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Morgenausgabe

Nr. 285

A 144

46.Jahrgang

Bochentlich 85 Bt, monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Boftbezug 4,32 m. einichließlich 60 Bfg. Poftzeitungs- und 72 Big Bostbestellgebühren. Auslands abonnement 6.- M. pro Monat. *

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Vorwärts

Berliner   Bolksblatt

Freitag

21. Juni 1929

Groß- Berlin 10 pf. Auswärts 15 Pf.

Die etn1patttge Nonpareillezetle 80 Pfennig. Retlamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das tettge druckte Bort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes mettere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Vorwärts Verlag G. m. b.H.

Labours Weltfriedensplan.

Geeabrüftung- Beziehungen mit Sowjetunion  - Räumung- Schiedspflicht- Völkerbundspolitik.

London  , 20. Juni.  ( Eigenbericht.) Die außenpolitische Betätigung der Ar­beiterregierung wird sich in den nächsten Monaten vorwiegend auf folgende Fragen konzentrieren:

1. Fortsetzung der in der Unterredung Macdonald Dawes begonnenen Verhandlungen über die Ab. rüstung zur See mit dem Ziele der Herbeiführung einer fühlbaren maritimen Abrüstung, die nicht nur Amerika   und England, sondern sämtliche Seemächte umfaßt.

2. Baldige Wiederaufnahme der Beziehungen zu Sowjetrußland. Die Frage der Anerkennung Sowjetrußlands durch die britische   Regierung steht- wie vielfach fälschlich angenommen wird nicht zur Diskussion, da die im Jahre 1924 erfolgte Anerkennung Rußlands   durch den Abbruch der diplomatischen Be­

ziehungen im Jahre 1927 für die Arbeiterregierung nicht aufgehoben worden ist. Die juristische Anerkennung

des Jahres 1924 ist ein für allemal gültig. Es wird sich also in erster Linie praktisch um die Ernennung eines Botschafters für Moskau   und die Aufforderung an die Sowjetregierung handeln, ihrerseits einen Botschaf ter für London   namhaft zu machen.

3. Die Arbeiterregierung ist durch Beschlüsse der Parteitage der Arbeiterpartei auf die Zurückziehung der britischen Truppen aus dem Rheinland   fest. gelegt. Wenn eine Verzögerung auch nur von wenigen

Liberale Monopolangst.

Wie weit reichen die foalitionsmäßigen Bindungen? Die Verhandlungen des Sachverständigenausschusses über das landwirtschaftliche Hilfsprogramm sind vertraulich. Die

demokratische Preise zeigt sich aber über das, was in ihm

vorgeht, sehr aufgeregt. Sie glaubt voraussehen zu dürfen, daß das Ergebnis die Empfehlung eines Getreidemono pols sein wird, und läuft gegen diesen Plan im Interesse des Zwischenhandels Sturm. Nicht nur wurde eine Erhöhung der Lebensmittelpreise als Folge vorausgesagt, obwohl die Frage des Monopol preises noch völlig offen stand, sondern man weiß sogar auch schon, daß an der etwa zu schaffenden Reichsstelle eine beispiellose Protektions- und Konnerions­wirtschaft" herrschen wird. Man behauptet, die Sozialdemo­Praten seien drauf und dran, mit den Deutschnationalen zu sammen das Monopol einzuführen und man fragt in strengem Tone, wie sich das mit den koalitionsmäßigen Bin­dungen der Sozialdemokratie verträgt.

Wochen eintreten wird, so ist das auf die durch die jüng sten Verhandlungen gegebene Wahrscheinlichkeit zurück zuführen, die Truppen gemeinsam mit Frankreich  und Belgien   zurücknehmen zu können. Die Arbeiter regierung zieht naturgemäß ein gemeinsames Vorgehen mit Frankreich   und Belgien   vor, ist jedoch entschlossen, falls wider Erwarten eine übermäßige Verzögerung ein­

treten sollte, diesen Schritt allein zu unternehmen.

4. Unterzeichnung der fakultativen Klausel des Ständigen Gerichtshofes. Die Unterzeichnung dieser Klausel, welche die Entscheidung des Ständigen Gerichts­hofes im Saag bei internationalen Streitigkeiten für bindend erklärt, soll mit einem Minimum an britischen  Vorbehalten und nach Einholung des Einverständnisses der Dominien möglichst bald erfolgen.

Hand in Hand mit dem hier umrissenen Arbeitspro­gramm wird eine attive Völkerbunds politit gehen, die auf eine Aenderung des Ansehens des Völker bundes und seiner Befugnisse abzielt.

Der Ex- Liberale fandidiert für Labour.

London  , 20. Juni.  ( Eigenbericht.)

Der zur Arbeiterpartei übergetretene liberale Abgeordnete und Oberste Staatsanwalt der Regierung Macdonald, Sir W. Jo witt, hat sich entschloffen, sein Mandat in Preston niederzulegen und als offizieller Kandidat der Arbeiterpartei in Leeds   zu fandidieren. Der dortige Sitz ist durch das Ausscheiden Sir Henry Glessers aus dem politischen Leben frei geworden.

eigenen Freunde mit den agrarischen Hochschutzöllnern nicht zu intim werden und im übrigen die Vorschläge des Aus­schusses abwarten, um sie dann, ohne Rücksicht auf fleine Interessentengruppen sa chlich zu beurteilen. Dann wird sie auf den richtigen Weg tommen.

50- Millionen- Dollar- Kredit des Reiches Gestern nachmittag mit amerikanischen   Banken abgeschloffen

Die Verhandlungen des Reichsfinanzminifteriums über die Be­schaffung eines größeren, längerfristigen Auslandskredits zur Auf­füllung der Reichstassenbestände sind gestern nachmittag zum Ab. schluß gebracht worden. Eine a meritanische Banten gruppe unter der Führung des Bankhauses Dillon, Read u. Co. gewährt dem Reich einen Kredit im Betrag von 50 Millionen Dollar. Die Verzinsung beträgt Proz. auf die aufgerufenen Beträge und 1 Proz. Bereitstellungsprovision für die ganze Summe. Die Anleihe ist also nicht unerheblich billiger als die früher von deutschen   Banten gewährten Kredite. Von deutschen   Banken waren die Reichskredit A.-G., die Deutsche Bank und das Bankhaus Mendelssohn   u. Co. an der Transaktion beteiligt, ohne daß sie selbst zu den Gläubigern gehören. Eine Verteuerung der Anleihe durch diese Beteiligung deutscher Banken dürfte nicht in Frage tommen.

Dem Reiche stehen für Kassenzwede jetzt die rund 210 Millionen Amerikakredite, der 180- millionen- Erlös der Reichsanleihe, ein noch unbekannter Betrag aus der Weitergabe von Eisenbahnvorzugsaktien und vielleicht rund 500 Millionen noch nicht fällige deutsche Bank­frebite zur Verfügung. Das dürften für die nächste Zeit aus­reichend große Beträge sein, um Kaffenverlegenheiten des Reiches zu verhindern. Die Fundierung dieser Beträge ist aber immer noch offen und eine dringende Aufgabe der Zukunft.

Bostschedkonto: Berlin   37 536.

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Banktonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 8

Theorie des Faschismus?

Unfruchtbarkeit in der Krise Europas  .

Von Oda Olberg  .

In einem eben erschienenen Buch ,, Europa   und der Faschismus"( de Gruyter   u. Co.) behandelt Pro­feffor Hermann Heller   den italienischen   Faschismus im Hinblick auf seine staatsformende Bedeutung. Baut der Faschismus wirklich ein neues Staatsgefüge, das durch seine Gestalt und durch das Prinzip seines Zusammen­halts dem übrigen Europa   politisch und staatsrechtlich zum Borbild dienen könnte?

Zunächst muß man sich darüber klar werden, daß Europa  heute in der Tat Ausschau hält nach neuen politischen Formen und neuen Elementen staatlicher Einheit. Die ganze Be­trachtung geht von der Tatsache einer politischen Krise aus. Eine Erscheinung dieser Krise ist der italienische   Faschismus. Es fragt sich nun, ob er eine Lösung ist; ob er für das, was versagt, gebrauchsfähige Ersatzteile, für das, was zu zer­fallen droht, neue Bindungen bietet.

Heller definiert die Demokratie sehr schön als ,, err= schaft des Boltes als Einheit über das Volt als Vielheit". Das Einigende und Gemeinsame muß stärker sein als das Auseinanderstrebende und Zerklüftende; es muß das Bewußtsein einer Wertgemeinschaft da sein, in der der Staatsangehörige stärker verantert ist als in den nicht gemeinsamen Werten. In der Auflösung dieser Wert­gemeinschaft liegen die tiefsten Wurzeln der politischen Krise Europas  ." Je mehr der einzelne mitbestimmend in die staatliche Regelung eingreift, je vollendeter also die äußere Struktur der Demokratie ist, um so mehr bedarf es des Zusammenhaltes und der Sanktion eines gemeinsamen Gehaltes. Eine durch große Ungleichheit des Besitzes und der Bildung zerklüftete Gesellschaft büßt mit der Wertgemein­schaft die Voraussetzungen ein für eine den Gesamtbedürf­niffen entsprechende Funktion der Demokratie. Sie büßt sie ein, weil die wirtschaftlich Schwachen bei tiefer Zerflüftung die Gewähr gegen llebergriffe in einer Mechanisierung, Un­persönlichmachung der staatlichen Funktionen suchen und suchen müssen, weil die Möglichkeit dieser Uebergriffe in dem Maße wächst, als der Unterschied der wirtschaftlichen Macht zunimmt. Man denke an die Plutokratie, die in den Ver­ einigten Staaten   auf dem Boden einer formellen Demokratie zu höchster Entfaltung gelangt ist. Die Krise der Demokratie fennzeichnet sich also als Krise des gesellschaftlichen Gehalts, nicht der politischen Leitung.

Was bedeutet nun der Faschismus für diese Krise im Sein und Denten der Nachkriegszeit? Er fand in Italien  

einen ohnmächtigen Staat vor, der, vom Krieg erschöpft, nach dem zurückebben der bolſchemistischen Drohung, die er durch das Bergrößerungsglas der Angst gesehen hatte, nicht mehr recht zu wissen schien, wozu er überhaupt da war.

,, Im Rechtsstaat sollte der Aft der Norm folgen. Weil er es in feinem Sinne tat, fonnte der Rechtsstaat verdrängt werden durch den Faschismus, bei welchem der Att immer der Norm vorausgeht. Die willenslose Norm wurde ersetzt durch den normlosen Willen, das machtlose Recht durch die die der Faschismus dem europäischen   Rechtsstaat zu er­rechtlose Macht- ficherlich die eindrucksvollste Lehre, teilen hat."\

Verfassungsrechtlich ist der Faschismus eine absolute Monarchie. Obwohl er feinerlei Machtbefugnisse hat, ist der König unabkömmlich für die Nachfolgerfrage. Durch das Gesetz vom Dezember 1925 liegt die ganze Erefutivgewalt in Händen des Diktators. Ihm sind die Minister verant­wortlich, er ernennt und entläßt die Beamten. Der König, von dem nominell die Macht des Diktators ausstrahlt, muß wegen dieser Ausstrahlung immer vorrätig gehalten werden Dann muß eben eine Instanz da sein, um den bereitgehalte­für den Fall, daß Mussolini   etwas Menschliches zuſtößt. nen Nachfolger den der hohe Rat vorschlägt- zu er­

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Da der Sachverständigenausschuß mit seiner Arbeit faum erst richtig begonnen hatte, als die demokratischen Alarmglocken schon zu tönen begannen und eine politische Entscheidung über das noch gar nicht vorliegende Gutachten noch nicht gefallen ist, darf man wohl sagen, daß der Eifer der demokratischen Presse im Dienste des Zwischenhandels größer ist als ihre Kenntnis der Tatsachen. Einstweilen ist Die Frage, ob die Sozialdemokratie einmal auch eine Extra tour mit den Deutschnationalen unternehmen dürfte, nur rein theoretischer Bedeutung. Zur Erregung über solche Extra­touren ist aber sicher für die Sozialdemokratie mehr Grund vorhanden, als für ihre bürgerlichen Koalitionspartner. Es gibt in der bürgerlichen Mitte nicht wenige Politiker, die jetzt schon mit dem Gedanken spielen, eine ihnen genehme Reform der Arbeitslosenversicherung auch gegen die Sozialdemokratie mit Hilfe von Parteien, die außerhalb der Koalition stehen, durchzusetzen. Die Tendenz zu einer solchen antifozialdemokratischen Mehrheitsbildung zeigt sich aber gerade auch auf dem Gebiet des landwirtschaftlichen Wieder ergebnislose Ministerpräsidentenwahl in Sachsen  . fommt, als Ausfluß eines Einzelwillens, hemmen die Grund­Hilfsprogramms. Wenn sich die demokratische Preffe so gewaltig über den Gedanken aufregt, daß die Sozialdemokraten gemeinsam mit Die heute im Landtag vorgenommene zweite Wahl für den den Deutschnationalen das Getreide mono pol durchsetzen Bosten des sächsischen Ministerpräsidenten ist wiederum er fönnten, so zeigt sie gegenüber der Möglichkeit einer Ro- gebnislos geblieben. Es wurden insgesamt 94 Stimmzettel operation mit den Deutschnationalen zur Erhöhung der abgegeben, davon 12 weiße. Es haben erhalten Reichstagsabgeord Lebensmittelzölle eine außerordentliche Gelassenheit. neter Fleißner( Sozialdemokrat) 31 Stimmen, Abgeordneter Nun bedeutet der Monopolplan einen Versuch, zwischen Er- Bünger( Deutsche Volkspartei  ) 7 Stimmen( abgegeben von den zeugern und Verbrauchern einen Ausgleich herbeizuführen. Nationalsozialisten), Abgeordneter Dr. Blüher( Deutsche Volkspartei  ) Bollerhöhungen aber sind ein einfacher Raubzug gegen die 12 Stimmen, Abgeordneter Kaiser( Wirtschaftspartei) 11 Stimmen, Berbraucher, in dessen Gewinn sich die getreideproduzierenden Abgeordneter Eberle( Deutschnational  ) 9 Stimmen, Abgeordneter Landwirte mit dem Zwischenhandel teilen. Schreiber( Landvolkpartei) 5 Stimmen, Abgeordneter Heldt( ASPD.  ) 3 Stimmen, Abgeordneter Dr. Apelt( Demokrat) 4 Stimmen.

Möge die demokratische Presse darüber wachen, daß ihre

Heldt bleibt.

Dresden  , 20. Juni.

nennen, durch welche Ernennung der neue Diktator wieder in alle Machtbefugnisse des alten eintritt. So wird die Fa= milie Savoyen weiter gezüchtet, um die jeweiligen Rududs­eier ausbrüten zu können, worin sich ihre Aufgabe erschöpft, da das Aus- dem- Nest- geworfen werden ja teine Aufgabe ift. Eine Gewaltenteilung gibt es im Faschismus nicht mehr; sowohl die richterliche, als die gesetzgeberische Gewalt unterstehen der Erefutive. Da alle Macht von oben rechte der Freiheit und Gleichheit die Machtbetätigung, während sie für die ideelle Bestätigung der Macht, die ja nicht aus dem Bolle kommt, belanglos sind. Der Faschismus hat sie also aufgehoben.

Was hat nun die Diktatur, die durch kein Gesez gehemmt ist, an Stelle der Rechtsgarantien gefeßt, die die Voraus­fegung für die bewußte und gewollte Einordnung der Bürger sind? den ,, torporativen Staat". Es befremdet uns etwas, dieses papierne Gespenst von Heller einer zwanzig Seiten langen Diskussion wert gehalten zu sehen. Für uns ist der ganze forporative Kram nichts anderes als eine staatliche Listenführung nach Berufen mit Ein­tragungsgebühr, deren Ertrag zur Besoldung von Faschisten