Hoher Tag der Republik. Di« Straße Unter d«n Linden, die Triumphstraße des alten Kaiserreiches, wird zur Triumphstraß« der Republik . Schon seit den frühen Morgenstunden wogen Scharen der festsrohen Meng«, Männer, Frauen und Kinder, mit Abzeichen der Republik , schworzrot- goldenen Fähnchen und Emblemen, aus und ab, um nur ja den Aufmarsch des Reichsbanners nicht zu versäumen. Bon den äfsentlichen Gebäuden wehen schwarzrotgoldene Fahnen und das strenge Schwarzweiß Preußens und der lustige Berliner Bär. Aus dem Pariser Platz vor dem Branden- burger Tor steht das Ehrendentmal der Republik . Hier entbieten 150 lM Mann des Reichsbanners im Vorbeiziehen den Toten ihren Dank und Gruß. Die großen Hotels Unter den Linden haben vor dem Machtausdruck der republikanischen Bevölke- rung Berlins ihre Enthaltung von Schwarzrot- gold aufgegeben und machen mit. Amerikanische Sternenbanner wehen, auch die Sowjetrepublik hißt« auf ihrem Botschaftsgebäude ihre rote Fahne zur Feier des Berfassungstages. Gegenüber der Universität ist die Ehrentribüne ausgebaut. Ein- heit, Freiheit, Vaterland leuchtet« es über ihr in großen Buchstaben. Als Kuriosum mag gelten, daß auch wieder der 23 Meter lange Walfisch an der Schloßbrücke ein schwarzrotgoldenes Fähnchen auf dem Dach setner Behausung ausgepslanzt hat. Er ist der richtige Stimmungsbarometer im Flaggenstreit und machte bis jetzt alle Wandlungen mit durch. Der Lustgarten harrt erwartungsvoll auf die ersten Trupps des Reichsbanners und der Jugend, die noch in den Straßen der Stadt mit Musik und wehenden Bannern die Republik be< zeugen, deren Marschschritte den Schutz der Repu- dlik und der freiheitlichen Verfassung verkünden. Die Sonne strahlt verschwenderisch über Berlin . Immer dichter drängt�sich die Menge Unter den Linden und in den Zufahrtsstraßen zusammen, die Arbeitersamariter haben schon hier und da zu tun. Bald müssen die ersten Trupps des Reichsbanners eintreffen und auch die Jugend von ihrer großen Kundgebung im Zirkus Busch kommen. * S i e k o m m« n! Als erste rückt die I u g e n d vom Zirkus Busch an, Reichsbanner- jugend, Sozialistische und Gewerk- j ch a f t s j u g e n d. Ihre roten und schwarzrot- goldenen Banner flattern. Der Gesang klingt über den Dom und das Schloß:„W a n n wir schreiten Seit' an Seite' und„Brüder zur Sonne, zur Freiheit!' Schon rücken sie guch von den anderen Straßen sternförmig an, die Reichsbannertrupps mit ihren schwarzrot- goldenen Bannern und der O e st e r r e i ch i s ch e Schutzbund mit seinen roten Fahnen, jubelnd begrüßt von der Menge, die in immer dichteren Scharen die Zugangsstraßen füllt. Irei hell! und Freundschaft! ruft die Menge. Frei heilt und Freundschosl! ist da» jubelnde Echo der Schuß- «ruppe der Republik. E» ist ein wunderbares Bild, wie der weile Ploh de» Lustgarten» sich immer mehr füllt mit Menschen, die hier ihr Ge- lübni» für die Republik kundgeben. Der Lustgarten war Zeuge vieler Demonstra- tionen und Kundgebungen. Das Schloß sah eine betörte jubelnd« Menge bei Kriegsausbruch das Schloß sah leider auch die Bruderkämpfe der Arbeiter, es sah aber auch die gewaltige Kundgebung der einigen Arbeiter- s ch a f t, die durch den Rathenau-Mord in ihren tiefsten Tiefen aufgewühlt worden war. Es ist«me andere Kundgebung heute, die den Platz mit immer größeren Scharen füllt, die in immer neuen Truppen des Reichsbanners anrückt, deren klingendes Spiel die dröhnenden Domglocken überhallt. Es ist«in Tag der Festesfreude, der Tag einer Menge, die zu ihrer Verfassung steht, weil sie weiß, daß sie diese Verfassung erst mit lBlut und Leben erfüllen muß, damit die Staatsgewalt wirklich vom Dolkeausgehen soll, hier zeigt sich da» Volk in seiner Größe, in feiner Macht, die ihm da» Recht gibt, auch einmal froh eiH Fest zu feiern, ein Fest, da» ein lebendiger Widerhall der«-publik ist. Die Deutsche Republik hat sich befestigt, ja noch mehr, sie ist zum Aus- druck der Volksfreude geworden. Wohl ist noch nicht olles erreicht, erst sind es Teil-
erfolge, doch die Reichsbanner- t r u p p e n, die hier marschieren, sind der beste Teil der kämpfenden Arbeiterfchasl, denn sie rekru- tieren sich aus den besten Gewerkschaftlern und Anhängern der Partei. Kein Wunder, daß bei allem Wissen um den Kampf sich Freude und Genugtuung in allen Gesichtern widerspiegelt, daß die M a ch t der Republik aus den straffen Gestalten der Reichsbannerleut« spricht. Gottfried Keller , der groß« Schweizer Dichter und Demokrat, hat in seinem„Föhn- lein der sieben Aufrechten' die wahre Freude eines Volkes an seiner Verfassung be- schrieben. Und in unserem Fest„Tag der V e r- f a s s u n g' spiegelt sich schon«in Teil dieser Volksfreude wider. Die Republik ist nicht mehr nur eine Rotwendigkeit und ein erzwnn�nes Lippenbekenntnis, sondern sie ist ein Besitz, den die Masse sich nicht mehr nehmen läßt. Kein Wun- der. daß der Bersassungstag zu einem Tage der schwarzrotgoldenen Fahnen geworden ist, daß auch bis lies in die Schichten des Bürgertums hinein der Wille zur Republik lebendig ge- worden ist. Der weite Platz vor dem Lustgarten ist eine hallende Musik geworden, die bis in die fernsten Zugangsftraßen klingt, wo das Volk in immer neuer Begeisterung seine Reichsbanner- l e u t e begrüßt. Gerade die schmutzigen An- griffe der Kommuni st en, den Reichs- bannerleuten kein Brot, kein Wasser und kein Quartier zu geben, die Beschimpfungen als Faschiftengorde und Streikbrechergesindel für den treuen Teil der Gewerkschaften, sie trugen dazu bei, daß die Masse sich erst recht mit den Reichs- bannerleuten verbrüderte. Denn tief in der Masse lebt ein lebendiges Gerecht igteits- gefühl, und so wurden die Angrisse der Kom- munisten und Rechtsradikalen zu einem Teil der Kraft, die das Böse wollte und das Gute schaffte. Dann nahm, stürmisch begrüßt, Bundesvorsitzender Otto Hörsing das Wort und führte nach herzliche» Begrüßungs- warten an die Gäste aus: Heute, am 10. Jahres- tag der Republik, gedenken wir mehr denn je derer, die mit uns gekämpft und gestritten, die an unserer Seite gefallen oder den schweren Wun- den oder dem Siechtum erlegen sind. Wir ge- denken all unserer Kameraden, die mit uns ins' Feld zogen und nicht wiederkehrten, die im Kampfe fielen oder in der Gefangenschaft starben. Ungeheuer groß ist die Zahl der Opfer, die im Kampf um den Best and der Republik gefallen sind. Verweilen wir im Andenken einen Augenblick an den Gräbern von Ebert, Erz- berger und Rathenau und all den vielen Gräbern unserer Kameraden, die im Kampfe für die Republik fielen, meist durch feigen Mord derer von rechts und links. Heute vor 10 Jahren schuf sich die Deutsche Republik ihre Berfas- s u n g. Vom ersten Tage an hatte die Verfassung
der Republik Feinde in nicht geringer Zahl. Hemmungslos durften und konnten die Feinde der Republik ihr Spiel treiben, und nach 5 Jahren standen wir dem Untergang nahe. Da trat die Wendung ein: Wir nahmen den Kampf gegen alle jene Verderber des Reiches und Feinde der Republik auf. Heute nach 5 Jahren kann man mit Freude feststellen, daß die Republik wesent- lich fester steht, als manch einer unserer Gegner glauben will. So finden wir denn auch, daß heute in allen Gauen Deutschlands die große Mehr- heit des deutschen Volke» den Bersassungstag feiert, die Republik ehrt, das Große, was sie ge- schassen, freudig anerkennt. Haben schon die Re- publikaner im allgemeinen Ursache, den heutigen Tag festlich zu begehen, mehr noch als alle an- deren haben wir. das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Ursache, den heuttgen Tag in des Wortes wahrster Bedeutung zu feiern. Daß der Tag überhaupt gefeiert werden kann, ist unser Verdienst, das anerkannt wird. Aber in aller Festesfreude wollen wir nicht vergessen, wie es rings um uns aussieht und welche große Arbeit wir noch zu leisten haben. Ohne im einzelnen auf die außenpolitische Lage einzugehen, darf ich nur den Wunsch aussprechen, daß es der Reichsregierung gelingen möge, gemein- fchaftlich mit den anderen Regierungen, die jetzt im Haag mit ihr tagen, zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, damit der grausame Krieg endlich liquidiert wird. Es ist für die Dauer für uns Deutsche nicht tragbar, daß neben allen anderen Leiden ein Teil Deutschlands immer noch besetztes Gebiet ist und daß das Saar - gebiet wie Ausland behandelt wird. Innen- politisch gesehen sind wir der Meinung, daß die Republik sich nicht länger gefallen lassen kann, daß die Rotionalsozialisten und Kommunisten, die reaktionärsten aller Reaktionäre, gleich wilde» Horden durch» Land ziehen und alle», was nicht ihrer Meinung ist. brutal niederschlagen. Wir sind der Meinung, die politisch« Atmosphäre Deutschlands im Innern muß sofort gereinigt werden. Wir können deshalb den Reichs- und den Staatsregierungen nicht dringend genug empfehlen, daß man dem Rowdytum der Nationalsozia- listen und Kommunisten ein End« macht. Wir wünschen nach wie vor den Kampf der Geister, dem wir nicht ausweichen wollen. Wir wollen aber auch am heutigen Tage vor aller Welt er- klären: Falls die Nationalsozialisten und Kommu- nisten und all« sonstigen Reichsoerdcrber ihren Wahnsinnskamps nicht bald einstellen, so kann es ihnen passieren, daß wir in der Abwehr sie mit d e n s« l b« n Methoden und derselben Art niederkämpfen werden, mit denen sie jetzt glauben uns bekämpfen zu dürfen. Ich sage das mit vollem Bewußtsein, denn wir wollen niemand im Zweifel lassen, daß wir da» Wahnflnn»treiben derer von rechts und von link» ein für allemal satt haben. Die Republik steht fest, solange das Reichs- banner fest und unerschütterlich dasteht und die Republik wird lehr schnell ins Wanken kommen,
wenn das Reichsbanner in seinem Kampfe nach- läßt oder etwa gar zu bestehen aufhören wollte. Die Republik nicht nur zu erhalten, sondern sie zum vollkommenen sozialen volksstaat zu entwickeln, ist und bleibt unser Ziel. Deshalb erwächst uns auch am heutigen Tage die Aufgabe, vor aller Welt das Versprechen abzugeben, daß wir in unserer Arbeit, in unserem Kampfe, in unserer Aufklärung fortfahren werden. Lassen Sie mich einige Danteswort« all denen sagen, die auch im letzten Jahr« ihre Pslicht und Schuldigkeit innerhalb und außerhalb unseres Bundes getan hoben. Ein Jahr der Arbeit liegt hinter uns, und ich fühl« mich oerpflichtet, all unfern Kameraden, unfern Funkttonären, der Jugend, den Schutzsportlern, der Musik, den Trommler- und Pfeiferkorps, den Sanitätern, kurz jedem unserer Kameraden, auf welchem Platze sie auch stehen, für die Arbeit des letzten Jahres herz- liehst zu danken. Von neuem geht es an die Arbeit. Wir schreiten ins zweite Jahrzehnt der Deutschen Republik hin- ein: auch dieses wird uns im Kampfe der Republik gegen die Feinde an der Spitze sehen! Rur gemeinsamer Kampf kann uns führen, wohin wir wollen, zu einer wahrhaft freien, sozio- len, demokratischen Republik ! Unser Baterland, unser Volk, die Deutsche Republik sie leben hoch, hoch, hoch!—
Der große Gesomtaufmarsch zu Ehren der Reichsverfassung ist nach den jubelnd begrüß. ten Worten des Bundesoorsitzenden Otto Hör- sing beendet. Die 150 000 Mann marschieren mit klingendem Spiel und Gesang die Linden entlang. Die Begeisterung der Menge kennt kaum mehr Grenzen, schwarzrotgoldene Fähnchen und Taschentücher werden geschwenkt. Es ist wie ein Fest der allgemeinen Verbrüderung,«in Fest, das nach den Wünschen der Kommunisten ein schwarzer Tag des Bruderzwiespaltes und der Beschimpfun- gen geworden wäre. Der Zug bewegt sich nach dem Ehrendentmal aus dem Pariser platz und senkt seine Fahnen zu Ehren der toten Kämpfer. Dann marschiert er weiter durch das Brandenburger Tor , sternförmig auseinanderstrahlend, und verkündet der Stadt Berlin des Treuegelöbnis der schaffenden Arbeit zur Republik, die bald ein« soziale Republik sein wird, wenn die oereinigten Kräfte des schaffenden Volkes den Bruderkampf weit von sich weifen, dann wird der gewaltige Aufmarsch und die jubelnde Beteiligung der Bevölkerung nur ein Auf. takt sein zu gemeinsamen neuen kämpfen und Siegen!
Widerspruch. Gestern schrieb die„Rote Fahne' an der Spitze des Blattes:„Wir wollen am 11. August kein Blutvergießen.' Wir Sozialdemokraten und unsere Kameraden vom Reichsbanner aus den anderen republikanischen Parteien sind wahrhastig die Letzten, die Blut- vergießen wünschen. Im Gegenteil, uns Sozial- demokraten ist der Gedanke widerlich und schrecklich, daß Arbeitskollegen und Klassen- genossen, weil sie sich durch scheinrevolutionäre Parolen betören ließen, schon allzu zahlreich ihr Blut vergossen. Wir Sozialdemokraten stimmen der Parole der„Roten Fahne' zu. Wie aber verträgt es sich damit, wenn die KPD . Treptow folgende Flugzettel oerteilt:„Heraus zum- Pro- test gegen den Berfassungsrummel der SPD.!' Und dann folgen die gewohnten Worte:„Arbeiter- mörder, Sozialfaschisten , Schutzgorde der Unter- nehmer. Heraus zur Kampfansage, Straft die Söldnergarden, Stürzt diese kapitalistische Repu- Wik!' Phrasen, gewiß. Dazwischen aber steht ein Satz:„Erscheint alle am Sonn- abend, dem 10. August,%.7 Uhr, auf dem Wildenbruchplatz in Treptow .' Die Treptower Republikaner marschieren u m %7 Uhr vom Wildenbruchplatz aus zu ihrer Verfassungsseier ab. Ist dieser Lauszettel mit seinen wüsten, verlogenen Beschimpfungen und seiner Ausforderung Provokation oder nicht? Liegt in diesem Widerspruch gemeine Ber- logenheit oder völlige Kopflosig- keil?