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föeifage Miflwoch, 4. September 1929
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Die die Luft bezwangen... Der erste Kanalflug--- 124 Jahre später-- Ueber die Alpen
Huiit»<>rts?chsun!>o!erzig Jahre fir»5 verstrichen seit der Geburt»- swnde der Montgalsiere, scchsundzwonzig seit dem ersten Aufstieg des Motorflugzeugs der Brüder Wright. Im Meere und unter der Erde ruhen unzählige Opfer. Und jeftt geht es unaufhaltsam vor- wärts. Aber: wird man nicht vielleicht in hundert Jahren über uns lächeln, über unsere schmucken Maschinen, unser« Luftschiffe, so wie wir heute über den Mann lächeln, der ein Buch schrieb über die Kunst, einenLuftballon durch Adler zu regieren?" Wer kann das wissen? Eins jedoch wissen wir: wir können fliegen! Und um dieses Wilsen ist viel Freude, Arbeit und Stolz. Die erste Lufireise über den Kanal. Es war an einem sehr kalten Januarmorgen des Jahres I78Z. Nebel schwelte um D o v c r- E a st l e. Bon jour, Monsieur I e f f er i e s!" Good morning, Mr. B l a n ch a r d!" Zwei Männer drückten sich die �hand. Dann gingen sie beide, Arm in Arm, auf das Felsplatcau, wo Mechaniker mit der Füllung eines großen Ballons beschäftigt waren. Die chülle blähte sich aul, rüttelte an den Fesseln und gegen Mittag, als sich der Nebeldunst verzogen hatte und die Sonn« auf die weißen Felsen schien, wiegte sich die große Gaskugel im Winde. Immer mehr Zuschauer strömten herbei.'Freunde, Abgesandte der Behörden. Dem französischen   Luft- schiffcr Blanchard wurden dicke, versiegelte Schreiben übergeben. Dann verstaute«r zwei Korkwesten, eine Flasche Branntwein, eine sranzöstsche und eine englische Fahne in der Gondel. Ein Uhrl Blanchard und Jefferics besteigen das Traggerüst. Die Arbeiter lockern die Seile, der Ballon hebt sich,«in Heller Pfiff und ruhig gleitet die Gaskugel in die chohe. Hüre werden geschwenkt, die englisch  « Fahne entfaltet sich im Wind. Höher und höher steigt der Ballon. 30 Minuten, 40 Minuten, S0 Minuten. Die Luftschiffer be- finden sich in der Mitte des Kanals. Segelschiffe gleiten unter ihnen hinweg. Blau schimmert das Wasser heraus. Plötzlich bemerken die Luftschiffer, daß der Ballon sinkt. Blanchard gibt den ganzen Ballast ab. Der Ballon schnellt wieder in die Höhe. Und mit einem Male, sehen sie weit, weit hinter dem Wasser einen seinen schwarzen Strich, die französische   Küste. Eine Stund  « und dreißig Minuten befinden sie sich bereits in der Luft. Schon können sie die einzelnen Dörfer an der Küste unterscheiden, schon sind Häuser und Bäume zu erkennen, lichtüber- flutet liegt Frankreich   vor ihnen. Da beginnt der Ballon aber- m als zu fallen. Die Kugel über de» Luftschiffern schrumpft zusammen und sinkt so schnell, daß Blanchard und Jcfferies alles aus der Gondel werfen. Di« Fahnen, die Anker und Taue, Bücher und Briefe. Sie schleudern auch noch die Korkwesten über Bcmd, Röcke und Hosen. Bor Frost zitternd, klammern sich die Aeronauten an die Seile, bereit, auch noch die Gondel abzuschneiden. Aber der Ballern steigt wieder, schwebt schnell der Küste entgegen. Blanchard und Jcsferies sind gerettet. Um drei Uhr befinden sie sich über Calais  . Sie sehen die Men- schen aus den Häusern stürzen. Iefferies winkt wie besesien mit beiden Händen. Im Wold« von G» i n e s. zwischen hochwipseln- den Bäumen, sinkt der Ballon zu Boden. Blanchard reißt das Ventil auf. die Hülle schrumpft zusammen. Als die Reiterkavalkade, die dem Ballon folgte, in den Wold eindringt, findet sie die vor Kälte zitternden, halbnackten Aero- nautcn. Man reicht ihnen Decken, Ueberröcke und bringt sie im Triumph nach Talais. Auf der Landungsstelle der Charliere wurde später«in Denk- mal errichtet.. Äleriot fliegt nach Dover  . Einhundcrtvicrundzwanzig Jahre später, durch S a u g a t t e, «inen Flecken von 2000 Einwohnern, rasten in der Nacht vom 24. zum 2S. Juli einige Autos. Vor einem F'.ugzeugschuppen machten sie Halt. Klapptüren polterten zu Boden. Zwei zierliche Eindecker wurden aufs Feld gerollt. Bon jour, Monsieur Lathom!" Gooä morning, Mr. B l e r i o t!' Zwei Männer drückten sich die Hände. Zwei Konkurrenten. Jeder will als erster über den Kanal. Bl�riot läßt die Propeller anwerfen. Der Motor arbeitet vorzüglich. Aber das Wetter, das Wetterl Es ist böig,«in leichter Sprühregen rieselt herab. Latham steht mißmutig neben seiner Maschine und raucht«ine Zigarette. Um 4 Uhr klärt sich der Himmel. Bleriöt ist etwas nervös. Hat weder gegessen noch getrunken, alle seine Gedanken sind nur auf den Flug gerichtet. Plötzlich klopft er seinem Freund L e b l a n c auf die Schulter. Los!" Der Propeller knattert, die Maschine rast über den Boden, fliegt. Ich begann meinen Flug ruhig und gleichmäßig über der Küste. Das TorpedobootEscopette" hat mich gesehen, es geht mit Volldampf voran und macht vielleicht 42 Kilometer pro Swnde. Ich überhole es in einer Höhe von 80 Metern. 10 Minuten find vorüber. Der Torpedojäger liegt hinter mir. Ich dreh« mich, um »u sehen, ob ich in der rechten Richwng fliege und ich bin verblüfft. Es ist nichts zu sehen, weder der Torpedojäger, noch Frankreich  , noch England, ich seh« nichts. 10 Minuten lang habe ich meinen Weg verloren. Es ist eine seltsame Lage. Allein, ohne Kompaß in der Luft, inmitten des Kanals zu sein. Ich rühre nichts an meiner Maschine. Hände und Füße ruhen leicht auf den Hebeln. Das dauert 10 Minuten fort. Und dann 20 Minuten später, nach. dem ich die sranzösische Küste verlassen habe, sehe ich die grauen K l i f f z v o n D o v e r. das Schloß und im Westen den Fleck, wo ich zu landen beabsichtige. Was soll ich tun? Der Wind hat mich offenbar aus meinem Kurs gebracht. Ich drücke den Hebel mit meinem Fuße uich drche leicht nach Westen. Ich sehe eine offen« Stelle im Kliff, und obgleich ich überzeugt bin. daß ich noch VA Stunden aushalten kann, ja, daß ich selbst nach Calais   zurück. kehren könnte, kann ich doch der Verführung nicht widerstehen, auf diesem Flecke zu landen. Noch einmal wende ich meinen Aero- £(an und beschreibe einen Halbkreis. Ich komm« auf die offene
Stelle und befinde mich über festem Lande. Indem ich die roten Gebäude zu meiner Rechten vermeide, versuch« ich zu landen. Aber der Wind faßt mich, er wirbelt mich zwei-, dreimal umher. Ich holte meinen Motor an, und sofort falle ich aus einer Höh« von 20 Metern. In zwei bis drei Sekunden bin ich munter und gesund an der Küste." Bleriot   legte die 43 Kilometer lange Strecke in 27 Minuten 21 Sekunden zurück. Chavez' Todesflug über die Alpen  . Der Kanal war überflogen. Aber drohend und hemmend stell- tcn sich zwischen Länden, die Berge, eisbedeckte Riesen. Bei dem damaligen Entwicklungsstadium der Aviatik schien es ein wahnsinniges Unterfangen, die Alpen   mit einem Flugzeug zu überqueren. Aber eines Tages wurde das Projekt aufgerollt. Piloten mek- deten sich.Wir schaffen'?!" Unter diesen Piloten befand sich Chavez, der Peruaner. Ein prächtiger, tollkühner Bursche. Ein Mensch mit Humor, Hasser der Protzerei. Die Mailänder veranstalteten in der zweiten Hälfte des Sep- tembers 1910 ein Flugmeeting, dessen Hauptprcis dem Flieger zu- fallen sollte, dem es als ersten gelänge, die Alpen   zu über» fliegen. Startort: Brig  , Ziel: Mailand  . Zwischen- landungen in Simplonkulm, Domodossoia, Strcsa und Varesa waren gestattet. Die Fremden, die am ersten Flugtog nach Brig   gekommen waren, bekamen nicht viel zu sehen. Aus dem Flugplatz herrschte die Ruhe eines Friedhofes. Gegen Abend trat Chavez aus seinem Schuppen, los die Meldungen der Meterologsn und blickte hinauf zu den fchnebedeckten Gipfeln der Berge. Wann er zu starten ge- denke? Chavez steckte die Hände in die Taschen.Morgen früh!" sagte er kurz. Und der Morgen kam. Die Windverhältnisse waren günstig. Leichter Nebel, Wolken, die bald verfiogen. Chavez und der Ame- rikaner W e y m a n n prüften ihre MaschineckN Das Gewitter der Propeller donnerte aus dem Tal empo:'. Um 6 Uhr 16 Minuten startete der Peruaner. Sein Bleriot- Eindecker schraubt« sich langsam in die Höhe. Ein winziger Vogel, der gegen die Macht der Berge anrennt. Wird er es schaffen? Niemand kennt die Wiichströmungen über den Bergen. Aber jeder weiß, daß es dort zwischen den Gletscherspalten Böen gibt, tückisch« Winde. Jeder weiß, daß eine Landung zwischen Brig   und der Poßhöhe, zwischen steilabfollcndc» Schluchten, den Tod bringen muß. Chavez' Maschine ist nur noch ein kleiner Punkt am Himmel. Mit einem Male macht sie eine Schwenkung und nimmt Richtung auf die S i m p l o n st r a ß e. Chavez ist verschwunden. Eine ungeheure Spannung bemächtigt sich aller Zuschauer. Man blickt auf die Uhr, debattiert. Beachtet es nicht, daß auch der Ame- rikaner Weymann mit seinem Farman-Doppeldecker über das Feld rollt und in die Luft springt. 1 8 Minuten sind erst seit dem Abslug Chavez' vergangen. Plötzlich Ausrufe der Verwunderung, der Enttäuschung.Da oben, da oben!" Es ist kein Irrtum mehr möglich. Zwei Maschinen sind in der Lust und fetzen zur Landung an. Chavez ist zurück-
gekehrt. In steilem Gleitflug geht er zu Boden, erschöpft taumelt der Eindecker über die Wiese. All« Menschen stürzen auf Chavez zu. Der sitzt regungslos, erstarrt in seiner Maschine. Er öffnet oie Lippen, ober er kann nicht sprechen. Man hebt ihn aus seinem Sitz, reibt ihm die Glie- der. Was sagt er? Alles ist still und blickt aus den Piloten. G'est tcrriblc! C'cst terrible!" Nichts weiter sagt er. Chavez hatte den Simplonslug aufgegeben, weil er in einen Wirbclsturm geraten war, weil er den Apparat nicht bändigen konnte.Es war furchtbar!" sagte er.Unter mir waren schwarze Abgründe und ein Felsenchaos. Meine Maschine bäumte sich, sack,« weg. es war ein unerhörtes Taumeln zwischen toddrohenden Felsen» wänden." Also ist der Flug unmöglich?" Der Peruaner beißt die Zähne zusammen.Nichts ist un» möglich, nichts!" Und dann schüttelt« dieser kleine frierende Mensch die Faust gegen die gewaltigen Berge.Und ich kriege sie doch!" Sln den nächsten Tagen machten Chavez und Weymann einig« kürzere Probeflüge. Aber oft regnete es. Die Fremden reisten ab. Niemand glaubte mehr an einen Flug über die Alpen  . Regen, Regen. Eisige Kälte. Die Flugwoche geht ihrem Ende entgegen. ?l in 2 3. September das Wetter hatte sich etwas auf- geklärt raste Chavez mit seinem Auto auf den Flugplatz. Ich fliege!" schreit er.Jetzt oder nie!" Schon sitzt er in der Maschine, ein letzter Händedruck, Chavez bleiches Gesicht spannt sich. Noch einmal winkt er zurück, dann schießt die Maschine in die Höhe. 1000 Meter. 2000 Meter. Unten stehen die Menschen und starren in die Höhe, ihre Herzen schlagen wild.Glückab, Chavez!" Auf Simplonkusm stehen Bergsteiger. Plötzlich hören sie ein Brummen in der Lust. Chavez fliegt über ihnen hinweg. Fliegt hinweg über die Berge und Schluchten. Er streift beinahe die Felsen des See Hann. Der Aeroplan schwankt. Chavez sieht die grüne Fläche van Barzo. Er tanzt zwischen den Felsen des Pizza d'A l b i o n c, er tanzt am Tode vorüber, er wird in der Hölle umhergewirbelt. Er fliegt, fliegt über die Alpen  , bezwingt den Simplon, Domodossola   taucht auf, saftiges Grün, Häuser, siegverheißende Oase in der Steinwüste. 42 Minuten nach seinem Aufstieg in Brig   setzt Chavez zur Landung an. In Domodossolo jauchzt ihm alles entgegen. 300 Meter, 200, 50 Meter. Chavez befindet sich dicht über dem Boden, plötzlich überschlägt sich die Mosch ine. Holz splittert, Menschen schreien. Blutüberströmt liegt Chavez unter den Trümmern seines Eindeckers. Im letzten Augenblick, mitten im Rausch des Sieges schlägt Chavez eine furchtbare Faust zu Boden. Dunkle Wolken ziehen über die Berge. Und als man Chavez' zerbrochene Glieder auf die Tragbahre legi, da richtet sich dieser bleiche Mann hoch.Es war furchtbar!" röchelt er.Aber ich habe gesiegt, liebe Freunde." Zwei Tage später starb er im Krankenhaus. Nicht an dem doppelten Beinbruch, den er sich beim Sturz zugezogeu. hatte, nein, seine Nerven waren fertig. Die grauenvollen Eindrücke des Fluges, die Spannung, der Kampf hoch oben in den Lüften hatten das Herz dieses prächtigen Burschen zerfressen. Ilsrdx Worm.
Karl Seitz   60 Jahre Bürgermeister von Wien   und Vorsitzender der Arbeiterpartei
2n den schweren Sorgen, die de» Sozialdemokratie Deutsch- österreichs durch die Faschistengefohr. und in den schworen Kämpfen, die den Arbeitern der Alpenrepublik durch die Gewalttaten der Heimwehr erwachsen sind, tritt eine kurze Pause ein: Die Partei
feiert ihren Führer, das rote Wien seinen Bürgermeister, der am 4. September 60 Jahre alt wird. Karl Seitz   ist als armer Leute Kind in Wien   1869 geboren. Das gleiche Jahr hat die erste große Massendemonstration der Arbeiter Wiens   gesehen, und durch das Reichsvolksschulgesetz die Simultanschule in ganz Alt-Oesterreich zur herrschenden
Schulreform gemacht. Als Lehrer kämpfte Seitz in Gemeinschaft mit anderenJungen" für die ungeschmälerte Aufrcchterholwng dieser Schule und für ihre Modernisierung. Das klerikale Regime der Christlichsozialen ging brutal gegen dieJungen" vor, Bürgermeister Dr. Karl Lueger   entließ ihre Führer strafweise aus dem Dienst. So wurde die Parteiarbeit für Karl Seitz   zum Hauptberuf. War dem Führer Victor Adler   der unentbehrliche Mechanismus der wachsenden Partei doch etwas wesensfremd, so stürzte sich Seitz mit aller Begeisterung seiner Jugend in dt« Alltagsarbeit. Bald war er einer der bekanntesten Redner der Partei, der es wie wenige oer» stand, die noch stark indifferenten Masten für die Sozialdemokratie zu gewinnen. 1901 gelang es ihm, als dem ersten Sozialdemo- kraten, ein Parlamentsmandat derStädlekurie" zu erringen, in der nur die Männer mit mehr als acht Kronen direkter Steuer'eistunz wahlberechtigt waren. Im Parlament wurde Seitz sofort einer der wirkungsvollsten Debatter und doneben einer der geschicktesten Taktiker. Arbeitete er sich als Vertreter der Partei im Zollausschuß überraschend schnell und gründlich in die schwierigsten Wirtschafts- Probleme ein, so war er zugleich auch der genaueste Kenner der Ge- schäftsordnung und sehr bald eines der angesehensten Mitglieder des Hauses. Als 1907 die Porte! unter gleichem Wahlrecht mit 87 Man- baten wiederkam, war es selbstverständlich, daß Karl Seitz   ihre taktische Führung übernahm. Nach der Wiederherstellung des Parlaments, das vom Kriegsausbruch bis in dos Jahr 1917 ge-> schloffen war, gehörte Seitz den wichtigsten Ausschüssen an und war der Hauptvertreter der unter Militärkommando gestellten Fabrik» arbester gegenüber der Heeresverwaltung. Die Revolution mochte ihn zum Präsidenten der Volksvertretung der jungen Republik  und dadurch zugleich zu ihrem obersten Repräsentanten Nach dem Rücktritt Jakob Reumanns schickte die Partei ihn als ihren besten Mann auf den wichtigsten Posten des Bürgermeisters von Wien  . In sein 61. Lebensjahr tritt Karl Seitz   in beneidenswerter körperlicher und geistiger Frische, mit jenem unzerbrechlichen Froh- sinn, der ein Erbteil der Glückskinder ist. Wir wünschen ihm zu diesem Tag, daß er und seine Partei den schweren Kampf für die Aufrechterhaltung der demokratischen Republik   mit nachhaltigstem Erfolg bestehen mögen,