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Mitschuld oder Unschuld?

Nach der Beweisaufnahme im Nogens- Prozeß.

L. R. Neuffrelih, 10. Juni.  ( Eigenbericht.) Der kriminalistische Beobachter hatte es in dieser Gerichts. perhandlung nicht leicht. Er mußte sich in seinem Mitgefühl mit dem Schicksal Jakubowskis Beschränkung auferlegen, fich von jeder vorgefaßten Meinung über dessen Schuld freimachen, gegen Anfechtungen des Unterbewußten, das ihn in eine Trogstellung gegen die Neustreliter politische Justiz drängte, anfämpfen. Nur so mar er instand gefeßt, ohne Voreingenommenheit an die Erforschung der Wahrheit in dem so unendlich verwickelten Fall Jakubowski Rogens heranzutreten. Zu welchen Ergebnissen mag er gelangt sein? Die Thse von der Alleinschuld Jakubowstis ist unter allen Um­ständen erschüttert. War er aber etwa 2nstifter? Oder hat er die Tat als eigene gemollt, ohne die Hand mitangelegt zu haben? Hat er gewußt und gefchwiegen? 3ft er schließlich völlig unbeteiligt?

Sieht man von allem anderen ab, so sprechen gegen Jakubowiti Sieht man von allem anderen ab, so sprechen gegen Jakubowski zwei seiner Aussprüche: 3ch will niemand verraten", sagte er zu dem Gefängniswachtmeister, als dieser ihm furz nach seiner Berurteilung zuredete, seine Lage durch Nennung der wahren Schuldigen zu erleichtern. Und zu Pastor Buhre: Es wird eine Beit tommen, und alles wird klar fein." Der Pfarrer zog daraus den Schluß, daß Jakubowski nicht ganz unschuldig sei. Beide Aussprüche laffen auch eine andere Erklärung zu: Tat und Täter fönnen Jakubowski auch nach dem Verschwinden Ewalds bekannt geworden sein; er hat gewußt und geschmiegen. Das war Begünstigung.

Die einzigen Jakubowski wirklich schwer belastenden Aussagen stammen aus dem Munde der Angeklagten im heutigen Prozeß. Diese Aussagen allein können nicht als Grundlage für die Schuld Jakubowskis dienen, sagte Kriminalrat Gennat  . Trogdem find die Berliner   Kriminalbeamten der Ueberzeugung, daß Jakubowski der Anstister zur Tat sein müsse; allein bei ihm finden sie ausreichende Motive. Zu einer entgegengesetzten Auffassung gelangten Regierungsrat Steuding und ber Münchener   Kriminalpsychologe von Hentig. Steuding ist es gewesen, der im Auftrage der Mecklenburg- Strelißer Regierung im Frühjahr vorigen Jahres die ersten Nachforschungen an­

ftellte. Mehr als drei Jahre waren seit der Tat ins Land gegangen. Die Wunde, die Jakubowskis Hinrichtung in Palingen geschlagen hatte, blutete noch. Der Kindesmord und das Todesurteil hatten feinen Augenblid aufgehört, die Familie Nogens und die Einwohner fchaft um den Heidekaten zu beschäftigen.

Man glaubte hier nicht an die Alleinschuld Jafubowffis, man bezweifelte seine Schuld.

Augufts Zusammenbruch nach der Verhaftung durch Steubing. Blöders Meineidsgeständnis brachten ein gänzlich unerwartetes Ergebnis: der eine wie der andere nannten nicht Jakubowski, sondern Paul Kreuzfeld als Anstifter. Er habe vor dem Berschwinden Ewalds von der Beseitigung des Kindes gesprochen und nach dem Berschwinden gefordert, daß die Schuld Natu. bomiti zugeschoben werde. Er habe gedroht, für den Fall, daß seinen Wünschen nicht nachgegeben würde. Frau Nogens schwieg aus Furcht vor Kreuzfeldts Rache. Kreuzfeldt selbst versprach, alles zu sagen, meinte und sagte nichts. Steuding und Hentig waren dann gezwungen, die Untersuchung abzu

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brechen. Oberstaatsanwalt Müller erschlich bei Auguft einen Widerruf; er fegte sowohl ihn als auch Blöcker und Kreuzfeldt auf freien Fuß. Die Familie Nogens hatte nun Zeit genug zu Ber abredungen. Als die Berliner   Kriminalbeamten die Familien­mitglieder Nogens erneut verhaftteten, war plöglich Jaku­bowsti der Anstifter. Kreuzfeldt blieb aus dem Spiel. Weshalb? Hätten sie nicht gerade Kreuzfeldt, den sie alle haßten, in den Mittelpunkt ihrer Bereinbarung stellen müssen? Hatten sie Grund, den lebenden Kreuzfeldt zu fürchten oder wollten sie ihn etwa schonen? Oder glaubten sie, daß der tote Jakubowski ihnen nicht mehr schaden, und sie ihm nicht mehr nügen fonnten? Trozz aller Widerrufe blieben sie in ihren Geständnissen bei Jaku= bowsti als Anstifter. Zwischendurch fiel auch immer wieder der Name Kreuzfeldt. Und so ist es heute: fie belasten einmütig Jakubowski und machen verlegene Gesichter bei der Nennung des Namens Kreuzfeldt. Dieser aber, Berförperung des bösen Nein" entgegen. Er konnte nicht vereidigt werden: er mußte, daß Gewissens, setzte im Gerichtssaal allen Fragen ein starres ne i n" ihm nichts drohte.

So bewegt sich die Lösung des Geheimnisses jenes November­abends 1924 zwischen Jatubomiti und Kreuzfeldt. Diefer wie jener hatten Grund zur Beseitigung des Kindes. Dieser wie jener fonnten in irgendeiner Form an der Tat be­teiligt sein. Die Persönlichkeit Kreuzfeldts aber läßt ihn als in telleftuellen Anstifter erscheinen. Bar Jakubowski mit beteiligt, so wird er den Einflüssen der heidetate er­legen sein und schließlich seine Einwilligung zur Tat gegeben haben. Das Hin- und Herpendeln der Angeklagten zwischen beiden wird verständlich aus der Beteiligung beider. Die Behauptung von der Unschuld Jakubowskis durch Frau Nogens und August findet ihre Erklärung in der Tatsache, daß nicht Jakubowski der eigentliche Täter war. Für den Justizpolitiker steht aber unerschütterlich fest:

Das Urteil gegen Jakubowski ist ein Fehlurteil. Die Vollstreckung des Urteils tommt einem Just iz mord gleich. Man sah vor Gericht die Bäter jenes Urteils und seiner Voll­streckung. Da war der Oberstaatsanwalt Müller, ein ver=

tnächerter Jurist und vertattter Greis, dessen Un­tersuchungsmethoden das Gericht auf das Glatteis eines Fehlurteils führten. Da war der Gerichtspräsident von Buchta, deffen Urteils begründung den Studenten in den kriminalistischen Seminarien der Universitäten als abschredendes Beispiel richterlicher Leichtfertigteit vorliegen müßte; da war ein Staatsminister a. D., der, wenngleich 13 Jahre Richter, behauptete, daß das Reichs. gericht die Revision eines Todesurteils nicht verworfen hätte, wenn es nicht von der Schuld des Berurteilten überzeugt gewesen wäre, und für den die Begnadigung nicht eine Persönlichkeits-, son­dern Tatfrage war. Das Gericht in der Neustrelitzer   Berhand tung hatte teine Aehnlichkeit mit dem Schönberger Gericht, das das Todesurteil gegen Jakubowski gefällt hat. Thm tit es einzig um die Wahrheitsfindung zu tun. 3ft es aber notwendig, daß ein Mensch hingerichtet wird, damit ein Gericht sich seiner Pflichten bewußt wird wie im Falle Jakubowski? Die wie im Falle Jakubowski? Die Todesstrafe ist gerichtet!

Der Deutsche   Landarbeiterverband.

Die Wandlung in der Stellung des Landarbeiters.

Unter dem Titel: Die Landarbeiter und ihre Ge. mertschaften", ist im Berlag des Ende- Hauses in Berlin   eine tritische Studie erschienen über das Landarbeiterleben, den Wechsel der Beziehungen des Landarbeiters zwischen seinem Brotherrn" und dem Industriearbeiter im Laufe des lezten Jahrhunderts, sowie den Einfluß der freigewerkschaftlichen Bandarbeiterorganisationen auf die Lohn- und Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft.

"

Der Verfasser Dr. sc.- pol. Franz Hering   schildert zunächst die Verhältnisse der deutschen   Landwirtschaft, wie sie zu Anfang des vorigen Jahrhunderts lagen und weist dann geschichtlich nach, wie sich erst nach der sogenannten Bauernbefreiung allmählich aus einem Teil der früher hörigen Bauern das Landarbeiter proletariat bildete, das heute etwa 1% bis 2 Millionen Menschen zählt.

Obwohl man in Deutschland   ungefähr 50 Jahre früher ein Landarbeiterproletariat tannte als ein Industrieproletariat, fonnte die moderne Arbeiterbewegung in den Kreisen der Landarbeiter erst viel später und schwerer Fuß fassen als in den Städten. Der Verfasser weist an einem reichhaltigen Quellenmaterial die Gründe Landarbeiter infolge der mangelhaften Schulbildung, sondern vor dafür nach, die nicht nur in der geistigen Zurückgebliebenheit der allem in der Eigenart der landwirtschaftlichen Verhältnisse und der gutsherrlichen Machtverhältnisse zu suchen sind. Wenn heute das Leben der Landarbeiter zwar im Verhältnis zu dem des Induſtrie. arbeiters immer noch wenig beneibenswert, aber immerhin gegenüber der Borfriegszeit bedeutend menschenwürdiger ift, so ist das lediglich der unermüdlichen und zielflaren Arbeit des freigewerkschaftlichen Deutschen   Landarbeiterverbandes zuzuschreiben.

Der letzte Teil der interessanten Broschüre gewährt dem Außen­ſtehenden einen Einblick in das organisatorische Getriebe des Deut­schen Landarbeiterverbandes, sein wirken und sein Programm, das nicht nur auf die kulturelle Hebung der Landarbeiterschaft, sondern auch auf die grundlegende Aenderung der heutigen kapitaliſtiſchen  Wirtschaftsform abgestellt ist. Wer sich über die Landarbeiterver­hältnisse, die Entwicklung und das Schaffen des Deutschen Land­arbeiterverbandes Aufschluß verschaffen will, wird die Broschüre mit D. Sch. Nutzen lesen.

Aufstieg in Holland  .

dieser Tage einen Mitgliederstand von 230 000 überschritten. Er Der Niederländische Gemertschaftsbund hat nähert sich damit der Ziffer, die er kurz nach Kriegsende in den Tagen des Massenzustroms zu den Gewerkschaften erreicht hatte. Die Zu= nahme eines einzigen Vierteljahres betrug 6800 Mitglieder. Am stärksten ist die Zunahme beim Landarbeiterverband; sie beträgt 2200 Mitglieder, dann folgen Metallarbeiter und Bauarbei­ter. Der Zentralverband der Transportarbeiter hatte am 1. Mai mit rund 25 000 Mitgliedern wieder den Stand seiner Hochtonjunt eine von ihm bis dahin noch nicht erreichte Zunahme um 1753 Mit­tur von 1919 erflommen. Der Fabritarbeiterverband hatte im April glieder zu verzeichnen; er zählt jetzt 22 000 Mitglieder. Der Ge­wertschaftsbund steht mit seinen 230 000 Mitgliedern an der Spitze der verschiedenen holländischen Gewertschaftsrichtungen, die ohne ihn zusammen nur trappe 180 000 Mitglieder zählen.

Berantwortlich für die Redaktion: Franz Klühs  , Berlin  : Anzeigen: Th. Glode, Berlin  . Berlag: Borwärts Berlag G. m. b. S., Berlin  . Drud: Borwärts Buch bruckerei und Berlagsanstalt Paul Ginger& Co., Berlin   6 68, Lindenstraße 3. Sierzu 1 Beilage.

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