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Morgenausgabe

Nr. 401

A 202

46.Jahrgang

Böchentlich 85 B1, monatlich 3.60 2. um voraus zahlbar, Postbezug 4.32 m. einschließlich 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Bfg. Boftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6,- M. pro Monat

Der Borwärts erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend". Illuftrierte Beilagen Bolt und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen".. Frauen. ftimme". Technit"." Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts"

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch 28. August 1929

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etapattige Ronpareillegefle 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart Kleine Anzeigen das lettge brudte Bort 25 Bfennig( zuläffig met fettgedruckte Borte). jedes weitere Bert 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Bfennig, jedes wettere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwet Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt eschäft Lindenstraße 3, wochentäglic con 81%, bis 17 Uhr,

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts: Verlag G. m. b. H.

Fernsprecher: Dönhoff 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .

Einigung im Haag.

Snowden hat sich durchgesetzt.- Nachtfizung mit den Deutschen .

V. Sch. Saag, 28. August, 22 Uhr morgens. Die Einigung ist soeben vollzogen. Ihr Inhalt wird durch die britische Delegation bekanntgegeben er be er be bentet einen überwältigenden Sieg Snowdens auf der ganzen Linie. England erhält 40 Mill. Mart Mehranteil an den deutschen Zahlungen, ursprünglich hatte es 48 Millionen gefordert. England erhält ferner einen Anteil von 96 Millionen an den ungeschütten deutschen Zahlungen, während es nach dem Young- Bericht überhaupt keinen Anteil hieran haben sollte. Ferner hat England mit Italien ein günstiges Arrangement für die nächsten drei Jahre über die Kohlenliefe.

rungen treffen können.

Um 1 Uhr sind Hilferding, Curtius und Wirth von Scheveningen im Saag eingetroffen, Stresemann durfte auf Anordnung seines Arztes nicht wieder aufstehen.

V. Sch. Haag, 28. August, 0,30 Uhr.( Eigenbericht.) Es ist allem Anschein nach gelungen, die Konferenz vor dem drohenden Zusammenbruch zu retten. Um Mitter­nacht versammelten sich die fünf Gläubigermächte wieder. In dieser Situng, die nur wenige Minuten bauerte, teilte Snowden seine Zustimmung zu dem lehten Angebot der vier übrigen Gläubiger­mächte mit.

Die deutschen Minister wurden alsbald telephonisch in Scheveningen gebeten, sofort zu kommen. Auf den Ein­wand, daß der übermüdete Dr. Stresemann sich bereits schlafen gelegt habe, bat Generalsekretär Sir Maurice Sankey die deutschen Verbindungsmänner, alles zu ber­suchen, um Stresemann zu bewegen, doch noch zu erschei­

nen. Hilferding hat sich darauf zu Stresemann begeben, um ihm diese Bitte zu übermitteln. Man glaubt, daß sich Stresemann trok seines erschöpften Zustandes und trotz dringenden Abratens seines Arztes diesem Wunsch nicht verschließen wird. Anscheinend ist die er. reichte Einigung so notdürftig, daß man befürchtet, es könnte morgen früh wieder alles kaputt sein, wenn sie nicht noch heute nacht von allen Konferenzteil. nehmern besiegelt wird.

Ei

Es bleibt abzuwarten, auf welcher Grundlage die ung zwischen den Gläubigern erzielt worden ist, be sont rs ob und inwieweit doch noch deutsche Zugeständ­niss dabei eine Rolle spielen, die der Zustimmung der deutschen Unterhändler noch bedürfen. Um 21 Uhr nachts wird bekannt, daß Hilferding und Curtius ihr Erscheinen bestimmt zugesagt haben, man hofft noch, Dr. Stresemann ebenfalls dazu zu be­wegen.

V. Sch. Haag, 27. August, 12 Uhr nachts.( Eigenbericht.) Gegen 10 Uhr verließen zum allgemeinen Erstaunen die deutschen Minister das Verhandlungsgebäude. Dr. Wirth, der sich in den letzten Tagen zum Orakel der deutschen Delegation ausgebildet hat, sprach lediglich den einen Satz, den er viermal wiederholte: Das Eis scheint gebrochen zu sein."

Später erfuhr man, daß die Deutschen die Stzung verlassen hatten, um die Gläubiger unter sich zu lassen. Man hatte erfahren, daß die Verhandlungen zwischen den Gläubigern einen durchaus ernsten Charakter angenommen hatten und das nicht mehr bloß allgemeine Deflamationen ausgetauscht, sondern tonfiele Bor­schläge im einzelnen besprochen wurden. Daraufhin beschlossen die Deutschen , in thr Hotel nach Scheveningen zurückzufahren, von wo

lichkeit Einzelheiten über die Reden Dr. Stresemanns aus fran­zösischer oder japanischer Quelle erfährt, wie das wiederholt in den letzten drei Wochen geschehen ist. Ueberhaupt ist die unwürdige Behandlung der deutschen Preffe gerade an den wichtigsten Tagen der Konferenz ein Kapital für sich und be. deutet einen Rüdfall in die Geheimratsmethode der Bor­friegszeit.

Bon Franzosen erfährt man, daß Briand eindringlich an

Snowden appelliert hat, seinen intransigenten Standpunkt aufzu geben, er soll dabei u. a. auf das Wirtschaftsprogramm der britischen Arbeiterpartei hingewiesen haben. Snowden soll darauf geantwortet haben, daß diese eindrucksvolle Rede ihn gewiß inter essiert hätte, daß ihn aber neue Vorschläge noch mehr interessieren würden. In diesem Stadium soll Ias par darauf hin­gewiesen haben, daß eigentlich Snowden eine detaillierte Antwort auf die gestern ihm überreichten und von ihm abgelehnten Vorschläge noch nicht erteilt hätte und daß es nunmehr an ihm wäre, seine Entscheidung im einzelnen vorzutragen. Darauf wurde eine Erholungspause eingeschaltet und die Deutschen zogen sich diskret zurück, da die Berhandlungen unter den Gläubigern nunmehr einen

ausgesprochen internen Charakter anzunehmen schienen.

Bon deutscher Seite wurde lediglich cuf Befragen ausdrüdlich betont, daß von irgendeiner 3ustimmung Deutschlands zu irgendwelchen Opfern nicht die Rede war. Weder sprach Strefe mann noch wurde von den anderen davon gesprochen,

Das Warten der Ausgeschloffenen.

Haag, 27. Auguft.( Eigenbericht.) Während der Geheimfihung mußten die höchsten Beamten der Delegation ebenso draußen warten wie die Journalisten, nur mit dem Unterschied, daß die ersteren auf den korridoren des Parlamentsgebäudes harren, während die Journalisten in trauter Gemeinschaft mit der im Haag neugegründeten Internationale der Minister- Chauffeure auf dem Hofe herumstehen.

Die Kämpfe in Palästina. Amtlicher englischer Bericht.

London , 27. August.

Das Kolonialaint meldet, daß in Jerusalem und Jaffa Ruhe herrsche. Abgesehen von diesen beiden Plägen sei das Land aber

noch unruhig, da die Araber die zahlreichen jüdischen Siedlungen unaufhörlich angreifen. Militärische Verstärkungen sind

bereits eingetroffen oder unterwegs, ebenso fünf Kriegsschiffe.

Nach einer Meldung des Oberfommissars wurden von den Arabern auch türkische höhere Beamte angegriffen, woraufhin ein Panzerwagen die Araber durch Gewehrfeuer zerstreute. Bor Telawiw flohen die Araber beim Anrücken der Soldaten. Danach trat Ruhe ein, abgesehen von vereinzelten Ueberfällen. In Haifa schuf das Einrüden der Truppen zunächst gleichfalls Ruhe, aber nach neueren Meldungen haben sich doch wieder Un­ruhen bemerkbar gemacht.

Auch in Transjordanien ist die Lage nicht unbedenklich, wenn auch bisher feine Unruhen gemeldet sind. Nach Mitteilung des Oberkommissars griffen die Araber in den letzten Tagen das Judenviertel von Hebron an und sind die jüdischen Kolonien südlich von Jaffa bis südlich von Haifa als bedroht anzusehen. Die Juden haben einige Kolonien verlassen, die dann von den Arabern geplündert und verwüstet wurden Die jüdischen Kolonien im Tale Esdralon und Jesreel wurden angegriffen. In Gaza wurden einige Juden getötet, andere ver­wundet. die Presse ist noch verboten.

Die Regierung hat mit der Herausgabe von Nachrichten und Auslandstelegramme sind keiner Bulletins begonnen.

sie jederzeit auf Fernruf wieder nach dem Haag zurückkommen Zensur unterworfen, aber in einzelnen Fällen haben die Telegramme

fönnen.

Seit der Abfahrt der deutschen Minister verhandelten die Alliierten untereinander, abwechselnd in verschiedenen Gruppen Lange Zeit waren lediglich die Engländer und die Italiener in Gegenwart des Belgiers Jaspar beisammen. Gegen 11 Uhr abends zogen fich die Engländer zu einer Beratung zurüd, die, soweit man aus den spärlichen Gerüchten entnehmen kann, um 12 Uhr noch fortdauerte. Sogar über den ersten Teil der Sigung, an der die Deutschen teilgenommen haben, verweigern die Reichsminister jede Auskunft, obwohl sie sich diesmal nicht zum Schweigen ver­pflichtet haben. Offenbar zieht man vor, daß die deutsche Deffent­

Verspätungen bis zu 48 Stunden erlitten.

Nach einer vorläufigen Zusammenstellung neueren Datums find in ganz Palästina 46 Araber, 4 Christen und 93 Juden getötet, 73 Araber, 12 Chriften und 153 Juden schwer, 45 Araber, 27 Chriften

und 116 Juden leicht verwundet worden.

Beide Parteien flagen in Genf .

Die Juden und Araber Palästinas überschwemmen das Bölkerbundesekretariat mit Klagen über die dortigen Ausschrei­tungen, und zwar behaupten beide Teile, von dem anderen ange­griffen worden zu sein. Die Beschwerden müssen der Mandats. tommission zur Behandlung überwiesen werden.

Postscheckkonto: Berlin 37 536.

Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten

und Beamten, Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkasse Lindenstr. 3.

Bürgerkrieg in Palästina.

Das Land unter britischem Mandat.

Von Dr. Artasches Abeghian.

Seit einigen Tagen sind in Palästina zwischen Arabern und jüdischen Ansiedlern blutige Telamim, Hebron und anderen Ortschaften mit mehr oder 3usammenstöße im Gange: in Jerusalem , Haifa , weniger zahlreicher jüdischer Bevölkerung. Die Zahl der Er­mordeten und Verwundeten beläuft sich auf Hunderte. Unter ihnen befinden sich auch zwölf amerikanische Bürger. Brand­stiftungen, Gewalttätigkeiten, Plünderungen sind Begleit­erscheinungen der blutigen Vorgänge. Sie haben immer noch tein Ende gefunden, im Gegenteil, nehmen immer größere Ausmaße an und dehnen sich über das ganze Landgebiet aus. Berwaltung und Polizei stehen hilflos da. Die geringen staat­die jüdischen Selbstschutzorganisationen vermögen nicht, den lichen Kräfte 1000 Soldaten und 180 Polizisten- und zahlreichen und gutbewaffneten Arabern Widerstand zu leiften. Der englische Oberkommissar hat das Kriegsrecht über das gesamte Gebiet von Palästina verhängt. Aus Malta und Alexandrien find Kriegsschiffe mit Landungstruppen unterwegs.

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Die Araber sind bei diesen Zusammenstößen die an­greifende Partei. Das soll aber nicht heißen, daß sie auch die Alleinschuld für die Unruhen tragen. Nach einer Version soll eine jüdische antimohammedanische Kundgebung Beranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten gegeben haben. Die Kundgebung sollen nationalistische Organisationen faschistischer 3ionisten am 14. August in Jerusalem veranstaltet haben, und zwar aus Anlaß der angeblichen Ermordung eines jüdischen Knaben durch Araber. Eine andere Bersion behauptet, daß die Urheber der Greueltaten die Araber feien, aber nicht die in Palästina anfässigen, die mit den jüdischen Kolonisten im Frieden lebten, vielmehr ihre erst neu hinzugefommenen friegerischen Stammesverwandten. Nicht zuletzt trage auch die Mandats­verwaltung die Verantwortung, da sie wahllos die Einwande­rung friegerischer arabischer Stammesgruppen gestattet habe. Alle diese Behauptungen enthalten ein Stück Wahrheit, aber sie zeigen nur die Außenseite der Lage in Palästina. Dem arabisch- jüdischen Antagonismus liegen tiefere Ursachen zu­grunde, historische, wirtschaftliche und nationale.

Palästina gehörte vor dem Kriege der Türkei , und bildete zusammen mit Syrien und Transjordanien verwaltungs­gemäß eine Einheit. Die Balfour Deflaration von 1918 hat es feierlich als das nationale Heim des jüdischen Boltes erklärt. Das war ein Zugeständnis an die Führer der zionistischen Bewegung. Dies sollte freilich nicht heißen, daß das Arabertum, welches seit Jahrhunderten die über­wiegende Mehrheit in Palästina bildete, verdrängt werden follte. Diese beiden Völkerschaften sollten vielmehr neben­und miteinander leben, und das neue Palästina gedanken hat die britische Regierung nie aufgegeben. Sie wirtschaftlich sowie fulturell aufbauen. Diesen ihren Grund­übt das Mandat über Palästina, das erst Ende

September 1923 in Kraft trat, im Namen des Böllerbundes aus. Sir Herbert Samuel. der bekannte liberale Politiker. war der erste Oberkommissar Palästinas. Ihm folgte 1925 Marschall Blumer, dessen Nachfolger nun seit Juli 1928 der jezige Oberkommissar Robert Chancellor ist. Alle diese englischen Landesverwalter Palästinas sind mehr oder weniger bemüht gewesen, gemäß dem Geifte der Balfour­Deklaration den beiden Bevölkerungsteilen, Arabern und Juden, gleichermaßen gerecht zu werden. Noch im Mai 1923 hatte Sir Herbert Samuel ein provisorisches Advisor- Consil( Beira , ernannt, dem acht Araber, zwei Juden und zwei Christen angehören sollten. Aber seine arabischen Mitglieder mit ihnen auch die christlichen traten bald zurück. Der Oberkommissar ernannte darauf einen ausschließlich aus Beamten zusammengesetzten Ver= maltungsrat. Der arabische Kongreß in Jerusalem im Juli 1928 forderte beim Bölkerbund und der britischen Re­gierung eine parlamentarische Verfassung für Balästina. Sie fehlt aber bis zum heutigen Tage, und das Land wird nach wie vor nur von etwa 300 Beamten regiert.

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Das Mandatgebiet Palästina umfaßt im ganzen 10 000 Quadratmeilen Flächeninhalt und zählt etwa 850 000 Ein­Reft besteht aus verschiedenen Völkerschaften. Die Mehrzahl wohner. Davon find 650 000 Araber und 170 000 Juden, der der Juden sind Kolonisten, die erst in der Nachkriegszeit aus verschiedenen Ländern und vorwiegend aus Osteuropa ein­gewandert sind. Demgegenüber haben in gleicher Zeit etwa 27 000 Juden das Land verlassen. Es gibt gegenwärtig in Palästina mehr als 100 jüdische Bauerndörfer, zum größeren Teil in der fruchtbaren Ebene an der Meerestüste und im Tale Jesre e 1. Dieses erstreckt sich oftwärts vom Mittel­ meer gegen das Jordantal hin. Bor mehreren Jahren stellte es, noch wie überhaupt die meisten Landschaften in Palästina, nur eine Wüste dar. Die jüdischen Organisationen und ins­besondere der Jewish National Found haben in diesem Tale für viele Millionen Dollars Land angekauft. Wenn auch