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BERLIN Donnerstag 13. Juni

1929

10 Pf.

Der Abend

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46. Jahrgang.

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Spalausgabe des Vorwärts

Reichsgericht unter Anklage.

Reaktionäre Personalpolitik in der Justiz.

Der Reichstag genehmigte heute ein Sozialversicherungs­abtommen mit Südflawien und beriet sodann den Justizeta t. Bei der Festsetzung der Redezeit bezweifelt Abg. Dr. Frick( Natsoz.) Die Beschlußfähigkeit des Hauses.

Nach einigen Minuten Warten und Läuten ist das Haus be= [ chlußfähig. Präsident Löbe stellt dies fest und setzt hinzu:

,, Der Reichstag wird es sich auf die Dauer nicht gefallen lassen, daß nur zu Störungszweden ein einzelner Abgeord­neter die Unterbrechung alter Ausschußiihungen während des Plenums erzwingen fann. Es wird sich dazu eine Aenderung der Geschäftsordnung nötig machen. Dann wird man wieder über Verlegung der Demokratie schreien, die wohl darin besteht, daß zehn Leute fünfhundert von der Arbeit abhalten können."( Lebhafter Beifall aller größeren Parteien.) Zum Justizetat spricht zunächst Abg. Lobe( Aufwertung) und wünscht Aufhebung solcher Wahlrechtseinschränkun gen, wie sie in Sachsen eingeführt, aber vom Staatsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt worden sind, nämlich Rautionsvor schrift für Listeneinreichung usw. Dann beschäftigt sich der Redner mit dem Hypothefenrecht.

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Abg. Dr. Alexander( Komm.): Recht gesprochen wird im Namen des Boltes, aber in der Hauptsache von gelehrten Richtern, die schon burch ihre formelle Ueberlegenheit die Laienrichter fast immer zu ihrer Ansicht befehren, die nicht selten politisch voreingenommen ist. Wir beautragen daher, die Werftätigen mehr zum Richteramt heranzuziehen und den gelehrten Richter auf die Verhandlungs­leitung zu beschränken, ihn aber von der Urteilsfällung aus­zuschließen, Die

Abg. Dr. Levi( Soz.):

Klaffenjustiz werden wir voraussichtlich noch jahrelang haben. Denn sie liegt begründet in der Konstruktion der Gesellschaft und wird erst mit ihrer Aenderung verschwinden. Der Kampf gegen die Klassenjustiz wird aber durch nichts so erschwert als durch die Dinge in Nußland. Der politische Terror dort steht dem eines Woldemaras nicht nach. Die Erschießung der Ingenieure am Morgen, nachdem sie aus den Betten geholt wurden, ist schlimmste Barbarei; sie sollen die Eisenbahn labotiert haben durch Anwendung einer Federung, die starke Erschütterung der Wagen nicht verhindere. Also ist Herr Stalin wohl einmal in feinem Schlafwagen erschüttert worden.

Im Kampfe der Richter gegen den Staat und mißliebige Per­sönlichkeiten ist durch die jahrelange Kritif in Parlament und Presse, Einflußnahme verständiger Justizminister und Einkehr der Richter doch eine fühlbare Besserung eingetreten. Durch die wachsende Würdigung der Justiz in der Presse wird jene ver­hängnisvolle Rechtsentwidlung rüdgängig gemacht, die das Richter. tum durch die Aufnahme des Römischen Rechts seit Jahrhunderten volksfremd gemacht hat.

Macdonald- Müller- Poincaré.

Neue Konferenz in London .

London , 13. Juni.

Der diplomatische Korrespondent des Daily Telegraph " führt aus, man erwarte mit Bestimmtheit, daß die britische Regierung in der nächsten Woche nach der Rüdfehr: Macdonalds und Hendersons nach London die diplomatische Initiative in Sachen der Repara. tionstonferenz der Minister und der Rheinlandkonferenz er­greift. Offenbar bestehe in Frankreich Abneigung gegen diese Konferenz, oder doch wenigstens die Neigung, die Teilnehmer und die Tagesordnung dieser Konferenz zu begrenzen. Die Anwesenheit der Außenminister jei aber unentbehrlich. Die Wichtigkeit der zu behandelnden Probleme rechtfertige auch die Anwesenheit der zu behandelnden Probleme rechtfertige auch die Anwesenheit der Premierminister. Macdonald beabsichtigte, unbedingt an der Konferenz feilzunehmen, der deutsche Kangler werde dies wohl auch fun, und auch Poincaré werde sich schließlich von der 3wedmäßigkeit direkter Erörterungen überzeugen.

Schahtanzler Snowden und die Beamten des Schahzamtes beobachten, wie der Korrespondent weiter ausführt, über den Young­

Erziehung der Versöhnler".

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Plan vielsagendes Stillschweigen. Es ist indessen Tatsache, daß einige der höchsten britischen Finanzautoritäten, abgesehen von der Berteilungsfrage, verschiedene Stellen des Berichts scharf friti­fieren. Diese Krifit betrifft im wesentlichen den Berlust des Erfahes für die bisherigen englischen Schuldenzahlungen an Amerika , die Tatsache, daß Frankreich von den 33 Millionen Pfund des unbedingten Teiles der deutschen Annuitäten 25 millionen er­halten soll, die Fortdauer der deutschen Sachlieferungen während zehn Jahren und die Internationale Bank. Es wird bezweifelt, daß diefes Institut fich als praktisch erweisen wird. Weiter befürchtet man, daß die Bank zur Finanzierung der Ausfuhr anderer Länder zum Schaden der britischen Ausfuhr benutzt wird.

Dem Pariser Berichterstatter des gleichen Blattes zufolge wird die Haltung der französischen Regierung in der Frage der Annahme des Young- Berichtes sofort nach der Rückkehr Briands end­gültig festgelegt werden. Poincaré , der gegenwärtig den Bericht genau prüft, werde zweifellos mehrere Bedingungen formu­liéren, die etfüllt werden müßlen, bevor die französischen Truppen aus dem Rheinland zurückgezogen werden. Die französische Regie­rung sei der Ansicht, daß das Problem des Saargebietes nicht zu einem Teil der Regelung der Reparationskonferenz und der Rheinlandfrage gemacht werden dürfe. Sie wird vorschlagen, das Problem gesondert zu besprechen.

Hoover ladet Macdonald ein. Sowjetverhandlungen nach der Ameritareise. London , 13. Juni.

Der neue amerikanische Botschafter, in London , General Dawes, wird am Freitag in London eintreffen und voraussichtlich am Sonn­abend dem englischen König sein Beglaubigungsschreiben überreichen. Darauf wird sich Dawes nach Schottland begeben, um Mac­donald eine Einladung Hoovers zu geben. Diese über­raschende Entwicklung fam durch telegraphische Borverhandlungen innerhalb 48 Stunden zustande. Die Washingtoner und Londoner Regierung und der amerikanische Botschafter, der sich auf dem Dampfer Olympie" auf dem Wege von New York nach London befand, haben in dauernden telegraphischer Verbindung gestanden.

Der außenpolitische Korrespondent der Daily News and West­minster Gazette" berichtet, daß die Berhandlungen zur Wieder­aufnahme der Beziehungen mit Rußland auf einen Zeit­punkt nach der Rüdkehr Macdonalds aus Washington verschoben worden seien. Die Ansichten der neuen Kabinettsminister über diese Frage waren ursprünglich geteilt, haben sich jedoch zu einem opti­miftischen Resultat durchgerungen, nachdem Macdonald wiederholt werden könne, folange die Sowjetunion an den Verhandlungen nicht beteiligt sei.

Der Journalist, der die Justiz kritisiert, trägt doch Sieh dir diesen Stiefel an und sag, ob du dich betonte, daß das Abrüftungsproblem in Europa niemals gelöſt feine Haut zu Markte und tut das Beste, was di: Justiz verlangen fann. Die Justizpressestellen wären verfehlt, wenn sie die Presse nicht unterrichten, sondern beeinflussen wollten. Eine so che Entwicklung scheint sich anzubahnen. Das engl sche System der Zeugenvernehmung durch die Parteien, das den Richter unbe schwert vom Atteninhalt sich sein Urteil aus der Verhandlung bilden läßt, scheint durchaus einführenswert zu sein. Auch so wird das Bertrauen des Volkes in die Justiz gestärkt werden.

Das Verhältnis zwischen gelehrten und Laienrichten hat bedent­liche Sprünge gemacht. Es wäre sehr übel, wenn das Berufsrichter tum den Widerstand gegen die Laienrichter organisieren würde. Das bayerische Oberste Landesgericht hat in einem Revisionsfalle das Stimmenverhältnis des Berufungsgerichts offen bart und den einen Laienrichter fagen lassen, er bringe einen Familienvater nicht wegen 20 Pf. ins Zuchthaus. Diefe Wiedergabe ist farifierend und soll den Volksrichter verächtlich machen.

Bon der Wendung in der Justizkrise sehe ich beim Reichsgericht nichts, vielmehr eine Verschlechterung. Das Reichsgericht beklagt sich wegen Ueberlastung, die Arbeitslaft des einzelnen Reichsgerichtsrats ist nicht größer als vor dem Kriege. Bielleicht befaffen sie sich zuviel mit literarischer Produktion, deren Bert durch die Masse nicht erhöht wird. Außerdem üben die Reichs­richter selbst eine Schiedsrichtertätigkeit aus. frühere Präsident Simons zwischen den Brüdern Stinnes, was zwar hoch bezahlt wird, der Autorität des höchsten Gerichts aber nicht förderlich ist. Der Umfang der schiedsrichterlichen und der begutachtenden Tätigkeit ist so, daß er torruptiven Charakter

So der

anzunehmen droht. Ja, es ist honorierte Begutachtung auch in| Solche Prozesse und Urteile scheinen nur zu beweisen, daß das Fällen nicht abgelehnt worden, die der reichsgerichtlichen Beurteilung Reichsgericht nicht zuviel zu tun, sondern reichlich viel freie Zeit hat! des Gutachters unterstehen. Da wird man diesen Herren das Reichs­beamtengesetz vorhalten müssen.( Sehr wahr!)

Entlasten könnte sich das Reichsgericht durch Unterlassung über­flüssiger Prozesse, so zum Beispiel der Prozesse wegen Kriegsverrat gegen einen notorisch geisteskranken Mann, der vor dem Kriege zwischen Reichswehr und Fremdenlegion hin- und herwechselte und schließlich 1914/15 in der Fremdenlegion war. In diesem Fall hat das Reichsgericht freigesprochen. Aber welches Intereffe besteht heute noch, Leute wegen Kriegsverrat zu verfolgen, selbst wenn sie einen solchen begangen haben. Wenn sie durchaus jolche Kriegs­prozesse noch führen wollen, fönnen wir ihnen andere Namen nennen.( Stürmische Zustimmung links.) Aber machen Sie doch Schluß mit diesen ganzen Prozessen. Auch die

Landesverratsprozesse gehen immer noch weiter.

So ist ein Mann, der Angaben über die Schutzpolizei gemacht hat, vom Reichsgericht verurteilt worden, obwohl es anerkennt, daß die Schußpolizei mit der Landesverteidigung nichts zu tun hat. Aber sie habe im Kriegsfall für Ruhe und Ordnung im Rücken der Armee zu sorgen. Gilt das nicht auch für Justiz und Finanzbehörden und alle Behörden überhaupt!( Sehr wahr.)

Angriffe und Schimpfreden auf die Republik finden im Reichsgericht meist sehr milde Richter. Auch in Zivilsachen muß die Justiz des Reichsgerichts besprochen werden. Bis in die tiefste Inflation hielt das Reichsgericht an dem Grundsatz fest, Mart ist Mark". es hat dadurch die tiefste Verwirrung hervor­gerufen und jede Aufwertung verhindert. Dafür ist es heute an der Spitze aller Aufwertungsfreudigen, befonders für die Aufwer­tung der Renten der früheren Fürsten.( Sehr wahr! links.) Die Bezeichnung Schwarzrothühnereigelb" erklärt das Reichsgericht a's nicht beleidigend für die Republik und hat den Schuldspruch der Unterinstanz aufgehoben. Die Ausführungen eines rechtsradikalen Blattes, daß im neuen Deutschland das Wort Ehre" gestrichen sei, nur Lumperei herrsche usw., erschienen dem Reichsgericht als nicht beleidigend für die Republik . Dieses Urteil war wohl der Aus= drud der Freude über die Ernennung des Herrn Lorenz zum Senatspräsidenten.

Zum Schluß verliest der Redner den Tenor der Begründung des Urteils im 3orns- Prozeß, das dem Angeklagten zugibt, Jorns sei nicht zur Tätigkeit im Reichsgericht geeignet. Was aber in jenem Verfahren ermittelt worden ist, steht seit zehn Jahren fest.