Einzelbild herunterladen
 
Nr. 397. 46. Jahrgang
Sonntag, 25. August 1929
Schlecht Wetter auf dem Pazifik Zeppelin   soll südlichere Noule einschlagen.
Auktion auf dem städtischen Nachlaßspeicher.
3n Paris   landen alle allen Sachen im letzlen Stadium ihrer Brauchbarkeit und es gehören schon die Augen eine» Aachmannes oder der äuheren Armut dazu, an diesen Trümmern immer noch einen Rest Gebrauchswerl zu entdecken aus dem �Alohmarkt". in Amsterdam   ist ihre Aufstapelung aus der Zodenbreestraot sogar -einer derbesichtigenswerteu Programmpunkte" bei den Fremden. sührungeu. Den Berliner Floh markt kennen ein paar Händler und ein paar Eingeweihte der breiten Masse ist er an- bekannt. « Einmal bis zmeimal im Monat finden die Auktionen der städtische» Nachlaßspeicher statt: dort kommen die Haus- halte der verstorbenen Unterstützungsempfänger zur Versteigerung, armselig st es Strandgut aus einem Meer des Elends, denn für alles, was noch ohne weiteres verwendbar ist, hat die Stadt ja eine Art Vorkaufsrecht, und sie macht zugunsten anderer Unter- stützungsempfänger gern davon Gebrauch. Schränk«, die noch ein« Rückwand und alle Beine haben, brauchbare Stühle, Spiegel und Kommoden werden zurückgestellt es sind nur zuviel Dormerkun. gen dafür vorhanden. Die Bettstellen freilich kommen alle zum Verkauf: hier sind die Empfänger zu mißtrauisch gegen die �Awangsmieter", die sie sich mit einschleppen könnten nnd die in Bertin auf de« schönen Namen �Tapetenflundern' hären, und so Hot sich die Stadt entschlossen, als Leihsachen nur einfachste Draht- bettstellen mit Auslegematratzen auszugeben. Strandgut. Kurz vor halb zehn Uhr sammeln sich ein Dutzend Leute vor der großen Eiscntür, die in den Auktionsraum des Möbel- speichers führt: Händler aus allen Teilen der Swdt. Denn wenn auch das meiste hier zerbrochen ist, so läßt sich ein Schrank doch mit einiger Mühe wieder so Herrichten, daß er im Loden 50 bis 60 Mark bringt und hier auf der Auktion wurde er für 8, für 10, für 11 Mark ersteigert. Auch einige Privatleute sind hier es ist ja«ine der wenigen Auktionen, auf denen der händlerring nicht gar zu unverschämt treiben darf,.halb zehn. Bewaffnet mit
einem Besenstiel, erklettert der Autionotor«inen Tisch. Als erstes kommen einige Bettstücke zum Verkauf, und dieses zerlegene, dreckige Zeug bringt wirklich noch ILO Mark. Dann kommt eine Bettstell« mit Keilkissen: freilich fehlt die Matratze oder selbst der Bretter- boden, und so bringt sie ganze 10 Pfennig es steckt mehr Brenn- holz in der alten Bettstelle! Der Auktionator sucht seine Leute bei guter Laune zu erhalten.Was kann nu woll so der Zehninark- schrank hier kosten?" Und dann gehen langsam, fünszigpfennig- und groschenweis« die Preise hoch. Die Perlen der Auktion sind ein Speisezimmer aus den ersten Iahren dieses Jahrhunderts und ein Schlafzimmer, die beide im ganzen abgegeben werden sollen. Schnell hat sich der händlerring verständigt. Nicht höher, nicht höher als zweihundert Mark darf gegangen werdenl Aber es gibt einen Strich durch die Rechnung: Ein Außenstehender macht mit zweihundert Mark das Erstgebot, und zähneknirschend muß der händlerring noch 15 Mark mehr für das Speisezimmer anlegen, das, gut erhalten und komplett, im Laden noch mindestens 400 Mark bringt. Die zweite Sensation ist der Nachlaß eines Akademikers der nur aus zwei Körben mit Büchern und einem halben Dutzend Floretts und Säbel sowie der dazugehörigen Fechtmaske besteht. Und hierbekauft" sich«in Händler, weil er bemerkt«, daß einige der Privatleute für zwei der Bücher Interesse zeigen. Dreiundzwanzig Mark zahlt er für die beiden Körb« mit Büchern... wenn er wüßte, daß das Bezirksamt Kreuzberg   schon Vorschau gehalten hat und die wirklich wertvollen Werke für sein« Bibliotheken reklamierte! Immerhin ist dieser Nachlaß auch eme der Perlen, denn er bringt fast dreißig Mark, während dos Hab und Gut eines ganz armen Teufels um eine Mark versteigert wird. Ein Bett war nicht dabei... Llnwilttommenes Leben. Auf dem Fußboden stehen richtige Lachen.Degen die Flöhe," vertraut mir der Nachlaßverwalter an.Was glauben Sie wohl, was mir so auszuhalten hoben bloß gut, daß wir oll« hier mit den Iahren immun werden! Also manchen Nachlaß, den könn- ten die Wanzen alleine abtransportieren, wenn sie mit der Berkehrsordnung Bescheid wüßten man braucht« ihnen bloß die Adresse sagen... Aber krabbeln fühlt man sie, und neu- lich haben wir einen Rochlaß geholt, da haben sogar die allen Arbeiter hier das Jucken gekriegt. Siebenundsechzig Flöhe Hobe ich olleine in meiner Badewanne ersäuft... Inzwischen geht die Auktion weiter. Mit wahrer Berbisienheit kauft«ine alte Frau alle alten Bett stücke; wozu nur? Die Arbeiter wisien es: Für ein« Bettfedcrnfabrlk, die dies unglaublich schmutzige Zeug noch reinigt und weiterverarbeitet... und auch sehr verdäch- tig aussehend« Polstermöbel finden noch immer Liebhaber und Käufer. Und frisch aufgearbeitet geh« die Thaiselongues und Sessel dann vielleicht gerade in den Haushalt, besten sauber« Hausfrau in schlimmer« Tagen eine alle Bettstelle als Leihgabe der Stadt ent- rüstet ablehnte... » Um halb eins ungefähr ist die Auktion beendet. Für jedes alte Gerümpel fand sich noch ein Käufer, mir ein« Prothese,«in linkes Bein, steht einsam trauernd in der Ecke; dafür fand sich wirklich kein Käufer aus jedem anderen Stück Elend hofft ein findiger Händler noch Profit herauszuholen van Menschen, denen selbst dieses Gerümpel noch wertvoller Besitz dünkt. Drei Stunden voll Bieten und Feilschen es waren wohl an vierzig Nachlässe da Ueberrest« von vierzig Schicksalen: und dann zieht der Beamte das Fazit: 1282,70 Mark hat die Auktion gebracht, und Kreuzberg   und Berlin-Mitte haben sich den Erlös zu teilen.
Graf Zeppelin  ", der am Sonnabendmittgg bereits mehr als ei» Drittel des Weges vonTotio nach Los Angeles   zurückgelegt hatte, nahm nachmittags direkten Funkverkehr mit San Franziska auf. Das Schiff hat auf dem zweiten Drittel seiner Fahrt leichte Gegenwinde zu überwinden Nach einer bei der Funkstelle des Luftschiffbaues in Friedrichshafen   eingegangenen Meldung befand sich das Luftschiff um 13 Uhr MEZ. 43,50 Grad Nord und 17 4,10 Grad Ost. An Bord ist alles wohl. San Franziska, 24. August. Im nordöstlichen Teil des Stillen Ozeans   und an der Nordwest- lichen Küste des amerikanischen   Kontinents sind m e t e o r o l o- gifche Störungen eingetreten. Das hiesige Wetterbureau hat infolgedessen der Leiwng de« LuftschiffesGraf Zeppelin" durch Funkspruch angeraten, den Plan, die amerikanische   Küste bei Seattle  anzusteuern, aufzugeben und einen südlicheren Kurs zu wählen. Beamte des Wetterbureaus erklärten, das Luftschisj würde auf der nördlichen Route Gegenwind« antreffen. Der Boro- meterdruck liege dort unter 2S,40 Zoll und die vom Golf von Alaska ausgehende Stöning werde voransstchtlich 24 bis 36 Stunden an- halten. Falls derGraf Zeppelin" die große Zkreisroute nach Sau Fronzisko weiter verfolge, werde er das Tiefdruckgebiet nicht be- rühren und Rückenwinde haben. Tokio  . 24. August.  (Meldung der Astociated Preß.) Die Funkstation Ochischi fing einen Funkspruch desGraf Zeppelin" auf, demzufolge sich das Luftschiff um Mitternacht japa- nischer Zeit(4 Uhr nachmittags MEZ  .) etwa 3200 Kilometer östlich von Tokio   und 800 Kilometer südlich des Aleulen-Archipels befand. Das Flugzeugunglück von Glm. Wie V 257 im Walde scheiterte. Frankfurt   a. M., 24. August. Wie die Deutsche Lufthansa mitteilt, ist die Ur< fache des schweren Flugzeugunglücks in der Nähe von Elm   bei Schlüchtern   wahrscheinlich in devn dichte« Nebel zu suchen, der dort heute vormittag herrschte. Der Flugzeugführer Bauer müsse dabei die Sicht vollständig verloren haben, daß er mit seinem Flucz- zeug über dem gebirgigen Gelände zu tief kam. So stieß das Fahrgestell gegen Bäume und riß. Das Befinden der schwerverletzten Gattin des bei dem Unglück getöteten Frankfurter   Polizeioberwachtmeisters Rückert ist sehr ernst, jedoch besteht keine unmittelbare Lebensgefahr: die Verletzte ist bei Bewußtsein. Die Katastrophe spielte sich zwischen den Gemeinden Elm und Hutten ab. Man sah das Flugzeug D 757 über dem Walde rnehrnc Male hin- und herpendeln. Dann stürzte es in den Wald. �Das Flugzeug wurde vollständig zertrümmert. Zwci sofort herbeieilende Aerzte stellten den Tod der drei genannten Personen fest und oeranlaßten die Ueberführung der beiden schwer- verletzten Danren nach dem Kreiskrankenhaus in Schlüchtern  . Es wird angenommen, daß die Verletzungen der Verunglückten zum Teil durch die Aeste eines umgerissenen Baumes hervorgerufen worden find. Eine Gcrichtskommission aus Frankfurt   a. M. begab sich an die Absturzstelle, um die Ursache des Unglücks fest- zustellen.
von. A.Mfirey.
Copyright 1929 by Gustav Kiepenheuer Verlag A.-<J� Bertin
Funk geht durch das Kirchenschiff. Der Boden ist in unzählig« schmale niedere Boxen� in Rabatten, eingeteilt, darin verwest das Leben, darin blüht der Tod. Funk sieht gelbe Gesichter, blaugraue, grünliche, blut- überkrustete, hochrot geschwollene. Manche, die unruhig sind, die Hirnoerletzten, als wollten sie das Stroh, auf dem sie sich wälzen, schlagen und es dreschen, manche, die still daliegen und keuchen. Manche, die einen! tiefen, schnarchenden Ton des Schmerzes, ein qualentpreßtes Gebrumm im Tempo des Atmens von sich geben. Manch«, die alles aufgesteckt haben. Sie wirken irre- führend. Di« Toten scheinen hier heimlich die Zahl der Der- wundeten größer hinstellen zu wollen, als sie in Wirklichkeit ist. Diese Vollendeten haben sich eingeschlichen unter die Mangelhaften. Hinaus mit ihnen, sie nehmen unnötig Platz weg. Wer man muß sie liegen lasten, man ist der Arbeit und dem Andrang nicht gewachsen.* Funk entfernt sich wieder aus dieser Kirche, m der unter anderem auch gebetet wird, und in der es im ganzen merk- würdig still zugeht, als rase die geballte Pein der Mast« unter einer dämpfenden Schicht: unter den dicken Dünsten des Fiebers, unter der schwebenden Schwäche, die den aus- gebluteten Körper einlullt.. Draußen ist der immerwährende donnernde Katarakt des Horizontes, gespien aus Tausenden von Geschützen gleichzeitig. Man ist gedrängt, den Mund zu öffnen; so erträgt das Trommelfell ein wenig bester jenes schrecklich jagende Ge- Hämmer. Man schnappt nach Luft wie der Fisch auf dem Trockenen nach Master. Rätselhaft schlägt manchmal etwas Tückisches mit zischendemTick" in den Schlamm der Dorf- straße. Diese Teilchen müssen von weither kommen, von fernab krepierenden Granaten. Ihrer sind so viele, daß, ob- wohl kein Schuß in den Ort fällt, er dennoch dünn über- schleiert ist von solchen Sprengstückchen. Wir Funk sich aufmachen will, um Fähnlein abzulösen, steht er auf einem der vielen Wagen, Materialwagen, die leer
aus der Richtung Bapaume   kommen, etwas höchst Unge- wohntes- Die Wagen haben aller vorerst jene Kirche zum Ziel, denn sie bringen Menschen mit, die draußen verwundet und verbunden worden sind, also vermutlich sehr stille Menschen. Hier aber naht, langsam von Gäulen durch die zur Suppe zermahlene Straße gezogen, ein Gefährt mit brester Platt- form, das Lemuren der Somme, Ausgeburten eines Wahn- sinns oder was sonst? mit sich führt: wippende Damen- srühlingshüte in zarten Farben mit mächtigen Krempen, Mode 1914; eine flatternde Federboa um hüpfende Schultern; tanzende Weiberröcke, teils Tuch, teils seidenes Unterzeug: Korsette um Soldatenhüften, den leeren Raum für die Frauenbrüst« vollgestopft mit Tüchern. Sie taumeln umher, sie umfassen sich und machen� Tanz- schritte, sie johlen gleich Betrunkenen ein Gegröl,' das plötzlich in schmerzliches Gestöhn übergehen kann, denn sie alle sind verwundet. Leichtverwundete mit Fleischschüssen durch Arm oder Bein: jawohl, durch die Beine, und sie hüpfen dennoch. Einem löst sich der durchblutete Verband vom Schenkel, er zieht die Binde als weiße, rotgesprenkelt« Schlange hinter sich her. Sie haben, versehen mit ihren Ausweifen fürs Lazarett, irgendwo da draußen gewartet auf Fahrgelegenheit. In einem Keller an einer Straßenecke von Bapaume  . Und haben dabei ein Warenlager,«in Kleiderlager, und auch Schnaps entdeckt. Das ist alles. Und nun find sie gerettet, sind der Somme entronnen, haben ihre Schüsse weg, durch die sie dem Dasein wieder- gegeben werden, sind neugeboren. Kommen mst heilerer Haut davon, als wenn die Haut heil wäre. Da weiß man sich freilich vor Jubel nicht zu fasten. Dennoch kann es fein, daß mancher zuletzt ein Glied verliert oder selbst noch das Leben: die verschmutzten Wunden mit vom Schuß hineingerissenen Uniformteilen sind eine Ge- fahr. Aber davor fürchtet sich freilich keiner. Wie käme er dazu, jetzt einen anderen Gedanken zu denken als: gerettet. Einer hat die blaue, kokett geschnittene Kattunschürze einer Arbeiterin an und AngÄique steht vor Funk. Roch mehr aber erstarrt er, als der Wagen dicht an ihm vorüberwuchtet, und gleich hinter dem Kutschersitz«in Häuf- lein Toter enthüllt wird- Die Grölenden, die Taumelnden stoßen, ohne es zu merken, mit ihren Absätzen gegen die Leichname.
22.
Das Regiment, aufgefrischt mit zweifelhasten Kräften aus der Heimat, notdürftig zurechtgebürstet, bezieht Winter- stellung bei Bimy. Das Revier ist in M�ricourt; der Regimentsstab aber in Avion  . Diese Einteilung ist dem Lipp sehr willkommen. Er ist hier Diktator, ist ranghöchster Offizier, wenn sich nicht gerade auch ein Bataillon in Möricourt ausruht und fein Führer etwa Major ist. Aber diesem kann man so ziemlich aus dem Wege gehen, zur Tafel wird man nicht zugezogen. man ist ja nur Sanitätsoffizier, man kann daher ganz seinen Passionen leben. Er zieht durch den Schnee auf die Hasen- jagd, mit einem Treiberaufgebot von zwölf Krankenträgern und drei Unteroffizieren, und bringt zwei Stare mit heim. Er beginnt hier wieder seine Champignonzucht, man muß gestehen, mit mehr Glück als in Fournes; eine komplizierte, aufreibende, viel Arbeit anderer verlangende Tätigkeit er- zeugt einige Prachtexemplare des Pilzes. Manchmal besucht ihn fein Freund, der Kommandeur. Sie verstehen einander immer bester, je länger der Krieg dauert, je laxer die Anschauungen über Mein und Dein, über Gut und Böse, über Gewalt und Verzicht werden, je un- bedenklicher man sich einer leidlich bequemen Stunde hingibt. Pummer bewgltigt den Weg von dem ganz zusammen- geschlossenen Avion, einer Arbeiterkolonie mit vielen unferti- gen Häusern, die wieder umgelegt wurden, ehe der Dachstuhl oben war, zu Pferd auf trostloser Landstraße durchs Kohlen- revier in einer knappen halben Stunde bis zu dem viel bester erhaltenen M�ricourt. Er wird vom Stabsarzt eingeladen diesmal wird er mit stolzem Feixen gehorsamst gebeten, das Revier zu besichtigen. Lipp ist sehr erbaut von seiner Schöpfung. Der schwach belegte Ort, der noch Zivilbevölkerung birgt, hat ihm reichliche Auswahl an Oertlichkeiten gelasten. Er wählt ein langgestrecktes Gebäude mit saalartigen Zimmern im Par- terre und ersten Stock. Oefen, Bettgestelle, Tische, Stühle läßt er mit wenig Skrupeln zusammenholen, zusammen- hämmern, aufbauen und einbauen. Leise kreischende Proteste der enteigneten Eingeborenen es sind in der Hauptsache Frauen besiegt er mit Hilfe des Ortskommandanten, eines verbitterten, trotz dreifacher Verwundung undekorierten Schullehrers, der voll stolzem Vergnügen dem Herrn Stabs- arzt dienlich ist. Die beiden Offiziere pflegen mitsammen zu speisen. (Fortsetzung folgt.)