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Beilage
Montag, 5. August 1929
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Bei Collonges liegt der Badestrand von Lyon . Das Saonetal ist hier eine Beglückung, voll Anmut und Fülle wie eine Frau. Alte üppige Baumbestände spiegeln sich in dem breiten Fluß, der feiner Bermählung mit der Rhone entgegeneilt, Pappeln, Erlen, Buchen, Ulmen. Dicht bebuschte Hänge erheben sich links und rechts des Gewässers. Mächtige Kastaniengruppen stehen in Barfs por weißen Schlössern, die mit Terrassen in all dem Grün zu schweben fcheinen. Und der föstlichste Wein Europas gedeiht nah und fern. Aber da der sommerliche Wind etwas fühl blies, lag der Strand heute öde und verlassen, und man wartet nach dem einsamen Bad als einziger an der Brücke von Collonges auf den Autoomnibus nach Lyon . Der Blick schweift umher, vom Fluß zu der Straße, von der Straße zur Mauer der Haltestelle, an der ein großes buntes Plakat flebt, sicher die übliche Einladung zu einer Fête patronale, einem Kirchweihfest. Lass' sehen! Doch nein! Es geht um geistige Güter! Rochetaillée, ein Dörfchen etwas weiter oben an der Saone, fieht morgen, Sonntag
eine literarische Kundgebung zu Ehren Pierre Duponts. Rein Beringerer als Edouard Herriot , Bürgermeister von Lyon und Ministerpräsident a. D., wird über den Boeten sprechen, es gibt Rezitationen seiner Gedichte und andere Darbietungen genug. Der gute alte Pierre Dupont , der seit bald zwei Menschenaltern tot ist, hier also lebt er noch.
Er lebt sogar recht kräftig in der Stadt, in der er am 23. April 1821 als Sohn eines Sporenmachers zur Welt fam. Unter den Fenstern seines elterlichen Hauses rauschte die Rhone , und in der Werkstatt seines Baters sah und hörte er
Die Hämmer, im Taft gehoben, Im Taft auf den Amboß fallen.
Aber bald bestürmten ihn neue Eindrüde, denn nach dem frühen Tod der Mutter wurde der Vierjährige im Pfarrhaus zu Rochetaillée aufgenommen. Das Leben hier dünkte ihm ein Paradies, und ungern siedelte er nach fünf Jahren in das Priesterseminar von Largentière über. Da er nicht verhehlte, daß er seinem Haupt den Dichterlorbeer statt der Tonfur
erstrebe, versuchte er sich in der Baterstadt in mehreren weltlichen Berufen: Lehrling in einer Textilfabrit, Schreiber bei einem Notar, Angestellter in einer Bank, aber am liebsten lauschte er der Rhone , träumte und feilte Verse. Ein Zusammentreffen mit der Rachel, ie an der Schwelle einer großen Bühnenlaufbahn stand, gab dem 3manzigjährigen Antrieb und Mut, nach Paris aufzubrechen.
Statt der erhofften Kränze blieben ihm Enttäuschungen in der Weltstadt zunächst nicht erspart, aber mit einem Schlag frönte eines seiner Gedichte seine Stirn mit dem vollen Erfolg. Die Ochsen" hieß es und begann:
Zwei Ochsen, weiß mit braunen Flecken, Hab' ich im Stall, ein prächtig Baar! Von Ahorn ist der Pflug; der Stecken
Ein Stechpalmzweig, der Rinde baar.
Es schafft ihr Fleiß, daß grün das Feld mir
Im Winter, gelb im Herbst erstrahlt; In einer Woche bringt mehr Geld mir Das Paar, als ich dafür bezahlt.
Da es, zugleich romantisch und realistisch, so recht aus dem Herzen jenes Frankreich empfunden war, dessen Hauptnervenstrang die Landwirtschaft ist, wurde Dupont mit diesen
Bersen, die fürder in feinem Schullesebuch fehlen durften, über Nacht volkstümlich, und erhielt ein Neines Amt bei der Französischen Akademie, das ihn mehr schlecht als recht zu ernähren imftande war.
Wenn die idyllische Seite seines Wesens ihn die Freude an der Natur vielfältig und rührend besingen ließ, so flang daneben bald ein anderer rauherer Ton in seinem Schaffen an. Der Knabe hatte es zwar nicht miterlebt, wie im November 1831 die Arbeiter des Lyoner Weberviertels Croig Rouffe in geballten Massen niederstiegen, unter schwarzen Fahnen mit der Inschrift:
Arbeitend leben oder kämpfend sterben!
lleber ein
und nach siegreicher Straßenschlacht gegen die Nationalgarde fich in den Besitz der Stadt jezten, aber ein Nachhall dieses gewaltigen Ereignisses mußte auch durch seine Seele zittern, als er bald danach wieder in Lyon das bittere Brot der Armut brach. furzes schwentte denn auch seine Muse, die bislang in Holzschuhen die Schafe gehütet und sich im Bach gespiegelt hatte, jenes schwarze Fahnentuch von Croir Rousse, und durch seine Strophen hallte der Marschtritt der proletarischen Hungerbataillene. Wie eine leichte Vorhut tommender schwerer Kämpfe zeigte sich damals eine ganze Schar von Arbeitern, die im Lied den sozialen Groll, die soziale Sehnsucht ihrer Klaffe verströmen ließen, aber unter den Poncy, Magu, Lebreton, Boncard, Lapointe, Leroy, Jolly und Guérin war Dupont der wortgewaltigste. Schon wegen ihrer Sangbarkeit machten in den vierziger Jahren seine politisch- sozialen Chanjons ihren Flug wie das ,, Lied der Arbeiter",
bas machivoll anhebt:
Kaum fräht der Hahn das erstemal, So brennt schon unsre Lampe mieder, Und neu beginnt die alte Qual,
Und dröhnend fällt der Hammer nieder; Für ewig ungewiffen Lohn
Müh'n wir uns raftlos ab auf Erden, Die Not vielleicht tommt morgen schon: Wie soll es erst im Mter werden?,
um nach jeder Strophe in den Kehrreim auszuffingen: Liebt euch einander treu und heiß Und laffet ob die Schwerter blinten,
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Ob uns des Friedens Palmen minfen
Im Kreis, im Kreis
Uns auf die Belterlöfung trinken!
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In einer Zeit, da der ausgestachelte Chauvinismus über den Rhein hinüber und herüber Schimpf- und Drohworte wechselte, stimmte er, der immerdar ein Enthusiast der Völker= verbrüderung war, seine Leier dem
,, Gesang der Völker":
Die bunte Pracht von tausend Fahnen, Die an der Kämpfer Spizze weh'n, Sie läßt uns heute schmerzlich ahnen, Daß noch getrennt die Völker steh'n! Doch seht, wie sie vereinigt werden, Weil uns gemein die Hoffnung war! Ein Volk wird fürder sein auf Erden, Ein Banner für die Völkerschar!
Der Frieden naht in Ungewittern Bei Erzgetön und Trommelschlag! O Krieg, das ist dein letzter Tag!
Es wird am Schwert das Schwert zersplittern, Daß Lieb' aus Haß erglühen mag!
Im Jahr danach gaufelte ihm die Februarrevolution die Erfüllung aller messianischen Hoffnungen der Enterbten und Unterdrückten vor. Im allgemeinen Fraternisierungsrausch heischte er,
Daß sich in brüderlicher Eintracht
Der Reiche anvertrau dem Armen;
seine Muse trug die phrygische Müze und jubelte das„ Vive la République!" in alle Welt; fein begeisterterer Sänger der jungen Republit als Dupont:
Wir sahen sie: hochgemut Und mit den Füßen im Blut Hinschreitend über die Barrikaden Im Gefnatter der Füsilladen.
Und sahen sie unter des Sieges Fahnen Abwischend das Blut von der Pike
Und hörten sie uns an die Pflicht gemahnen, In der Hand den Delzweig der Antike.
Ein Brief.
Briese verraten vom Charakter des Briefschreibers oft mehr als fie sollen. So existiert ein Brief des berühmten Schauspielers Emil Devrient aus dem Jahre 1860 oder 1861( das Datum fehlt), der das Pathos dieses Künstlers, das auf der Bühne so oft hinriß, etwas lächerlich erscheinen läßt. Es handelt sich um eine Ordensangelegen heit und in diesem Punkt war Emil Devrient offenbar etwas empfindlich. Er schrieb an einen Photographen:
Sehr geehrter Herr!
Ihre letzte freundliche Zuschrift erwidernd, gehe ich in 2 Tagen von hier fort und so würde eine Sendung von Bildern nach Altona wohl kaum lohnen. Hier schließe ich einen kleinen Umriß bei, mie die Drben an dem Bilde mit Leichtigkeit zu ver vollständigen wären. Es ist eine dritte Medaille von Hannover hinzugekommen und das Ritterkreuz des Falkenorden von Weimar . Das wäre das untere Kreuz, das feine Krone hat, sondern nur 4 Balken, die nur wenig zwischenraum voneinander haben und in der Mitte ruht in goldenem Schilde ein Falke; dies ist also leicht zu ergänzen und ich erbitte mir nach einer schnellen Aenderung dessen, 40 Eremplare nach Dresden zur Ehrenwoche oder nach Wien vom 5. April an, Adresse am Karl- Theater .
Mit Freuden gebe ich meinem Bilde meine Unterschrift, wo Sie mir ein solches auch vorlegen.
Mit den besten Glückwünschen zu Ihrer bevorstehenden Verheirathung, sehe ich also Ihrer Sendung( doch nur mit den Ber änderungen der Orden, andere Bilder bedürfte ich nicht) entgegen und zeichne als
Thr
Kleider machen Leute", heißt es ja wohl in dem Sprichwort. In diesem Fall muß man es schon abwandeln in: Orden machen Leute lächerlich.
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Aber die Frühlingshoffnungen gingen mit nichten in Erfüllung. Im Juni 1848 schon mähte Cavaignacs Rartätschenfeuer in den Straßen von Paris die Arbeiter nieder, und Dupont schrieb an einem grauen Tage, da er nichts hatte, den Hunger seines geliebten Weibes zu stillen, das
,, Lied vom Brot":
Was sollen eure Söldner schaffen? Der Hunger spendet unserm Troß
In offnem Feld geraubte Waffen,
Auf Tenn' und Flur, in Hütf' und Schloß!
Hie Sens' und Sichel, Schaufein, Haden!
Beim Klang der Sturmesglocke trägt
Selbst unsrer Töchter zarter Nacken Das Mordgewehr, von Haß erregt!
Man hält nicht von den Marmorstufen Das Bolt zurück mit seiner Not! Denn die Natur gebeut zu rufen: Brot tut uns not! Wir fordern Brot!
Dieses Lied, in dem die Revolte der Verzweiflung grollte, riß die französischen Proletarier, die umsonst großherzig drei Monate Hunger in den Dienst der Republik gestellt hatten, wie fein anderes hin. Aus jener Zeit erzählt Adolf Strodtmann , der Biograph Heinrich Heines und Uebersetzer Pierre Duponts, von der Borstellung eines Stücks ,, Misère", das die trostlose Lage des irischen Proletariats behandelte, im Theater der Porte St. Martin: ,, Schon im dritten Akt sterben die meisten der auftretenden Charaktere den' schauerlichsten aller Tode, den Hungertod. Als der Vorhang fiel, begann das ganze Publikum einstimmig das Lied vom Brot" zu fingen, und
dämoniſch durchſcholl der furchtbare Refrain das Haus.
Das Einschreiten der Gergents de Ville vermochte diesmal dent Gesang feinen Einhalt zu tun, denn der entsetzliche Chor überbrauste wie ein grollendes Meer die lächerlichen Scheltworte der Gendarmen. Am folgenden Tage wurde jede Wiederholung des Stückes polizeilich untersagt."
Je mehr sich die Entwicklung von den Idealen entfernte, die auf den Februarbarrikaden erblüht waren, desto troziger schwang der Dichter seine Fahne. Das Wort Lassalles von der Vereinigung der Wissenschaft und der Arbeiterklasse schien vorweggenommen, wenn Dupont sang:
Zwei Säulen hat der Zukunft Tempel Es sind Student und Proletar.
Ganz und gar teilte der Poet auch den damals bei Arbeitern und Bauern verbreiteten, fast mystischen Glauben, daß troß der Fortschritte der Reaktion, trotz der Wahl des Louis Bonaparte zum Präsidenten der Republik, das Jahr 1852 mit den Wahlen die große Wende bringen werde:
3wei Jahre sind's, zwei turze Jahre, Bis neu der Hahn von Westen fräht Orüstet euch in diesem Jahre, Daß jeder seinen Ruf versteht! Zu jedem spricht er, dessen Wangen Der Armut bleiches Lied umschwebf: ,, Seht, euer Leiden ist vergangen, Die ihr von Brot und Wasser lebt!"
Bom heil'gen Berg, wo ihre Strahlen Die Sonne schmiedet groß und frei, Wird niedersteigen zu den Talen Das Jahr Fünfzigundzwei!
Statt dessen tam der Staatsstreich des 2. Dezember! Auf den Listen der Büttel Bonapartes stand auch Pierre Dupont , Chansonnier" mit dem Vermerk:
,, Exaltierter Demagoge.
Gefährlich.
Hat an allen Versammlungen, an allen Klubs und an allen Propagandakomitees teilgenommen. Delegierter im roten Konklave. Spielte eine Rolle auf den demokratisch- sozialistischen Banketten. lebte einen ärgerlichen Einfluß auf die Arbeiter aus. In ständiger Fühlung mit allen Rädelsführern, deren Hoffnungen er teilte." Flugs verurteilte ihn denn eine der berüchtigsten Gemischten Kommissionen" unter dem General Comte de Goyon zu sieben Jahren Deportation in Algier . Während er jedoch in der Conciergerie feines düsteren Schicksals harrte, verwandten sich Freunde für ihn und erwirkten, hauptsächlich durch Vermittelung der kunstsinnigen Prinzessin Mathilde Bonaparte , feine Begnadigung. Er fehrte nach Lyon zurück,
verstimmt und verstummt.
Wohl verfaßte er noch eine Reihe bufolischer Ellogen, aber ein neuer Liederfrühling war ihm nicht mehr beschieden; sein Bestes Nicht hatte er kurz vor und nach der Februarrevolution gegeben. einmal den Sturz des Kaiserreichs, für das er alles andere als zärtliche Gefühle hegte, erlebte er mehr, denn erst neunundvierzigjährig starb er am 29. Juli 1870 in seiner Baterstadt.
Das demokratische Lyon , das Plätze und Straßen nach Dichtern und Revolutionären wie François Villon , Anatole France , Emile Zola , Louis Blanc , Jules Vallès und Jean Jaurès nennt, hat die Straße, in der dieser revolutionäre Dichter seit 1862 wohnte, auf seinen Namen getauft; lang und von hohen Mietshäusern gesäumt stürzt sie sich ziemlich steil die Croix Rousse herab. Unweit davon, in dem Garten, der nach den Karthäusermönchen heißt, erhebt sich die Büste des Dichters, den Herriot als
den Cyoner Béranger
feiert. Bon lauschigem Grün ist sie umgeben, Bögel fingen im Gezweig, aber ganz in der Nähe rasseln die Elektrischen und toben die Autos, und von einer Mauerbrüstung der Promenade erfaßt der Blick Lyon mit geballten Häusermassen, mit Fabriken, mit Backsteinfronten, mit der Straße der Saone, mit Quais, Kontoren, Treppen in den Fluß, Bootanlegeplägen. Anglern: die große, atmende, arbeitende Stadt, in deren Rhythmus etwas vom Geiste Pierre Duponts lebt.