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Beilage

Freitag, 12. Juli 1929

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärs

Sevilla, Afrikas   Vorposten

Großstadt am Südwestzipfel Europas  - Ibero- südamerikanische Ausstellung

,, Ach, Sie fahren nach Se villa? Wunderschön! Das muß man gesehen haben. Aber machen Sie sich darauf gefaßt: dort ist es immer um durch­schnittlich 10 Grad heißer als hier in Madrid  !"

Ich wollte das zunächst nicht glauben, denn Madrid  war für uns Mitteleuropäer be­reits hart an der Grenze des Erträglichen. Aber alle Renner Andalusiens   bestätigten diese flimatische Warnung. Da sie dennoch übereinstimmend zu der Reise rieten, schloß ich mich der Fahrt an, zu der die Leitung der neueröffneten ibero- füdame­ritanischen Ausstellung die Völ terbundsjournalisten eingeladen hatte. Elfftündige Fahrt von etwa 600 Rilometer gegen Süd­

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In den Alcazar  - Gärten

westen. Eine schwüle Nacht im vollbesetzten Abteil. Es wäre un möglich, das Fenster geschlossen zu halten. Das Resultat: nach einigen Stunden sieht man

wie ein Schornfteinfeger

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aus. Ihre Lokomotiv en beziehen die spanischen   Eisenbahngesell. schaften zum guten Teil aus Deutschland   oft las ich an den modernsten Schnellzugriesen die Firmenschilder Hanomag  - Han­ nover  , Henschel u. Sohn, Kassel  " aber woher mögen sie bloß ihre Rohle beziehen? So viel Ruß und schwarzer Staub wird nirgends ausgespudt wie auf spanischen   Eisenbahnen, und noch nie habe ich den ungeheuren Fortschritt, den die Elektrifizierung auch für den Reisenden bedeutet, so flar empfunden, wie in dem Augenblid, als ich am Morgen aufwachte und meine mitreisenden Kollegen und sodann mich selber im Spiegel erblickte.

Es ist sechs Uhr morgens und man ist bereits von der Sonne geblendet und geröstet. Der Himmel ist schon nicht mehr blau, sondern bereits grell- silbern. Die Landschaft abwechselnd dunkelgrün und golden filometerlange Reihen von Olivenbäumen und endlose, teils reife, teils bereits gemähte Kornfelder. Und am Bahndamm entlang mannshohe hellgrüne Rafteen.

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Der erste Gedanke bei diesem Anblick: Afrika  ! Run: wie weit ist noch der schwarze Erdteil von Andalusien  ? In Luftlinie jedenfalls schon viel näher als die am Abend zuvor von uns ver­laffene Hauptstadt Spaniens  . Gegen neun Uhr morgens erreicht man die Hauptstadt der Provinz  , Sevilla  . Eine Großstadt, die sich mit Riesenschritten der ersten halben Million Einwohner nähert, nachdem sie vor Inapp 25 Jahren noch feine 200 000 zählte.

Die Temperaturpropheten haben recht behalten. Noch lange vor den Siedestunden des Nachmittags ist es hier unfagbar heiß. Und doch gewöhnt sich der Mensch an alles, also auch daran. Man wird in ein Hotel geführt, das wie ein Märchen aus 1000 und einer Nacht anmutet: ein ehemaliges Kloster im maurischen Stil. Die Halle ist ein mit Leinwänden teilweise überdachter Hof, in dessen Mitte ein Springbrunnen, ringsherum Palmen und sonstige Pflan­zungen. Fast alle Häuser in Sevilla  , selbst die kleinsten und ärm­lichsten, besitzen einen solchen Hof, Patio   genannt, in dem es selbst in den heißesten Tagesstunden wunderbar frisch ist. Der Boden be­steht aus Racheln, die Wände aus bunten Fayancen.

Sevilla   ist viel heißer, aber auch viel luftiger als Madrid  . Das Leben in den Mittags- und Nachmittagsstunden ist faft noch spär­licher als in der Hauptstadt. Am Vormittag aber, somie in den Abendstunden ist es jedoch durchaus großstädtisch. Hier ist aber die Entwicklung nicht fünstlich und rätselhaft wie in Madrid  . Schon als Mittelpunkt einer reichen landwirtschaftlichen Provinz hätte Sevilla   eine genügende ökonomische Eriſtenzberechtigung. Aber auch die Industrie entwickelt sich dort in schnellerem Tempo

Orangenhof und Minsterturm

als in der Hauptstadt. Die älteste Werkstatt ist jene geräumige Tabatfabrit im Rofofoftil, in der nach der Erzählung Pro­sper Mérimées und in der unsterblichen Bertonung Bizets die heiß­blütige Carmen wirkte. Heute gibt es aber auch große Fabriken für landwirtschaftliche Maschinen und Erzeugnisse der Elektro- In­dustrie, in denen nicht minder hübsche Andalusierinnen ausgebeutet werden und schnell verblühen. Endlich und nicht zuletzt verdankt die Stadt ihre Entwicklung dem großen Handelshafen: der breite Fluß Guadalquivir   verbindet Sevilla   direkt mit dem Ozean. Noch müssen die größten Dampfer in Cadiz   halt machen, aber wenn erst die Ausbaggerung des Flußbettes Sevilla den Ozean­riefen mit stärkster Tonnage zugänglich gemacht haben wird, dann dürfte am südwestlichsten 3ipfel Europas   ein fosmopolitischer Hafen ersten Ranges entstehen.

Sevillas   Reichtum an Kunstschäzen und natürlichen Schönheiten ist mit Recht berühmt. Die Kathedrale tommt weder äußer­lich, noch im Innern so zur Geltung, wie sie es verdient. Nur ihr kühner Turm, die Giralda  , das Wahrzeichen der Stadt, ist weithin sichtbar. Das Schiff selbst ist zu niedrig und zu wenig frei. Das Immere ist durch mehrere hohe Altare mit loftbaren Schnitzereien, Skulpturen und Bittern regelrecht verbaut. In einem Seitenflügel das imposante und doch schlecht zur Geltung tommende

Grabmal des Chriftoph Columbus.

Märchenhaft schön sind das Palais und vor allem die Gärten des Alcazar  . Schon in Toledo   mit seinen herrlichen Bauten der arabischen und jüdischen Kunst aus dem frühesten Mittelalter padt einen noch heute der Zorn über die abgrundtiefe Dummheit und Barbarei der Heiligen Inquisition, die ganze Völkerschaften mit den grausamsten Mitteln ausrotten und austreiben ließ. Bon dieser Zeit her datiert der langsame und un­aufhörliche Verfall der spanischen   Weltmacht. Aber die von den Ber­aufhörliche Verfall der spanischen   Weltmacht. Aber die von den Ber­triebenen zurückgelassenen Bauten zeugen heute noch gegen dieses Maffenverbrechen der Bigotterie und des Fanatismus an den Men schen, an der Kultur und an der Kunst. Eigentlich haben Hitler   und

Spanisch- amerikanische Aussellung

Reventlow ihre Zeit verpaßt: sie hätten im 15. und 16. Jahrhundert als spanische Inquifitoren freie Bahn für die Entfaltung ihres ver­rückten Fanatismus gehabt.

Was die Säle und Galerien des Alcazar   an Schäßen der maurischen Kunst bieten, wird noch übertroffen durch die tro= pische leppigteit seiner Gärten. Dicht neben dem Alcazar pische leppigteit seiner Gärten. Dicht neben dem Alcazar  liegt das alte Viertel von Santa Cruz mit einem Labyrinth von Gaffen und Sackgassen, die selbst den einheimischen Droschten­chauffeur immer wieder in Terlegenheit bringen: sei es, daß es ihm beim besten Willen nicht einzubiegen gelingt, sei es, daß er zu seiner eigenen Ueberraschung überhaupt teinen Ausweg mehr hat ( und erst recht nicht fehrt machen kann!). Schon legt aber das internationale Grundstüd- und Bautapital seine eherne Hand auf die Winkel von Santa- Cruz: Einige Straßendurchbrüche und Wolfentrager nach Madrider   Muster und bald wird einer der malerischsten Flecke der Welt dem Fortschritt" zum Opfer gefallen sein....

Denn selbst an diesem äußersten Borposten Europas  , der eigent­lich gar nicht mehr zu Europa  , sondern zu Afrita gehört, will das moderne Spanien   seinen Entwicklungsdrang betätigen. Ja, ge­rabe dort, vielleicht weil Sevilla   um einige Stunden näher dem großen, fernen südamerikanischen Kontinent liegt als Madrid  . Es ist ja schon sehr auffallend, daß ein Land wie Spanien  sich den beinahe provokatorischen Lugus zweier großer Aus­stellungen auf einmal leiftet: einer Beltausstellung in Barcelona   und einer iberisch- südamerikanischen Ausstellung in Sevilla  . Es scheint, daß die lettere dem Spanier  mehr am Herzen liegt als die erstere. Denn der Gedanke, der dieser sevillanischen Ausstellung zugrunde liegt, ist ein eminent nationaler und fulturpolitischer: Sie soll die geistige Ber. bundenheit zwischen der iberischen   Halbinsel und den von der spanischen   und portugiesischen Kultur eroberten überseeischen Län­dern von Merifo bis Argentinien   und Chile   dokumentieren. Sie soll eine solche Kraftentfaltung des iberischen, vor allem des spanischen   Genius, bedeuten. Ob der Versuch gelungen ist, ob der 3med erreicht werden wird, läßt sich schwer sagen. Denn einmal war die Ausstellung bei unserem Besuch, etliche Wochen nach ihrer Eröffnung, noch lange nicht fertig. Der Inhalt der wenigen be­reits eingeweihten südamerikanischen Pavillons war ziemlich nichtssagend. Spanien   hat vor allem eine Auslese seiner klassischen und modernen Kunstschäze beigesteuert, die allein den Besuch lohnt. Auch die Bauten feine Bretterbuden, sondern Paläste aus Stein, die später als ständige Heime für die Studenten aus den einzelnen lateinamerikanischen Republiken ge= dacht find find fehenswerte Kunstwerte. Auf dem Guadalquivir  ,

Gasse in Santa Cruz

an dessen Nordufer sich der großartige Ausstellungspart stundenlang erstreckt, schwimmt eine naturgetreue Kopie der weltgeschichtliche Karavelle des Columbus, auf welcher Nuß­schale der wagehalsige See fahrer zufällig und irrtümlicher. meise Amerita entdeckte und wenn die Version zutrifft die Syphilis nach Europa   herein schleppte.

Der Rest ist Rummel, Luna- Part plus Rölner Pressa. Ausstellung, die in vielem als Muster diente und, was ins. besondere die märchenhaf ten Illuminationen an langt, weit übertroffen wurde. Selbst die Rölner Liliputo bahn wurde original von Se villa erworben und vom Rhein  nach dem Guadalquivir verfrachtet. Eine zweihunderttöpfige deutsche Kolonie nimmt am wirtschaftlichen Aufblühen von Sevilla   teil. Mittlere Frachtdampfer einer deutschen   Reederei ver fehen zweimal in der Woche einen direkten Dienst zwischen Ham­ burg   und der Hauptstadt Andalusiens  . Bei dem Anblid der un geheuren Entwicklung der spanischen   Städte und das gilt natürlich nicht nur für Sevilla  , sondern erst recht für Madrid  , für Barcelona  und für ganz Spanien   überhaupt empfindet man den ganzen

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Jammer der gegenwärtigen deutschen   Handelspolifit. Welche ungeheuren Perspektiven würden sich der deutschen  Industrie und dem deutschen   Handel bei einer vernünftigen Handels politit eröffnen! Aber gerade beim Abschluß des ersten deutsch­spanischen Handelsvertrages vor drei Jahren hat sich der Terror, den die Minderheit der der rein landwirtschaftlichen Interessenten ausübte, zum Schaden der großen Mehrheit der deuts schen Wirtschaft ausgewirkt. In diesem Falle find es die Winzer, die Ach und Weh schrien, weil den billigeren spanischen   Weinen teine genügenden Zollschranken gesezt worden wären. Sie haben auch die Kündigung des ursprünglichen Handelsvertrages beim ersten Termin durchgesetzt. Es ist bereits nachgewiesen worden, daß der gesamte Goldmarkwert des deutschen   Weinbaues geringer ift als der Exportschaden, den die deutsche Industrie all. jährlich durch die Erschwerungen ihrer Exportmöglichkeiten nach Spanien   erleidet. Inzwischen faßt die amerikanische   In. dustrie trog ihrer höheren Löhne und Frachten immer festeren Fuß auf spanischem Boden.

Es ist zu bedauern, daß die geographische Entfernung und die dadurch verursachten höheren Fahrkosten es dem Deutschen   so schwer nachen, Spanien   fennenzulernen. Immerhin, von den vielen Zehntausenden, die der sonnige Süden wie ein Magnet anzieht und die früher alljährlich nach Italien   pilgerten, wären die meisten in der Lage, auch einmal Spanien   zu bereisen. Seitdem der Faschismus in Italien   herrscht, und insbesondere die Deutschen   in Südtirol   unterdrückt werden, ist der deutsche   Touristenstrom nach Italien   ganz erheblich zurückgegangen. Es ist hier schon ausgeführt worden, daß die spanischen   Diktaturzustände mit den Mussolinischen nicht zu vergleichen sind. Daraus sollten alle Deutschen  , die die Sonne, die Schönheit und die Kunst südländischer Gefilde lieben, die Konsequenz ziehen und dieses interssante Land fennenlernen. Auch für Arbeiterreisegesellschaften dürfte Spanien  feineswegs unerschwinglich sein. So sollen deutsche und holländische stafiendampfer für relativ billiges Geld auch Passagiere nach den spanischen Häfen bringen. Die Ausstellung in Sevilla  , die zwei Jahre dauern soll, dürfte jedenfalls für die Zögernden einen Anreiz mehr bilden, die weite Reise nach diesen Vorposten Afritas zu wagen. Victor Schiff.

Portal der Tabakfabrik