1929
Der Abend
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Nr. 308 B153 46. Jahrgang.
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Die heufige Sihung im Fälscherprozeß begann mit einem Rückzug der Verteidigung. Sie gab einige ihrer unhaltbaren Positionen auf, um sich um so fester auf andere zu verschanzen. Die große Sensation des heutigen Morgens fiel aus. Zur allgemeinen Ueberraschung hatte der Kriminalfommiffar Braschwih von der Abteilung la von seiner vorgesetzten Behörde das generelle Berbot erhalten, Aussagen zu machen. Die einzelnen Fragen sollten formuliert werden, worauf die Behörde erst entfcheiden wolle, ob die Genehmigung zu deren Beantwortung erteilt werden könne.
Vor Eintritt in die Verhandlung gab Rechtsanwalt Dr. I affé folgende Erklärung ab: Es sei dem Zeugen Rniderboder nie der Vorwurf gemacht worden, daß er um eigener Vorteile willen im Auftrage der GPU. bösgläubig" gehandelt habe. Der Ange flagte Orloff habe den Verdacht gehabt, daß er gemeinsam mit der GPU, die gefälschten Borahdokumente hergestellt habe; der bisherige Verlauf der Verhandlung habe jedoch diesen Verdacht als nicht stichhaltig erwiesen. Fest stehen jedoch die mehr als freundschaftlichen Beziehungen des Herrn Knider boder zu der Sowjetregierung: er habe dem Pressechef der Sowjetvertretung von seiner Strafanzeige gegen Pawlonowsti Mitteilung gemacht, habe ihn über den Gang der Angelegenheit auf dem laufenden gehalten; der Botschafter Krestinski habe bei dem Zeugen feine Karte abgegeben. Fest stehe ferner, daß der Zeuge als agent provocateur der politischen Polizei tätig gewesen sei; denn nicht anders als provokatorisch sei es zu bezeichnen, wenn etwas provoziert werden soll, um noch zu erstrebende Beschuldigungen zu beweisen,
Zeuge Herr von Schwabe.
Als erster Zeuge tritt der Buchdruckereibefizer von Schwabe vor den Zeugentisch. Den Angeklagten Orloff fennt er seit 1924. Dieser muß zu ihm sehr viel Vertrauen gehabt haben, denn an ihn wandte er fich, als er zu seiner Tätigkeit gewisser Bordrude bedurfte. In der Voruntersuchung fonnte sich der Zeuge ganz genau erinnern, daß Orloff etwa im Jahre 1926 bei ihm
Blankoformulare mit dem Aufdruď: Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, Bereinigte ftaatliche politische Verwaltung, Auslandsabteilung Moskau , Große Lubjanka 2, bestellt habe und im Jahre 1927 solche mit dem Aufdruc: Kom= munistische Internationale. Heute fann er nichts mehr mit Bestimmtheit sagen. Der Vorsitzende nennt das mit Recht eine wunderbare Erscheinung. Der Angeklagte Orloff gibt aber dazu noch eine Erklärung, die noch wunderbarer anmutet: er habe ge= wußt, daß die GPU. in ausländischen Druckereien ihre Vordrucke beſtelle. Auf der Suche nach irgendeinem Rest habe er sich auch an Herrn Schwabe gewandt, weil er von diesem früher einmal gehört habe, daß Bolschewisten auch bei ihm Formulare bestellt haben. Schwabe besaß aber feine Reste. Orloff bat darauf seine Agenten in Rußland , ihm Bordrucke der Gẞll. zu schicken, bestellte darauf sieben verschiedene Formulare in der Druckerei des Herrn Schwabe und sandte sie erneut nach Mostau, damit seine Leute dort wüßten, ob sie den Formularen der GPU. ganz gleich seien. Das alles, erklärte Orloff, habe er nur getan, um festzustellen, daß die GPU. im Auslande Formulare bestelle; zu welchem Zweck er diese Feststellungen gebraucht habe, wolle er im Verlauf der späteren Berhandlung sagen.
Als der Staatsanwalt in Verbindung mit der Aussage des Zeugen Schwabe dem Gericht verschiedene Abrechnungen vorlegen will, die aus den Ermittlungsakten der politischen Polizei vorlegen will, die aus den Ermittlungsakten der politischen Polizei stammen, protestiert die Berteidigung energisch gegen ein derartiges, mit der Strafprozeßordnung im Widerspruch stehendes Verhalten der Staatsanwaltschaft. Das Gericht lehnt die Entgegennahme der vom Staatsanwalt überreichten Aften ab.
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Weitere Fortschritte der Sozialdemokratie.- Kommunistische Spaltung.
Amsterdam , 4. Juli. ( Eigenbericht.) Nach dem aus 13 Verhältniswahlkreisen vorliegenden Ergebnis der Kammerwahlen erhielten die Sozialdemokraten 667000 gegen 591 000 Stimmen im Jahre 1925, die Römisch- katholischen 580 000 gegen 512 000, die Antirevolutionären 322 000 gegen 316 000 Stimmen, die Christlich- Historischen 280 000 247 000 Stimmen, der Liberale Feiheitsbund 179 000 gegen 217000 Stimmen, die Freisinnigen Demokraten 159 000 gegen 139 000 Stimmen, die offiziellen Kommu nisten( de Biffer) 31 000 gegen 32 000 Stimmen und die kommunistische Opposition( Wijnkoop) 27 000 Stimmen;
Prinz zu Lippe.
gegen
Die bewußten Freunde haben wiederum 500 M. gesammelt. Dürfen wir Hoheit bitten, dafür nochmals die Republik zu
beschimpfen?"
sie hatte 1925 nicht kandidiert. In Amsterdam stieg die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen von 113 000 im Jahre 1925 auf 134 000 bei dieser Wahl. Bisher find gewählt 20 Sozialdemokraten, 18 Römisch Katholische, 10 Antirevolutionäre, 9 Christlich- Historische, und je ein Kommunist von jeder der beiden Richtungen. 5 Liberaler Freiheitsbund, 5 Freisinnige Demokraten Nach einer Schäßung, die die noch ausstehenden Wahlkreise berücksichtigt, wird die Sozialdemokratie jedenfalls 25 statt 24 von 100 Kammerfiten haben. Jede der beiden kommunistischen Richtungen wird durch einen Abgeordneten vertreten sein, während bisher nur ein Kommunist der Kammer angehörte. Bemerkenswert ist der Stimmenrückgang des Liberalen Frei heitsbundes, der statt 9 wahrscheinlich nur 7 Sige Rechtsanwalt Fuchs will wissen, ob es richtig sei, daß das erhalten wird. Auch die Antirevolutionäre büßten einen Verfahren gegen Bawlonowski auf Veranlassung der Sowjetregie- it ein und werden in der neuen Kammer wahrschein rung eingeleitet worden sei, da die GPU. ihn unbedingt zur Strede fich nur 12 Abgeordnete haben. habe bringen wollen. Ob es ferner richtig sei, daß während der Bernehmung Pawlonowskis auf den Tisch des Zeugen ein Ver zeichnis der noch zu verhaftenden Personen gelegen habe. Der 3wed dieser Fragen sei, zu beweisen, daß Pawlonowifi fatsächlich fehr wichtige Nachrichten zur Verfügung habe. Auch Rechtsanwalt Jaffé formuliert seine Fragen, ob Orloff für die politische Polizei tätig gewesen sei, welche Art Auskünfte er gegeben und ob er davon materielle Vorteile gehabt habe. Das gleiche wünscht der Berteidiger in bezug auf den Zeugen Siewert zu wissen. Ferner mill der Verteidiger vom Zeugen hören, ob Beamte der politischen Po( Fortsetzung auf der 2. Seite.)
Nach achttägiger verworrener Debatte über die Frage, wie man nun die Ratifizierung des interalliierten Schuldenabkommens vornehmen solle, haben sich die Berichterstatter der Finanzkommiffion
und der Kommission für auswärtige Angelegenheiten, die Abgeord neten Stern und Pietri, genötigt gesehen, sich abermals an den Ministerpräsidenten Poincaré um Rat und Hilfe zu wenden. Das Parlament hat sich immer noch nicht über eine bestimmte Meinung einigen können. Poincaré hat den beiden Abgeordneten zunächſt eine höchst komplizierte Prozedur als einfachste Lösung für das heitle Problem vorgeschlagen. Nach seiner Ansicht soll das Parlament zunächst einmal ein Ermächtigungsgesetz beschließen, das dem Präsidenten der Republik die Erlaubnis gibt, die Schuldenabkommen durch Verordnung zu ratifizieren. Dann soll das Barlament ein zweites Gesetz annehmen, worin die französischen
orbehalte niedergelegt werden sollen, daß nämlich Frankreich nur dann seine Schulden bezahlt, wenn es selbst von Deutschland bezahlt wird. Mit dieser Prozedur hofft Poincaré die Empfindlichfeit der amerikanischen und englischen Gläubiger nicht zu verlegen. Der 50 Millionen- Schwindel.
Nach sechsmonatiger Arbeit ist der Bericht über die Aktiven und Passiven der ,, Gazette du Franc" fertiggestellt worden. Die Aktiven sollen mit insgesamt 130 und die Passiven mit 180 Millionen Franfen bewertet werden, so daß der Krach der„ Gazette du Franc" ein Defizit von 50 Millionen Franken hinterläßt. Die Sachverstän digen betonen dabei, daß es der„ Gazette du Franc" nur durch ihre geschickte politische Propaganda gelungen sei, den kleinen französifchen Sparer für ihre Operationen zu gewinnen. Die Veröffent lichung der handschriftlichen Rundgebungen von Poincaré , Briand , des Kardinals Dubois und zahlreicher ausländischer Staatsmänner und Minister schufen ihr den genügenden Kredit in den Augen der Deffentlichkeit.
Verfassungsfeier in Amerika . Whistykampf in Kanada. - Riefenbrände durch Feuerwert..
New York , 4. Juli. Die Feier des Unabhängigteitstages hat gestern bes gonnen. Ungeheure, nach Millionen zählende Menschenmassen strömten nach den Seebädern in Neuengland und Kanada . Zur Bewältigung des Verkehrs waren 1500 Eisenbahnzüge, mehrere Besondere Vorschriften regelten in diesen Bädern den Verkauf van tausend Autobusse, viele Dampfer und Flugzeuge in Bewegung.
Spirituosen an Amerifaner. Kein Tourist durfte mehr als zwei Flaschen Whisky faufen. Wie in früheren Jahren
ereigneten sich eine Reihe von Unglücksfällen infolge leichtsinnigen
Umgehens mit Feuerwerkskörpern.
Der Leiter der New- Yorker Feuerwehr mußte im Rundfunk eine von ihm gehaltene Ansprache über die Gefahren des Umgehens mit Feuerwerksförpern unterbrechen, um das Kommando bei der Bekämpfung eines Großfeuers zu übernehmen, zu dessen Löschung 21 Feuerwehrzüge aufgeboten werden mußten. Das Feuer war in einem Brooklyner Holzlager ausgebrochen, das von Kindern durch Feuerwerkskörper in Brand gesteckt worden war. Das Feuer ergriff mehrere Fabriten und Lagehäuser und verursachte einen Schaden von einer halben Million Dollar. Zeitweilig bestand die Gefahr, daß infolge der sich entwickelnden Hize die Luft fliegen würde. In Omaha ( Nebraska ) jezte eine Explosion ein in der Nähe des Brandherdes gelegener Gas behälter in in einem Feuerwerkladen das ganze Haus in Brane. Drei Per= jonen famen dabei ums Leben.
Bomben gegen die Getreidebörse. Ein Anschlag in Los Angeles .
New york , 4. Juli. Die Getreidebörse in Los Angeles wurde gestern durch die Explosion einer Bombe schwer beschädigt. Die Polizei fand in einem Toilettenraum noch zwei weifere Bomben, die glüdlicherweise nicht explodiert waren.
Nur dem Umstand, daß die Explosion sich wenige Minuten vor der Eröffnung der Börse ereignete, ist es zuzuschreiben, daß dem Anschlag teine Menschenleben zum Opfer gefallen find,