Beilage
Freitag, 13. Juni 1929
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Der Tod des Kriegsgefangenen
Jakubowskis letzter Gang im Gefängnis Strelitz- Alt
Wenn du als Russe in Deutschland Kinder in die Welt segst, und sie dann umbringst, dann verdienst du nichts Besseres. Bist du aber unschuldig und kennst die Täter, so nenne sie, dann soll dir das gleiche Recht werden wie jedem Deutschen.( Der Hauptwachtmeister zu Joseph Jakubowski.) Die Kriegsmaschine hat den Soldaten Jokubowski ver schont. Die Juſtizmaschine hat den Kriegsgefangenen Joseph
ausgelöscht.
Lebhaftig sieht man ihn vor sich mit dem weichen slavischen Gesicht, den großen glänzenden Kinderaugen, dem naiven Lächeln
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Das Gefängis in Strelitz
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um den Mund." Joseph" nannten ihn seine Dorfgenossen;" Joseph" feine Arbeitgeber; du, Joseph," redete ihn der Landjägermeister Dibbert an, und Joseph" war er für die Wachtmeister im Gefängnis selbst noch als sie in Erfüllung ihrer Beamtenpflicht ihm die Hände auf dem Rücken fesselten und ihn aus der Zelle über den Flur durch die Tür in den feuchtfalten dämmrigen Februarmorgen hinausführten, den furzen Weg um die Stallungen zur Richtstätte, wo auf schmalem Rasenstreifen zwischen Mauer und Bau der Richtblock bereit stand, ihn zu empfangen„ Ich begreife nicht, daß wegen eines hingerichteten Ruffen zum Schaden Deutschlands fo viel Aufsehens gemacht wird, während in Rußland immerfort Menschen hingerichtet werden," sagt der Staatsminister a. D. Hustaedt. Ein eigenartiges Gefühl, in der 3elle zu stehen, in der Jakubowski Monate hindurch frohen, Mutes und unverzagt feinen Augenblick an die Möglichkeit eines gewaltsamen Todes dachte; hier hatte er ungezählte Male seinem achtzehnjährigen Zellengenossen und den Wachtmeistern gegenüber seine Unschuld" beteuert, hier aus dem Munde. des Staatsanwalts die Mitteilung von seiner bevorstehenden Hinrichtung und die letzten Tröstungen des Geistlichen empfangen. Man nimmt den Weg über den Flur, tritt durch die Tür ins Freie, überquert das Stückchen Hof, biegt um die Stallungen und findet sich an der Stelle zwischen Mauer und Bau, wo der Henker vor versammeltem Gerichtsfollegium und den zwölf obligaten Zeugen seines Amtes gewaltet hat und kann sich des Empfindens nicht erwehren: wenn die, von denen Begnadigung abhängt, fich nicht auf totes Papier, auf den Eindruck anderer verlassen, sondern den, dessen Leben in ihre Hand gegeben ist, vor der Entscheidung persönlich fennenlernen wollten, wenn der Staatsminister und sein Kollege sich die Mühe genommen hätten, sich Jakubowski vorführen zu lassen, wenn sie versucht hätten, in mehrstündiger Unterhaltung sich über seine Bersönlichkeit klar zu werden wäre nicht auch für sie wie für alle,
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Studium aus eigener Kraft
Von Ernst Braune
,, Unsere Zeit ist müde, zu bemänteln, daß an jedem Staats: bürger, dem von seiner Kindheit an die Bildungsmittel der Epoche vorbehalten werden, ein Raub geschieht: ein Raub Menschen und ein Betrug am Staat."
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An dieses leider nur zu wahre Wort Walter Rathenaus wurde in einem Auffaz Studium ohne Abitur" im„ Abend" erinnert. Unsere Zeit ist müde, zu bemänteln, unsere Zeit ist aber auch zu schwach, um zu ändern. Dabei ist dieser Raub am Menschen" und dieser Betrug am Staate" nicht flein. Nur den wohlhabenden Kreisen die noch dazu zu einem nicht kleinen Teile der deutschen Republik unfreundlich gegenüberstehen werden die. Führer von Verwaltung und Wirtschaft, die Richter und die Lehrer entnommen, und der übrige Teil des Volfes überwiegend zur Republik und zum Sozialismus sich bekennend wird ausgeschaltet. Daran wird durch die Tatsache wenig geändert, daß zuweilen auch„ fleine Leute" ihren Kindern Hochschulbildung angedeihen lassen fönnen, wenn eine Universität am Orte ist. In den Städten ohne Hochschulen können Angehörige des Arbeiterstandes sich niemals so viel vom Munde absparen, um den Sohn in die Universitätsstadt zu schicken.
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Die dringend notwendige Begabtenförderung gibt es heute faft nur in der Theorie. Auch das Studium ohne Abitur wird nur so wenigen Bolfsgenossen ermöglicht, daß es praktisch faum ins Gewicht fällt. Das Werkstudententum wiederum ist bei der gegenwärtigen wirtschaftliche Lage Deutschlands , vom Standpunkte der Arbeit nehmerschaft aus gesehen, sehr bedenklich.
Wichtig ist die Frage, ob es nicht nur in der Theorie, sondern auch im praktischen Leben schon heute Einrichtungen gibt, die sich tem Ziele der Begabtenförderung nähern und Unterstüßung verdienen? Diese Ueberlegung lenkt unseren Blick auf die Beamten hochschulbewegung. In Berlin und in anderen Großstädten in allen Teilen Deutschlands find nach der Revolution Verwaltungs
die ihn gekannt, dieser Mensch dann nicht mehr Jakubowski, sondern daß man ihm einen Fluchtversuch nicht einmal zutraute. nur Joseph" gewesen? Man behandelte ihn nicht als Todeskandidaten,
„ Wenn die Herren Herz im Leibe hätten, dann würden sie mich zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigen und alles würde flar werden."
Sie haben ihn nicht begnadigt, haben für immer die Justiz um die Möglichkeit gebracht, die Wahrheit zu finden und den Fehler gut
zumachen.
Wenn man sich Jakubowski während der acht Monate zwischen Todesurteil und Todesvollstreckung vorstellt, so scheint es nach allen Schilderungen, die man über ihn gehört, daß er eigentlich keinen Augenblick von Todesangst geplagt worden ist. Sein stets aufs neue wiederholtes: 3ch nicht gemacht, ich nicht geföpft!" enthält nichts als die Berneinung einer Tat, die er, gleichviel, ob an der Beseitigung des fleinen Ewald beteiligt oder nicht, nicht als seine eigene anerkannte. Sie war ihm fremd, sie entsprach nicht seinem Wesen, er liebte das fremde Kind wie sein eigen, und als solches lebte es in ihm weiter. So erklärt es sich, daß er stets guten Mutes war, nie vor sich hin grübelte und ein Wesen zur Schau trug, das in allen, die mit ihm zu tun hatten, die Ueberzeugung weckte: so fann sich nur ein Mensch geben, der wirklich unschuldig ist. Und als er vor Antritt seines letzten Ganges den Beamten die Hand drückte, die ihn gleich darauf fesselten, und sich bei ihnen bedankte, weil sie es so gut mit ihm gemeint hätten, wußten jene, daß im nächsten Augenblick ein Mensch dem Tode überliefert werden sollte, der zu leben verdient hätte. Er war der fleißigste Arbeiter im Dorf, hatte der Landjägermeister Dibbert von Jakubowski gesagt.
Die Sicherheit, die Jakubowskis ganzes Wesen ausströmte und unvereinbar schien mit der ihm zur Last gelegten Tat wie mit dem Geschick, das seiner harrte, wirfte suggestiv; er, der nur noch seinen Kopf zu verlieren hatte, dachte feinen Augenblick daran, selbst nicht durch einen mißglückten Fluchtversuch, sein Leben zu retten. So fest überzeugt war man im Gefängnis von der Wesensart Jakubowskis,
Jakubowskis Zelle
man nahm ihn ruhig zu den Außenarbeiten mit- ihn, für den der Henker bereits das Beil schliff.
Als der Oberstaatsanwalt Müller Jakubowski die Hosenträger abnehmen hieß, war dieser darob erstaunt:" Ich nicht aufhän. gen, ich nicht mach!" Er glaubte immer noch nicht an die Hinrichtung. Wie sollte er auch, da er eben erst aus vollem Halse dem Tanze feines Bellengenoffen zugelacht, der sich aus Ulf ein
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Der Richtplatz
Laken umgebunden und aus dem Handtuch für den Kopf einen Tur ban zurechtgemacht hatte. 14 Stunden später rollte sein Haupt in den Kübel... Joseph, aller gut' Freund, war nicht mehr. Einem Mörder hatte der Henker den Garaus gemacht. Und den Richtbloc umstanden die Herren über Tod und Leben.
Dem Tragischen- fehlte nicht das Groteske. Alles steht um den Richtblock versammelt. Nur der Delinquent fehlt. Der Oberstaats anwalt wird ungeduldig. Weshalb die Verzögerung? Es ist bereits nach sechs Uhr. Und der Mörder lebt noch? Ja, weshalb die Verzögerung? Sie wird ebensowenig aufzuklären sein wie das Rätsel von der Beseitigung des fleinen Ewald. Der Strafanstaltsdirektor soll gesagt haben: ,, Der Delinquent erhält die letzte Delung". Zum Tode Berurteilte erhalten aber feine letzte Delung, nur letzte Tröftungen; damit war der Pfarrer längst fertig. Der Geistliche soll. sein Barett verlegt haben, daher die Verzögerung behauptet eine andere Version. Und eine dritte besagt: das Leichenauto von der Rostocker Universität habe auf sich marten lassen; die irdischen Reste des Hingeschlachteten sollten unmittelbar in den Sarg. Doher die Verzögerung. Während die Herren sich aufregten, ging Joseph ruhig seinen letzten Gang in den Tod.
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Längst ruhen die einzelnen Teile seines Körpers nach eifriger Bearbeitung im anatomischen Institut in der Erde. Um seine Person tobt noch immer heftiger Kampf, fein Geist geht um im Gerichtsfaal. Es fpuft unter den Dorfbewohnern Balingens, lastet zentnerschwer auf den Angeklagten im Rogens- Prozeß, steht mahnend vor der Justiz. Der Kriegsgefangene Jakubowski, einerlei ob schuldig oder unschuldig hingerichtet, hat dem Lande, gegen das er einstmals sein Leben in die Schanze geschlagen hat, durch seinen Tod ungewollt einen Dienst geleistet: im Kampf gegen die Todesstrafe, für eine volkstümliche Justiz, die Unbemittelten' den gleichen Schutz gegen Fehlurteile gewähren sollte wie Begüterten, wird sein Name noch mehr als einmal genannt werden. Leo Rosenthal.
akademien entstanden, die mittleren Beamten die Möglichkeit zu einem Curf Biging: Inari , eine Lapplandfahrt". Ber vollen akademischen Studium bieten. Die mittleren Beamten aber lag Büchergilde" Gutenberg". Curt Biging, der im vorigen stammen vornehmlich aus den weniger wohlhabenden Bevölkerungs Jahr im Abend" einige Auffäße über seine Lapplandreise vers schichten. Sie konnten die althergebrachte Laufbahn des höheren öffentlichte, gibt bei der Büchergilde ein schönes, gut ausgestattetes Beamten nicht beschreiten, weil sie schon in jungen Jahren auf eigenen Buch über seine Reise heraus, das sehr empfohlen werden kann. Füßen stehen mußten. Im reiferen Lebensalter holen sie nach, was Der Verfasser führt den willigen Leser von Helsinki , der finnischen ihnen ihre Eltern aus finanziellen Gründen nicht ermöglichen konnten. Hauptstadt, nach dem Inarisee hinauf und vermittelt gute Kennt Es ist ein Studium aus eigener Kraft. Für einzelne Kategorien niffe über das Land und seine starte Arbeiterbewegung. Bom Inaridieser Beamten ist in Gestalt der Diplomprüfungen ein Staatsexamen fee geht es weiter nach Norwegen und dem Eismeer. Biging ist geschaffen, das allerdings bisher erst von einer geringen Zahl von ein fluger Mensch und ein Mann mit viel Humor, er hält mit seinen Studierenden abgelegt worden ist. Immerhin ist ein Anfang gemacht. Begabungen nicht zurück und macht uns viel Freude und läßt uns Die weitere Entwicklung der gesunden Beamtenhochschulbestrebungen oft lachen. In beschwerlichen Fahrten und Märschen geht es vom ist in hohem Maße von der Förderung der Diplomgeprüften durch Inarisee an die Küfte; wir erleben eine große Fülle von Menschendie Behörden, vor allem durch die beschließenden Organe der Kom- und Naturbildern, Lappen und Finnen, Fischern und Schmugglern, munalverwaltungen, abhängig. Wie ich auch in dem Heft der„ Gwir besuchen eine Erzgrube am Eismeer, sehen mit neuen Augen meinde"( Halbmonatsschrift für sozialistische Arbeit in Stadt und das Land und seine soziale Struktur, wir fahren auf schmutzigen Band) ausgeführt hatte, fann und soll für die Diplombeamten tein Dampfern nach der Fischerhalbinsel, wir haben mit den blutſaugenPrivileg geschaffen werden. Für leitende Stellen muß immer die den Mückenschwärmen heftige Kämpfe geführt und reisen dann mit um ein Beispiel dem Postauto nach dem Inarisee zurück. Und auf allen Fahrten Persönlichkeit entscheidend sein. Wenn man aber ausdrücklich einen wissenschaftlich gebildeten Fachsehen wir viel, lernen wir viel, lachen viel und protestieren auch zu nennen mann für eine leitende Stelle in der Kommune haben will, dann manchmal, wenn unser Freund etwas zu sehr gegen Deutschland sollte man neben dem Verwaltungsjuristen den DiplomAber immer sind wir interessiert und oft von der Dar tommunalbeamten in Wettbewerb treten laffen. Das wäre stellung der Erlebnisse und der unendlichen Landschaft begeistert. nach dem Ausgeführten ein Stück praktischer Begabtenförderung, ein und am Schluß spielen wir, wie der Verfasser, auf dem Inarisee Uebergehen von der Debatte zur Tat.
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Darüber hinaus können sich alle an der öffentlichen Verwaltung, insbesondere der Kommunalverwaltung, Interessierten die Verwil tungsakademien dienstbar machen. Die alljährlich stattfindenden Ferienlehrgänge eignen sich vorzüglich zur Information von Land räten, Gemeindevorstehern, Stadträten und ähnlichen Persönlichkeiten. Auch hier sind die Berwaltungsakademien fähig, im Geifte einer neuen Zeit eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Sie können den von dem Vertrauen der werktätigen Bevölkerung getragenen Praktikern nachträglich die theoretischen Kenntnisse vermitteln, die sie für ihre Amtsführung zu benötigen glauben.
mettert.
ein wenig Robinson, wir befahren mit dem Klepperboot diesen See, wir treiben im Sturm, wir fahren auf Fischfang, wir liegen faul auf einer stillen Insel, Lachs wird gegeffen, mit den ausgeruhten Augen eines Menschen, der aus der Mechanit unserer Zeit entflohen ist, um neue Kräfte für unsere Zeit zu sammeln, sehen wir das Land und die Landschaft, die Menschen und die Tiere, wir erleben die weißen Nächte und dann im Herbst die zuckenden Nordlichter, und wenn wir dann endlich zurückfahren, bleibt in unserem Herzen Licht und Klarheit und eine große Sehnsucht nach der schönen Lappland . Lest das Buch, ihr habt Gewinn davon!
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