Bombe in Jhehoe, der Stadt der Bauernprozesse.
3tchoc, 23. Mai.
Am Donnerstag früh kurz nach 2 Uhr wurde auf das Landratsamt von Jehoe cin Dynamit anschlag berübt, der verheerende Wirkung hatte. Die Dynamitladung war von den Tätern unter die Tür des Lieferantencinganges ge legt worden. Die schwere Türfüllung wurde voII. ständig eingedrückt. Die Tür des Hauptportals ist gänzlich zertrümmert worden. Von einer zweiten dahinter liegenden Tür wurde ebenfalls die Fassung eingedrückt. Auch die ganze Innen. einrichtung des Landratsamts ist schwer be. schädigt worden.
Sämtliche Scheiben des Landratsamtes und der um liegenden Gebäude bis zu dem etwa 100 Meter entfernt liegenden Bahnhof wurden zertrümmert. Die sofort alarmierte Feuerwehr brauchte nicht mehr einzuDie Staatsanwaltschaft hat eine strenge Untersuchung eingeleitet..
greifen.
Izehoe ist Siz des Landratsamtes im Kreis Steinburg , Regierungsbezirt Schleswig, Provinz Schleswig- Holstein .
Ein Berdächtiger festgenommen.
Jehoe, 23. Mai. Roch in der Nacht wurde eine verdächtige Per son festgenommen, doch ist es fraglich, ob die Verhaftung aufrechterhalten werden kann.
Die Wirkung der Explosion war ungeheuer, nicht nur im Landratsamt, sondern fast in der gesamten Straßenflucht wurden alle Fensterscheiben zertrümmert. Im Landratsamt wurde außer dem eine ganze Reihe von Türen zerstört. Man nimmf man, daß es sich um einen großen Bombenschläger handelt, der offenbar mit einer hochgradigen Sprengladung, wahrscheinlich mit Dynamit, geladen war. Der Landrat, dem das Attentat offenbar galt, war nicht anwesend.
Attentats im Landratsamt nicht anwesend. Nur zwei Hausangestellte hielten sich in dem Gebäude auf, die mit dem Schreden davonfamen.
Auf Langkopps Spuren..
Izehoe war vor einigen Wochen der Schauplatz eines Prozesses gegen zirka 60 völkisch verhette 2 and bündler aus Beiden. eitelt hatten. Ein ähnlicher Prozeß läuft zurzeit in Husum gegen 57 Landwirte, die eine Gerichtsverhandlung gegen den Landbund führer Hamfens zu vereiteln suchten. Man darf vermuten, daß das Dynamitattentat auf das Landratsamt mit diesen Prozessen in hehung, in die sich ein Teil der Bevölkerung durch national innerem Zusammenhang steht; es fennzeichnet die Ber= fozialistische und landbündlerische Agitatoren hat hineintreiben lassen.
Aehnliche Akte ließ der Beidenfleether Prozeß bereits voraus sehen. Damals gingen bei den Angeklagten mehrere Sympa. tietelegramme ein. So telegraphierten die bereits Verurteilten, aber bedingt begnadigten Kyrizer Finanzamtstürmer, daß sie hofften sich zusammen mit den Beidenfleethern demnächst gemeinschaftlich zu bewähren". Ferner hatte der„ berühmte" Farmer Langt opp, dessen Prozeß so glimpflich für ihn abgelaufen war, zusammen mit seinem Mitangeklagten Loof ein Sympathietelegramm geschickt. Nun hat die Langkoppsche Höllenmaschine in Jhehoe tatsächlich als Vorbild gedient. Allerdings hat sich dabei gezeigt, daß Höllenmaschinen durchaus nicht so harmlose Dinger sind, wie seinerzeit im Prozeß Langtopp vom Gericht angenommen wurde.
Neues Erdbeben in Anatolien . Wieder über fünfzig Todesopfer.
Konstantinopel , 23. Mai. In Anatolien wurde ein Erdbeben verspürt. Aus den Orten Afiun- Karahissar, Tichebine und Souschehir werden 53 Todesopfer und 45 Verwundete gemeldet. 800 Häuser sind zerstört
Auch die Familie des Landrats Göppert war zur Zeit des worden.
Feuer beim U- Bahnbau