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Beilage

Mittwoch, 12. Juni 1929

Fahrt unter Tag

Ein Bericht/ von max Barthel  

Vollkommen geschichtslos erheben sich über dem Rauchkessel der Fabrikstadt einige Bergwerke und stoßen dunklen Qualm in den trüben Himmel. Die Fördertürme stehen nackt gegen das trübe Licht, die Kokereien dampfen, Gleisanlagen laufen in verdoppelten, schmutzigen Schienenbändern nach dem Kohlenbahnhof, Ruß fliegt und tanzt durch die Luft, und wenn die Sonne erscheint, wandert sie ihre goldene Bahn durch einen hauchfeinen, schwarzen Schleier, der vom Himmel bis zur Erde reicht und als schmutzige Rußschleppe die armen Felder, die häßlichen Dörfer und die traurige Stadt ge= hässig streift.

Das Bergwert, das ich in einer Frühlingsnacht besuchte, lag eine Stunde von der Stadt entfernt. Es war eine Nacht auf den Sonntag hin, die Kirschbäume und die Kastanien blühten, das schwarze Land war wie berauscht. Es war eine Nacht der jungen Leute, die den Dred der sechs Wochentage tanzend von sich schleu­derten und mit ihren Liebsten bis in den Sonntagmorgen schwärmten.

Ungeheuerlich sprangen die Umrisse der Grube aus dem matten Dunkel. Wie ferne Sonnen strahlten die Bogenlampen in den verlassenen Höfen. Das Maschinenhaus arbeitete, die Welt schlief bis auf die jungen Leute, die sich tanzend bewegten, aber die Berg­leute in der Grube   schliefen nicht, sie bewegten sich auch nicht tanzend vor den Flözen. Wir zogen Bergmannskleider an, gingen nach dem Förderturm und sausten dann

fiebenhundert Meter in die Tiefe.

Mit einem Rud hielt der Korb an und vor uns öffnete sich ein aus­gemauerter Tunnel, eine langgestreckte Halle, von der aus sich viele Straßen und Gänge abzweigten und in die Nacht verloren. Elektrisches Licht flammte auf der Hauptstraße. Die Eisenrohre der Wetter. zuführung und Berieselung glänzten wie gigantische Adern. Zugerichtete Baumstämme und gefüllte Kohlenwagen warteten auf die Beförderung, der junge, geschlagene Wald in das Labyrinth der unterirdischen Bezirke, der alte, gebrochene Steinkohlenwald auf die Seilfahrt nach den Halden.

Auch wir verließen die erhellte Halle und begannen die Wande. rung durch die Irrgänge eines Steinfohlenbergwerfs und famen bald teuchend und gebückt an die Arbeitspläge der Häuer, die mit ihren Gehilfen nackt und schweißtriefend mit elettrischen Tur­binenhämmern die Rohlenwände zertrümmerten.

Bis zu den Bergleuten war ein weiter Weg. Steile und enge Gänge und Stollen mußten passiert werden, aufwärts und abwärts ging die Wanderschaft an zerquetfchtem Grubenholz und 3ersplitterten Stüßen vorüber. Oft glaubte man, in den Revieren einer unterirdischen Stadt zu sein, die aus dem Licht in die Tiefe gestürzt wurde und die sich nun an das Dunkel gewöhnt hatte. Kleine eiserne Wagen mit Kohle flirrten vorbei und verrollten ge­spenstisch. Zuerst flammte das trübe Licht einer müden Lampe auf, dann zitterten die Schienen, der schwarze Kohlenwagen drückte uns an die Wand, ein Mensch feuchte vorbei, ein gebückter Mensch mit gesentter Stirn, mit stoßenden Fäusten: ein Arbeitstier.

Es mar

Dann erreichten wir die Arbeitspläge mit den nadten Bergleuten. Matte Lichter der Grubenlampen und die weißen Sonnen der elektrischen Lichter leuchteten. gerade genug Licht in der Finsternis, um zu arbeiten, um die Tur= binenhämmer einzusehen, die Berge zu versetzen, die Kohle zu brechen und um Sprengungen vorzubereiten. Aus schwarzen, schweißtriefenden Gesichtern blitzte das Weiß der Augäpfel und das der Zähne erschreckend. Die Luft drückte schwer auf die Lungen. Die Wetterzufuhr faufte fern und brausend, Wasser rieselte in unsichtbaren Quellen und Sümpfen.

Maschinenstürmer.

Bon Dr. Ing. h. c. Franz Maria Feldhaus  .

Die größte Umwälzung im Maschinenwesen brachte rund ums Jahr 1700 die Dampfmaschine als Dampfpumpe und rund ums Jahr 1800. die Dampfmaschine als Antriebsmaschine in Fa­briken. Es entstanden mit der Dampfpumpe die tiefen Bergwerte, die ein Ersaufen durch Wassereinbruch nicht mehr zu fürchten hatten. Es entstanden mit der Betriebsdampfmaschine die großen Fabriken, darin Werkzeugmaschinen, Spinngänge, Webstühle und dergleichen fich dicht um die Betriebsmaschine gruppierten. Und aus der An­einanderreihung von Fabriken entstanden die Fabrikstädte mit Massensiedlungen, die in primitiofter Form angelegt wurden. Dieie Arbeiterstädte waren die Herde, aus denen die Flammen der Arbeiter­aufstände immer wieder herausschlugen. Solche Vorkommnisse führten dazu, daß Staatsmänner und Nationalökonomen der An­sicht wurden, die Maschine an sich sei schädlich. Das spricht z. B. Montesquieu im Jahre 1748 deutlich in seinem berühmten Werf ,, Esprit des Lois" aus. Er hält die Maschine nicht immer für nüßlich, und er würde die Sägemühle, wäre sie nicht schon da, nicht einführen, weil sie eine ungemein hohe Zahl von Händen außer Arbeit gesetzt habe.

In England, das sich große Erfindungen der Tegtilmaschine zunuze machte, finden wir die ersten Widerstände der Arbeiterschaf: im Jahre 1753 nach Einführung der Spinnmaschine durch Kay und im Jahre 1758 nach Einführung der Tuchscher maschine durch Everett. Früher brauchte man an jedem Tisch, auf dem das Tuch mit großen Handscheren geschoren wurde, zwei Mann. Nach Einführung der durch Wasserkraft betriebenen Scher tische konnte ein Arbeiter bis zu sechs Tische bedienen. Es wurden also 11 Arbeiter auf die Straße gesezt. Die entlassene Arbeiter­schaft ging 1758 gegen die Fabrik vor und zündete sie an. Die Regierung ersetzte dem Erfinder den Schaden im nächsten Jahr. Als 1767 die durch Wind betriebenen Sägewerte allgemein ge­worden waren, gingen entlassene Arbeiter in der Nähe von London  gegen einen solchen Betrieb vor und zerstörten ihn Im folgenden Jahre mußte der Erfinder der Spinnmaschine fliehen, weil die brotlosen Arbeitermassen ihn nicht ungestört ließen. Er zog nach Nottingham  , aber auch dort brach ein Aufstand aus. Das gleiche Schidjal hatte im Jahre 1768 ein anderer Er.

Der Abend

Shalausgabe des Vorwans

eines abgemauerten Stollens, den man wieder geöffnet hatte. Di Grubengase   brachen aus dem Versteck und wurden durch die Wetter­führung an offenes Feuer gebracht und flammten in dem Dunkel

Scheinbar ohne jeden Sinn waren die Stollen und Straßen der unterirdischen Stadt angelegt, aber es lag doch Sinn und Berechnung in aller Verwirrung. Alle Stollen und Gänge juchten nämlich die Kohlenflöze, die der nahe Bergkamin zerquetscht und verfurchtbar und tödlich auf schoben, steil aufgeschichtet, in die Tiefe geschmettert, zusammen­gepreßt oder auseinandergerissen hatte. Und wie sich die Gewalt der nahen Berge an den Kohlen auswirkte und sie verworfen hatte, so stand eine neue und furchtbarere Gewalt gegen die Menschen in der Grube: der Tod lauerte in den Revieren. In schlagenden Wettern raste er manchmal heran, in Grubenbränden, in Explosio­nen oder stürzendem Gestein. In den legten zwölf Jahren forderte der deutsche Bergbau

fünfundzwanzigtausend Tote!

Wie sterben die schwarzen Kumpels in der Grube? Aus den letzten Jahren sollen einige Unglücksfälle gestreift werden, Kurz­geschichten aus den Zeitungen, mit zehn oder zwanzig Zeilen ab­getan und vergessen. In den Familien der Opfer aber wirkten sie sich ein ganzes Leben lang aus, waren keine Kurzgeschichten, o nein, keine zehn Zeilen, die man liest und vergißt: in den fahlen Woh­nungen spielten sich Dramen, Tragödien und Trauerspiele ab

Auf der 3e che Lothringen   holte sich das schlagende Wetter zehn Bergleute und verlegte achtzehn Rumpels mit den feurigen Schlägen der Explosion. Der Herd des Unglücks lag in der Nähe

Gefahr!

Jilla Hanse

finder, der die Spinnmaschine Hargreaves verbefferte. 1773 gingen Arbeitslose in England gegen die Strumpfftrickstühle vor.

Diese und andere Vorkommnisse führten am 21. Mai 1788 zu einem Gesetz des englischen Oberhauses, das die neu­erfundene Tertilmaschine unter Androhung schwerer Strafen gegen Zerstörung schüßte. Mit keinem Wort wird in diesem Gesetz ver. sucht, für die Arbeiter oder für deren Umstellung zu sorgen.

1791 wurde die große Dampfmühle Londons   von den Müllern, die die Konkurrenz nicht aufkommen lassen wollten, in Brand gesetzt. Die Angreifer waren abe: so vorsichtig, daß sie nicht überführt werden konnten. Es ist diese Zerstörung der präch tigen Mühle eines der wenigen Beispiele dafür, daß auch die Unternehmer nicht vor Gewalttaten zurückschreckten, wenn sie ihre Existenz gefährdet fahen..

1793 griffen die englischen Textilunruhen nach Deutschland  , und zwar nach Landeshutin Schlesien über. Hungernde Arbeiter stießen mit Fabrikanten zusammen. Die Arbeiter zertrümmerten beren Stände und warfen einige Fenster ein. Am 30. März er hoben sich die Weber zu Schömberg  , am 2. April, die zu Bolkenhayn, am 6. April die zu Waldenburg  , und am 8. April die zu Striega u. Vierundzwanzig Weber erhielten Buchthausstrafen bis zu sechs Jahren. Dadurch und durch den mora. lischen Sieg der Arbeitgeber kamen die Weber in Schlesien  , die menschenunwürdig lebten, bis nach 1844 nicht mehr zur Ruhe. Am 28. Dezember 1797 griffen die Weberunruhen nach Annaberg  in Sachsen   über. Dort hatte man Bandwebstühle aufgestellt, die schneller und billiger arbeiteten als die alten Maschinen. In folgedessen gingen Frauen und Männer aus dem Posamentier gewerbe gegen das Haus, darin die neuen Maschinen standen, vor, und es fam zu einem Zusammenstoß mit der Polizei. Im Jahre 1818 entstanden ähnliche Unruhen in 3 schopau bei Einführung einer neuen Webmaschine. Hier verlangten die entlassenen Arbeiter die Entfernung der Maschinen binnen 24 Stunden, und die Fabrik mußte durch Militär geschützt werden. Am 23. März 1819 wollten Arbeiter zu Brünn Tuchschermaschinen in der Fabrik von Che­valier de Cochelet zerstören. Die Behörden konnten dies aber ver­hindern. Im gleichen Jahre verlangten die Prager 3eug: bruder die Beseitigung der neuen Druckmaschinen, durch die die Löhne gedrückt wurden. Im Jahre 1827 zogen die Frauen und Kinder der Spitzenklöppelei zu Oberwiesenthal   im Erzgebirge   mit Haden und Dfengabeln" vor ein Haus, darin angeblich eine neue

Auf der Grube Philipps wonne stürzte während des Schichtwechsels der Förderschacht zusammen. Tod und Not wurden nur durch einen Zufall abgewehrt, da eine Schicht schon oben und die andere noch nicht in der Grube war. Ein zweiter Schacht war nicht vorhanden. Zeche Philippswonne hatte nur den einen Auf­gang zur Sonne. Philippswonne ist ein schöner Name, und sein erster Befizer mag Philipp geheißen haben, aber dieses Philippchen fuhr nicht in seinen Schacht, in die Grube fuhren die Kumpels Hein und Karl und Paul. Und wenn ein Kumpel einfuhr, der auch Philipp hieß, ob. die Arbeit vor Ort für ihn Wonne war, ist mehr als zweifelhaft.

Hannibal   ist ein berühmter Feldherr, Hannibal   ist auch ein berühmter Hengst, und Hannibal   heißt ferner eine Zeche im Ruhr gebiet, in der schon viele Bergleute den Tod fanden. Der letzte Tod tam in einer großen Explosion angesaust, in einer fressenden Feuerwelle, die eine Steinstaubschranke durchbrach und in einem zweihundert Meter weit entfernten Flöz noch zwei lebendige Ber leute in das schwarze Schweigen hinüberholte. Der Feuerstoß war furchtbar und zertrümmerte die Wetterführung und die ganze Bimmerung. Hannibal   ist durch seine Gewaltmärsche berühmt ge worden, der Hengst hat auch viele Rennen gewonnen, aber der Tod in der Zeche Hannibal ist viel, viel schneller als der alte Feldherr und der junge Hengst.

Auf der Gute 5offnungs Hütte stürzte der mit 43 Mann besetzte Förderkorb ab und wurde auf einer Fangbühne geftaucht. Der aufwärts gehende Korb wurde gegen die Seilscheiben gedrückt, das Zwischengeschirr riß, und was bis jetzt nur technische Beschreibung ist, bekommt Blut und Leben, nein, Blut und Tod, zwölffachen Tod und einunddreißigmal versprigtes Blut. Der ab wärts gehende Korb ging nicht nur technisch; abwärts, er sauste und führte

in den Bluffumpf der Toten und Berlehten.

Jeder Tag unter der Erde trieft von Schweiß und Blut. Wir trieften in jener Nacht nur vom Schweiß, als wir das Bergwert besuchten. Ja, noch einmal fuhren wir abwärts nach einer neuen Sohle, ja, noch einmal teuchten wir durch die finstere Stadt der Rumpels, hörten die Wetterführung, die Waffer und die Epreng schüsse, die flirrenden Schienen und den unbegreiflichen Gruß der Bergleute: GIüdäufig bild

197ssi

Die tiefsten Schächte der Welt liegen zweitausend Meter unter Tag, und die größte Höhe, die bis jetzt der Mensch im Flugzeug erobert hat, beträgt zwölftausend Meter. Zwischen den vierzehn Kilometern, die ein erwachsener Mensch sehr bequem in drei fnappen Stunden erreichen kann, spielt sich das Leben der Menschheit ab.. Da oben in der Zwölftausendmeterhöhe faufen eisige Stürme, ent­feßliche Ortane und brüllende Wirbelwetter. In der Zweitausend­metertiefe sausen feine eisigen Stürme und Wirbel, da unten sanst und braust die Wetterzufuhr, da rieseln die Quellen, da lauern die Explosionen, aber die Tiefe ist viel schrecklicher als die Höhe. In der Tiefe leben die Bergleute, da martet gelaffen der Alltagstod und donnert in Feuerweller heran. Wenn ein Flieger aus zwölf­tausend Meter Höhe abstürzt, bringt jede Zeitung ein Heldengedicht darüber, ein Grubenunglüd aber wird heute mit zehn Zeilen ab getan. Wahrscheinlich deshalb, weil es soviel Elend in der Tiefe der Menschheit gibt...

englische Klöppelmaschine aufgestellt war. Man sieht hier, daß schon die bloße Furcht vor der Maschine unvernünftige Leute in Erregung brachte.

Zu Rottingham, das schon früher, wie mir hörten der Herd von Unruhen bei Neueinführung von Maschinen war, erhoben. sich im November des Jahres 1811 die Strumpfwirter unter Führung des Arbeiters Ned Lud. Die sich hieran anschließen. den langen und bösen Kämpfe werden nach dem Namen des An­führers als Luditen- Aufstände bezeichnet. Jin britischen Parlament verlangte man eine Verschärfung des Gesetzes, das die Zerstörung von Maschinen verbot. Da die Arbeiterschaft im Unterhaus nicht vertreten war, ging der Gesegesvorschlag in der dritten Lesung an das Oberhaus. Hier trat in drei Reden der berühmte Dichter Lord Byron   lebhaft für die durch Arbeitslosigkeit zur Berzweiflung getriebenen Strumpfwirker ein. Aber vergebens. Das neue Gefeß. das die Todesstrafe auf Maschinenzerstörung fette, ging auch im Oberhaus durch. Im Jahre 1920 hat Ernst Toller den Ned Lud zur Hauptfigur des Dramas Die Maschinenstürmer" gemacht. Auch Lord Byron   tritt in diesem Drama als Verteidiger auf.

Bor rund 100 Jahren entstanden soziale Kämpfe bei Einführung der Buchdruckschnellpresse und bei der Einführung der Eisenbahn. In der Buchdruderei von Brodhaus in Leipzig   machten 300 Buchdruder gar eine Eingabe an den König von Sachsen  , mit der Bitte, die Benutzung der Schnellpreffe zu verbieten. Gegen die Eisenbahn lehnte sich das Landvolt auf. weil es fürchtete, den Nachwuchs der Pferdezucht und das Pferdefutter nicht mehr los zuwerden, wenn das Dampfroß gefiegt habe. Das Dampfroß hat in ben vergangenen hundert Jahren nicht gefiegt. Wir sehen also, wie heilend die Zeit gegen das unzulängliche Mittel der Maschinen­stürmerei ist. Deshalb sind in neuerer Zeit schwere Kämpfe bei Einführung von Maschinen vermieden worden. Arbeitgeber und Behörden schaffen Uebergangszeiten, die heilend und ausgleichend wirken.

Das Jahr 1830 brachte in 2 a chen schwere Unruhen bei Ein­führung der Spinnmaschine, und im folgenden Jahr wurden in Köln   harte Strafen über die Führer der Arbeiterschaft verhängt. 1831 vernichteten Pariser Schneider eine Militärbekleidungs­fabrik, darin zum erstenmal 80 Nähmaschinen aufgestellt waren. Diese Fabrik arbeitete so billig, daß die mit der Hand nähenden Schneider den Hunger spürten.

( Schluß folgt.)