hat ein paar dekorative Zutaten geliefert, wie den Domplatz, der mit palaſtähnlichen Gebäuden eingesäumt wurde, und den„ Fürstenwall", eine auf der früheren, überflüssig gewordenen Stadtmauer angelegte Terrasse an der Elbe, einer Borgängerin der freilich viel großartigeren Brühlschen Terraffe" in Dresden . Aber niemand verhinderte, daß die engen, frummen Gassen der Altstadt, in deren Häusern die Menschen wie in luft- und lichtlosen Höhlen vegetieren, ftumpffinnig und gedankenlos wieder aufgebaut wurden. Dem Großen Friedrich war die Festung gut genug, um seinen Kriegs schatz und seine Familie vor den Desterreichern und Russen in Sicherheit zu bringen und seine Rache an dem beklagenswerten Trend zu fühlen, der in den Kasematten 10 Jahre lang schmachtete nur um einer Liebschaft mit Friedrichs Schwester willen.
Im übrigen verwandelte sich die einst so regsame Stadt allmählich in eine preußische Kaserne, in der der Junter als Offizier und Bureaukrat tommandierte. Eingepreßt in ihren Festungsgürtel, tonnte sich sich nicht entfalten räumlich so wenig wie geistig. Die Vorstädte durften, solange dieser Gürtel nicht gefallen mar also bis zum Ende des 19. Jahrhunderts--, nur aus Fachmerthäusern bestehen, die im Falle der Not sofort abgerissen werden fonnten. Eine organische Verbindung zwischen diesen kümmerlichen Außenquartieren und der Innenstadt machte wiederum die Umwallung unmöglich. Die Festung hat aber auch die Natur ruiniert. Immer wieder wurden die Wälder vor den Toren der Stadt ab= geholzt.
Diese Stadt kulturell zu heben und zu verschönern, war feine leichte Arbeit. Nach Guericke mar der um 1800 amtierende Oberbürgermeister France besonders um die Stadt bemüht. Er gründete am Ende des 18. Jahrhunderts eins der frühesten deutschen Stadttheater, ein„ Nationaltheater", das es schwer hatte, den Wett
bewerb mit den benachbarten Hoftheatern auszuhalten. Er setzte
fich aber auch mit dem Potsdamer Gartendirektor Lenné und mit dem Architekten Schinkel in Berbindung und schuf den herrlichen „ Herrenfrug"-Part unterhalb der Stadt an den Elbwiesen, den ,, Bogelgesang" im Nordwesten und auf dem Gelände des von Napoleon zerstörten Klosters Berge den Kloster- Berge- Garten". Sein Werk wurde erst nach 1870 fortgesetzt. Ehemaliges Festungsgelände wurde in den„ Luisengarten" und in den fünf Kilometer langen Grüngürtel des„ Glacis" im Besten der Stadt, gleich hinter dem Bahnhof, umgewandelt. Auf dem„ Roten Horn", einer Elbinsel, die im Norden die berüchtigte Zitadelle trägt, entstand ein großartiger Volkspart mit einem fünstlich geftauten See, auf dessen Terrassen sich das Ausstellungsgelände öffnet. Die Gewächshäuser, chemals der Stadt von dem Großindustriellen Gruson geschenkt, find noch besonders zu rühmen.
Seit dem Umsturz wird die Stadt von einer sozialdemokratischen Mehrheit regiert. Sie hat sich unter dem Genossen Beims energisch dafür eingesetzt, daß Luft und Licht in die ehemalige große Kaserne tam. Eine großzügige Siedlungstätigkeit ist neben der gigantischen modernen Stadthalle und der Ausstellung ihr Wert. Die Friedrich- Ebert- Brücke" führt darauf zu und kennzeichnet den neuen Geist, der seit 1919 in Magdeburg eingezogen ist.
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Heinrich
Hemmer:
Das taktvolle Dorf
Einmal, bei einem Bankett in der Wiener Hofburg , als die Tischgäste bereits abgegessen hatten und nur ein Leutnantchen, über dem das Damoklesschwert der Blamage schwebte, selbstvergessen weiterschnabulierte, mintte Franz Josef einem Diener, ließ sich die Schüssel servieren und aß, um dem armen Leutnant Gesellschaft zu leisten, cinen Teller von der Speise nach. Die Begebenheit ist bekannt und
galt lange als das klassische Beispiel einer Ehrenrettung des Gastes
durch den Taft des Wirtes.
Mittlerweile ist am anderen Ende der Welt der Reford geschlagen und eine ungleich schwierigere Rehabilitation vorgenommen worden, und zwar von einem ganzen Dorf. Der Schauplatz der Begebenheit
ist die Insel Neuguinea in der Südsee. Papua , wenn auch dort die Menschen braun find wie Schokolade, ist nicht, wie man sich vorstellt, ein erotisches" Land. Erotische Länder gibt es nicht. Jedermann ist bei sich zu Hause: Ueberall leben die Menschen im Alltag. Das einzige Erotische auf Papua ist: der Weiße.
Einige Zeit vor Kriegsausbruch war ich Recruiting officer auf Neuguinea : das heißt, ich warb Arbeitskräfte an, die auf dieser Insel schwer zu haben sind, denn warum sollten junge Papuas ihre Mädchen und ihre Heimat verlassen, um in den Fabriken und Plantagen der Europäer zu arbeiten. Vor allem muß man sich gut mit den HäuptTingen stehen. Ihr Einfluß ist maßgebend.
Lange hatte ich ein Pfahldorf an einer Flußniederung im Auge gehabt. Es war ein volfreiches Dorf mit einem schönen, kräftigen Menschenschlag und stand zur Regenperiode mitten in einem Sumpf. Konnte der Häuptling nicht mit den jungen Reden des Dorfes ein ernstes Wort reden? Ich wollte ihn mit Nachdruck darum bitten und war eines Morgens, an dem der Himmel ein Einsehen hatte, am Plaz erschienen, um dem Potentaten in aller Form meine Aufwartung zu machen.
Es hatte ein paar Wochen geregnet, das Waffer war wie aus Eimern niedergeprasselt. Der Sumpf war lustig angeschwollen und reichte bis zur halben Höhe der Baumpflöcke, auf welchen die Hütten wie isolierte Käfige standen. Um den Verkehr im Dorfe zu erleichtern oder vielmehr überhaupt zu ermöglichen, waren Baumstämme von Hütte zu Hütte gelegt: rund und glatt. Auf den Stämmen lief das braune Volk hin und her, sicher und ungeniert wie die Ratten. In meinem frisch gewaschenen, sorgsam geplätteten, schneeweißen Tropenanzug schritt auch ich auf einem solchen Baumstamm der Häuptlingshütte zu, die stolz aufragte wie ein gotischer Dom aus Holz. Ich ging langsam und vorsichtig über den Balken, denn ich hatte Schuhe an den Füßen, und das Holz war naß. Als ich mitten über dem Sumpf schwebte, erschien der Häuptling auf der Schwelle seines Hauses, den Gast zu begrüßen. Er war dick und rund und verneigte fich tief. Ich dankte
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mit einem Lächeln. Eine Verbeugung über einem Meer von Schlamm und Unrat fann zu einer Ratastrophe führen, die nicht auszudenken ist. Mein Körper, durch jugendliche Zucht gewohnt, eine grüßende Geste zu erwidern, hatte sich indessen automatisch vorgewagt, weiter als es mit den Gesetzen des Gleich gewichts zu vereinbaren ist. Um ein Gegengewicht auszuüben, schnellten meine Arme im Bogen nach hinten, wo aber ebenfalls des Bleibens nicht war. Abermals führten meine Arme eine freisende Bewegung aus, die über den Kopf nach vorn führte, jedoch so heftig aussiel, daß der ganze Körper in dieser Richtung mitschwebte und den Stamm verließ. Ich schoß wie ein Schwimmer, der einen Kopffprung nacht, in die Höhe und plaschte mit einer mächtigen Kurve tcpfüber in den Schlamm, der sich gurgeind über mir zusammenschloß. Strampelnd und suchtelnd kam ich schließlich mit den Beinen nach unten und dem Kopf nach oben, troch wie ein Käfer aus dem Morast und langte triefend vor Schmuz, ein lebendiger Misthausen, an der Häuptlingshütte an der blamierte Europäer.
Was geschah?
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Zur Würdigung der nachfolgenden Ereignisse stelle sich der Leser vor, daß etwa jener Wiener Leutnant unter Mitnahme des Tafeltuches unter den Tisch gerutscht wäre, oder daß er selbst vor einer Korona von Ehrenjungfrauen, die ihn feftlich empfangen wollen, in
Frank 7.Braun: Nachtwache
,, Diese Geschichte ist schwer zu erzählen," sagte Brendel ,,, fie ist lyrisch, hat gewissermaßen halbe Töne, zarte Lichter..." und er fann nach. Die Rolle, die ich darin gespielt habe, ist glorreich, das bleibt bestehen, nichts als glorreich; obgleich ich angeheitert war in jener Nacht." War er das heute nicht? Niemand unterbrach ihn; der Amtsrichter schob seinem Referendar sogar das Burgunderglas näher, handlicher.
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,, Ich war mit dem Mittagszug in Harzburg angekommen, und pflichteifrig wie ich bin, Herr Amtsrichter.- hatte ich mich zuerst auf das Gericht begeben. Bis nachmittags um 5 Uhr hielten mich dort aftenmäßige Erhebungen fest. Da, als ich mich aufmachte, ein Hotel zu besuchen, da geschah es, daß ich Rita Ritelli am Marktplaß traf. Ich weiß nicht, ich habe von Kindheit an, das führt zu weit, ich habe von Jugend an eine Schwäche für den Zirkus. Rita Ritelli war Kunstreiterin. Was schien natürlicher, als, daß meine fontemplative Berehrung greifbare Formen annahm, zumal ich in diesem Die Dame wohnte im Blauen Engel. Städtchen sehr allein war.
Ja. Auch für mich fand sich dort noch ein Zimmer. Wir saßen
einen langen Abend zusammen in der Veranda. Sie trat hier nicht etwa auf, sie war Gast wie ich. Ich glaube, sie war eine Weile engagementslos. Künstlerlos.
Die Ungarn jerenateten Sehnsucht, einen nicht tief gefühlten, fofetten Schmerz. Ich schickte ihnen eine Flasche Wermuth. Da begriffen sie. Der Primas, lodig und nervös, stach mit seinem Bogen durch die Luft. In der Ecke begann ein Kind zu weinen, dann war es das Saxophon. I want to be happy. Rita summte mit. Sie sah mich an und hob die Hand. Aus ihrer Geste lächelte
Anmut und Scharm. Da rief ich den Kellner.
es
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Man hat mir einmal als Kind ich glaube Mafern waren Seft einflößen müssen. Seitdem habe ich eine Schwäche für Immer meine ich es hilft, heilt vielleicht. dieses Getränk. obgleich ich bitte, mich nicht mißzuverstehen, Herr Amtsrichter, auch Burgunder, gerade Burgunder, selbstredond- dante ja. Sehr zum Burgunder, gerade Burgunder, selbstredond Wohle.
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im
Rita riet mir, meine Zimmertür sehr zu verschließen. Einem Ehepaar im ersten Stock war in diesen Tagen auf seltsam unerklärliche Art ein Schmuckstück abhanden gekommen. Der Verdacht irrte im Hotel umher, ein großer, trübgrauer Vogel, bereit sich einem Armen auf die Schulter zu setzen. Verzeihung, ich glaube, Rita hat mir das damals so gesagt. Sie trug ein hochgeschlossenes, blaues Seidenkleid; es war sozusagen am Hals zugebunden. Eine Schleife, Sie verstehen, man konnte daran ziehen, dann ward sie dekoltiert und war wütend. Wir tranken übrigens drei Flaschen Kupferberg , ehe wir hinaufgingen. Im ersten Stod Achtung, hier geht die Geschichte an! ersten Stock gab es der Teufel mir ein, daß ich ein paar hellgraue Schuhchen, Nummer 36, vor einer Zimmertür aushob und bewundernd betrachtete. Das rüde, braunlederne Männerpaar blieb stehen. Nun sehen Sie nur," sagte ich zu Rita ,,, ich will ja keine Vergleiche anstellen, aber Nummer 36, ob Sie da fonkurrieren fönnen..." und was man halt so oder ähnlich für Albernheiten daherredet, um Beziehungen zu schaffen. Dabei waren wir ein Stüd weitergegangen. Blöglich fiel mir ein, mitten im gurrenden Lachen der Rita, daß ich die Schuhe ja unmöglich mit mir nach oben nehmen konnte. Ich bin ja auch gar kein Fetischist, also kehrte ich um; fehrte auch die Schuhe um, denn alle Hausknechte vermerken die Zimmernummer auf der Sohle, da las ich Ziffern, die es auf diesem Korridor bestimmt nicht gab. Nummer 23, Rita," sagte ich, ,, haben Sie mir nicht eben erzählt, Ihre Zimmernummer sei" fie hielt mir die Hand vor den Mund ,, aber nein doch, laffen Sie mich ausreden, Madonna, Ihre Zimmernummer ist 23, nicht wahr?" Sie nickte. Dann sind dies Ihre Schuhe?" und ich wies ihr die
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Bahl auf der Sohle der grauen, reizvollen, hochhackigen. Sie war
baff. Wir schwiegen.
Als wir uns wieder ansahen, stieg etwas in uns auf, es war feineswegs der Rausch; wir waren plötzlich nüchtern geworden,
bildeten wir uns ein. Nachdem ich die Schuhe wieder vor die Türe gestellt hatte, entfernten wir uns auf den Zehenspizzen.
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Es war ganz klar. Der Zufall hatte uns auf eine Spur gesetzt, wir waren hinter eine Nachrichtenvermittlung gekommen, die, genial ausgedacht, tatsächlich nur durch eine merkwürdige Verknüpfung von Zufälligkeiten ans Licht kommen fonnte. Der Hausdiener stand mit den Leuten, die in diesem Zimmer wohnten, in Verbindung; sie waren Komplizen. Er spionierte Gelegenheiten aus und gab ihnen die Zimmernummer unter der Sohle der Damenschuhe. Nachts ging das Trio dann seinem lichtscheuen Gewerbe nach. Wie das alles geschehen würde, war uns noch nicht klar. Klar blieb nur erst, daß für diese Nacht Ritas Zimmer ausgesucht war.
Ich sah das Mädchen an; es trug eine lange Perlentette. Kunstreiterin, man unterschätzt das; diese Kette konnte echt sein. Rita hatte einige große, leuchtende Einsteiner auf den Fingern. Die waren bestimmt echt, den Saphir tannte ich; Assessor Hecht von der Staatsanwaltschaft- aber das gehört nicht hierher.
Herr Amtsrichter, meine Herren, ich erzähle Ihnen diese Ge
schichte. Ich weiß und vertraue, Sie werden mich nicht mißverstehen.
Denn Sie fennen mich.
Wir warteten gemeinsam, die Dame Rita und ich. In ihrem Zimmer. Wir rauchten. Im Dunkeln. Es war falt. Wir saßen eng aneinandergelehnt. Schließlich machte ich der Rita den Borschlag, ins Bett zu gehen. Es genügte ja, wenn einer wachte, nicht wahr? Sie tat es. Es ging alles im Dunkeln vor sich. Nur GeSie sehen nichts, räusche waren vernehmbar; eine wundersame Situation. Stoff rauscht, fällt knisternd; eine Rette flirrt dünn an. aber Sie ahnen, wissen fönnten jede Handbewegung nachahmen; formen vielleicht die Gebärden in die leere Luft- ja ehem. Sehr
zum Wohle.
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Ich saß an ihrem Bett. Die Zigaretten glimmten. Viele; Ketten. Einmal sagte fie:„ Sie Aermster, wollen Sie nicht die Sache aufgeben?" Aber ich dachte nicht daran. Ich besaß Ehrgeiz, Stunden vergingen viertelstundenweise; wie eine Uhr sie anschlug, tropften sie ab. Nichts geschah.
Als der Himmel das Fenster grau werden ließ, als diese miß lichste aller Stunden anbrach, gab ich es auf.„ Es tommt niemand mehr, Rita," sagte ich. Nein," wiederholte sie monoton ,,, es fommt niemand mehr." Da pochte es an die Türe. Ich stieß Rita an. Ja," machte sie sanft wie ein verschlafenes Mädchen. Und eine tiefe Männerstimme sagte draußen: Berzeihen Sie bitte, gnädige Frau, hier ist der Hausdiener, aber würden Sie einmal feststellen, ob Sie die richtigen Schuhe bekommen haben. Ich habe nämlich die Nummern falsch notiert, und das fann mich meine Stellung tosten, wenn sich eine der Damen beschwert."
Sein Appell an das soziale Empfinden hatte Erfolg. Rita sprang aus dem Bett. Sie war in lachsfarbener Seide; eine Türkin. Der Hausdiener hielt ihr ein Paar Schuhe durch die Türspalte. Sind dies die Ihren, gna' Frau?"" Freilich, fagte fie, ,, geben Sie her," und sie riß ihm die Schuhe aus der Hand. Die Tür schlug zu.
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,, Aber," sagte ich erschüttert ,,, Rita, das find die grauen Schuhe, die wir im ersten Stod gesehen haben, jene, die ich in der Hand hielt, die uns den Verdacht gaben.
Ich weiß," sagte sie müde, im ersten Augenblick habe ich sie nicht erkannt."
,, Etwa nachher? Und mein Plan? Und ich? Ich bitte Sie! Diese Nachtwache!"
Sie lächelte, fie stand in der Tür und hielt mir die Hand hin. Sie, Herr Referendar, find wirklich ein Ehrenmann. Sie haben mir den Glauben an die Männer wiedergegeben. Aber sie hatte
so ein verteufeltes Lachen in den Mundecken und in den Augen, also wahrhaftig, ich schämte mich, statt stolz zu fein. Ich verbeugte mich vor ihr, geriet für eine letzte, verwirrende Sekunde in eine Wolfe Chypre und sagte:„ Ich war nur betrunken, Rita, entschuldigen Sie, bitte." Ihr Lachen lief mit mir die Stufen hinunter, wie gesagt, ein schauderhaftes Lachen. Ich ging sofort zu Bett. - Sehr zum Wohle."
eine Wasserlache fiele, sich auf dem Ball in eine Mayonnaiseschüssel| die jungen Mädchen bald wieder in Kleidern umherlaufen, die mie setze irgendein Mißgeschic, das einen zum Gespött der Menschen macht, deren Sympathie man gewinnen wollte. Zu Frankreichs Blütezeit haben sich Kavaliere wegen geringerer Dinge das Leben genommen. In extremen Situationen versagt die europäische Kultur. Eine Rehabilitation wird unmöglich. Papua aber...
Der dicke Häuptling, nachdem ich prustend bei seinem Dom angelangt war und mir den Dreck aus den Augen gewischt hatte, läuft wie ein Wiesel über den Baumstamm, wendet sich um und kommt als ich, als Tropengigerl gegen seine Hütte zu. Er tut, als hätte er Schuhe an den Füßen und fäme sich besuchen. Mittwegs hält er inne, grinst, verneigt sich, reißt dann mit Bucht seine Körpermassen nach vorn, schwebt in der Luft und saust in den Dreck, der himmelhoch auf: sprigt. Dann wälzt er sich im Schlamm und kommt untenntlich wie ein wandelnder Schmuzkloß vor seiner Hütte an. Wir blicken einander ins Auge wie Brüder im Unglück, als hätten wir zusammen eine Schlacht verloren. Ich bin rehabilitiert vor dem Häuptling. Jetzt kommen die Dorfältesten. Mann für Mann. Einer nach dem anderen geht bis zur Mitte des Baumstammes, macht die Keulenschwingerbewegungen nach rüdwärts und vorwärts, schnellt in die Luft und plumpft in den Moraft. Dann kommt er an mein Herz. Wir haben einer über den anderen nichts zu lachen. Die jungen Männer treten vor, die ich anwerben wollte, kämpfen den Kampf mit dem Gleichgewicht und schmeißen sich in den Dreck wie die Helden. Ach! und jetzt kommen die Dorfschönen mit ihren Ballerinenröckchen aus wehendem Bast. Sie lächeln holdselig und tauchen in den Schmuß, als wäre dies das Ziel ihrer Sehnsucht. Dann versuchen sie mit den Zehen nach unten zu kommen, krabbeln heraus und kommen an meine Brust. Die alten Frauen treten vor, fette und magere, und fliegen in das glitschige Element, daß es eine Freude ist, und zum Schluß kommen die Kinder.
Das ganze Dorf steht strahlend und fottriefend vor mir, und wir schütteln einander die Hände wie Leute, die in derselben Pfütze gesessen haben und einander verstehen.
Es ist Frühling und die Sonne scheint wieder für jeden. Das heißt, man soll das nicht so laut sagen, denn streng genommen scheint sie nur Sonntags, wenn sie scheint. Wochentags scheint sie nur für den, der das Geld hat, sich auch dann die Haut braun brennen zu lassen, wenn wir anderen, für die sie hur Sonntags scheint, mit Mühe und Not gegen Frostbeulen kämpfen. Aber immerhin, der Frost ist vorüber und die Sonne dringt noch in den dumpfesten Fabrikhof und noch das armseligste Dasein überstäubt fie jetzt mit ihrem Glanz. Bald werden die Dichter schöne Verse machen, die wir zum Glück nicht alle lesen müffen. Dafür werden
Gedichte sind. Und neue Autos werden uns begegnen, die Schaufpiel und Tragödie, Komödie und Lustspiel in einem find. Je nach dem, ob sie auf Wechsel oder gegen bar auf Stottern oder auf Probe gekauft sind. Und billig sind sie. Man braucht sich nur die Inserate der großen Firmen anzusehen. Ein Auto bekommt man bald geschenkt.
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Und nicht nur die Autos. Werfen wir doch einen Blick in die Schaufenster. Sind Hüte und Schlipse je so billig gewesen! Und Mäntel und Anzüge und Kleider und Strümpfe( nein, Don Strümpfen wollen wir nicht reden, die haben Markenpreise). Aber sonst. Hat es das je gegeben, daß man für 95 Pf. einen Hut betommt und für 50 Pf. eine Krawatte und dafür noch behandelt wird, wie ein Hochstapler im Kino? Und angelächelt wird von freundlichen Mädchen, die zwischen Glas und bunten Lichtern, Marmor und edlem Holz einhergehen, als wären sie da geboren und wohnten nicht zu Hause mit sechs Schwestern und Verwandten auf einer Stube? Nie hat es das gegeben!
Bergeblich fragen wir uns, wieso man das kann. Für 95 Pfennig. Oder gar für 50 Pfennig. Wo wir uns für soviel Mark taum eine schöne Wohnung leisten können. Aber es hat gar keinen Sinn, danach zu fragen. Es geht. Bielleicht geht es nur darum, weil die Mädchen, die hier hinter glänzenden Tischen freundlich lächeln, nachts keinen Platz haben, um sich richtig auszuschlafen. Vielleicht glänzen die Fassaden der Kaufhäuser nur darum so schön, weil die Wohnhäuser des Personals so grau und so lichtlos find. Aber
warum sollen wir uns den Kopf darüber zerbrechen. Es geht. Und ich sehe die Zeit fommen, wo wir alle im Auto fahren und Motorrädern unseren Kindern schenken zum Auseinandernehmen. Zeiten
werden kommen. Zeiten! Und billig wird alles werden.
Nur das eine begreife ich nicht, warum die Butter nicht billiger wird und das Mehl und all die Sachen, die man nun einmal nötiger braucht als Hüte und Krawatten und Autos und Motorräder. Auch. warum die Mädchen, die den ganzen Tag mit freundlichem Lächeln und überzeugt von der Qualität dessen, was jie anbieten, billige Mäntel und Kleider, und noch billigere Uhren und Hüte verkaufen, abends, wenn sie Feierabend haben, vor den Läden stehen, die mit hohen Preisen die Kundschaft verjagen und die doch immer ihre Kundschaft haben? Ja, das verstehe ich nicht.
Das ist ein billiges Leben. Gewiß. Aber ich meine für den, der es lebt, ist der Preis, den er für dieses Leben zahlt, sehr hoch, viel zu hoch. Und dann, so billig auch all die Dinge sind, die man uns täglich und stündlich anbietet, so lange man uns die Dinge, die mir nötiger brauchen als ichöne Kleider und Hüte und Autos und Uhren, nicht billiger geben kann, ist das Leben doch noch recht teuer und den Preis, den wir täglich und stündlich dafür zahlen, nicht wert.