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««2» Unterhaltung unü ZVissen

3*001 9lg:«/Sil Gleich nach der Katastrophe fiel mir die aufregende Szene ein. deren Zeug« ich zufällig war. Leonie hatte ihrer abergläubischen Freundin den Gefallen getan und Dr. Bley, den modernen Magier wie sie ihn spöttisch nannte zum Tee gebeten. Nachdem wir uns einige Zeit über Mediumismus und andere metapsychisch« Probleme unterhalten hatten, tat Leoni« in ihrer ungestümen Art plötzlich den entscheidenden Sprung und fragte sehr ironisch:Somit sind Sie wohl gar ein Verfechter der Astrologie?* Dr. Bley schien die beleidigende Herausforderung zu überhören. Er schüttelt« sein mächtiges Lockenhaupt und erklärte:Die Astrologie ist allerdings seit Aristoteles schon unzählige Male totgesagt worden, steigt aber zur Beschämung ihr«r dkgner immer wieder phönixgleich auf. Heute wird sie von den fortschrittlichen Geistern anerkannt!" gab er mit der gleichen lächelnden Selbstsicherheit zu oerstehen. Statt nun ebenso gelassen einzuwenden, daß dies doch nicht nachzuprüfende Behauptungen seien, wurde Leoni« leider persön- lich. Sie bog sich laut lachend hintenüber:Nun hören Sie, Herr Doktor, glauben Sie denn zum Beispiel an solchen Humbug, wie die Schicksalsansage nach dem Horoskop?" Der Gefragte antwortete nicht sogleich. Achselzucken. Seine Miene wurde eisig. Er hatte hier offenbar alles andere als Spott und Hohn erwartet. Dagegen rief die Freundin gekränkt und vorwurfsvoll:Aber Leonie! Du hast dir ja kürzlich selbst von Hoerner die Nativität stellen lassen!" Also doch! Ich konnte«ine verächtliche Grimasse nicht unterdrücken. Auch unser Hellseher merkte alsbald, wie der Hase lief. Da» wohl- wollende Lächeln kehrt« sogleich wieder und schwand auch nicht, als die Herrin des Hauses höhnisch erklärte, sie habe sich mit der Be- fragung selbstredend nur einen Spaß machen wollen. Stellen Sie sich vor," wandt« sie sich krampfhaft ausgelassen an mich,das Horoskop schließt mit der famosen Prophezeiung: Der Mars wird Ihnen ein frühes und unverhofftes Halt gebieten!* Wie finden Sie das?" .jedenfalls höchst ungalant!* bemerkte ich sarkastisch. Allein Leonie hatte es entschieden auf«ine völlige Lächerlichmachung der Gegenpartei abgesehen. Sie holte ein Dokument aus dem Schreib- tisch und drängte es dem zögernden Gast förmlich in die Hand. Bitte, lesen Sie! Was halten Sie von dieser Weissagung?* Dr. Bley überflog das Schriftstück mit sichtlichem Widerwillen. Bollkommen unmöglich, die Aspekten nur so aus dem Kopf nochzu- prüfen! Voraussetzung ist überhaupt die genaue Angabe der Geburtsdaten, nicht imr auf Jahr, Monat und Tag, sondern tunlichst nach Stunde und Minuten. Nur so kann ein einigermaßen zuoer- lässiges Horoskop herauskommen. Wissen Sie denn wenigstens die Stunde Ihrer Geburt?" fragte er in verdrießlichem Ton. Unsere Wirtin lachte nervös. ,jch bin wahr und wahrhaftig am 14. März 1M> morgens um 8 Uhr geboren!* Darauf vertieft« sich Bley längere Zeit in das ihm vorgelegteHimmelsbild*, murmelte etwas vom Aszendenten im Zeichen de» Stiers, der auf Standhaftigkeit deute, von Venus, der milden Herrin des Horoskops und von Uranus , dem kühnen Opponenten, was alles ein« Natur bekunde, die sich trotz gefühlvoller Zartsinnigkeit aus den Fesseln des Hergebrachten energisch befreie und eigene Wege aufsuch«. Doch Leonie ließ sich auf diese Weis« nicht«inlullen.Nun... und das andere... die Schlußprophezeiung?* beharrte sie eigen- sinnig.

Beilage des Vorwärts

ck in die Mand Bedaure, darüber kann ich Ihnen im Augenblick nichts sogen. Ich müßte die Konstellation der Planeten, das heißt, die Aspekten zum Haus des Lebens gründlicher studieren!* erwiderte er in fühl- barer Befangenheit. Ach, Sie wollen nur nicht! Lächerlich. Für mich ist das Ganze doch nur ein Vexierspiel. Woraus schließt denn der komische Kauz, daß ausgerechnet der Mars mir ein frühes Halt gebieten wird?" Sie stand tatsächlich schon mit jeder Faser im Banne des Magiers, gegen dessen unbeirrbar ernste Haltung ihr Spott nicht aufkommen konnte. Schließlich schien er einer höheren Eingebung zu folgen, indem er ihr über den Tisch beide Hände entgegenstreckte und sie bat, ihm die ihrigen auf eine Minute anzuvertrauen. Leoni« sah uns der Neihe nach belustigt an, doch ihre Blässe widerlegte allzu deutlich diesen Anspruch auf Ueberlegenheit. Ihre schlanken Hände lagen krampfhaft ausgestreckt in den breiten knochigen des Doktors. Plötzlich fuhr dieser wie vor einer ungeheuer- lichen Entdeckung zusammen. Es gab einen blitzschnellen Ruck. Darnach beugt« er sich ganz rasch nochmals über ihre Rechte, so daß feine Nasenspitze schier den Ballen berührte, sagte kurz:Danke schön!" und lehnte sich stumm, steif, feierlich in seinen Stuhl zurück. Das Opfer dieser Mystifikation starrte ihn eine Weil« erwartungs­voll an, dann forderte sie zwar ruhig, doch unheimlich bestimmt Aufklärung darüber, was er in den Linien ihrer Hand Außer- gewöhnliches entdeckt habe.Beruhigen Sie sich, gnädige Frau nichts von Bedeutung!" sagte er, seine feierliche Miene beibehaltend. Was? Sie sind doch eben förmlich zusammengezuckt. Glauben Sie vielleicht, ich hätt's nicht gemerkt? Bitte, jetzt nur keine Aus- flüchte!" Nun, ganz einfach: ich irrt« mich im ersten Moment. Im nächsten überzeugte ich mich davon. Das ist alles. Wie gesagt, be> ruhigen Sie sich. Ich habe nur aus einem ganz bestimmten Grunde, der mit Ihrem Schicksal nicht das geringste zu hin hat, in Ihr« Hände gesehen. Sie dürfen sich um Gottcswillen darüber nicht aufregen!" Ein dumpfes Schweigen entstand. Leonies angstvolle Augen irrten unsicher von einem zum anderen, ihr ohnehin leidendes Herz macht« merklich die tollsten Sprünge. Die bestürzte Freundin da- gegen suchte die Situation zu retten. Ach, sagen Sie uns doch wenigstens das eine, Herr Doktor! Sind Ihnen aus Ihrer Praxis Fälle von Voraussehungen bekannt, die sich später totsächlich erfüllt haben?" Eine ganze Reih« sogar was ich leicht durch meine Tage- bücher nochweisen könnte. Immerhin möchte ich, um Mißvcrständ- nissen vorzubeugen, ausdrücklich bemerken, daß ich alle Wahr- nehmungen, die Schicksalsgestaltung eines Menschen betreffend, selbstredend streng für mich behalt«. Leute, die daraus ein Geschäft oder sogar eine Sensation machen, sind mir geradezu u-'r- haßt!* Eine verhängnisvollere Erklärung hätte er in die, ein Augenblick kaum abgeben können. Leonie hatte kein Auge von dem seltsamen Sprecher gewandt, der seinerseits ihren bohrenden Blick geflissentlich mied. Plötzlich aber fiel sie laut stöhnend zurück und rang entsetzlich nach Luft. Ihr Atem wurde pfeifend, dos Gesicht blaurot, die Augen drohten aus den Höhlen zu springen, Ein schwerer Asthmaanfall. Sie mußte ins Schlafzimmer gebracht werden und kam nicht mehr zum Vorschein. Am Tage darauf reiste sie an die See und nach einigen Wochen erhielt ich die Nachricht von ihrem Tode. Herzschlag.

Anton Sehn**: SaXOpItOttfp feleT f r hai keine Mutung tan der SdunerssensfüUe Seines minder rollen 3njirumenls. fr blüfl fo als hieß' er Xudndg XnüUe, mit dem SirillanlineJciieUel eines dummen Qents. Oerne{äße Ich an{einer Slell«, Xlngegeben, trunken und verklärt 3n der fremden heißen muflknelle, 3)le den 3rauen an die Schenket fährt Jtch, Ich liebe feine Quatfynkopen. Seren Schwermut klagend In mich tropft. Takte fchluchaen, hin- und hergefchoben. Siie das 3fala In milden Wirbeln klopft Stunkle Stimme, rührend, melanchollfeh: Träume gibt fle mir von Skuador: Aus dem 3thylhmus drängt fleh dlabollfrh Sagenfpuk aus fchirarxem Hrrratdrohr. Während Ich Im 9lüfeh des Stuhls verflnke, SSIegt fleh ein gemeines Weib Im T-an»; Während an frhitaten glüht die Schminke, Steht das Stfchungel Im Aegualorglana. Und Ich denke: mifflffippl... Tlergebrüüe... Wegerln mit heißer SBronaehaut, Während vor mir dlefer Xudtvlg Jinülle Ahnungslos danebenhaut...

Ttilly Wolfradi: SteittUchkeH Kunstwerke sind in hohem Grade ansteckend, und man kann sogar sagen, es ist ihr« eigentliche Aufgabe, uns anzustecken. Di« wenigsten Künstler werden sich zwar bei ihrem Schassen dessen bewußt sein, daß sie Präparate herstellen, deren geistige Aus- dünstungen«inen Lebenskreis durchsickern und färben sollen. Sellen nur mag, wer sich ein Bild ins Zimmer hängt, es geradezu darauf anlegen, sich einer bestimmten Beeinflussung damit auszusetzen. Tatsächlich aber sind Bildgestaltungen Ausstrahlungsherde, die Stimmungen und Impuls« übertragen. Es ist letzten Endes ihr DascinsMeck, uns zu infizieren. Wenn von dem aseptischen, also dem keimfreien, nicht- ansteckenden Bilde als einem sehr auffälligen Typus jüngster Kunst- erschcinung gesprochen wird, so ist der Ausdruck im übertragenen Sinne zu verstehen und will also durchaus nicht feststellen, der- artige Bilder seien ohne Einwirkung auf den Betrachter. Es soll vielmehr die eigenartig hell«, saubere und kühl« Beschaffenheit charakterisiert werden, die an die aseptische, klar« Atmosphäre einer Klinik, eines Operationssaales gemahnt, wo alles weiß und glatt gehalten ist, um nur keinem Staubkörnchen Gelegenheit zu bieten, sich festzusetzen, wo alles Reinlichkeit und Ordnung atmet. Früher fand mazi ein« Szenerie, einen Gegenstand: recht malei'jch, wenn sie von Schmutz starrten. Der Gipfel des Malf ischen" war die von Moos und Spinnwcb überwuchert«, mögli l.st zerbröckelt« und spukhaft düstere Ruine. Oder der zcr- lumpte, bezaubernd ungewaschen« Betteljung«, wie ihn Murillo oder Knaus dargestellt haben. Jedenfalls mußte das Motiv etwa» Verwittertes, Modriges, Wrackes, irgendeinen fauligen Geruch, ein« Truste oder Patina an sich haben, um den Augen jener Zeit als besonders reizvoll und malenswert zu erscheinen. Es galt als malerischer Stil", Mensch und Landschaft wie durch einen Morast gezogen und schlammig aufgeweicht, braun, borkig und ungekämmt zu sehen. Di« moderne Kunst kämpft methodisch gegen diesen pervers-n und dumpfen Schönheitsbegriff an. Mit konstruktiven Linien hat sie das breiige Bild, Brutstätte gemüwersäuchender Miasmen, kanalisiert, hat mit dem Vaeuumsauger Sachlichkeit den romantischen Muff herausgeholt und die Bildoberflächc, die überhaupt nur noch aus Flecken bestand, wieder spiegelblank geputzt. So ist nach und nach ein neues Ideal der festen Klarheit und ruhigen Deutlichkeit herauskristallisiert worden, ein etwas leidenschaftsloses, ober mit den Grundsätzen der Hygiene und der Zivilisation übereinstimmen- des und schon darum wahrhaftigeres Ideal, dem die Werke der Gegenwartskunst auf manche Art mehr oder weniger zu entsprechen suchen. Es ergeben sich gutgelüftete, äußerst sauber aufgeräumt« Bilder ohne dunkle Ecken oder filziges Durcheinander, in denen die un- zerfranst«, metallisch prägnante, bis zum Schematischen einfache Figur sich straff vor kahlen Wandflächen abhebt. Di« mathematisch peregelte Form hat oft etwas gleichsam Abwaschbares und faßt sich für das Auge fest, kühl und blank an wie Glos oder Nickel. Ansteckend* sind auch dies« Bilder und sollen c» sein. Aber sie übertragen kein Fieber und kein« Fäulnis, sondern heilen, erfrischen und immunisieren.

Sßnnle Anstüge für Aersle! Unter den englischen Aerzten ist eine Bewegung entstanden, die eine freundlicher« und farbigere Kleidung fordert. Man hat ja den Einfluß lebhafter Farben auf die Stimmung immer mehr er- kannt, und man glaubt, daß auch die bunt« Tracht des Arztes von günstigem Einfluß aus den Patienten sein wird,vor wenigen Jahren noch.* sagte der Führer der Bewegung, der bekannte Arzt Sir William Milligan,hielt man den schwarzen Gehrock für die vorschriftsmäßige Kleidung des Arztes. Heut aber wollen die fortschrittlichen Doktoren von diesem Letchenbitteraufzug nichts mehr wissen, weil sic darin ein schädliches Moment erblicken. Farbe bringt Leben und Bewegung mit sich, und warum sollte der Arzt davon nicht Nutzen ziehen, sich nicht in einem helleren und freund- licheren Licht zeigen? Nicht nur die Kinder fliehen vor dem schwarzen Mann*, sondern auch die Erwachsenen empfinden un- bewußt Abneigung gegen den Arzt in dunkler Kleidung. Deshalb wähle der Doktor für seinen Anzug sanft« und lichte Farben, die ihm sofort das Zutrauen und die Sympathie seiner Patienten ge­winnen."

SDer enreiterle Würfchner Tin sehr eigenartige» Künstlerlexikon wird seit oier Jahrzehnten von dem in C h> k a g o lebeirden Joseph H. K a t h r e n e an- gelegt, der all« Notizen sammelt, die über lebende Künstler, die Weltruf haben, in der in- und ausländischen Press« erscheinen. Bis jetzt hat er 240 Aktenschränke voll Notizen gesammelt.

iuh/IT J mir es als tRedner Zum heutigen 70. Qeburtstage Saures Saures als Redner ist unvergessen bei allen, die ihn jemals gehört haben. Dos Geheimnis seiner Redekunst bestand in der Tiefe, Kraft und Leidenschaftlichkeit seiner sozialistischen lieber- zeugung. Für den einfachen Mann würde seine Rede schwer zu solgen, schließlich langweilig gewesen sein, ohne dies« vorbehaltlose Hingabe an das sozialistische Ideal. Iaures war gewiß Redner von Geburt. Sein baritonaler Tenor, unterstützt von einer phänomenalen Lungenkraft, füllte leicht die größten Versammlungsräume. Dazu kam die physisch« Wider- standskraft eines Athleten und ein nie versagendes Gedächtnis. Iaures bestieg zu größeren Kammerreden die Tribüne, beschwert mit einem Bündel Papierblätter, auf denen er die Stichworte seiner Rede noiert hotte. Denn er sprach fast nie aus dem Stegreif. Seine Reden waren immer wohldurchdacht. Er warf aber nie einen Blick auf das schon beim Besteigen der Tribüne achtlos zusammen- geknüllte Bündel Papier . Er stockte nie während seiner Rede und er war nie gezwungen, in seinen Notizen nachzusehen. Nur wenn er wörtlich ein längeres Zitat au« einem Buche vortrug, schlug er das Buch auf. Meist aber verzichtete er auch darauf untd zitierte aus dem Gedächtnis, um nicht in seiner Rede behindert zu werden. Dieser große naturhaft« Redner war beschwert von einer einzig- artigen Gelehrsamkeit. Sein geistiges Asstmilierungsvermögen war unbegrenzt, wie seine Arbeitskraft ohnegleichen war. Wenn Iaurcs eine Agitationsreise antrat, dann hatte er in allen Taschen, unterm Arm, oft noch in der einen freien Hand die andere trug ein winziges Handköfterchen Bücher, darunter oft ganz dicke Wälzer. Es gab auf dem Büchermarkt keine Reuerscheinung von Bedeutung, ganz gleich, auf welchem Gebiet und in welcher der verbreiteteren Sprachen der modernen Zivilisation, die Iaures sich nicht in kurzer Zeit angeeignet hatte. Das größte Wunder war aber wohl, daß dieser Gelehrt«, der es schon mit 23 Jahren zum Universitätsprosessor gebracht hatte, nie von seiner Gelehrsamkeit beherrscht, nie doktoral wurde, sondern sein ungeheures Wissen scheinbar spielend bewältigt« und, über alle Gelehrtheit triumphierend, der naiv«, einfache, natür- liche Mensch blieb, der ohne Mühe den Kontakt mit dem rück- ständigsten Bauern und dem unwissendsten Arbeiter fand, sofern ein Kern von Güte in ihnen steckte. Denn dieser große Redner war auch ein großer Mensch, edel, hilfreich und gut. Er war ganz Volk, schon in seiner äußeren, ge- dungenen Erscheinung, wie er ja auch in seinen persönlichen Le- dürsnissen von einer Anspruchslosigkeit oder sagen wir von einer absoluten Mißachtung der Aeußerlichkeiten war, die sich nur au» seiner Geistigkeit erklärt. In den entlegenen Dörfern seine» Wahl» kreise» sprach er zu seinen Wählern im Platt der Pyrenäen ebenso natürlich, wie er die französische Sprach« in wundervoller, klassischer Reinheit meisterte, auch in jeder Dolksverjammlungsredt. Seine

Sätze waren meist sehr umfangreich, weil er in sie alles. Wissen in gemeinverständlicher Sprache hineinpreßte. Es gab aber niemals einen grammatikalischen Schnitzer oder gar eine Stilblüte, so sehr Iaures auch die Zeit- und Eigenschaftswörter häufte. Iaures ver- schmäht« alle seichten Redekniffe, er mochte keine billigen Scherze, wie ihm überhaupt jede Spaßmacherei zuwider war. Er stieg auch nie zur persönlichen Verunglimpfung des Gegners herab. Der Deputiertenkammer von 13!)2 bis 1306 gehörte ein gewisser Jules Auffray an, ein gerissener Advokat, dessen Demagogie V i o i a n i im Wahlkampf unterlegen war. Dieser Notionalist Auftray, der nie offen oder direkt angriff, sondern in augenver- drehendem Pharisäertum den Gegner herabzusetzen, durch Anden- tungen und Unterstellungen des Gegners Ehre zu begeifern pflegte. wagte sich einmal in der Kammer an Iaures heran. Man befand sich damals im Endkampf der Dreyfus-Affäre. Auffrey versuchte, die persönlichen Motive Iaures bei der Verteidigung des wegen Landesverrats verurteilten Hauptmanns Dreyfus zu verdächtigen. Iaures stellte zunächst die Tatsachen richtig. Dann siel mit jener elementaren Gewalt, der nichts widerstehen konnte, der Satz: .Diese einfachen Tatsachen zu verdrehen, vermag nur der traurige und widerwärtige Jesuit, der Herr Jules Auffray ist.* Auffray war für immer gekennzeichnet und erledigt. Iaures war aber auch ein aufmerksamer und ausdauernder Zuhörer. Darauf beruhte wohl auch das Geheimnis seines parlo- mcntarifchen Einflusses. Es entging ihm nichts. Und wenn der Gegner ihm würdig schien, dann unterstrich Iaures dessen Rede durch kurze, meist liebenswürdig-ironische Zwischenrufe, die aber die Lacher auf die Seite von Iaures brachten. Denn wenn Iaures aller Witzelei abhold war, fo fiebte er ein wirklich geistreiches Scherzwort, wie er ja auch aber das gehört schon nicht mehr hierher ein bezaubernder Plauderer war. Zum Schluß noch eine Erinnerung an Iaures als Zwischen- rufer. Es war nach der Jungfernrede eines Abgeordneten derDemo- kratischen Linken", der auch B a r t h o u angehörte. Dem neuen Abgeordneten ging der Ruf des kommendes Mannes voraus, also eines Konkurrenten der Führerschaft Barthous. Nach Schluß der stark reaktionären Rede klatschten die Parteifreunde demonstratio und andauernd, worauf die Sozialisten mit demHou! Hou!" des Mißfallens antworteten. Darauf erneuter Beifall, worauf die äußerste Linke wieder protestierend replizierte. Da erhob sich Barthou, herausfordernd und pathetisch, und rief den Sozialisten zu:Sie werden mich nicht hindern, dem Talent meines Freundes Beifall zu klatschen!" Er hatte noch nicht geendet, da erhob sich Iaures, den Ball auffangend, und erwiderte, lächelnd vorgebeugt:Wenn es sich nur um dos Talent handelt, klatschen auch wir.* Damit war der Zwischenfall in allgemeiner Heiterkeit, aber nicht zum Ruh'"« Barthous, aufgelöst.