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Beilage

Freitag, 9. August 1929

Der Abend

Shalausgabe des Vorwärts

Eine versunkene Metropole

Die Geschichte der Stadt Wisby

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höfe. 3wei mittlere Dampfer fahren täglich nach Stockholm und brauchen dazu 12 Stunden.

Es ist etwas Tragisches um dieses Bergehen einer Stadt. In der Gründerzeit Nordameritas, die so ganz auch heute noch nicht abgeschlossen ist; war es ein gewohnter Anblid, Städte von heute auf morgen wie Pilze aus der Erde schießen und bei nach lassender Konjunktur ebenso schnell wieder verschwinden zu sehen. Aber diesen Gründungen fehlte das, was Wisby in jo hohem Maße eigen war, die Tradition und eine Kultur, die sich in langen Zeit­läuften organisch entwidelte.

Als in ben Heinen Städten des zersplitterten Deutschlands , und wendet sich um da sieht er dort, wo vorher nichts zu erbliden| Ruinen, und es gibt teine großen Hotels, sondern nur einige Gast­gotische Dome zum Himmel starrten, in der Zeit des ausgehenden war, eine prächtige Stadt, in der viele Kaufleute herrliche Waren Mittelalters vor etwa 700 Jahren, da gab es schon einen Welt ausgebreitet haben. Sie fordern ihn zum Kaufe auf, er müßte nur handel! Das verarmte und dem Jenseits zugewandte Europa fam irgendeine Kupfermünze hergeben, um alles zu erhalten, was er durch die Kreuzzüge wieder in dauernde Berührung mit dem ja nie wünsche, denn immer nach hundert Jahren tauche die Stadt in vollständig unterbrochenen Handel Asiens . Damals bildete jeder ihrer alten Herrlichkeit wieder auf. Kommt dann ein Fremder und tleinste Ort eine sich selbst versorgende Gemeinschaft, mit Aus- fauft in ihr etwas, so wird sie erlöst. Aber Nils Holgerson hat nahme weniger Städte, die auch Lebensmittel von auswärts be- teine Münze. Er erinnert sich, wie er vorher am Strand einen zogen. Wegen der bis zur Einführung von Eisenbahnen voll Pfennig wegwarf, rennt zu der Stelle und sucht ihn. Als er fich standig unzureichenden Landverkehrsmittel tonnte sich der Handel wieder umwendet, ist aber das ganze Trugbild verschwunden. nur in Hafenplägen richtig entwideln. Jm Gegensatz zur Gegen- Während täglich Schnellzüge voll Bergnügungsreisender nach wart, wo dem Bert und der Menge nach Massengüter im Belt Benedig und Rothenburg sausen, bleibt Wisby weiter die schlafende verkehr überwiegen, Getreide, Petroleum, Kohle, Erz, Holz usw., Stadt, nur von wenigen Kennern besucht, die in Ruhe und Einsam waren es damals ausschließlich Lurusartikel. Diese tamen vor- feit die Romantit des Ortes genießen. Da es abseits von den nehmlich aus Afien und wurden durch zahlreiche Hände auf zwei großen Standinavienrouten der Bergnügungsdampfer liegt, rafen Megen nach Europa geleitet: der größere Teil ging über Kleinaften feine Autoomnibusse voll Amerikaner durch die mit Efeu besponnenen und Benedig, ein beträchtlicher Rest von China über Sibirien und Nishnij Nowgorod nach Wisby , von wo aus die Waren weiter an die Kaufleute in Standinavien und Deutschland zur See verschickt wurden. Wisby , eine Stadt auf der schwedischen Insel Gotland , war einst das Benedig der Offfee.

Seine Blütezeit lag vor dem Höhepunkt der Hansa und ging von den Goten aus. In jener Zeit des 11. und 12. Jahrhunderts Schlief Europa noch den Dornröschenschlaf. Der ganze Lurusbedarf des Rontinents stapelte sich in Venedig und Wisby auf: Tee, Gold, Räucherwaren, Gewürze und wohlriechende Substanzen, Seide und gelegentlich Porzellan. Wisby zählte damals in seiner Blütezeit gegen 60 000 Einwohner, für mittelalterliche Verhältnisse einer heutigen Millionenstadt entsprechend. Und einen solchen Rang nahm der Ort wohl auch zu jenen Zeiten ein. Sein Reichtum war Sprichwörtlich, und in Dänemart fagte man:

Auf Lispfundmagen das Gold warb gewogen, Die tostbarsten Steine waren zu schauen, Die Schmeine fraßen aus filbernen Trögen, mit goldenen Spindeln spannen die Frauen,

Dieser Reichtum war nicht durch Produktion, sondern nur durch Handel erworben. Durch einen reinen Zwischenhandel, denn in Misby wurde fein Pfund und feine Elle Ware erzeugt- es bildete bloß einen Stapelplag. Und es mußte so fommen, daß die eigentlichen Berbraucherstädte versuchten. diesen Handel an sich zu reißen. Das waren die Hansastädte, denen es im Laufe weniger Jahrzehnte auch gelang, dieses Ziel zu erreichen. Außerdem lockte ber Reichhmmm Wisbys zur triegerischen Eroberung, und schließlich überfielen und zerstörten die Dänen die Stadt. Derart endete eine Blütezeit von faft 200 Jahren. Zuletzt allerdings bestand der Inselhafen in nichts anderem als einer Niederlassung der Hansa . Heute interessiert uns Wisby als das Rothenburg der Oftsee. Wie im schwäbischen Rothenburg , blieb nämlich in Wisby das mittelalterliche Stadtbild fast völlig erhalten. Wisby gewann nie mehr durch die Industrie neues Leben wie die meisten anderen Städte. Es schläft durch Jahrhunderte und schläft noch weiter. Die Schweden nennen es jetzt die Stadt der Ruinen und Rosen. Die beinahe vollständig bestehen gebliebene Stadtmauer ist gegen vier Kilometer lang und umschließt einen Raum, der heute nur noch

Phot Heurlin

St. Katharinen- Kirchenruine zu einem Drittel bebaut und von faum 10 000 Menschen bewohnt ist. Aus den zahllofen Gärten und Ruinen ragen ein Dugend Kirchen und die verfallene Richtstätte der Stadt empor. Romantische Sagen schließen sich um die zahlreichen Ruinen und ben Strand.

Am schönsten und voll feiner Symbole ist wohl jene Sage, die Selma Lagerlöf in ihrem wundervollen Jugendbuch ,, Die Reise des Nils Holgerson mit den Wildgänsen" erzählt. Der Held wird zur Strafe für ein gebrochenes Versprechen in ein Wichtelmännchen ( heinzelmännchenartiges Wesen der schwedischen Sagenwelt) ver­wandelt und bereift in dieser Gestalt mit einem Gänserich das ganze Sand. So gelangt er auch nach Wisby . Er steht am öden Strand

Wisby reährend der Hansaseit ( nach einem Gemälde von Hägg)

Phot. Heurlin

Die Ruinen Wisbys erinnern an jene Ruinen, die der Welt= trieg auf den Schlachtfeldern Europas hinterließ. Städte und Stätten, die noch vor Jahren der Pulsschlag modernen Lebens durch­zitterte, die blühten und von einer jahrhundertealten Kultur durch brungen waren, fie fanten unter dem Ungewitter des hämmernden Trommelfeuers dahin und verfielen zu Schutthalden. Die Hundert­tausende, die hier Glück und Heimat gefunden hatten, deren Ge­schlechter seit Jahrhunderten vielleicht auf dieser Scholle gelebt hatten, sahen Stadt und Heimat, Bauten und Denkmäler, die ihnen undergänglich erschienen waren, in das Nichts versinken, in dasselbe Nichts, in das auch jenes Heer der namenlosen Kämpfer hüben und drüben zurücksant, das den Auftrag hatte, fich um strategischer Bunfte" millen gegenseitig hinzumorden und sonst kaum noch etwas Don Dasein und Daseinssinn wußte. Das Ende einer Kulturepoche fand in dem graufigen Geschehen seinen Ausdrud.

Das Ende einer Kulturepoche. Die zerstörten Gebiete find wieder aufgebaut. Nicht so, wie sie früher waren, aber doch als Heimstätten. Die Wiedergutmachung" hat geleistet, was fie fonnte. Bieles hat sich gewendet. Das Geficht Europas ist ein anderes geworden und wenn die Kulturtrise auch heute noch nicht überwunden ist, so bedeutete das Ende einer Epoche doch noch nicht ( diesmal noch nicht!) den Untergang der Kultur überhaupt. Anders in Wisby . Hier war die Katastrophe vollkommen. Wisby als B. L. Kulturzentrum blieb verloren.

Kleine Betrachtungen

Genrebilder von einer Ferienfahrt

Gegensätze.

Ein Stüd ausländischer Natur in trüber melancholischer Atmosphäre gibt uns eine Residenz a. D. jenseits der Elbe . Ein altes Theater, dessen sechs massive Säulen von verschwundener Pracht zeugen, ist zu einem malerischen Freiluft- Caféhaus umgewandelt worden. Terrassen bauen sich in einem Viereck um ein tiefer liegendes Wässerchen auf, das phantastische Buchsbaum­figuren und ein Wirrniß von hohen grünen Blattpflanzen mit gelben Blüten umgeben. Rechts und links halten zwei hohe Mauern die Terassen zusammen und den Hintergrund bildet eine Art offene Bühne, ebenfalls erhöht, mit zwei seitlichen Säulengängen. Grün rankt an den Mauern, das Steinpflaster zeigt künstliche alte Riffe, als ob es aus Neros Zeiten stammte. Unwillkürlich sucht man nach den togagekleideten Senatoren, nach einer lang dahinrollenden Verse sprechenden Sappho aber deren Stelle nehmen würdige Rats- und Kaufherren ein, die mit furzrödigen, seidenbestrumpften jungen Damen sich zum Genuß erlesener Speisen und Getränke niedergelassen haben. Ihr Geplauder über die Tagesnichtigkeiten wird von dem Plätschern des kleinen Wasserfalles begleitet, der nach Art der Alpenwasserfälle aufgezogen wird, wenn die nötige Zahl der Bewunderer erreicht ist.

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Ein Straßenbahnwagen, der von einer Schaffnerin betreut wird, einer der wenigen letzten Kriegsfiguren, führt uns zum Bahnhof, zum Zuge. Wenige Atemzüge der Lokomotive und ein anderes Bild unserer Zeit bietet sich dar: links eine Reihe moderner Fabritbauten auf dem Felde rechts etwa ein Dutzend Flugmaschinen, fertige und halbfertige. Wie Drachen liegen fie da, den Atem anhaltend, ehe sie dem Kampf um die Bezwingung der Luft entgegeneilen.

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Gibt es eine sinnvollere Verkörperung unserer Lage: der Gegensatz zwischen dem ererbten Hange des Wohlstandes nach Genuß und dem mutigen, mit dem Leben spielenden Eifer der Jugend, Deutschland auf dem Gebiet der Technik seinen alten Ruf zu erhalten?

Leuna .

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das

niemals müde werdend, auch wenn der Rüden sich frümmt ist das Hohelied der Arbeitskraft. Nachschrift. Im Hotel las ich: Leuna . Gestern nachmittag verlegte beim Schweißen eine Stichflamme zwei Arbeiter. Der eine wurde mit schweren Brandwunden in das Krantenhaus ein­geliefert...

Ach ja das Hohelied der Arbeit! Die ewig unzufriedenen.

Beim Essen:

,, Warum fie immer Sago in die Suppe machen?"" Schon wieder hier."" Ich mag doch keine." Das Gemüse ist immer so ,, Was ist denn pampig." ,, Das verstehen Sie nicht zu fochen." am Blumenkohl?" Mustatnuß." Das esse ich nicht." Das am Blumenkohl?" Muskatnuß. es fönnte; doch wohl mal was anderes geben." ewige Fleisch Die Milch muß sehr knapp sein. Ich friege nur einen halben

Liter."

Bom Vergnügen:

Hier ist's zu ruhig, hier ist gar nichts los. Man möchte des Abends doch mal wo hingehen." Das soll' ne Redoute sein. Diese sechs fümmerlichen Tänzer und die zwo Dußend Babys mit ihren Müttern. Und dafür zahlt man noch Kurtare! Gehen wir weg nicht, Anton?"

Im Schwimmbad:

,, Das Wasser ist heute verdammt talt." So'n warmes Wasser, als ob solche Brühe eine Abkühlung gibt." Beim Friseur:

Ach, sieh doch nur mal die Frisur an, da ist gar keine Ondu lation zu sehen." 3m Café:

,, Eis scheinen sie hier nicht zu fennen. Die Selter ist ganz lau." Unerhört, solchen lauwarmen Kaffee vorzusehen, dann doch lieber gleich Eiskaffee bei der Hitze."

So schwirren die lieblosen Urteile in der Sommerfrische herum, meist von denen gefällt, die noch nie das Sprichwort: ,, Hunger ist der beste Koch!" kennengelernt haben.

Der Prinzessinnenweg.

Auch wer nichts von Technik, Chemie, Physik versteht, ja wer das Borherrschen dieser Elemente in unserer Kultur als einen häß­lichen Einbruch in die Romantit seines Gefühllebens empfindet- wird beim Anblick des Leuna - Werkes die größte Hochachtung Herzoglicher Forst" steht am Eingang des Waldes, durch in sich aufsteigen fühlen. Die Minuten, die der Zug gebraucht, um den der sogenannte Brinzessinnenweg" führt, eine in halber am Wert vorbeizufahren, werden ebenso unvergeßlich bleiben, wie Bergeshöhe sich hinziehende saubere, allerdings nicht zu breite der Anblick des Rheinfalles jedem wohl auf ewig im Gedächtnis Chaussee . Für den lebhaften Verkehr zwischen der einstmals herzog. haften wird, der unten auf der Kanzel" stehend, von dem Gischt lichen Residenz und dem auf den Höhen liegenden Luftkurorten des Wassersturzes umloht wurde. Hier die Naturgewalt, dort die bedeutet diese Straße aber nichts, da sie für Autos bei Androhung Geistesmacht, die Rohre und Platten, Schienen und Bolzen, Ringe von Geldstrafe gänzlich gesperrt ist. Ihrer Schmalheit wegen und Steine zusammenfügte, um groteske Bildungen Drachen könnte sie nur als Einbahnstraße benutzt werden, aber als solche leiber und Pagoden zu erzeugen, die ein Nichttechniker überhaupt unzweifelhaft große Dienste leisten. Das Herzogliche" macht fich nicht zu enträtseln vermag. Ritterburgen modernen Geistes find überhaupt noch in mancher anderen Weise in diesem schönen Winkel aufgetürmt Falltüren, Hängebrüden, Himmelsleitern fleben an Thüringens geltend. So wird jetzt in dem einen Höhenort Sonn­den viereckigen Blechgehäusen, die mit fauchenden, zischenden tags ein Boltsschauspiel aufgeführt, das sich auf 1848 aufbaut. Deffnungen gespickt sind, den Atmungsorganen dieser eisen- Herzogs" wurden wohl darin nicht nach Gebühr gefeiert, und die gepanzerten Organismen. Hier und da lodern offene Feuer zum Folge war, daß zwei Holzhauern, die mitspielten, von ihrem Brot Himmel empor Opferflammen der hier regierenden höllischen geber, dem Hofamt", erst das Mitspielen untersagt, und dann, als Mächte. Statt des Burgfräuleins der mittelalterlichen Schlöffer sie diese Warnung" nicht beachteten, mit der Entlassung der hantieren hier Behntausende von Männern, denen die Berant Beweis geliefert murde, daß Herzogs noch etwas tau, jeggen wortung für das Gedeihen all der komplizierten Prozesse aufgehalft hätten. Der Liebe des freien Mannes glaubt man wohl entraten ift Tagein, togaus dem gleichen Mechanismus ausgeliefert zu tönnen. Paul Dobert."

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