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Morgenausgabe

Nr. 303

A 153

46.Jahrgang

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Der Borwärts erscheint wochentag­fich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wiffen"," Frauen ftimme": Technit". Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

2. Juli 1929

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etnipattige Nonpareillezetle 80 Pfennig. Reklamezeile 5.- Reichr mart. Kleine Anzeigen" das fettge bruckte Wort 25 Pfennig( zulässig zwet fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 81%, bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Kampf um die Lastenverteilung.

Die kommenden politischen Entscheidungen.

Das erste Jahr der Regierung der Großen Koalition ist beendet, ohn daß es noch möglich wäre, ein abschließendes Urteil zu fällen. Die Sozialdemokratie hat in diesem Jahre ihre Macht zum Vorteil der Arbeiterschaft eingesetzt. Ruhr­fampf 3ollkampf Kampf um die Sozialversicherung kennzeichnen die Hauptpunkte ihrer Tätigkeit. Der erste An­griff auf die Arbeitslosenversicherung ist abgeschlagen.

Indessen werden die entscheidenden Fragen der inneren deutschen Politik erst in der kommenden Tagung des Reichs­Lugs zur Entscheidung stehen. Der endgültige Kampf um die Erwerbslosenversicherung, die Auseinandersetzungen über die Höhe der Ausgaben der öffentlichen Körperschaften und über die Lastenverteilung stehen noch bevor. Sie werden nach der Entscheidung über die Zahlungsverpflichtungen Deutschlands aus dem Young- Plan in vollem Umfang einsetzen.

Die Reichstagsfraktion der Deutschen Volks partei hat in ihrer legten Fraktionsfigung am 27. Juni eine Entschließung gefaßt, die wie ein Signal zu diesen Kämpfen wirft. Diese Entschließung geht von der Behaup­tung aus, daß die Belastung der Wirtschaft mit Steuern das Maß des Erträglichen überschritten habe, und kündigt an:

schaft zu entlaffen, fortfahren, auch auf anderen Gebieten die erforderlichen Aenderungen. der Grundlagen für Ausgaben im Haushalt anstreben, sowie die gefeßlichen von ihr gestellten Anträge auf Aenderung der Reichsverfassung weiter betreiben.

Für den Fall neuer Tributvereinbarungen verlangt die Frattion, daß die entstehenden Erleichterungen nicht zur Finanzierung neuer Ausgaben, vielmehr restlos zur Sentung von Steuern und Lasten verwandt werden.

Die Reichstagsfraktion der D. Bp. erwartet von der Reichs regierung für den Herbst Gesetzesvorlagen, durch welche ihren hier gekennzeichneten Absichten Rechnung getragen wird."

Aus dieser Entschließung spricht die unverkennbare Ab­sicht, den Generalangriff gegen die Arbeitslosenversicherung und darüber hinaus gegen andere wichtige sozialpolitische Ein richtungen weiter zu treiben. Der Kampf um die Sozial­politik wie um die Lastenverteilung wird im Herbst ent­brennen.

Findet sich innerhalb der Regierung oder der Parteien eine Mehrheit, die die durch die Neuregelung der Daher hat die Frattion zunächst bei der die Reichsfinanzen in Reparationen gewonnene Freiheit nach innen dazu be­besonderer Art und Höhe belastenden Arbeitslosenversiche nußen will, die arbeitenden Volksmassen zu be rung Anträge gestellt, welche die schwersten Schäden benachteiligen, dann wird dies den ohnehin losen Zu­feiligen sollen. Die Fraktion wird in ihrem Bestreben, die fammenhalt der Regierungsparteien aufs schwerste er­öffentlichen Ausgaben zu vermindern und die Wirt- schüttern.

Ernüchterung in Paris .

Mehrheit für Schuldenabkommen gesichert.-

Paris 1. Juli,( Eigenbericht.)

Die Gefühlsexplosion, zu der sich die Kammer in der Nacht des vergangenen Donnerstag hinreißen ließ, hat wenigstens für Poincaré das Gute gehabt, daß er nach der nun überall sich be­merkbar machenden Abkühlung seiner Mehrheit für die Ratifikation sicherer ist als vorher. Die Führer der Sozialisten und Radikalen find aus ihrer bisherigen Reserve herausgetreten und haben erklärt, daß ihre Fraktionen für die Rati­fitation stimmen würden.

In acht Tagen wird die Kammer mit der 3nterpellations­debatte über die interalliierten Schulden beginnen und die Berichte der Finanz- und der außenpolitischen Kommiffion entgegennehmen. Das Parlament wird lediglich dem Ermächtigungs gesetz die von allen Parteien geforderte Sicherheitsklausel einfügen, laut der Frankreich im Falle der Nichtzahlung Deutschlands gleichfalls zur Zahlungseinstellung für berechtigt erklärt wird. In­wiefern der Ministerpräsident die neue Lage zu einer Umbildung feines Kabinetts benußen wird, steht bis jetzt noch nicht feft. In parlamentarischen Linkskreisen erhält sich jedenfalls das Gerücht, daß Poincaré noch vor dem Beginn der Parlamentsferien sein Kabinett

nach links erweitern werde.

In jedem Falle wird die Ratifikation des Schuldenabkommens vor der Annahme des Young- Planes erfolgen und damit die frau­zösische Regierung nicht mehr zur Eile genötigt. Man rechnet hier damit, daß etwa Mitte Juli eine konferenz der Sachver­ständigen zusammentrefen wird, deren Aufgabe vor allem in

- Umbildung des Kabinetts.

Möglichkeiten, die sich nach dem Sturze Poincarés der Partei dar­bieten. Es sei fein Zweifel, daß das Land dann in eine Periode größter Unsicherheit trete, die sehr lange andauern könne. Ferner bestehe die Gefahr, daß die Reaktion versuchen werde, die Ferner bestehe die Gefahr, daß die Reaktion versuchen werde, die republikanischen Freiheiten abzuschaffen. Die Taftit der Partei demgegenüber werde fraglos ein schwieriges Problem werden.

Ueber die Stellung der Sozialistischen Partei zu den Radi­talen erklärte Blum, die Radikale Partei sei von den Sozialisten bei allen Wahlen im zweiten Wahlgang gegen die Reaktion unter stützt worden und dies werde auch weiter geschehen. Ebenso fozialistische Fraffion jede von Radikalen geführte Regierung unterstützen,

werde die

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sofern diese ihrem eigenen Brogramm tre u bleibe. Blum verwahrte fich ferner entschieden gegen den Vorwurf, daß die Sozialistische Partei Schen vor der Berantwortung habe. Die Verhältnisse seien in Frankreich verschieden von denen anderer Länder. Am Schluffe bedauerte der sozialistische Führer, daß die Sozialisten bisher noch niemals in allen europäischen Großstaaten zugleich an der Macht gewesen seien. Die in einem Lande an der Macht befindlichen Sozialisten sähen sich gewöhnlich gezwungen, ihren nationalen Bart nern gegenüber auch die eigenen nationalen Interessen entschieden zu vertreten. Dadurch entständen Misstimmigkeiten, die durch die gemeinschaftliche Arbeit der Sozialistischen Internationale, so gut wie möglich, überbrückt würden.

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Moskau und Nanking .

Der gestörte Friede im fernen Often.

Von Peter Garwy.

einen fühlbaren Schritt vorwärts machte, flammen an den Während im europäischen Westen die Sache des Friedens Spannung zwischen China und Sowjetrußland wächst. Küsten des Pazifischen Ozeans afute Konflikte auf. Die

Der afute Konflikt hat sich am 27. Mai in Charbin in mit Gewalt in das russische Generalkonsulat ein und ver­der Mandschurei abgespielt. Die chinesische Polizei drang haftete 45 Sowjetbürger, darunter den Generalkonsul selbst. Am haftete nach einer brutal durchgeführten Durchsuchung 31. Mai wurde dem chinesischen Geschäftsträger in Moskau die von Karachan gezeichnete Protestnote überreicht. Die Sowjetregierung erklärte darin, daß angesichts der groben Verlegung der Völkerrechtsnormen durch die chinesische Bo­lizei den Vertretern Chinas in Rußland die bisherige Erterritorialität entzogen werde. Nanting wurde von der Sowjetregierung gewarnt, ihre Langmut nicht mehr zu mißbrauchen". Wie die Prawda" vom 2. Juni sagte, sei die Entziehung der Exterritorialität nur als erster Schritt anzusehen; nötigerweise stehen der Sowjetregierung auch und die fruchtlosen Ermahnungen" zur Verfügung.. andere effektivere Maßnahmen als das endlose Ertragen

dem chinesischen Geschäftsführer in Moskau an, mit seinem Daraufhin wies der Außenminister Chinas , Dr. Wang, Personal innerhalb von acht Tagen Rußland zu verlassen. Die eigentliche Antwort der Ranking- Regierung auf die russische Protestnote ist aber noch ausgeblieben. Die Sowjet­preffe legt diese Verzögerung bald als eine absichtliche Scharfmacherei, bald als Resultat des Kampfes zwischen den aggressiven und den versöhnlichen Elementen innerhalb der Nanting- Regierung aus. Beunruhigende Nachrichten über das Eindringen der sowjetistischen Truppen in die Mongolei und Nordmandschurei haben sich jedoch als völlig erfunden heraus­gestellt. So werden sich auch die jüngsten sowjetistischen Mit­teilungen( Prawda" vom 21. Juni) über Umgruppierungen der japanischen Streitkräfte an der Grenze der Nords mandschurei hoffentlich ebenfalls als erfundene Alarmnach­richten erweisen. Immerhin bleibt die Lage ernst.

Der Charbiner Konflikt bildet nur ein neues Glied an einer langen Rette von Ereignissen. Die Sowjetdiplomatie und die Komintern haben sich seit jeher mit Haut und Haaren in das chinesische Chaos verstrict. Dabei wurde die welt­revolutionäre Großmacht- und Expansionspolitik Rußlands im Osten aufs engste verbunden. Freilich warb zuerst das neue China um Moskaus Hilfe, da es glaubte, auf diese Weise die imperialistischen Großmächte und die von ihnen besoldeten einheimischen Militaristen erfolgreicher bekämpfen zu können. Jetzt aber lehnt es das vereinigte China ab, als Schauplaz bald für die Abrechnungen Rußlands mit Eng­land oder Japan , bald für die weltrevolutionären Pläne der Komintern zu dienen. Der aus Moskau im Dezember 1927 inszenierte Kantonputsch, der der Auftakt zur kommunistischen Machtergreifung sein sollte, führte zum ersten Bruch zwischen dem bürgerlich- revolutionären China und der Sowjetunion . Seither bemüht sich die nationale Nanking - Regierung, die jegt nach einer Verständigung mit den kapitalistischen Großmächten Chinas strebt, von dem unbequem gewordenen Verbündeten loszukommen. Das bürgerliche China braucht jetzt feine Revolutionsinstrukteure wie Borodin mehr, son­dern Finanzinstrukteure, wie die Amerikaner Kämmerer und Young. Ebenso wie in Persien und in der Türkei hat auch in China der bolschewistische Mohr seine Schuldigkeit getan.

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organisatorischen Vorarbeiten zur Inkraftschung des Hin und her zwischen London und Paris ueberzeugung der Kuomintang- Leute zu ſein! Daher die

Young- Planes fowie einer genaueren Auslegung bestimmter Teile des Sachverständigengutachtens besteht. Der Zusammen­triff der diplomatischen Konferenz wird für Miffe Auguft erwartet.

Blum fündigt Poincarés Sturz an.

Paris , 1. Juli. ( Eigenbericht.)

Die von Leon Blum anläßlich der Einweihung des neuen Hauses der Sozialistischen Partei gehaltene Rede fann in ihrer meisterhaften Form und ihrem Gedankenreichtum als eine der besten Programmreden angesehen werden, die von sozialistischen Führern gehalten wurden. Sie befigt ein weit über den Tag hinausgehendes Interesse.

Blum erklärte zu Beginn seiner Ausführungen, er glaube mit Sicherheit voraussagen zu können, daß das. Kabinett Poin: caré die tommende Schuldendebatte nicht überleben werde, einerlei, ob es noch eine Majorität für die Ratifitaion finde oder nicht. Es werde einfach der allgemeinen lleberzeugung weichen müssen, daß seine Aufgabe erfüllt sei und daß es

teine Eristenzberechtigung mehr

habe. In der Debatte selbst werde sich die Fraktion, ohne von ihrer Opposition etwas aufzugeben, allein von höheren Interessen be­timmen laffen,

Im weiteren Berlauf seiner Rede prüfte Blum eingehend die

Der Meinungsaustausch über den Konferenzort. Paris , 29. Juni. ( Eigenbericht.)

Nach der Uebergabe der französischen Antwortnote an die eng fische Regierung, worin Frankreich von neuem als Tagungsort für die internationale Regierungskonferenz zur Inkraftsehung des Young- Blanes Lausanne oder Duchy vorschlägt, hat der englische Botschafter in Paris , Lord Tyrell, nochmals bei Briand vor­gesprochen und den englischen Antrag erneuert. Konferenzort und Datum noch nicht entschieden.

London , 1. Juli.

Wie Reuter erfährt, ist bisher in bezug auf die Wahl des Ortes und des Datums für die nächste Reparationskonferenz noch feine Entscheidung gefallen. Es wäre daher, wie Reuter hinzufügt, verfehlt, aus den französischen Aeußerungen den Schluß zu ziehen, daß Frankreich sich endgültig gegen die Ab­haltung der Konferenz in London entschieden habe. Die britische Regierung ist immer noch der Ansicht, daß aus den verschiedensten bereits dargelegten Gründen London der geeignetste Mittelpunkt ist.

Am Montag nachmittag hat in Paris Botschafter von Hoes mit Briand über die der Konferenz berührenden Fragen ver handelt.

,, Aber der Mohr will nicht gehen" das scheint die Aggressivität der Nanking - Regierung ihrem innigsten Freund von gestern gegenüber. Und in der Tat ist der Charbin­scheinungen zu erklären, mit dem Wiederaufwachen Ueberfall nur im Zusammenhang mit zwei wichtigen Er­des Bürgerkrieges in China und mit der verwickelten Lage auf der o st chinesischen Bahn.

Die national- bürgerliche Konsolidierung Chinas unter dem Diktator Tschangkaischef droht wieder ins Wanken zu geraten. Die Provinzmachthaber( Tuschons") wollen sich nicht mit dem Ende der Provinzselbständigkeit und der Land­ausplünderung abfinden. Der Generälekrieg ist wieder da und mit ihm die Gefahr eines neuen Bürgerkrieges. Moskau wieder fühlt sich versucht, die aufs neue beginnende Ber­wirrung in China auszunuzen, um die neue Taktik" der Komintern durchzusehen und die Weltrevolution" nach der Maischlappe im Westen wieder im Often aufzublasen. Die Polizisten von Charbin glaubten in dem Sowjetkonsulat ,, Be­weise" für die Beziehungen zwischen Moskau und dem sowjet- christlichen" General Feng zu finden, der nach der Niederwerfung der aufständischen ,, Kwangsiegruppe" der Ge­neräle, jetzt der gefährlichste Widersacher Tschangkaischefs ist. Die Polizei scheint aber in Charbin ebenso Bech gehabt zu haben wie in Berlin 1924 und in London 1927. Aber die Ranking- Regierung brauchte, wie früher die englische fon servative Regierung, feine echten Beweise", sondern viel­