'Beilage Dienstage 23. Juli 1929
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Wir werden älter als früher! Was die Sterbetafeln verraten/ Von Felix Linke
Unsere Großeltern haben uns immer erzählt, daß die Menschen siüher viel älter geworden sind als„heutzutage". Und wir haben es als treue Enkel auch geglaubt. Leider haben jene alten Herrschasren immer vergessen, was im Lause ihres Lebens so um sie herum weg- gestorben ist. Sonst würden sie nämlich zu einem ganz andern Er- gebnis gekommen sein, nämlich, daß die Menschen im Durchschnin heutzutage viel älter werden als früherl Es hat keinen Zweck, sich bei solchen Fragen aus das Gesühl zu oerlasien, aus das, was man beobachtet und erfahren und nn Gedächt- nis behalten hat. Viel richtiger ist, die Sache nüchtern zahlenmäßig zu betrachten. Man müßte zu dem Zweck allerdings die gesamic Bevölkerung registrieren und verfolgen, wie alt die einzelnen Per- sonen geworden sind. Für gewisse Bevölkerungsgruppen hat man das schon lange getan, weil es nämlich Interessenten an solch"« Ersahrungen gibt: die Lebensversicherungsgesell- s ch a s t e n. Wollen sie nicht an ihren zu geringen Prämiensätzen pleite gehen— und die Sätze sind bekanntlich immer zu gering, bloß nicht für die Prämienzahler— so müssen sie wissen, in welcher Ord- nung die Menschen absterben, wie alt sie durchschnittlich werden, damit sie für die in ganz verschiedenen Lebensaltern in ihre Ver- stcherung eintretenden Personen auch die richtigen Prämien festsetzen können. Die Bersicherungsmathcmatiker stellen zu diesem Zweck Sterbetafeln aus, die sie dem ganzen Versicherungsgeschäst zu- gründe legen. Solche Sterbetafeln müssen auch vorhanden sein für die Gesamtbevölterung, wenn man so wichtige Dinge wie die soziale Versicherung regelt. Leider hat man in Deutschland ziemlich lange gezögert, ehe man ollgemeine Sterbetafeln aufgestellt und berechnet hat. Erstmalig ist das im Jahr« 1887 geschehen. Aber erst wenige Jahre vor dem Kriege griff das R e i ch s st a t i st i s ch e A m t unter dem Drängen der Oeffentlichkeit und des Reichs- gesundheitsamtes auf diese Ausgab« wieder zurück, und wir haben seitdem für die einzelnen Jahrzehnte seit Bestehen des Reichs all- gemeine Sterbetafeln zur Verfügung, von denen auch«ine vor kurzem herausgegebene Veröffentlichung„Beiträge zum deutschen Bc- völkerungsproblem' die Jahre 1924 bis 1326 umfaßt. Es besteht so die Möglichkeit eines Vergleichs über den Zeitraum von einem halben Jahrhundert. Zieht man ihn. so ist man außer- ordentlich überrascht. Man findet dann nämlich, daß ganz im Gegen- teil zu den Erzählungen unserer Großeltern die Menschen Heuzulage ganz erheblich älter werden als früher! Im ersten Jahrzehnt des Bestehens des Deutschen Reiches verzeichnet die Sterbetafel für einen soeben geborenen männlichen Säugling ein« Lebenserwartung von 3S,6 Iahren. Die Sterbetafel für die Jahre 1324 bis 1326 oerzeichnet eine Lebenserwartung von 56 Iahren, also über 20 Jahre mehr! Darin drückt sich aus, daß die Menschen heutzutage tatsächlich viel länger leben als früher, und daß die Besserung, die wir selbstverständlich den besseren Wirtschaft- lichen Verhältnissen, der außerordentlich gesteigerten hygienischen Technik und der medizinischen Versorgung des Bolkcs verdanken, nicht weniger als 56 Proz. äusmacht. Dieses Ergebnis ist für die meisten Menschen so überraschend, daß sie es nicht glcvben wollen. Aber es ist wahr. Und für die weibliche Bevölkerung sind die Verhältnisse insofern noch viel günstiger,'als die Frauen im Durchschnitt überhaupt etwas länger leben als die M ä n n« r. Auch bei ihnen beträgt die Besserung 20 Jahre: sie wurden früher im Durchschnitt 3814 Jahre alt, jetzt 58,8. Howrwissenschast, Technik, Medizin und gesteigerte Staats- fürforge haben das Wunder vollbracht, jedem Menschen jetzt 20 Zahre neues Leben zu schenken! Dieses erstaunliche Ergebnis noch zu steigern, ist wirtlich �des Schweißes aller Edlen wert, und man sollte keine Kosten scheuen, diejenigen Zweige der menschlichen Betätigung aufs emsigste zu pflegen und zu fördern, die uns zu solchem Gewinn verhalfen Zahlenmäßig ausgedeckt haben uns das erst die Sterbetafeln. Sie sind deshalb so interessant, daß es sich wirklich lohnt, wenn jeder auf ihr Studium ein paar Stunden verwendet. Ein paar Zahlen- feiten, so inhalt-, aufschlußreich und spannend, wie ganz« Romane
es nicht sind. Man erkennt aus ihnen, daß die L e b« n s e r w a r- tung der Säuglinge mit steigendem Alter zunimmt Der Grund dafür liegt dann, daß trotz der sehr viel günstigeren Ge- staltung der Säuglingssterblichkeit doch immer noch die bei der Geburt ganz plötzlich in eine ganz andere Welt gekommenen kleinen Wesen einer größeren Lebensgefährdung ausgesetzt sind, als die erst richtig in diese Umwelt eingelebten ganzjährigen Menschlein. So kommt es, daß die höchste Lebenserwartung bei den Knaben zwischen dem ersten und dem zweiten Lebensjahre liegt, wofür unsere Tafel 6214 Jahre verzeichnet. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die Sterbenswahr� scheinlichkeit bei diesem Alter am geringsten ist. Sie liegt vielmehr bei den Knaben im 12. Lebensjahre, bei den Mädchen im elften. Die Sterbenewahrscheinlichkeit sinkt also von der Geburt bis zu diesem Alter stark ab und wird dann wieder größer. Für jedes i Lebensalter kann man nach der Absterbeordnung der gesamten Be- ! oölkerung auch«ine Durchschnittszahl der noch zu erwartenden � Lebensjahre angeben Für einen 2vjährigen stehen danach noch i 46,7 Jahr« in Aussicht, für eine 20jährige 48. Für die 4<)jährigen ! lauten die Zahlen 30 und 31,4 Jahre, für die ö0jährigcn 21,3 be- � ziehungsweise 23,1. Die 60jährigen können noch 14,6 beziehungsweise 15,5 Lebensjahre erwarten, bei den 70jährigen sind es noch 8% bzw. 314, bei den 80jährigen 4% bzw. 5, bei den 30jährigen 2°/» bzw. fast 3 Jahre. Ist man erst einmal 100 Jahr« alt geworden, so kann man als Mann immer noch 114, als Frau 2 Jahre zu leben hoffen. Natürlich ist damit nicht gejagt, daß jeder Mensch für sich auf diese Regel Anspruch hat: nur als Massenerscheinung gilt sie für ihn. Der eine muß zusetzen, was der andere gewinnt: Jeder für all« und alle für j«dcn— nach der großen weisen Regel von der solidarischen Verbundenheit alles Menschlichen. Es hat einmal einer behauptet, die V erheirateten lebten länger als die Ledigen. Ein anderer fand dafür die Erklärung: Es wäre gar nicht so, es käme den Verheirateten nur so vor! Aus diesem und nur aus diesem Grunde hat sich das Reichsstatistische Amt veranlaßt gesehen, sein« Feststellungen auch nach dieser Richtung auszudehnen. Man liest dann in den Zahlentabellen, daß die Lebenserwartung e'nes dreißig- jährigen verheirateten Mannes 33,6 Jahre beträgt, die eines ledige» nur 34,8- Selbst bei den gewöhnlich schon recht kräftig durch die Che gezogenen 50jöhrigen Männern ist der Unterschied zugunsten der Verheirateten immer noch 2'A Jahre. Dieser Vorteil s. schwindet aber, je älter die Menschen werden. Und im hohen Alter, wenn also die armen Junggesellen sich erst einmal über die Ehe- lostgkeit richtig hinweggctröstet haben, winkt ihnen als Belohnung ein höheres Lebensalter, als wenn sie verheirate: sind Allerdings muß man die 70 schon überschritten haben, uni dieses Vorzuges teilhaftig zu werden: Bei den Fra.uen tritt dieser Zustand des Vorzuges schon 10 Jahre früher ein, wie überhaupt der Unterschied zwischen'J Ledig- und Verheiratetsein sich bei ihnen in der Dauer der Lebens- erwartung nicht so stark ausdrückt. Ob also die 70jährigen Jung- gesellen endlich so gut gelernt haben, ihre Suppe selbst zu kochen, oder ob die ehelichen Freuden der Lebensdauer vorher wirklich so zuträglich sind, wie es die Sterbetafel für die Männer aufweist, ist allerdings nicht klar ersichtlich. Beinahe scheint es schon so, als ob es den Ehemännern wirklich nur länger vorkommt. Uebrigens kann man auch für die Verwitweten und Geschiedenen die entsprechenden Zahlen nachlesen, und da ergibt sich für dies« Kategorie von Menschen wirklich eine größere Ungunst als für die Verheirateten, ja, diese Leute stehen sogar— sicher zur Strafe— noch ungünstiger da als die Ledigen. Auch hier verhalten sich die Frauen den Dingen gegenüber wieder wesentlich gleich- gültiger als die Männer— woraus jeder zur rechten Zeit die«nt- sprechenden Schlüsie ziehen mag. Es sind also überaus erfreuliche Dinge, die uns die statistischen Tabellen enthüllen, viel erfreulicher, als was man sonst aus der Oeffentlichkeit zu hören pflegt. So ergibt sich denn die seltene Tat- fache, daß man einer Angelegenheit weitgehend Geschmack abgewinnen kann, bei deren bloßer Namensnennung sonst alle nervös und sprung- bereit die Ohren spitzen: Zahlen!
Bar unbekannte Soldat Geraon, Sauerbruch und Tuberkulosenheilung durch Diä\ In der Berliner Medizinischen Gesellschaft hat der große Chirurg Professor Sauerbruch , ein Arzt von genialem Format, einen Vortrag gehalten, der schnell seine Runde durch die wissenschastlich« Presse des In- und Auelandes machte, der die Spalten der gesamten Tagespresie in Anspruch nahm.(Der„Abend" berichtete schon am 11. Juni ausführlich über den entsprechenden Vortrag Sauerbruche im ärztlichen Standesverein des Westens Berlins . D. Red.) Handelt es sich doch wieder einmal um eine neue, sensationelle Art der Be- kämpfung der Tuberkulose, die großartige Ausblicke für die Zukunft � erälinen und ein völliges Novum in der Geschichte der medizinischen Wissenschaft darstellen soll. Die Tuberkulose soll durch eine bc- sondere Art der Ernährung bekämpft— und geheilt werden. Diese Ernährungsbehandlung wurde vom Assistenten Sauer- bruch?, Prioatdozenten Dr. Hermannsdörfer, seit sechs Jahren schon in Sauerbruchs Münchener Klinik erprobt und wird von ihm jcgt in der Berliner Klinik fortgesetzt. Die Erfolge dieser Ernährunzs- therapie sollen geradezu verblüsfend sein. Die schwersten Formen der Knochen- und Gelcnktuberkulose, die man sonst als hoffnungslos an- sah, wurden— nach Sauerbruch — in kurzer Zeit so gebessert, daß man praktisch von einer Heilung sprechen kann. Der Direktor der Eießener Hautklinik, I e s i o n e t, erklärte, daß der seit Jahrhunder- ten als unheilbar erkläre Lupus ohne jedes andere Hilfsmittel als die Diätbehandlung heilbar geworden ist. Professor Souerbruch ist zu der Usberzeugung gekommen, daß etwas Aehnliches mit anderen Mitteln nicht erreichbar ist. Er erwartete sogar, daß auch bei anderen Krankheiten, bei denen die Konstitution eine Roll« spielt, die Diätbchandlung von großer Wirkung sein kann. Beim Lupus kann man sogar die Fortschritte mit dem Auge kontrollieren. Dr. Hermannsdärfer schildert« die erstaunlichen Wirkun- gen dieser Ernährungsbehandlung. Bei Lungentuberkulose werden die Einschmelzungsherde so verkleinert, daß chirurgisch« Eingriffe möglich werden. Bei der chirurgischen Tuberkulose der Knochen und Gelenke schließen sich die Fisteln, und die Knochen werden wieder kalkhaltiger. Bei Lupuskranken, bei denen schon seit Iahren grauenerregende Zerstörungen im Gesicht vorhanden waren, trat in wenigen Wochen Besserung und in Monaten Heilung ein. Auch nach Abschluß der Behandlung blieben die D a u« r e r s o l g« bei einiger- maßen günstigen äußeren Verhältnissen bestehen, auch ohne daß die strenge Diät sortgesetzt wurde. Die Diät besteht darin, daß den Tuberkulösen viel Eiweiß und Fett und spärlich Kohlehydrat« in. die Nahrung gegeben wir. und daß das Kochsalz durch andere Salze ersetzt wird, vor allem durch das „Mineralogen', das Kalium und Magnesium enthält. Hermannsdörfer gibt weiter viel Salate und Gemüse, z. T. in ungekochtem Zustande, Und beschränkt den Genuß von gebratenem und gekochtem Fleisch. Es ist kein Wunder, daß die Oeffentlichkeit vom Lobe Sauer- bruchs widerhallt. Man könnt« wieder einmal mit der Gegenwart zufrieden sein, in der die Wissenschast solche Triumph« feiert, die das Volkswohl mit einem ungeheuren Schritt nach vorwärts fördern— vorausgesetzt, daß sich die Erwartungen erfüllen—, man könnte zufrieden sein, und ist es doch nicht. Warum? Das sei erzählt. Es ist kein Ruhmeskopitel sür gewisse Leute. Da lebt in Bielefeld ein bescheidener, kleiner Arzt namens Gerson . Dieser Arzt wird von seinen Bielefelder Kollegen seit Iahren verfolgt und aus Herzensgrund gehaßt. Seinerzeit wurde sogar ein Prozeß wegen irgendeiner Geschichte gegen ihn angestrengt. Das Standesgericht verurteilt« ihn und erklärt« ihn für st a n d e s u n- würdig. Außerdem hat dieser verfemte und mißachtete Arzt das Unglück, sogen wir, kein Arier zu sein. Grund genug, ihn zu schneiden und gesellschaftlich zu boykottieren. Dieser Arzt Gerson hat nun seit Jahr und Tag bei seinen tuberkulösen Patienten diese Diät, die heute in allen Zeitungen gerühmt und gefeiert wird, angewendet, groß- ortige Erfolge erzielt, ohne daß jemand davon Notiz nahm. E r i st der eigentliche Schöpfer der Diätbehandlung: Er ist der Mann, der die von allen Fachblättern, Tageszeitungen und Vorträgen gepriesene große Wendung in der Tuberkulosebehandlung herbeigeführt hat. Er, der standesunwllrdige, verfolgte klein« Arzt in Bielefeld ist der Vater der neuen Tuberkulosetherapi«. Und jetzt kommt das Unfaßbare: Jahrelang wird diese revolutio- näre wissenschaftliche Entdeckung angewendet, ohne daß sich jemand um sie kümmert. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, daß diese Entdeckung der Menschheit zugeführt wird. Professor Sauerbruch er- zählt« selbst in seinem Vortrag, daß er nur durch Zufall— nämlich durch einen Kranken— erfahren hat, daß in Bielefeld «in praktischer Arzt Dr. Gerson durch eine besondere Diät schwere Tuberkulose zu heilen vermag. Sauerbruch schickte seinen Assistenten Dr. Hermanns- dörfer zur Prüfung nach Bielefeld und gab ihm später Gelegenheit, in seiner Klinik diese Gersonsche Methode nachzuprüfen. Der Erfolg gab Gerson recht. Der Zufall hat die entscheidende Rolle gespielt. Hätte nicht ein Kranker Professor Sauerbruch von Gerson erzählt, so hätte der Bielefelder Arzt noch jahrelang, vielleicht für immer unbeachtet sein» Methode anwenden können, ohne daß die wissenschaftliche Welt ihn beachtet hätte. Er war eben verfemt. Was kümmerte es sein« Bielefelder Kollegen, was er trieb. Sie kümmerten sich nicht um ihn, er existierte nicht für sie, er mochte treiben, was er wollt«. Und die Menschheit hätte die Zech« bezahlt. Und da hatte Gerson das große Glück, daß Sauerbruch durch einen Zufall auf ihn aufmerksam wurde. Er hatte das Glück, daß Sauerbruch die Methode nachprüfte und sie als richtig befunden hat. Ter Name Sauerbruch entschied den Erfolg. Und wir sagen: Nur der Name Souerbruch! Er zwang die wissenschaftliche Welt zum Hinhören! Glaubt jemand, daß man dem kleinen jüdischen Arzt ein solches Gehör geschenkt hätte, einem Mann, der bei seinen Kollegen m Bielefeld in Acht und Bann stand?! vle Gerechtigkeit verlangt, daß heule der Name Gerson an erster Stelle genannt wird. Er hatte das Glück, in Sauerbruch einen Befürworter zu finden. Wäre das nicht gewesen, hätten zehn Gersons. kommen können mit zehnmal gewaltigeren Taten— es hätte ihnen nicht». genutzt. Schweigend wäre die Wissenschaft über sie zur Tagesordnung, ae- schritten! Charakteristisch ist die Art, wie sich die Press« mit dem Fall ab- findet. Fettgedruckt prangt der Name Sauerbruch in den Zeitungen! Sci» Eisolg sst es! Der Nan>e Gerson findet sich nur ganz betläufig oder überhaupt nicht. Ein erschütterndes Dokument ist der Bericht der „Münchener Neuesten Nachrichten'. In großer, breitspuriger Aus-
machung wird die Rede Sauerbruchs wiedergegeben. Und in dem großen Bericht steht folgender kleiner Satz: „Durch Zufall erfuhr Sauerbruch , daß in Bielefeld e i n p r a k- tisch er Arzt durch eine besondere Diät schwere Tuberkulose zu heilen vermag. Da dieser Methode jede wissenschaftliche Begründung fehlte..... usw.' Der Name Gerson , der Name des Schöpsers der neuen Methode, wird nicht genannt. Er ist der Vergessenheit anheimgefallen! Die Leser dieses Blattes werden ihn nie erfahren! Das Schicksal des unbekannten Soldaten in der Wissenschaft--- Der Zufall hat diesmal die Rolle der ausgleichenden Gerechtigkeit übernommen, soweit die Tat Gersons in Betracht kommt. Sein Name aber soll in Vergessenheit geraten! Man lese die Zeitungen. Die Ueberschriften lauten:„Die neuesten Forschungen der Klinik Sauer- bruch!',„Professor Sauerbruch berichtet!',„Die Forschungen der Sauerbruch -Klinik!',„Ein aufsehenerregender Vortrag Sauerbruchs!', Professor Sauerbruch über erstaunliche Heilerfolge!' So- gar:„Aufsehenerregende Entdeckung Prof. Sauerbruchs!' In keinem der fettgedruckte» Titel wird der Name Gerson er- wähnt. Soweit er nicht verschwiegen wird, wird er im Text mit einigen Worten abgetan, und das hat er nur der Tatsache zu ver- danken, daß Sauerbruch in seinem Referat ihn erwähnte. Schicksal des unbekannten Soldaten! Kein Wort gegen Sauerbruch ! Sein Verdienst ist es, daß das Werk Gersons den Menschen zugute kommt. Er ist initiativ sofort dem Zufall nachgegangen, er hat gutgemacht, was die Herren Bielefelder Kollegen bewußt versäumten. Er hat die Methode sorg- fältig nachprüfen lassen und für ihre Anwendung weder Kosten noch Mühe gescheut! Er hat sich für die Gersonsche Methode mit voller Kraft eingesetzt. Er hat in seinem Vortrag ausdrücklich auf Gerson als den Schöpfer hingewiesen. Seine Schuld ist es nicht, daß diesem Bielefelder Arzt das größte Unrecht geschieht, da» sich überhaupt denken läßt. Wir aber halten es für unsere Pflicht, Im Nomen der Gerechtig- k«it gegen dieses Unrecht zu rpotestieren, da wir wissen, daß Gerson selbst zu bescheiden ist, als daß er sein Recht suchte. Dr. Moses.
Arzneimittel und Krankenkasse Der Jahresbericht für 1328 der Berliner Ortstranke n- lasse im Umfang von 243 Seiten gibt ein scharfumrissenes Bild von der steigenden Beanspruchung der Kasse durch ihre Mitglieder. Deuttich zeigt dies auch der Bericht über„Arznei, Heilmittel und Apotheker". Die Kosten sür Arzneien und klein« Heilmittel wurden sür 1328 mit 8 558 628,03 M. gebucht. Obgleich die durchschnittliche Mitgliederzahl seit 1326 von Jahr zu Jahr abgenommen hat, so allein gegen das Vorjahr um 15 812 Mitglieder, ist eine ständige Zunahm« dieser Ausgabeposten festzustellen. Die Kasse rechnet auf den Kopf des Versicherten ein« Ausgabe für Arznei, Heil- mittel, Sachleistung«» der approbierten Aerzte und anderer Heil- person«n von 22,83 M.: diese Durchschnittsberechnung betrug 1325 nur 11,41 M. pro Kopf, mithin haben sich also diese Ausgaben verdoppelt! Von den 5 784 061 die Rezeptprüfungsstelle durchlaufenen Arzn«ioerordnungen, die um die Zahl von 332 870 gegen das Vor- jähr gestiegen sind, ließen sich durch Nachprüfung der Rezept« 53 038,51 M. wieder in Abzug bringen. Man könnte hier leicht in den Irrtum versallen, die„Sparsamkeit" der Kasse wirke sich bei der Veradfolgung von Medizinen zum Nachteil der Mitglieder aus, aber es handelt sich ja um Rezeptrechnungen für bereits geliefert« Arzneien. Der Bericht gibt einige der Gründe dafür an. Vc- schieüentlich konnten R-zeptfälschungen, die in der Hauptsache zur Er- langung von Rauschgiften dienten, nachgewiesen werden. In einigen Fällen mußte auch gegen Apotheker eingeschritten werden, durch deren nicht einwandfreies Geschäftsgebaren der Kasse erheblicher Schaden zugefügt war. Ein großer Teil Arzneiverordnungen mutzte ivegen ihrer unwirtschaftlichen bzw. den Vorschriften der Arznei- verordnungsbuches nicht entsprechenden Verordnungen beanstandet uxrden. Es wurden demzufolge gegen 2380 Aerzte geld- licheErsatzansprüchein Höhe von 7977 M. gestellt, von denen 4650 M. bei den Regreßkommissionen auch anerkannt wurden und der Rest als unerledigt noch aussteht. P. dl.