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Mittwoch 26. August 1929

Unterhaltung und �Bisten

Beilage des Vorwärts

ütvan weiibuu Der gefangene Star

Eines Morgens, als ich den Boden betrat, der meinem Zimmer benachbart ist, um dort... Wer Halt, zuerst ein Wort über die Art dieses Bodens. Das tyius liegt in ziemlicher Einsamkeit auf den, Lande: der Boden ist von so ausgedehnten Maßen, daß man ihn ein« Halle nennen möchte. Der Besitzer des Haufes, ein tauber alter Bauer,.hat einige zerbrochen« Möbel, Kisten und Gerät an die Wände gestellt. Drei Fensterluken befinden sich in dem schräg ab- fallenden Dach. Während des ganzen Tages herrscht Nachtschweigen dort oben. Und eines Morgens, als ich diesen Boden betrat, um getrockneten Morast der Landstraße vom Zeuge zu bürsten... stand ich still, von einem Geiste erschreckt. Denn ein Geist schien sich hier gefangen zu haben. Cr sauste aus einer Ecke quer durch die Halle, hin und zurück, und als er über mir raste, zuckt« meine Brust wie von lalrsr Berührung zu- iaMmen. Mittlerweile hatte ich herausgefunden, daß es ein Star war, der den Eingang durch«in« geöffnete Luke genommen, aber bei seiner Absicht, hinauszufliegen, das Nein« Tor unpassierbar ge- iunden hatte. Di« Ursache dieser Veränderung tonnte der Kleine durchaus nicht begreifen. Er stieß aufgeregt flatternd immer wieder den Kopf gegen die Scheibe sah er doch über sich Licht, grüne Zweige und blaue Luft. Als ich mich nähert«, um die Luke, vor der er Spektakel macht«, zu öffnen, jagte er davon. Uni als endlich olle Fenster offen standen, konnte er den veränderten Zustand der Ding« wiederum nicht erfassen er saß auf semem Balten, sah sturäugig die geheimnisvolle Oeffnung an, durch die man das Freie wohl sehen, aber nicht erreichen konnte. Obgleich ich vor seinen Augen meinen Arm durch die Luke ins Frei« streckte, um ihm die Oefsnung zu beweisen nein, er saß, wo er saß. Es ist einsam auf dem Lande, das Haus ist ganz stille. Der Bauer, der unten wohnt, besorgt seine Wohnung und sein Essen selber kein menschliches Wesen außer uns beiden im Haus. Und der Bauer ist taub. Er hört nur die Ochsen, wenn sie brüllend uorübertreiben und wenn ich brülle, versteht er mich auch. Als ich zu ihm in die Stube kam, spielte er mit sich selber Karten. Lch bat chn um ein Vogelbauer: die Meise, die den Käfig lange bewohnt hotte, war Winter» gestorben. Für einen kleinen Bogel ließ sich wohl darin leben, er konnte springen, ja, tleine Flüge konnte er machen. Nun versuchte ich listig, den Star in dies Dauer zu bringen, und endlich gelang mir das auch. Dabei flatterte mein Herz an die Rippen... heftiger noch als der Star in seinem Gefängnis. Ich trug den Kleinen in mein« Stube hinüber und behagte mich daran, ihn zu betrachten. Sein Leibchen schimmerte in grünem und violettem Glanz, jede Wendung des Köpfchens lockt« ein neues Spiel seiner Buntheit hervor. Im übrigen saß er jetzt ganz still und ge- duckt, so war er von feinem plötzlichen Schicksal verwirrt und er- ichrocken. Ich meinerseits sagte mir, daß der Star nicht darum aus d?m Ei gekrochen war, damit ich ihn angucken sollte. Späterhin begann ich, meinem kleinen Freunde durch die blanken Fäden des Käfigs hindurch etwas vorzupfeifen, ich hofft«, ihn so zur Munter- kcit zu verlocken. Er blieb aber still. Sein Abendbrot ließ er un- berührt stehen. Mitten in der Nacht wurde das Starlein lebendig. Es war ein Schwirren, Trommeln und Poltern ich zündete Licht an. Da faß er gleich ruhig. Gegen Morgen fing er zu pfeifen an. Wer als ob das mir ein versehen gewesen wäre, schwieg er fofort. Pfeife doch weiter. Kleiner, rief ich und sprang aus dem Bett. Er wollte nicht. Er hatte kein« Luft.

Eigentlich ist er im Recht, sprach das Gewissen. Und ich be- trachtete ihn voll Mitleid, und dacht« beinahe: Wenn man ihm helfen könnte, dem Armen... Ueber den Tag faß er einsam, die Flügel über den Körper wie ein trauriges Tuch gehängt es war, als ob von dem Schimmer der bunten Natur die Helligkeit gewichen wäre. Als einmal dicht vor dem Fenster ein Vogel saß, ein grauer zer- zauster Geselle, da schrie mein Star wie selbftvergesseu einig« Wort«. Der Vogel draußen rief: Prüip und verschwand ins Laub einer Linde. War ich nicht in den kleinen Staren verliebt? Ich mußte von Viertelstunde zu Viertelstunde von meiner Arbeit aufstehen, um ihn zu betrachten: seine trotzig« Abweisung gegen mich verdoppelte nur mein Gefallen an ihm. Und ist es nicht so bei den Leuten, die lieben? ... Er frühstückte wenig, nur, um sich am Leben zu erhalten, so winzige Körner pickte er weg. Mißmutig sah er aus, wenn er's tat. Drei Tage dauerte unser Zusammenleben. Es war mir inzwischen klar geworden, daß ich durch den kleinen Staren in«in tiefe» Problem verstrickt worden war. Die Frage lautet« so: Ob meine Liebe bis dahin reicht«, daß ich den Staren nur immer haben wollte: oder war meine Liebe größer: daß ich ihm Sonne und Luft, grünen Zweig, und den Wind, der ihn schaukelt, sein Starenweibchen und das Glück seiner Flügel kurz: daß ich ihm die Freiheit zurück- geben wollte. Und das sollt' ich nun tun---- und sollte es tun aus Liebe... 0 mein Gott wie verwirrend! Welch ein Problem mit solch einem Staren! In der dritten Nacht, als ich wieder Licht angezündet hatte, um nach ihm zu sehen und ihn trotzig, verstockt wie immer, und schlaflos gcsunien hatte lag ich in tiefen Gedanken wach. Die Sache mußte sich endlich entscheiden. Dieser Fall mit dem Staren war gar kein Spaß. Cr, in seiner Gefongenenecke, und ich, auf dem Kissen, schlaflos gleich ihm, starrten ins kommend« Licht. Da geschah es mir. daß ich, ohne davon zu merken, mich in den Staren ver- wandelte. Ich faß im Käfig vor festen Gittern, krampfte die Zehen vor Trauer und Wut und betrachtet« einen Riesen, der draußen stand und ununterbrochen zu mir hereinsah. Mitunter pfiff dies Geschöpf, das ein Rief« war... So lebte ich als der Bogel , ich weiß nicht, wie lange. Als dos Licht in der Stube war, war ich wieder ich. Dann nahm ich das Gitterhaus und brachte es auf den Boden. Ich öffnete sämtiich« Luken, die vor dem Regen des vorigen Tages noch geschlosien waren. Dann entriegelte ich meines Staren Zwinger , hielt ihn hoch in die Luft, dos Tor genau an die Luke. Aber der Bogel blieb unbewegt sitzen. Zu sehr war sein Herz von Erleben verbittert, als daß er noch an Freiheit denken konnte. Rein, dachte er, nein, ich bin hier gefangen... Mit entschlossener Bewegung griff ich hinein, faßte den Staren er hätte gehört wie mein Herz in Bewegung war. hätte ihm nicht dos eigene wie Trommeln geschlagen, der Käfig fiel springend über den Boden, und den Staren hielt ich fest, aber gut, in den Händen. Ich setzt« ihn in die Luke hinein, sein Füßchen stand auf dem Rande des Fensters sein Kopf ragte höchst verwundert in die Freiheit hinaus. Nein, er konnte noch immer nicht glauben. Eine Weile saß er dunkel und starr vor Verwundern gegen den lichten Himmel zu sehen wie gemeißelt von kostbarem Stein. Und plötzlich fffrrrrrrt... ja, Freiheit! wollll er wohl rufen. Ich blickte hinaus und sah ihn nicht mehr. Dann ging ich zu meinem schlohweißen Dauern hinunter, der schon früh am Morgen auszustehen gewohnt war, um ihm den Käsig zurückzubringen.

Salamon 3>enibilster:

Jim Strand von(Misdroy

Misdroq ist ein anmutiges, kleines Ostseebad. Die Gäßchen sind schmal und krumm, und die wenigen lausend Einwohner nähren sich vom Fischen, von denSommergästen" und dem Berkauf all der Ding«, die so«in Sommergast in Warenhäusern und Kramläden vorzufinden erwartet und in bequem vor ihm ausgebreiteten Waren- auKlagen aussuchen kann. Misdroy hat«inen kleinen, hübschen, wenn auch nicht gerade gepflegten Strand, und es hat feineSaison". Dann spazieren dort vorwiegend Berliner. Männer. Frauen und Fräuleins, ungeniert im Badetrikot herum, sich gelegentlich anrufend und sich neckeich. Die Fräuleins sieht man allezeit baden, vormittags und nach- mittags, bei gutem und bei schlechtem Wetter sie haben es mal nötig, sich vom Schmutz des Berliner Straßenlebens gründlich zu reinigen.. Manchmal erscheint plötzlich der barfüßige, lange. hagere Photograph, in einer Hand die Kamera, in der anderen sein Stativ tragend und läßt seinen Lockruf erschallen:Hallo, hallooo! Ein Gruppenbild!" Sogleich sammeln sich ringsum Männer, Frauen und Fräuleins. Di« letzteren werden aufgefordert,«in Knie zu beben, und zwischen Gelächter und Gekreisch kommt die Wfnahme zustande. Am Abend dürfen dann am öffentlich ausgehängten Probebild Männer. Frauen und Fräuleins ihr« körperlichen Reiz« bewundern. Misdroy hat auch«inen schönen, großen, buckligen Wald mit weißen Bänken und verschwiegenen Wegen, wo des Abends liebende Pärchen Zuflucht suchen, sich ewig« Lieb« schwören, ewig wie ihr Ferienleben am Strand«. Misdroy hat auch Hundert« von Strandkörben, die in einem großen Teil ihrer Besitzer dazu dienen, ihr« politische Gesinnung zu bekunden, schwarzweißrote Fähnchen flattern über eifrigenLokal- Anzeiger".L«sern. Wf der weil Ins Meer hinausreichenden Dampferbrücke promeniert man besonders zurzeit des Sonnenunterganges. Und Männer. Frauen und Fräuleins aus Berlin befriedigen hier ihr« poetischen Bedürfnisf«. Wenn am westlichen Himmel der leuchtende Roll, in»arte blaugrün« Farben gebettet, leine letzten flammenden Strahlen über das Meer hinüberfendet, um dann am Horizont unter- zutauchen, dort zu versinken, wo die Ewigteü und die Vergessenheit beginnt, stehen am Geländer die Leute, unfähig, ihren allseitigen Beifall zu dem Naturspiel zu unterdrücken.Ach, wie nett!" Sieh doch, wie reizend!"Göttlich!" Die ganze»rück« begeistert in solchen Ausrufen. Und einem ungeduldigen Nichtromantiker ruft die Gattin zu:Geh" nur immer, ich muß hier noch ein bisset Schönheit genießen!" Wenn die letzt« Rot « am Himmel erblaßte und die Brücke

leer geworden ist, ist's zuweilen, als ächz« und seufze sie über ihr Schicksal, auf ihrem Rücken alles das ertragen zu müssen. * Mein Logis ist«ine nationale und christliche Penston. Ahnung?- los bin ich hureingeralen: trotzdem ich keines von beiden bin, wurde ich mit der Wirtin handelseinig. Wohl fühlt« ich mich verpflichtet, ihr zu erklären, daß ich Jude fei, und sie antwortet« mit sauer- süßer Miene: ach, das schade ja nichts, sie hätte einmal einen recht anständigen Juden gekannt... Teuflisch fügte ich hinzu, ich fei aus Galizien . Aber dos freut« si« ganz besonders: sie hätte dort in Spanien Verwandte zu wohnen. Ich muß bekennen, daß ich nicht den Mut aufbrachte, sie über dieses Mißverständnis aufzu- klären, das mein Galizien zur fpanifchen Provinz umdeutete. Und bald mußte ich bei Tisch meinen national-christlichen Hausgenossen auf Anregung unserer Wirtin berichten von spanischen Stierkämpfen, von Madrid , Barcelona , Saragossa , Orten, die bisher mein Fuß leider noch nicht betreten. Vierzehn Tage lang lebte ich so'als unfreiwilliger Untertan S. M. de» Königs Alfons. * Die Strandmusik auf der Promenade spielt fad und langweilig. Sie paßt zu den Gesichtern ihres Publikums. Spricht man in der Hoffnung eines sympathischen Erlebnisses ein etwas ausdrucks- volleres Gesicht an, so stellt sich heraus, daß es das einer unser- standen«» Frau ist, die aufs Verstandenwerden aus ist. Man mischt sich, angeödet, wieder unter die Menge und be- gegnet alsbald dem typischen Berliner Mädel, das sonst von der Mama ausgeführt wird, aber nun, da sich das als erfolglos erwies, endlich allein auf die Pirsch gelassen wird.Ach", seufzt die Klein«, wie ist es doch langweilig hier. Verlin ist doch viel unterhaltender. Und man lernt da täglich jemand kennen, wenn man will. Wer hier? Hier ist es gar nicht schick.. Natürlich sucht sie etwas Reelles. Nicht nur allein wegen der Versorgung nein, nur so... Da sich heuer in Misdroy nie- mand für sie zu finden scheint, erbiete ich mich hiermit, eventuell uneigennützige Dermitilung zu übernehmen. Auch das deutsche blonde Gretchen gehört der Vergangenheit an. Und entschwunden ist die dämonische Brünette, die romantisch in Liebe und Haß erglühte und Männerherzen enrflammte, nur um sie mitleidlos in Sehnsucht verbrennen zu lassen. * Sturm über Misdroy . Eh« man sich'» verfieht, ist er da, der wild«, wirbelnde Sturm. Es scheint, als wollt« sc alle» vernichten. Die Bäume erzittern, ächzen und beugen sich schier bis zum Brechen. Di« Wellen werden zu Wogen, ihr Tumult wird hörbar in den ' fernsten, in den weitzerstreuten Villen. Setzt er m sekundenlanger

Still« aus, so tobt er sogleich mit verstärktem Tosen ins Land. Es ist wie Geheul und Gelächter in einem, dieser Sturm über Misdroy : als hing« es nur von seiner Laune ab, den Strand reinzusegen von allem, was sich da in seiner Kleinheit am mächtigen Meer breitmacht. Sturm über Misdroy , du Riese über Zwergen, die sich vor dir verkriechen und bang dem Donnern der von dir gepeitschten Wogen lauschen. s-meisei*: Köimv und Qoethe SEu Qoethes heuligem 180. QeburUlag Goethe ist heute der von allen anerkannte Dichter und Denker. vor dessen Größe jedes Tadlers Mund verstummen muß. Goethe gilt heute als der Gipselmensch, der, über alle Kritik erhaben, in jenen unnahbaren Höhen thront, zu denen des Mäklers Mißbilligung oder Ablehnung nicht hinaufreichen kann. Bei Lebzeiten des Dichters war es anders, da gab es viele, die Goethe tadelten, die Goethe ablehnten: da gab es«ine stattliche Gemeinde von Goethe-Gegnern. Unter diesen der schärfsten einer war Ludwig Börne . Mo» kennt Börne nicht, wenn man annimmt, seine Gegnerschaft zu Goethe entsprang persönlichen Motiven. Wohl hatte Börne auch persönlich einen Grund, gegen Goethe verstimmt zu sein. Denn als Börne seine ZeitschriftDie Wage" begründete, lud er Goeche zur Mitarbeit«in, erhielt aber auf diese Einladung kein« Antwort. Ludwig Börne war indes nicht der Mann, sich durch ein« persönliche Kränkung verbittern zu lassen. Sein Goethe-Haß hatte viel tieferen Grund; er wurzelte in der ganzen Wesensaulage des Mannes, dessen Kampfnatur die Goethesche Selbstgenügsamkeit nicht vertragen konnte. Man kann sich in der Tat keinen größeren Gegensatz vorstellen. als den zwischen Goethe und Börne Dies« beiden Frankfurter waren voneinander grundverschieden. Goethe war Patrizier und Börne ein Bürgerlicher. Goethe war ein Dichter und Börne ein Journalist. Goethe war ein Adler und Börne ein Sturmvogel. Goethe und Börne konnten nicht zusammenkommen, wellein Gegensatz zweier feindlichen Welten" zwischen ihnen waltete. Börne war ein Messich, der sich allem Menschentum angelobte-, er lehnt« jede menschlich« Gesellschaft ab. die kleiner war als die Menschheit, und er mußle den Mann ablehnen, der größer war als der Mensch. In seinen Briefen aus Paris spricht«r immer wieder vomkalten Goethe". Er be- wunderte den Olympier, es mangelte ihm nicht an Ehrfurcht va? diesem geistigen Titanen, aber ihn fröstelte in den Eisregionen Goethescher Isoliertheit. Für das naturhast«, nahezu kampflose Siegertum Goethes fehlte Ludwig Börne jedes Verständnis. Denn auch Börne war dos Schwert, auch er die Flamme. Seine Dialektik hatte zuckend« Blitze, die allerhand Dunkelheiten erhellten, sein« Rede hatte eine Klang- fülle, die alle schlafenden Herzen wachrüttelte, und in seinem Eifer schwang er sich aus zu jenem feuersprühenden Pathos, das noch die Gleichgültigsten für Freiheit und Gerechtigkeit begeisterte. Börne kannte nur den Kamps, den Kampf für Freiheit, für Recht und Gerechtigkeit, er kämpft« dasür in der Jugend, er stritt hierfür im Alter, er ward verdrossen, verzweifelte am Erfolg, aber er stritt unablässig weller ohne Kampfesmüdigkeit. Es ist daher kaum zu oerwundern, daß dieser ewig Kämpfende zu dem ewig siegreichen Goethe nicht das richtige Verhältnis finden konnte. Im Januar 1328 hielt sich Ludwig Börne auf der Durchreise nach Berlin «inen Tag in Weimar auf. Dieser Weimarer Besuch Börnes ist psychologisch ungemein interessant. Der Besuch in Weimar begann mit einer Börneschen Ostentation und endigt« mit einem Börneschen Witz. Die Ostentation bestand darin, daß Ludwig Börne es ablehnte, Goethe zu besuchen. Der Vörnesche Witz aber war, daß er sich bei Madame Johanna Schopenhauer , die bekanntermaßen eine Art Juden- und Börne-Haß" hegte, einführen ließ. Der Dichter Karl v. Holte! war es. der Ludwig Börne bei der Hofrätin Schopenhauer einführte: Börne wurde sehr liebenswürdig emp- fangen, er saß mit Madame Schopenhauer am Teetisch und unter- hielt sich mll ihr über Literatur. Sehr witzig und wohl auch ein wenig gallig schildert Börne selbst seinen Besuch in Weimar . In einem Briefe an seine Freundin Ieannette Wohl schreibt er:Er(Hollei) führte mich zur Frau Schopenhauer , wo wir Tee tranken. Ich wollte anfänglich nicht hin- gehen: als er mich aber versicherte, dl« Schopenhauer würde sich tot freuen, mich zu sehen, bekam ich große Lust, einmal eine alt« Frau umzubringen und ging. Doch si« starb nicht an mir. Da wurde viel von Literatur gesprochen und ich bekam einen Borgeschmack von Berliner Art... Hollei drang sehr in mich, morgen zu Goethe zu gehen, es werde sehr ihn freuen, doch habe ich es abgelehnt. Als ich heut« gegen Weimar zufuhr und es vor mir lag mit seinen roten Dächern im Wintersonnenschein, kalt und freundlich, und ich dacht«, daß Goethe darin schon länger als fünfzig Jahre wohne, daß er es nie verlassen(er war weder in Paris , noch in Berlin ) da übersiel mich wieder der alle Groll gegen diesen zahmen, geduldigen. znhP- losen Genius. Wie ein Adler erschien er mir, der sich unter der Dachtraufe eines Schneiders angenistet. Und ein solcher Mensch sollte doch ein fleischfressendes Tier sein, und nicht wie ein Spatz Gerste essen, auch nicht aus der schönsten Hand. Der Hof, wo er schon länger als«in halbes Jahrhundert angekettet liegt, soll der steifste. lächerlichste Hof sein, den man sich nur denken kann" In diesem Brief erNärt Börne klipp und klar, er habe die Auf- forderung Holteis, mit ihm zu Goethe zu gehen, rundweg abgelehnt. Es bleibt freilich noch die Frage, ob im anderen Fall es Goethe nicht abgelehnt hätte, den damals schon bekannten Goethe-Hasser Börne zu empfangen. Karl v. Holtet, von dem ebenfalls«in aus- führlicher Bericht über Börnes Besuch in Weimar vorliegt, erzählt, er Hab« einige Tage später Gelegenheit genommen, Börnes Anwesen­heit in Weimar vor Goethe zu erwähnen, dochäußerte sich Goethe so gar nicht über ihn, daß man unmöglich.zu einer Meinung ge- langen konnte, wie er ihn wohl ausgenommen haben würde". Wie dem ober auch sei, Börnes Besuch in Weimar fiel völlig aus der Liste der üblichen Weimarer Besuch«. Es gilt zu bedenken: Weimar war damals der geistige Mittelpunkt Deutschlands , und der Mittclpunkr Weimars war Goethe. Viele zogen damals nach Weimar , nur um Goethe zu sehen. Wenn aber Börne in Weimar war und Goethe nicht besuchte, so hatte er damit seine ganze Gegensätzlichkeit zu Goethe auffällig an den Tag gelegt.

vi« russischen Emigranten. Nach neuesten Schätzungen dürft» die Zahl der russischen Emigranten insgesamt 924 090 betragen. In Ftlntkreich leben davon 499 999, in Deutschland und Polen je 199 909. in Rumänien 79 999, wahrend sich der restliche Teil auf Iugvsfowien. Bulgaeien. Belgien und die Tschechoslowakei verteilt.