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BERLIN  Montag 9. September 1929

Der Abend

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Nr. 422

B 210 46. Jahrgang.

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Stresemanns Rede in Genf  .

Für Abrüstung, Minderheitenschutz und Paneuropa.

In der heutigen Bollversammlung waren die Tribünen bis auf den letzten Play bejezt und alle Delegationen vollzählig erschienen. Bevor Dr. Stresemann anjing zu sprechen, wurde er von vielen Delegationsführern auf das herzlichste begrüßt. Seine Rede wurde häufig durch lebhaften und anhaltenden Beifall unterbrochen, besonders dort, wo Dr. Stresemann über die wirtschaftlichen ver­einigten Staaten von Europa   sprach. Die Rede Dr. Stresemanns wurde durch Lautsprecher von dem Reformationssaal auf die Straße übertragen, wo sich eine große Menschenmenge angesammelt hatte. Die Menge brach während der französischen   Uebersetzung der Rede häufig in starten Beifall aus. Die Rede Dr. Stresemanns wurde von den Delegierten mit großer Sympathie aufgenommen. Bon allen Seiten wurde der Außenminister auf das herzlichste be glückwünscht. Auch der Tonfilm ist in den Dienst der Ueber­tragung der Ansprache gestellt worden.

Schwedischer Dampfer gesunken.

Drei Schiffstatastrophen in zwei Tagen.

Stockholm  , 9. September.

Bugsierboot und mehrere Motorboote eilten an die Un glücksstelle. Der Sturm, der am Sonnabend auch an mehreren anderen Stellen Skandinaviens   Schiffsunglücke herbeigeführt hat, erschwerte alle Rettungsversuche.

Im Zusammenhang mit dem Untergang des Dampfers Kuru" des Dampfers, der als ein Standalboot" bezeichnet wird. richtet die Presse außerordentlich scharfe Angriffe gegen die Reederei

Man nimmt an, daß das Unglück durch den vor einiger Zeit vor= genommenen Umbau des Schiffes verursacht worden ist. Durch den Aufbau eines Oberdecks soll die Seetüchtigkeit des Dampfers beeinträchtigt gewesen sein.

Am Sonntag abend ereignete sich im Durusun'd in den Stockholmer   Schären eine Schiffskatastrophe. Der schwedische Dampfer, Heimdall", der sich auf dem Wege nach Helsingfors   befand, stieß in voller Fahrt auf Das Wasser strömte in den Maschinenraum ein, und in Grund. Im Mittelschiff entstand ein riesiges Leck. zehn Minuten ging der Dampfer unter. 70 Men­schen befanden sich an Bord, von denen die meisten bereits zu Bett gegangen waren. Trotz der panikartigen Auf­regung fonnten in den wenigen Minuten, die zur Ver­fügung standen, alle Fahrgäste und die Bepigente jagung   in den Rettungsbooten an Land gebracht wer den. Ein großer Teil der Fahrgäste war noch in den Nachtkleidern. Alle mußten ihr Gepäck und zum Teil ihre Wertsachen zurücklassen. Die Lage ver­schlimmerte sich dadurch, daß sofort das elektrische Die ,, Heimdall  " hatte 1300 Bruttotonnen und gehörte zu den modernsten Schiffen der schwedischen Reederei Svea.

W. S. Genf  , 9. September.  ( Eigenbericht.) Bon einer stürmischen Ovation begrüßt, ging Dr. Streje. mann in seiner Rede heute morgen von dem Kardinalpuntt der Haager Konferenz aus, der endlich beschlossenen Erfüllung des Deutschen Verlangens, das deutsche Staatsgebiet von frembem Militär zu befreien. Deutschland   hat die Fortdauer der B2­setzung des deutschen   Landes stets und vor allem bei seiner Tätig feit in Genf   angegriffen. Kein Volt, das sich selbst achtet, icht erlosch. hätte anders handeln können.

Nach einer Anspielung auf das Saargebiet und der not­wendigen Vereinigung dieser Frage bekannte sich Stresemann  zu den Worten Macdonalds, eine politische Abmachung biete ebenso große Sicherheit wie Regimenter von Soldaten. Er begrüßte auf das lebhaftefte die Mitteilung, daß Groß­ britannien   und Frankreich   die Fakultativklausel des inter­nationalen Gerichtshofs unterzeichnen werden, wie dies von Deutsch­ land   und einer Reihe anderer Staaten bereits geschehen ist. Cr sehe darin ein erfreuliches Zeichen für den

fiegreichen Fortschritt der Schiedsgerichtsidee,

bie der Edpfeiler der internationalen Friedensordnang ist. Wir verfolgen die Tätigkeit des internationalen Schiedsgerichtshofs mit uneingeschränktem Bertrauen.

Stresemann   erklärte zu der Frage des Einbaues des Kellogg  Pattes in die Bölferbundsjagung: Ich würdige vollauf den Plan, das Ineinandergreifen seiner Bestimmungen und der Bestimmungen unferer Sagung tlarzustellen. Es ist in der Tat notmen dig, daß diese Dinge, die für die Auffassung über Recht und Un recht in den höchsten Fragen der Bölkerbeziehungen entschei dend find, geklärt werden.

Die feierlichen Berpflichtungen verlangen einen Ausdrud, der jedem, und nicht nur den Experten des Bölkerrechts, ver­ständlich ist.

Er wünsche, daß Briands Rebe in ihrem Appell an die Jugend Bestandteil der Erziehungsbücher werden möchte. Die deutsche Regierung hat stets den Standpunkt des Ministerpräsidenten Briand   vertreten, mit dem er sich zu seiner großen Genugtuung in so vielen Fragen der internationalen Bolitit einig wisse, daß der Ausgangspuntt aller Bemühungen um die Sicherung des Friedens der Ausbau der Methoden für die friedliche Bereinigung von Staatenfonflikten sein muß. Zur Ab. rüftung erflärte Stresemann, daß er mit größtem Interesse und warmer Sympathie dem Gang der Verhandlungen zwischen den großen Seemächten folgte, im Frühjahr jedoch gezwungen gewesen ist, von den Beschlüssen der vorbereitenden Abrüstungskommiffion abzurüden, um

Deutschland   nicht mitverantwortlich zu machen an einem Ber­fahren, das mit der Bölferbundsjahung nicht in Einklang zu bringen

fei. Hoffentlich bringe der Impuls der Berhandlungen der See­mächte uns über diesen Tiefpunkt hinweg. Wenn der Völkerbund sich der Abrüstungsverhandlungen nicht selber annehme, so müßte bei den Völkern der Eindruck entstehen, als ob die Methode direkter Einzelverhandlungen zwischen den Regierungen immer noch die allein erfolgversprechende sei. Zum

Schutz der Minderheiten

übergehend, erklärte Stresemann, daß es ihm nach wie vor darauf anfomme, die vom Bölferbund übernommene Garantie ber geltenden Verträge und Erklärungen in ihrem grundsäglichen Charakter einer ernstlichen Prüfung zuzuführen. 3meifellos be beuteten die Madrider   Beschlüsse eine Verbesserung des bise

Der Untergang des Kuru".

Angriffe gegen die Reederei.

Condon, 9. September.

Nach Meldungen aus Helsingfors   werden noch immer Passagiere des untergegangenen Dampfers ,, kuru" an Land ge­schwemmt. Berschiedene von ihnen sind zwar schwer erschöpft, leben aber noch. Die Zahl der Leichen, die inzwischen an Land gefchwemmt wurden, ist gleichfalls beträchtlich. Unter den Geretteten befindet sich der Kapitän. Die Kuru" hat sich, wie nun feststeht, bei dem Untergang vollkommen überschlagen.

Bom Ufer aus waren viele Personen Zeugen des Unglüds, ohne daß sie jedoch etwas zur Rettung tun fonnten. Kurz vor dem Untergang des Schiffes fah man eine dichte Rauchmolte auf steigen. Ein in der Nähe befindlicher Passagierdampfer leistete die erste Hilfe, fonnte jedoch nur zehn Personen retten. Auch ein

herigen Zustandes. Aber der Völkerbund müsse sich fortdauernd Sicherheit darüber verschaffen, wie das Schicksal ber Minderheiten sich unter den Verträgen gestaltet. In der Stellungnahme zum unterschied zwischen intereſſierten und nichtintereffierten Minderheitenproblem, fuhr der Redner fort, gibt es feinen Staaten. Es ist ein Problem, das den Völkerbund in seiner Ge­famtheit angeht.

Je mehr das unverzichtbare Menschenrecht auf. Muttersprache, Sulfur und Religion geschützt wird, um so besser wird der Frieden gesichert sein.

Hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, in der der Völkerbund sich für die Behandlung der Minderheitenfragen ein ständiges Organ schaffen wird. Ich nehme als selbstverständlich an, daß alljährlich die sechste Kommission des Völkerbundes sich mit den Berichten über die Minderheitenfrage beschäftigen wird. Ich will davon absehen, einen Antrag auf Behandlung der Frage in diesem Jahr zu ftellen, behalte aber das Problem der Kommission für die späteren Jahre vor.

Ein Staat, der das fulturelle Eigenleben seiner Minderheiten unterbinden will, zeigt damit, daß er sich felbst nicht start genug fühlt, die in ihm vereinigten Bölker zu leiten und zu führen. Er verstärkt sein Prestige weder nach innen noch nach außen.

Stresemann ging dann auf die Neugestaltung der staatlichen Verhältnisse in Europa   über. Er wandte fich gegen die Pränumerando- Pessimisten und gegen die prinzipiellen Steptifer. Er erklärte, daß der Gedanke einer europäischen   Ber  einigung feine Tendenz gegen andere Erdteile haben dürfe. Eben­olehnte er eine wirtschaftliche Selbstabsperrung Europas   ab. Er habe den Eindruck, daß die wirtschaftliche Entwicklung Europas   im letzten Jahrzehnt rückläufig gewesen sei

Die jetzigen Zustände Europas   erinnerten an die mittelalter­lichen Zustände innerhalb Deutschlands   und Italiens  . In dem

21 Zote des Dampfers, Dan".

Pillau  , 9. September. Nach einem hier eingegangenen Funfipruch hat das Linienschiff Hessen  " auf 54 Orad 53,6 Minuten Nord und 19 Grad 24,5 Mi­dufen Ost ein Boot mit einem Mann vom dänischen Dampfer ,, Dan" aufgenommen. Nach Aussage des Geretteten ist der Dampfer mit der übrigen Besatzung gefunken.

Das Schiff soll am 7. September kurz nach Mitternacht   etwa vierzig Seemeilen nordwestlich von Brüsterort untergegangen sein. Der Ueberlebende hat den Untergang beobachtet. In dem Boot hatten sich zunächst fünf Mann befunden, von denen vier herausgespült worden sind. Der Ueberlebende will ein zweites Boot mit zwei oder drei Mann, darunter dem Steuermann, in Lee unter Segel beobachtet haben. Die Besatzung des Dan" bestand aus 21 Mann und der Frau des Steuermanns.

Der Name des geretteten Matrosen ist Martin Melm aus Dra gör.

Die Mannschaftsliste des am Sonnabend in der Ostsee   unter gegangenen dänischen Dampfers Dan" führt folgende deutsche oder Danziger Staatsangehörtge auf: D. Lamprecht, Hessejunge, geb. 25. November 1911, Adresse Eichwalde   bei Berlin  , Romansplatz 1; G. Pyschta, Zimmermann, geb. 1. November 1908, Danzig­Langfuhr; F. Sindaci, Leichtmatrose, geb. 14. Juli 1909, Danzig­Neujahrwasser, Albrechtstraße 19, unverheiratet. D. Freiwald, Donkeyman, geb. 30. März 1907, Danzig  - Neufahrwasser, unver­heiratet.

Augenblid, wo der Reiseweg von Deutschland   nach Japan   fo gewaltig verkürzt worden sei, müsse noch jede Lokomotive an den Grenzen in Europa   eine Stunde lang halfmachen! Europa  mache den Eindrud, als ob es ein Kleinfrämergeschäft betreibe.

( Stürmischer Beifall.) Es sei an der Zeit, europäische Mün zen, europäische Briefmarken zu schaffen. Die Benach teiligung Europas   durch seine wirtschatliche Zerrissenheit sei un geheuer. Er spreche nicht über den Versailler Vertrag   in seinen politischen Auswirkungen, aber es sei an der Zeit, die wirt schaftlichen Auswirkungen wie der gut zu machen und zu einer Bereinbarung des Güteraustausches innerhalb Europas   zu kommen, Die politische und Wirtschaftsentwicklung in den letzten Jahren könne nur verkennen, wer blind ist oder sich blind stellt. In der Poesie werde noch viel von dem Heroismus des Krieges geredet, von der Hingabe des Lebens an eine große Idee. Aber

die technischen Kriege der Zukunft werden wenig Gelegenheit zu Heroismus geben.( Großer Beifall.) Der Kampf und der Sieg des Menschen über die Natur geben genügend Gelegenheit, Heroismus zu zeigen. Noch feien Gegensätze zwischen den Völkern vorhanden. Es gelte, in langsamer Arbeit sie zu über­winden.

Stresemann   schloß mit den Worten Schillers:

Und du, die gern fich mit ihr gattet, Wie sie, der Seele Sturm beschwört, Beschäftigung, die nie ermattet,

Die langsam schafft, doch nie zerstört, Die zu dem Bau der Ewigkeiten

Zwar Sandforn nur für Sandforn reicht, Doch von der großen Schuld der Zeiten Minuten, Tage, Jahre streicht.

Scialoja Italien erklärte, der italienische Ministerrat habe ihn heute morgen bevollmächtigt, die Fabultatiollausel über die