Nr. 409 46. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts Contes 1. September 1929
Sonntag,
an
Der Magistrat der Stadt Berlin hat auf Juifiative der fozialdemokratischen Stadtverordnetenfraktion dem Hause Mohrenstr. 17/18 zu Ehren von Karl Marg eine Gedenktafel anbringen lassen. Der Schöpfer des wissenschaftlichen Sozialismus wohnte hier während seiner Studentenzeit im Jahre 1837. Gestern weihte der Bezirksvorstand Berlin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands das Ehrenmal mit einer schlichten Feier ein.
unserer Stadt gewesen ist. Mag auch die Anbringung dieser Tafel| Ben, daß er dort aus einem bleichsüchtigen Schwächling zu einer
nur eine glatte Selbstverständlichteit sein, so gibt sie doch erwünsch ten Anlaß zu einer Darlegung der Beziehungen, die Karl Marg mit Berlin verbinden. Seit dem Jahre 1849 hat der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus im Auslande als ein Geächteter Das bittere Brot des Erils essen müssen. Die preußische Amnestie des Jahres 1861 anläßlich der Thronbesteigung Wilhelms I. ermöglichte ihm zwar für eine furze Zeit, nach Berlin zurückzukehren, wo er bei Ferdinand Lassalle meilte, um mit diesem Pläne zur Herausgabe einer gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Zeitschrift zu
Am 1. Juli 1836 erklärte Heinrich Marg es als seinen Willen", daß sein Sohn Karl im nächsten Semester die Universität Berlin besuche, um die in Bonn angefangenen Studien der Rechts- und Kameralwissenschaften fortzufeßen. So tam der damals achtzehnjährige Karl Marg aus Bonn , wo er bereits ein Semeſter studiert hatte, nach der königlich preußischen Hauptstadt. In Berlin war damals jedes politische Leben erstorben. Alerander v. Humboldt nannte Berlin ,, eine intellektuell verödete, fleine, unliterarische und dabei überhämische Stadt". In alten Stadtchroniken ist zu lesen, daß 1837 die Köpenider Straße noch ,, Stellen unergründlichen Sandes auf dem Wege zum Schlesischen Tor berge". Und trotzdem hat Berlin einen entscheidenden Einfluß auf Marg ausgeübt. Hier entwidelte sich der Jüngling, der da noch in der ersten Zeit glühende Liebesgedichte an seine Verlobte Jenny v. Westphalen nach Bonn sandte, zu dem Manne, der zehn Jahre später das echteste und wahrhaftigste ,, Glaubensbetenntnis" das die Literatur der Welt tennt, das ,, Rommunistische Manifest" schuf. In Berlin liegen die Anfänge eines Wirtens, das den Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft führte. an of Während seines, vierjährigen Aufenthaltes in Berlin mar Marg- wie aus einem Briefe an seine Eltern hervorgeht die Wohnung des Haufes Mohrenftr. 17/18, an dessen Fassade jetzt eine Tafel die Vorübergehenden an den Künder einer neuen Weltanschauung erinnert, die liebste. Die sozialdemokratische Stadtverordneten< fraktion hatte nicht eher geruht, bis sie ihren Antrag über die Anbringung des Erinnerungsmales zum Erfolg führen fonnte. Zu der gestrigen Feier hatte sich ein größerer Kreis versammelt. In Ber tretung des Oberbürgermeisters Böß war als Beauftragter des Magistrats der Stadt Berlin Genoffe Stadtrat Reuter erschienen. Der greise Eduard Bernstein , dem es als einzigen der Ber fammelten vergönnt war, mit Marg noch persönlich zusammen zu fein, wohnte der Feier bei. Die Vertreter der sozialdemokra tischen Frattionen des Reiches, Preußens und der Stadt Berlin , sowie die Beauftragten der Gewertschaften waren gleichfalls anwesend. Der Bezirksverband Berlin der SPD . war durch die Genossen Künstler und Bitte vertreten. Die Polizei hatte für umfangreiche Absperrungen gesorgt. Für die sehr zahlreichen Zuschauer hatte man die gegenüberliegende Seite der Mohren ftraße freigegeben.
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Stadtverordneter Genoffe Siegfried Weinberg nahm das Wort zu folgender Ansprache:
Bereits vor mehreren Jahren hatten die Berliner städtischen Körperschaften auf Antrag der sozialdemokratischen Stadtverordnetenfrattion beschlossen, an einer der Stätten, in denen Karl Marg in Berlin gewohnt hat, eine Erinne rungstafel anzubringen. Erst jetzt, 1929, ist es nach mannigfachen Schwierigkeiten möglich gewesen, diesen Beschluß auszuführen, und nun erinnert uns eine schlichte, würdige Erinnerungstafel an dem Hause Mohrenstraße 17 an die Tatsache, daß der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus 4 Jahre lang Bürger
Die
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Copyright 1929 by Gustav Kiepenheuer Verlag A.-G., Berlin ,, Monsieur-", sagt Marguerite leise flehend, während fie schon in ihre Schuhe schlüpft, um gleich nach Hause zu laufen ,,, monsieur und sie weist auf die kleine graue Blechtrommel, die an einem Band über Funks Achsel hängt - ,, bitte, für mein Kind."
In der Trommel ist das Abwehrmittel gegen die giftigen Schwaden, die fommen sollen. Funt schüttelt den Kopf. Und ich, Madame?" fragt er aufgebracht.
,, Adieu," sagt sie mit Augen voll Ergebenheit in Unabwendbares. Oder ist es ein Blid stiller Berachtung? Funt hält sie an der Küchentür zurück. Nehmen Sie," flüstert er. Ich fann vielleicht noch einmal ins Revier hinüberlaufen, bevor-"
Sie ist schon draußen. Sie hat die fleine Trommel unter der Schürze. Daß deutsche Soldaten teine Maste an Fran3ofen abgeben dürfen, bei strenger Strafe, das weiß sie. Im Wohnzimmer muß sie an den beiden Offizieren vorbeihufchen. ,, Revoir, Messieurs," haucht sie und ist verschwunden.
Merkwürdig sind die Weiber," sagt der Stabsarzt hinter ihr her. Kopflos wie die Hühner. Da trägt diese Madame Essen unter der Schürze nach Hause und will es nicht wahr haben, daß sie mitsamt den ihrigen in Rürze erstickt sein fann. Was tun die Franzosen eigentlich von sich aus gegen die Gefahr?"
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,, Weiß nicht," sagt der Kommandant gleichmütig. Um alles fann ich mich nicht fümmern. Ich höre, sie sollen naffe Tücher auf Nase und Mund binden. Das würde natürlich gar nichts nügen. Sie verfriechen sich in ihre Keller."
,, Das ist doch ganz verkehrt," meint der Stabsarzt fachlich. ,, Das Gas, schwerer als die Luft, fällt ja gerade gern in jede Bertiefung hinein.".
Der Kommandant zuckt aufgluckfend die Schulter. Ja, mein Gott, wenn sie auf ihre Speicher und Dachfirste steigen, werden sie ebensowenig gerettet sein. Ich will übrigens mal
Die Gedenktafel am Kaufe Mohrenstraße 17. erörtern. Aber sowohl seine Bemühungen wie diejenigen Ferdinand Laffelles, ihm ein dauerndes Aufenthaltsrecht in Berlin zu erwirten, waren vergeblich, so daß er nach kurzer Zeit wieder in sein Lon doner Eril zurückkehren mußte. Dieselbe Stadt, die den lebenden Kämpfer aus ihren Mauern verbannte, befennt jetzt offiziell burch die Anbringung der Gedenktafel ihren Stolz darüber,
daß der tote kämpfer jahrelang ihr Bürger gewesen ist, nachdem die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sich schon längst zu Karl Marg bekannt hatte. Im Herb ft 1836 tam der 18jährige Student nach kurzem Studienaufenthalt in Bonn nach Berlin , um sich hier an der Universität dem Studium des Rechts und der Verwaltungswissenschaft hinzugeben. Schon aus der Tat sache, daß er acht Semester volle vier Jahre also fast feine ganze atademische Ausbildungszeit, in Berlin verbracht hat, tönnen wir schlußfolgern, daß es ihm hier gut gefallen und daß er insbesondere hier wertvolle Anregungen erhalten hat. Seine Studentenbuden hat er nach altem Studentenbrauch in Berlin sehr oft gewechselt. Aus den amtlichen Verzeich nissen der Berliner Universität sowie aus den leider nur in sehr spärlicher Zahl erhaltenen Briefen können wir allein sieben verschie dene Berliner Wohnungen des jungen Studenten entnehmen. Hierbei ist die Sommerfrische, die ihm sein Arzt in Stralau( 1) verschrieben hat, noch nicht einmal mitgezählt. Daß Stralau, das jetzt ein Teil der großen Steinwüste Berlin ist, damals noch den Charakter eines Luftkurortes, gehabt hat, tönnen wir daraus schlie
hinüberschauen zu meinem Telephonisten, ob weitere Meldungen von vorn da sind."
Er geht. Lipp stapft umher. Er fragt Funt: ,, Was hat denn die Madame im Haferl mitgenommen? Am End' gar den letzten Hasenhintern? Ich hätt' Hunger, es wär' gut, eine Kleinigkeit zu essen. Wer weiß, wenn die Saubande uns wirklich vergast, wie lang wir mit dem Maultorb herumlaufen müssen."
Funt versichert, er habe gesehen, daß in der Tat Madame des letzte Stüd Braten entführt habe, aber ehe der Stabsarzt noch losteifen fann, fehrt der Kommandant zurück und bringt die Nachricht, die Gefahr sei restlos vorüber, nie habe eine bestanden, das Ganze sei eine Falschmeldung gewesen.
,, Affentheater!" meint Lipp erlöst und empört zugleich. Die Glocken, die Sirenen, die Geschüße draußen haben zu sprechen aufgehört. Es ist überwältigend still und friedlich und schlafeinladend. Alse gehen wir in die Flohkifte," empfiehlt Lipp. Sechs Uhr. Halt, Funt! Sie möchten mich um acht schon wieder wecken wegen dem Scheißrapport. Das könnt Ihnen so passen. Gibt's nicht, mein Lieber. Das machen wir so, ich unterschreib' jezt das leere Formular und Sie füllen die Rubriken nachträglich aus."
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Funt läuft, um den Bogen zu holen. Bis er zurück ist, liegt Lipp schon im Bett. Er unterzeichnet mit zittrigen 3ügen, er ist zu bequem, um sich aufzurichten. Fahren S diesen letzten Willen ein bisserl mit der Feder nach, Funt," befiehlt er gut gelaunt und zieht die Decke völlig über den Geierschädel.
Was soll man tun? Funt beschließt, sich nicht mehr niederzulegen. Die Möglichkeit eines Verschlafens ist zu groß. Er geht langsam und facht spazieren, als müsse man sich hüten, irgendein neues Unheil etwa zu meden.
Db Marguerite weiß, daß ihr Kindchen ruhig schlummern
fann?
Er pirscht sich in die Nähe des armseligen Baues. Er steht vor Mauern, die in einem milchig verrührten Mondschimmer ausfähig dreinschauen. Das Gas hätte sie vollends zerfressen denkt er.
Sie schlafen oder liegen im Dunkeln und horchen auf den Krieg. Der Mond ist ganz weg. Man müßte durch die blinden winzigen Fenster einen Schimmer von Licht sehen, wenn es ihn gäbe.
Es beginnt zu schneien...
robusten Fertigkeit des Körpers heranreifte". Am besten scheint ihm von allen Wohnungen, die er in Berlin gehabt hat, diejenige gefallen zu haben, an der die Gedenktafel angebracht ist. Ist er doch, nachdem er bereits das Sommersemester 1837 dort verbracht hatte. im Sommer 1838 dorthin zurückgekehrt mit berechtigtem Iotalpatriotischen Stolz dürfen wir hervorheben, daß
der Aufenthalt in Berlin auf Marg geradezu revolutionierend gewirkt hat.
Als er nach Berlin fam, war er zweifellos schon ein hochbegabter tenntnisreicher Jüngling. Nichts ließ jedoch den fünftigen revolu tionären Denter in ihm erkennen. Er wandelte zu Beginn seines Berliner Aufenthalts noch völlig in den Bahnen der idealistischen Philosophie Fichtes und Kants und der historischen Rechtsschule Savignys. Er gefiel sich darin, die ersten beiden Bücher der Panbetten und Tacitus und Ovid zu übersetzen, lernte englisch und italienisch und befaßte sich mit Geschichte, Literatur und Kunstgeschichte. Der Mehrzahl der Universitätsvorlesungen gewann er mit Recht wenig Geschmad ab. Nach seinen eigenen Bekenntnissen gob er fich daneben den Musentänzen und der Satyrmusit" hin, schric phantastische Dramen und sandte im Herbst 1836 aus Berlin an seine liebliche Braut und spätere tapfere Lebengefährtin drei Bände Geschichte, die erkennen lassen, daß ein lyrischer Dichter an ihm nicht verloren gegangen ist. Davon, daß er bereits damals eire Rämpfernatur war, spricht der im Nachfolgenden mitgeteilte Schluß eins dieser Gedichte:
" Darum laßt uns alles wagen, nimmer rasten, nimmer ruhn, Nur nicht dumpf so gar nichts sagen und so gar nichts woll'n und tun Nur nicht brütend hingegangen, ängstlich in dem niedern Joch, Nenn das Sehnen und Verlangen und die Tat, sie bleibt uns doch."
Die dichterischen Qualitäten dieses Gedichtes laffen es immerhin begreiflich erscheinen, daß Chamisso mehrere Gedichte, die ihm Karl Marg zu Beginn seines Berliner Aufenthalts zur Veröffentlichung in seinem Musenalmanach übersandte, ungedruckt zurückgehen ließ.
Mit Ende seines ersten Berliner Semesters erfolgte ein geradezu revolutionärer Dendepunkt in den Auffassungen von Karl Mary. Er geriet in die Kreise der Jung- Hegelianer und wurde. anscheinend während seiner Stralauer Luftkur" Mitglied des ,, Dottorflubs", in welchem sich die Vertreter dieser philosoph schen Richtung zusammengefunden hatten. Innigste Freundschaft verband ihn mit den Mitgliedern dieses Kreises, besonders mit Bruno Bauer , Ruge, Eduard Meyen, Köppen und Rutenberg. Er hat dort nach dem zutreffenden Wort von Franz Mehring in seiner trefflichen Mary- Biographie in zwei Semestern mehr Wissensstoff bewältigt, als in 20 Semestern bei akademischer Stallfütterung möglich ist". Welchen gewaltigen Eindruck die neuen Erkenntnisse, die er in den anregenden Diskussionen dieses Kreises erwarb, im Zusammenhang mit den Vorlesungen des großen Ber liner Rechtsphilosophen Eduard Gans auf ihn gemacht haben. schildert er sehr anschaulich in einem ausführlichen Brief, den er am 10. November 1837 aus Berlin an seinen Bater richtete und der durch einen glücklichen Zufall erhalten geblieben ist:
Ich lief wie toll im Garten an der Spree schmutzigem Wasser, das Seelen wäscht und Tee verdünnt, umher, machte sogar eine Jagdpartie mit meinem Wirt, rannte von( Stralau?) nac Berlin und wollte jeden Eckensteher umarmen.
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Er nahm in sich auf und entwickelte weiter die Lehren der Hegel
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In der Tat: er fonnte ruhig ausschlafen, der Stabsarzt Lipp. Was gab es für ihn zu tun? Ab und zu mußte er bei der Zivilbevölkerung in Aftion treten. Solch ärztliche Tätigfeit war weiß Gott an feine bestimmte Stunde gebunden. Wenn sich gerade die Laune fand, tam man der Bitte der Ortskommandantur nach und schaute da und dort in die fümmerlichen Höhlen der Eingeborenen.
Man hätte die Besuche ebenfalls einem untergeordneten Arzt überlassen können, aber sie hatten den Reiz einer kleinen Abwechselung. Der Hannes, mit dem ewigen Einerlei seiner Gebrechen, war längst uninteressant geworden. Aber diese Franzosenfrauen, die alten Männer, die als unbrauchbare Reste, wertlos für die Armee, zurückgelassen waren, ver mittelten eine andere Atmosphäre als die fattsam gerochene militärische, fie fießen in fremde bäuerliche oder kleinbürgerliche Stuben hineingucken, sie ermöglichten es hier und da, für wenig Geld einen buntgemalten Teller, einen Schmöker mit Stahlstichen zu erstehen. Manchmal brauchte man nicht einmal Geld herzugeben; man überwies ihnen aus dem Lebensmittelbestand der Sanitätswagen ein Säckchen Zwieback, eine Büchse Kakao, ein Bäckchen Tee.
Freilich, wenn es galt, sie zu impfen, was ab und zu auf Grund der Listen der Kommandanturen geschehen mußte, befahl man immer zu dieser Prozedur unterstellte Aerzte.
Lipp stand höchstens eine Weile daneben und amüsierte sich über die leise gackernde und scheltende Schlange von Menschen, die angetreten waren, um die Impfnadel zu empfangen. Ab und zu fiel ein Weib vor Aufregung um. Fähnlein und Alam nahmen sich solcher Opfer des übertriebenen Mißtrauens, die Deutschen möchten ihnen Gift in den Oberarm sprißen, sachgemäß an und riefen sie wieder ins Leben zurück.
Das Gegader verstummte völlig, sobald der Arzt die Nadel ansezte, dann bäumte sich nur gefnebelte Furcht in ihren Augen es brach wieder los, wenn man sich auf den Abmarsch begeben durfte.
Manchmal geschah es auch, daß ein zu Impfender zwangsweise an die Sprize herangeschleppt werden mußte. Der Kampf der Sanitätsunteroffiziere mit winselnden Greisen oder rabiaten Frauen war grotest und erbarmungswürdig, aber das deutsche Feldsanitätswesen bestand darauf, die fremde Zivilbevölkerung gegen Typhus nicht weniger immun zu machen als den eigenen Soldaten freilich nur des Soldaten willen. ( Fortsetzung folgt.)
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