Beilage
Dienstag, 8. Oktober 1929
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärt
Die Krise der Medizin Sozialpolitik- Familie- Schule
Eine kritische Auseinandersetzung
In den letzten Wochen ist ein Buch erschienen, das sich mit den Berfallserscheinungen der Schulmedizin befaßt, das Problem der Kurpfuscherei von einem ganz neuartigen Gesichtspunkt aus betrachtet und neue Zukunftswege der Heilwissenschaft zeigen will. Die Krise der Medizin, Konstitutionstherapie als Ausweg" heißt das Werk des Wiener Gynäkologen Bern hard Aschner, das in der Geschichte der medizinischen Literatur einen ganz besonderen Platz einzunehmen berufen ist.
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Aschner, der von seinem engeren Arbetisgebiet, der Gynäkologie, ausgeht, versucht, das gesamte Problem der medizinischen Wissen schaft zu ergründen; er geht von dem Gedanken aus, daß ein Fort schritt der medizinischen Wissenschaft nur zu erzielen ist in Anlehnung und Weiterentwidlung der alten klassischen Heilmethoden, die von der modernen Medizin zum alten Eisen geworfen wurden. Die alten Seilmethoden beruhten cuf der sogenannten Homoraltherapie, der Therapie der Blutreini gung und Säfteerneuerung. Während die moderne Medizin jedes Leiden lokal behandelt und sich in unzählige spezielle Zweige auflöst, ging die alte Medizin von dem Grundsah aus, daß jede Heilung auf die Beeinflussung des Gesamtorganismus gerichtet sein müsse und daß auch ein scheinbar lokales Leiden durch die Behandlung des gesamten Organismus geheilt werden müsse. Diese Konstitutionstherapie geht auf Paracelsus , den großen„ Kurpfuscher" der Bergangenheit, zurüd.
Aschner , als Vertreter dieser klassischen Homoraltherapie, tritt für die klassischen Behandlungsmethoden ein, die heute längst vergessen sind, wie Aderlaß, Blutegel, Schröpftöpfe, Brachmittel usw., Methoden, die auch heute noch von den Kurpfuschern angewendet werden und die der Konstitutionstherapie, die Blutreinigung und Säfteverbesserung dienen.
Ist denn die medizinische Wissenschaft, wie sie seit fast 100 Jahren auf allen Universitäten vorgetragen wird, die einzig mögliche und richtige? Aschner beantwortet diese Frage mit einem glatten Nein. Er weist darauf hin, daß weit über 3000 Jahre lang bei allen Bölkern der Welt eine der heutigen spezialisierenden Medizin entgegengesetzte medizinische Wissenschaft, die Konstitutionstherapie, mit großem Erfolg prattiziert murde. Und gerade diese Therapie wird auch heute noch von den„ Kurpfuschern ", als da sind Homöopathen, Magnetopathen, Naturheilkundigen, Biochemitern usw. usw. ausgeübt. Viele unschäzbare medizinische Er. fahrungen der alten Medizin haben sich bei den ,, Kurpfuschern " erhalten.
Zwei Forderungen des Sozialen Fortschritts
Auf der 3. Generalversammlung der Internationalen| ordnungen getroffen hat, um die Schulzeit ab 1931 von acht auf Bereinigung für Sozialen Fortschritt, die in neun Jahre zu verlängern und bedürftigen Eltern im letzten SchulZürich tagte, waren zwei Fragen in den Mittelpunkt gerückt: die jahr eine Unterstützung zu gewähren. Man hofft in England davon Ausgestaltung der Sozial- und der Privatversicherung mit Rücksicht eine wesentliche Entlastung des Arbeitsmarttes. auf den Familienschutz und die Berlängerung der obligatorischen Schulzeit und ihre Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt.
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Die Politit des Familienschußes gehört zu jenen allgemeinen Grundsätzen neuer Sozialpolitit, die 1924 in Brag auf der Gründungsversammlung der Internationalen Vereinigung prolamiert wurden. Während die soziale Reform feit 30 Jahren immer nur den Arbeiter als Individuum betrachtet hatte, begann man nunmehr die Sozialpolitik auf die Familie des Arbeiters einzustellen. Auf der Generalversammlung der Vereinigung in Montreug 1926 wurden die Fragen der Mutter schaftsversicherung und der Familienfürsorge auf die Tagesordnung gebracht. Die Wiener Generalversammlung 1927 erweiterte das Problem in seinem vollen Umfange auf die Familienfürsorge und den Familienschutz. Nach dieser Kette von Verhandlungen und Untersuchungen wurde die Einstellung der Vereinigung zur Politik des Familienchuzes in Zürich durch eine Resolution festgelegt, deren Formu lierung aber von vornherein die Kämpfe verrät, die sie gekostet und dabei ohne die völlige Einigung aller Beteiligten herbeizuführen. Man braucht nur an die alten gewertschaftlichen Auseinandersetzungen über Leistungslohn und Soziallo hn zu denken, um die parallelen Streitpunkte hier wiederzufinden, man braucht nur an die Zusammenhänge mit den Fragen der allgemeinen Bevölkerungsbewegung zu erinnern, um die Problematik des Themas zu erkennen. Auf alle diese Fragen ist in den Beratungen der unter dem Borsiz von Ministerildirektor Grieser tagenden technischen Kommiffion eingegangen worden, an der für die freien Gewerkschaften Deutschlands Umbreit teilnahm. Die Streitpunkte spizten sich schließlich auf die Anerkennung der von den Belgiern und Franzosen mit Leidenschaft verteidigten jogenannten Ausgleichstassen zu, zu denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge zahlen, den Familienvätern zum Leistungslohn Sozialzulagen zu gewähren. Diese Forderung der Ausgleichstassen wurde von den Engländern und den tschecho slowakischen Gewerkschaftsvertretern in der Plenarabstimmung ab gelehnt, während die deutschen freien Gewerkschaften sich der Stimme enthielten; charakteristischerweise stimmten dagegen die Vertreter der christlichen Gewerkschaften den Ausgleichskaffen zu. In ihrem übrigen Teil fordert die Resolution einen Ausbau der Aufmenangehörigen nicht nur für die heute vorgesehenen Fälle der Krankheit, Unfall, Invalidität und Arbeitslosigkeit, sondern auch für den Fall, daß der Hausstand durch Kinder vergrößert wird, also eine Art staatlicher Elternschaftsversicherung.
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Sind die Erfolge der Kurpfuscher nur Schwindel? Aschner erklärt: ,, Man hört. namentlich in den letzten Jahren nach dem Kriege immer häufiger von zahlreichen gut beglaubigten Fällen, in denen Naturheilärzte, Bauerndoktoren, Kurpfuscher, Zigeuner , Schäfer, dungen der Sozialversicherung für die Familienaber auch bestimmte ärztliche Outsider- Seften, wie die Homöopathie und die Magnetopathie, Seilungen zustande gebracht haben, wo auch die besten Vertreter der wissenschaftlichen Medizin dast Leiden als schwer heilbar oder unheilbar, ja oft als unmittelbar lebenbedrohend oder nur durch eingreifende Operation zu beseitigen hingestellt hatten. Die nicht schulgemäßen Heilungen cinfach als Schwindel, Scharlatanerie oder fuggeftiven Erfolg hinzu stellen, ist wohl sehr bequem, entspricht aber durchaus nicht immer den Tatsachen, wie ich mich in jahrelanger Nachprüfung dieser Methoden habe überzeugen tönnen." Mit vollem Recht erklärt Aschner , man dürfe die gesunde Urteilskraft des Publikums doch nicht allzusehr unterschäßen: Ohne nennenswerte Heilerfolge laffen fiá) auf die Dauer auch die Massen nicht zum Narren halten. Ich kenne sehr gebildete und kritische Menschen, welche sich ebenfalls von der Richtigkeit dieser mit inoffiziellen Methoden erzielten Heilungsresultate überzeugt haben."
Waren die Vertreter der romanischen Gewerkschaften vor allen Dingen die Träger der Politik des Familienschutzes, so fand die Verlängerung der obligatorischen Schulzeit vom 14. bis zum 15. Lebensjahr einen sehr geschickten Verfechter in Elvin, dem Generalsekretär einer englischen Angestelltengewert schaft. Seine Argumente wurden besonders durch die Tatsache gestützt, daß die englische Arbeiterregierung bereits die nötigen An
Opfer des Paragraph 218
man
aus
Ein Paragraph auf der Anklagebank Solange die Aerzte nicht das Recht erhalten, auch sozialen Gründen Abtreibungen vorzunehmen, solange die Proletarierinnen gezwungen sind, unter Gefahr für und Leben zu weisen Frauen Zuflucht zu nehmen, Leib und solange die Anpreisung von empfängnisverhütenden Mittein solange die Anpreisung unter Strafe gestellt ist, wird. feine Gelegenheit ungenutzt lassen dürfen, um der Allgemeinheit das Unsinnige und Verbrecherische des§ 218 vor Augen zu führen. Bei 1 400 000 Geburten zählt Deutschland jährlich fast eine halbe Million Abtreibungen. Mindestens 80 Proz. dieser Aborte find frimineller Natur. Berschwindend klein dagegen nicht mehr als 1 Proz. ist die Zahl der Fälle, die zur Aburteilung gelangen. Aber 75 000 Frauen erfranken jährlich an den Folgen der Abtreibung. 75 000 gehen an ihnen zugrunde.
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Wichtiger noch erscheint uns eine andere sozialpolitische Seite dieser verlängerten Schulpflicht: die Entwicklung des Kinderschuhes ist, wie die Geschichte lehrt, immer Hand in Hand mit der Schulzeit gegangen, eine verlängerte Schul. pflicht bedeutet gleichzeitig erweiterten Kinderschuß. Hierbei wird auch der enge Zusammenhang dieses Themas mit der Politik des Familienschutzes offenbar. Das neunte Schuljahr ergreift das Kind wie Renner als Präsident der Vereinigung in seiner Eröffnungsrede ausführte den Menschen in der Uebergangszeit von der aufnehmenden zur schaffenden Tätigkeit, wir wollen, daß das Kind ein Jahr lang länger aufnehme, es ein ganzes Leben lang Besseres schaffen kann. Die Diskussion mar von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Reform durch einen Gutachtenband vorbereitet. Die technische Kommission, in der die deutschen freien Gewerkschaften durch Dr. Suhr vom AfA- Bund vertreten waren, tagte unter dem Borsiz von Herrn von No stig, der schon im Juli auf dem Kongreß der Weltvereinigung der Erziehungsper bände in Genf an der gleichen Frage mitgearbeitet hatte. Benn es auch gelungen ist, in der Generalversammlung der Vereinigung für Sozialen Fortschritt eine Resolution einstimmig zur Annahme zu bringen, in der grundsätzlich nicht nur die Ausdehnung der obligatorischen Schulpflicht vom 14. bis zum 15. Lebensjahr gefordert wird, sondern auch eine Unterstützung durch den Staat im letzten Schuljahr erstrebt wird, so kann darüber kein Zweifel bestehen, daß die Durchführung dieses Beschlusses bei den bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf große Widerstände stoßen wird. Freilich sollte man diese finanziellen Schwierigkeiten nicht übertreiben. Durch eine Rationalisierung des mittleren und höheren Schulwesens ließen fich zweifellos große Mittel für die Ausbildung des neunten Schuljahres flüffig machen.
Damit stoßen wir aber auf die umstrittene pädagogische Frage, wem das neunte Schuljahr gehören soll: der Volksschule oder der Berufsschule. Die endgültige Lösung dieser Frage fällt in Deutschland mit der Umgestaltung der Volfse schule und mit der künftigen Gestaltung der Berufsschule zusammen. Bis zur Lösung dieser Aufgaben, die mit aller Entschiedenheit angestrebt werden müssen, wird aber zunächst einmal die Durchführung des achten Schuljahres zum 14. Lebensjahr in Deutschland verwirklicht werden, da durchaus noch nicht, wie man allgemein annimmt, alle Kinder acht Jahre zur Schule gehen. Aber es war nicht Aufgabe der Internationalen Vereinigung, auf diese pädagogischen Probleme näher einzugehen, aber es bedeutete eine Erweiterung ihrer Aufgaben, wenn hier zum ersten Male die Schule in den Kreis der Sozialpolitit mit einbezogen wurde.
Es war die Aufgabe des Kongresses, die Delegierten aller Staaten zu einem gemeinsamen Meinungsaustausch zusammen. zuführen, der Erfolg der Arbeit ward davon abhängen, wie start und entschieden die einzelnen Landesgruppen sich für die Durchführung der in den angenommenen Resolutionen in den Dr. Otto Suhr . einzelnen Ländern, einzusetzen vermögen.
fich auf oder vermahrten die verrosteten Operationswertzeuge. Die ganze Gegend wußte, wodurch sie ihren Unterhalt verdiente. Nur die Behörden ahnten nichts. Fünf Schwangere fonnten durch fie zugrunde gehen, Dußende dem Siechtum verfallen den Frauen war das wohl bekannt,
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die seelische Not zwang fie aber immer wieder unter die Hände diefes Abtreibungsweibs- auf Tod und Leben.
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Hätte P. schließlich nicht selbst die Frau B. denunziert, die Behörden wären wohl noch lange nicht hinter deren Treiben gekommen. Er, der Hauptschuldige erhängte sich, die Frau kam vor die Richter. Die Gerichtsverhandlung enthüllte aber wieder einmal die Aus= wegslosigkeit der schwangeren Proletarierin. Da war eine Frau K. Ihr Mann wünschte teine Abtreibung. Ihre
Aschner gibt also für die Erfolge der ,, Kurpfuscher" eine missenschaftliche Erflärung. Diese heißt Homoralpathologie, das Erbe der alten klassischen Medizin. Damit entfallen alle Versuche, die Erfolge der ,, Kurpfuscher" einfach abzuleugnen oder als Humbug hinzustellen. Welche Folgerung ist aus diesen Darlegungen zu ziehen? Die Volksgesundheit darf nicht einseitig beurteilt werden, sondern sowohl in der Schulmedizin, als auch in den inoffiziellen Medizinen sind wertvolle medizinische Erkenntnisse enthalten. Ist der Fortschritt der modernen Wissenschaft tatsächlich so bedeutend, daß sie von oben herab auf die Erfahrungen früherer Epochen herablicken kann? Aschner behauptet und dem wird man nur schwer widersprechen fönnen, daß er wiederholt den Nachweis erbrachte, daß die interne medizin vor 100 Jahren mit ihren damaligen, Heute vergessenen oder mißachteten Mitteln zahlreiche Kranf heiten heilen tonnte, wie sie heute ihre Ohnmacht eingestehen und diese Fälle dem Chirurgen überlassen muß. Die Krise der Medizin zeigt sich im Uebermuchern der Chirurgie, ein Beweis des Niederganges der internen Medizin. Sie zeigt sich darin, daß die beide Male Diagnose die Therapie ganz verdrängt hat. Die besseren zu belehren. Das öffentliche Anpreifen von empfängnis Eingriffe vor: im Jahre 1921 und im Jahre 1925
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Selbst diese Zahlen sind nicht imstande, sowohl die Anhänger des§ 218 als auch die Gegner der Empfängnisverhütung eines verhütenden Mitteln ist nach wie vor verboten. Während aber die Säuglingssterblichkeit bei den bemittelten Bevölte Säuglingssterblichkeit bei den bemittelten Bevölke ten bis auf 33 Proz. Sollte man es da den Proletarierinnen ver
Freundin vermittelte ihr die Bekanntschaft der Frau B. Diese durchftach ihr die Gebärmutter. Nach wenigen Tagen starb sie im Krankenhaus. Da war eine Frau G. Auch sie wandte sich in ihrer Not an die weise Frau und verschied an Blutvergiftung. Eine Frau D. hatte das erstemal im Jahre 1921 mit der Abtreibung Glüd. Im Jahre 1922 führte die Einspritzung zu Blutvergiftung und zum Tode. Auch bei der Ehefrau S. nahm Frau B. zweimal war die Frucht drei Monate alt; der zweite Eingriff endete mit dem Tode. Hier hatte eine Frau H. vermittelt, eine Proletarier.
Borlesungen sind von diagnostischen Erörterungen angefüllt und von schon den Hut zum Fortgehen in der Hand hat". Nicht der Krante, rungsschichten nur 9 Proz. beträgt, steigt sie bei den un bemittel frau, Mutter von vier Kindern; durch Kriegs- und Inflationsder Behandlung wird oft erst dann gesprochen, wenn der Profelfor
sondern die Krankheit ist das Wesentliche. Es gibt interne Kliniker, die als glänzende Diagnostiker bekannt sind, und niemand findet etwas daran auszusetzen, daß sie keine Therapeuten sind. Ist es da ein Wunder, wenn der Laie, für den selbstverständlich nur die Heilung von Bedeutung ist, sich von solchen Aerzten, die sich in die Betrach tung der Krankheit versenken und damit ihre Aufgabe erfüllt zu haben glauben, abwendet und beim„ Kurpfuscher" Hilfe sucht? Mit rücksichtsloser Offenheit spricht es Aschner aus: ,, Das Wichtigste in der medizinischen Kunst ist der Seilerfolg. Auf welche Weise er gewonnen wird, fommt erst in zweiter& inte in Betracht." Und solange, schreibt Aschner weiter, haben die inoffiziellen Medizinen ihre Eristenzberechtigung, bis die Wissenschaft sich von den Borurteilen befreien und das Gute aus den heute perhaßten ,, furPfuscherischen Methoden sich aneignen wird.
Aschner will durch den Ausbau der Konstitutionstherapie, der Basis der furpfuscherischen Erfolge, der medizinischen Wiffenschaft neue Wege weisen. Der beporstehende Systemwechsel, von dem Aschner spricht, wird in der Revision des Verhältnisses 3 wischen Schulmedizin und inoffizieller medizin bestehen. Wie wichtig und bringlich diese Umorientierung der Wissenschaft ist, geht daraus hervor, daß heute nach neueren Schöhungen vier Fünftel der Menschheit, in Deutschland allein fajt die Hölfte der Bevölkerung, von Kurpfuschern behandelt wird. Bielleicht sind diese Zahlen zu hoch gegriffen fest steht jedenfalls, daß ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung das Vertrauen zu den Aerzten perioren hat, Dr. Julius Moses,
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Frau laufen?
denken, daß sie, um dem Kindersegen Einhalt zu tun, zur weisen Eine Berliner Gerichtsverhandlung rollte vor einiger Zeit den gesamten Abtreibungskomplex in feiner ganzen Schwere auf. Der Fall erinnerte an denjenigen des 2 potheters heiser. Während dieser aber feinen Todesfall zu verzeichnen hatte,
waren durch den Eingriff der Frau B. fünf Frauen ums Leben gekommen.
Auch ihr wurde eine große Zahl von Abtreibungen zur Last gelegt; es hieß, sie habe im Laufe von sechs Jahren tausend Frauen unter ihren Händen gehabt; bloß 40 Fälle standen zur Anklage... Diese einfache Arbeiterin verstand nichts von Medizin; sie hatte sich auch nicht träumen lassen, daß sie je wegen gewerbsmäßiger Abtreibung vor Gericht stehen würde. Als sie eines Tages von dem Arbeiter P. in andere Umstände tam, versuchte er selbst an ihr eine Abtreibung er hatte die Kunst bei einer Hebamme gelernt. Er führte ihr die Arbeiterinnen selbst zu; weigerte sie sich, seinem Wunsche zu entsprechen, so drohte er ihr mit Anzeige. Er mißhandelte fie, nahm ihr das Geld ab und vertrant es. Die Ab. treibungstätigkeit wurde aber Frau B. schließlich zur Gewohnheit, 3 um lohnenden Geschäft. Die Arbeiterfrauen überliefen fie förmlich. Sie besaß jeste Kundinnen, bei denen sie zwei, dreimal die Abtreibungen vornahm. Eine empfahl die andere. Manche von ihren früheren Patientinnen begleiteten sie bei ihren Besuchen, andere nahmen die in ihrer Behandlung stehenden jungen Mädchen bei
zeit geschwächt, fürchtete fie, ein fünftes Kind zu bekommen. Frau B. nahm bei ihr zweimal Eingriffe vor. Ebenso bei der ledigen R.; das zweitemal war es bereits ein vollkommen ausgetragenes Kind. Bei einer Frau W. waren es in furzen Zwischenräumen zwei Eingriffe; der Ehemann arbeitslos, die Familie in größter Notlage, so durften nicht mehr Kinder zur Welt kommen. Mit vier Kindern bes lastet war auch die Arbeiterfrau N. und mit drei Kindern die Frau D.
Das Gericht ließ verhältnismäßige Milde malten. Es fonnte fich nicht der Tatsache verschließen, daß Frau B. nur unter dem 3wange ihres Mannes zu ihrer gewerbsmäßigen Abtreibungstätig feit gefommen war und verurteilte sie zu drei Jahren Gefängnis unter Anrechnung von zehn Monaten Untersuchungshaft
Die Frauen, die früher zu Frau B. gingen und die anderen, die zu ihr gefommen wären, wenn sie ihre Tätigkeit nicht hätte ein. stellen müssen, haben zweifelsohne irgend eine andere weise Frau ausfindig gemacht. Daran hat dieser Abtreibungsprozeß ebenin wenig geändert wie der Prozeß Heiser.
Er wird aber zu neuer Anklage gegen den§ 218. Die Abtreibungen der Leibesfrucht muß grundsätzlich straffrei bleiben. Das heischt das Leben selbst. In gleichem Maße fordert es, daß die Boltsaufklärung über die Mittel zur Verhütung der Empfängnis freigegeben wird und daß die empfängnisverhütenden Mittel der arbeitenden Bevölkerung unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Dies allein wäre die beste Methode zur Bekämpfung der Abtreibung. L. R.