Oer Vater darf die Tochter töten! Strafgesetzreform in Mexiko . New Bork. 17. Oktober. Der neue Strafgesetzcntwurs in Mexiko , den Präsident Portes Gil aus Grund der ihm vom Kongreß verliehenen besonderen Machtbefugnisse versaßt, sieht unter anderem vor, daß ein Vater das Recht hat. seine Tochter und ihren Versührer zu töten. wenn die Tochter sich freiwillig hingegeben hat. 3m Aalle von Ehebruch darf der geschädigte Teil den anderen töten, ohne bestraft zu werden. Das Strafgesehbuch, das am lS. Dezember in Kraft tritt, schafft die Geschworenengerichte ab und ersetzt sie durch Gerichtshöfe, die aus 3rrenärzten und anderen Sachverftändi- gen bestehen.
Oie Veichsnchier unter Anklage. Die VerufungSverhandlung gegen Reichert und Bewer. Vor dem Landgericht II begann heute morgen die Beruifungs- Verhandlung in der Verleumdungsklage des Schriftstellers Leopold Schwarzschild gegen den Senatspräsidcnten beim Reichsgericht, Reichert, und den Reichsgerichtsrat a. T>. Aewer. Die Angelegenheit hat in der Oeffentlichkeit viel Aufsehen erregt, weil der Fall Jakubowsti in sie hineinspielle. Der Redakteur des„Tagebuch", Schwarzschild , hatte im„Bertiner Tageblatt" einen Artikel„Der fohrläflige Richter" veröffentlicht: unter Bezugnahme auf den Jakubowfti-Prozeß warf er darin die Frage auf, ob nicht auch ein Richter wegen Fahrläffigkeit strafrechtlich belangt werden könnte! Reichsgerichtsrat a. D. Bewer hatte darauf in der„Deutschen Richlerzeitung". die vom Senatsprästdenten beim Reichsgericht. Reichert, verantwortlich gezeichnet wird, in einem„Justizmord?" überschriebenen Artikel Schwarzfchild einen rechtbeugenden Literaten genannt. Diese Bezeichnung gab den Anlaß zu einer Verl e umdu ngsblage. Obgleich das Amtsgericht die Eröffnung des Verfahrens ab» gelehnt hatte, ordnete die Beschwerdekammer feine Eröffnung an. Die erste Instanz gelangte zu einem Freispruch der beiden Richter. Sie billigte ihnen die Wahrung berechtigter Jnteressen zu mit der Begründung, daß die Angeklagten als Vorsitzende respektive Schriftleiter des Deutschen Richterbundes die Gesamtheit des oeutfchen Richterstandes zu vertreten hätten. Im übrigen fall zu- gegeben werden, daß sie sich bewußt waren, die Ehre des Klägers, wie auch aller sonstigen Schriststeller, die ähnliche Artikel schreiben, zu kränken. Gegen dieses Urtell hat Leopold Schwarzschild Berufung eingelegt. Di« heute beginnende Verhandlung ist insofern von besonderem Interesse, als bereits nach dem Reichert-Bewer-Urteil in Neustrelitz der Prozeß Rogens stattgefunden Hot, dessen Ergebnis in jedem vorurteilslosen Menschen die Ueberzeugung entstehen lassen mußte, daß im Iakubowski-Prozeß zweifelsohne ein gut Teil Fahr- läfsigkeit die Hand mit im Spiel gehabt hat. Nach Verlesung des Ilrteils erster Instanz der in Frag« kommenden Artikel stellte Rechtsanwalt Dr. Paul Levi als Vertreter der Nebentlage den Antrag auf Verlesung des Urteils im Prozeß Rogens und Genossen. Durch seinen Inhalt soll bewiesen werden, daß die Angeklagten unwahr« Tatsachen behauptet haben und daß sie bei Ausstellung ihrer beleidigenden unwahren Behauptungen leichtfertig und unter Außerachtlassung der Sorgsalt erfahren sind, die bei Veröffentlichungen so schwerer Angriffe not. wendig waren._
Nluiige politische Zusammenstöße. Aattonalisten als ständige Friedens- und Ruhestörer. 3n der vergangenen Rächt ist' e» in Wilmersdorf und in Moabit wieder einmal zu Schlägereien zwischen natlonali st ischen Rowdys und Andersgesinnten gekommen. 3n einem Aalle waren es Reichsbanner- leute, die von Horden des Siahlhclms überfallen wurden. In der Mecklenburgischen Straße in W ilmers- d o r f gerieten gegen 23 Uhr Kommunisten mitNational- l o z i a l i st e n in ein Handgemenge, in dessen Berlauf zwei der Gegner durch Messerstich« schwer oerletzt wurden. Die Der- letzten muhten in da» Achenbach-Krankenhaus übergeführt werden. Els Personen, die an der Schlägerei beteiligt waren, wurden von der Polizei festgenommen und ins Pvtizeipräsidmm gebracht. In der Brückenalle« wurden politisch Andersdenkende von S t a h l h e l m e r n, die in größeren Trupps durch die Straßen marschierten, beschimpft und mit Steinen beworfen. Aus den Rechen der Stohlhelmer wurde plötzlich«in Schuß abgefeuert, durch den glücklicherweise niemand verletzt wurde. Leider gelang es nicht, den Reoalverschiitzen zu ermitteln. Di« Polizei war alsbald zur Stelle und nahm bei einer größeren Zahl der Stahlhelm« eine Durchsuchung nach Waffen vor. Eine Person wurde wegen Besitzes eines langen Dolches Zwangs- gestellt. Außerdem mußten 14 Personen, die sich in eine Schlägerei eingelassen hatten, nach ihrer Festnahm« den Weg zum Polizei- Präsidium antrete�. Der Reichsausschuß für dos„Volksbegehren" hatte gestern abend zu einer öffentlichen Kundgebung im Lokal Gärtner, Holsteinische Straße 2S, aufgerufen. In dem Saal waren auch zahlreiche Anders- gesinnt« anwesend. Die Ausführungen der Redner gipfelten in Be- schimpsungen von Republik und Regierung. Während der Dis- kussionsrede eines R«>ch»bannermannes kam e, plötzlich zu einem Tumult, bei dem eine Person durch«inen Hieb mit einem Schlagring ein« schwere Gesichtsverletzung erlitt. Auch hier war die Polizei bald zur Stelle und stellte die Ruhe wieder her. Em Sersammkiilgsteilnehmer wurde jvegen Waffenbesitzes zwangsgestellt. Bei der Durchsuchung des«aales wurden aus dein Fuß« boden noch mehrer« Schlagringe gefunden, deren sich die Besitzer, um ihrer Festnahme zu entgegen, rasch entledigt hatten.
Leiparts Befinden befriedigend. Das Befinden des schwer oerletzten Genossen Theodor Leipart ist den Umständen gemäß günstig. Die Nacht ist gut oerlaufen, die Schä deloerletzung hat zu neuen Hirnblutungen nicht geführt, die Folgen der schweren Gehirn- crschütteriing beginnen langsam abzuklingen. Leipart wurde vor- gestern von dem bekannten Berliner Chirurgen Unioersitätsprofessor Sauerbruch gemeinsam mit dem behandelnden Arzt Professor Pribram untersucht. Auch Professor Kraus wurde zur Be- urtellung d« Herztraft, d'e zu Besorgnissen Anlaß gegeben hatte, hinzugezogen. Don allen Aerzten wurden die bisher ange» wandten Maßnahmen gebilligt. Das wichtigste Er» fordernis ist nach wie vor absolut- Ruhe, daher wird auch weicerhin niemand beim Genossen Leipart vorgelassen. Di« Meldung, daß Leipart gestern operiert worden sei. ent- spricht nicht den Tatjachen.
Alte Konzerte Konzertrundschau/ Erstes Klemperer-Konzert. Ein wenig zögernd, lustlos, langsamer als in früheren Jahren, hat die Berliner Konzertsaison eingesetzt. Mit dem ersten Sinfonie- konzcrt der Republikoper, dem ersten Klemperer- Konzert, sind wir wieder in der Höhe des Ereignishasten. Eine Erstauft'ührung eröffnet: Klavierkonzert von Eduard Erdmann :-der Komponist sitzt am Flügel. Vor zehn Iahren hatte fein Name fenjationellen Klang. Die heraufstürmende Ge- nevation der Jungen— der Jüngsten damals— hatte in ihm, ihren, Alters-, Richtungs- und Kampfgenossen, einen Interpreten gefunden, der mit der fanatischen Besessenheit des Propheten und mit den Gaben einer wahrhaft phänomenalen Musikalität für sie warb. Den, inneren Erlebnis jener Tage ist der Komponist treu geblieben. Sein Klavierkonzert. 1928 beendet, hört sich an wie eines jener Werk«, die in den ersten Nachkriegsjahren das Publikum in zwei feindlich« Lager gespalten, in der Musikerwelt den wütendsten Kampf der Deister und Ungeister entfesselt haben. Ein verträumter Romantiker, weltfremd, unsagbar gegenwartsfern, hat er die aufriihrerisch-wilde Gest« von damals konserviert, den Modernitätskrampf von einst als menschlich- künstlerisch« Grundhaltung stabilisiert. Aber unerbittlich enthüllt sich heute das fundamental« Mißverständnis jener Art des Musizierens, die sich in der Nachbarschaft vvn Bufonis„Neuer Klassizität" angesiedelt hat und sich in der Ueberfteigerung expressionistischer Ge- bänden, verzehrt, die nach innerer Einfachheit und Wahrhaftigkeit zu streben venneint und mit den klanglichen und harmonischen Reiz- Mitteln der späten Romantik expressivsten Mißbrauch treibt. Bon schöpferischer Berufung vermag Erdmann an diesem seltsam bizarren Werk der Aurückgebliobenheit nicht zu überzeugen, o-ber die fromme Gläubigkeit, mit der er seinem zweifachen Irrtum hingegeben ist, wirkt tief sympathisch und die grandiose Leistung des Pianisten ent- fesselte einen Sturm verdienten Beifalls. Zweit« Progvammhälste: Neunte Sinfonie von Bruckner . Durch Klemperer erhält das Werk ein« unvergleichliche Gestaltung. Den„Kenner" mag vielleicht manches befremdet haben; wir überlassen den Streit um die allein richtig« Auffassung willig den professionellen Besserwissern. Der Eindruck war groß, stark, znfingend. Das Konzertjahr der Repu-blikoper hat in gewohnter Höhe eingesetzt. Allerlei Konzerte. Ohne Erösmungssensotion haben die altgewohnten, altbewährten Sinfoniekonzerte der Philharmoniker und der„Sinfoniker"— wie wir des Gleichklangs und der Kürze ha-kber das Berliner Sinfonie- orchester nennen wollen— ihren Platz in der erwachenden Konzert- faifon wied« eingenommen: die großen Abonneinentszyklen— die Philharmonischen und die Bruno-Wolter- Konzerte— haben noch nicht begonnen. Als drittes Konzertorchest« präfenttert sich das Berliner F u n k o r ch e st e r an einem Sinfonieahmd in der Sing- okademie. Seine Aufgaben liegen auf anderen, Gebiet; aber es ist gut, wenn es hi« und da vor einem veritablen KonzertMblikum sein« Lesstungsfähigkeit erprobt. Unter Carl Schurichts, des Wiesbadener Generalmusikdirektors, überlegener Führung, nach sehr eingehender Probenarbeit besteht es in Max Regers Hill«- Variationen höchste Ansprüche. Die musitantische Urkraft und wahr- hast imposante Satzkunst seines Schöpf«? heben dies Werk hoch über seine Gattung. Doch wie es sich aus nur-handwerklichem Anlaß und Borsatz— spielerische Umformung einer harmlosen kleinen Melodie von I. A. Hiller— in die Himmelshöhen und-wetten eines Brucknerischen Sinfoniefinal« reckt, fühlen wir es in einer Zeit zurückgeblieben, die allzu bereit war, den Alltag ihr« Musik
Theater am Vollendorfplah. „Militärmusik.. Das Stück ist von George S. Brooks und Walter B. L i st e r und, wie dos Programm ankündigt, eine Tragikomödie. Eine Tragikomödie auch die Ausführung. Tragisch im bis zum Zynismus seichten Humor, komisch im Zug der S«lbstüb«hebung. die diese Premiere atmet. Das Stück ist ausgesprochener Mist und wird im Theater am Rollendorsplatz mit der Geste— hier werden Perlen vor die Säue geworfen--- gezeigt. Anscheinend will dos Stück gegen den Kapitalismus austreten, e» erzielt jedoch keine andere Wirkung als Gelächter. Der Milliardär Henderson wird hier gezeigt, Gebieter eines Riesenvermögens und einer Menge von Industrien, ein skrupelloser Geschäftsmann, aber mit leisem Herzton. Er hat ein« Tochter Mabel und einen Prokuristen Eobb. Der Prokurist, angewidert von Henderson» unbedenklicher Art, Geschäfte zu machen, erfüllt jed'ch bis zum End« des Stückes wie ein Held die Pflicht, es sich gut gehen zu lassen und ein reicher Mann zu bleiben. Auch Henderson gebärdet sich wie«in stiller Märtyrer, obwohl-r eine Revolution in Mexiko anzettelt, weil das seine Geschäfte fördert, und den au» einem Groschenroman entlehnten General de Castro mit der Aus- führung betraut. Inzwischen hat Mabel den jungen Park-tun!,, Sohn des ehemaligen USA.-Präsidentm, den sie, wie man später sieht, liebt, in die Firma ihres Vater» empfohlen. Parkmann wird nun von Henderson angestellt, nach der mexikanischen Niederlassung der Firma entsandt, obwohl dort de Castro ein« Revolution macht und das Leben des Jungen in Gefahr ist. Aber das wollen die beiden gerode, Henderson und Cobb. Denn würde ein Mann mit dem Namen des jungen Parkinann umgebracht, dann wäre Amerikas Kolonialarmee gleich auf den Beinen und griff« ein. Und das— das erfordert gerade Henderfons Geschäft. Parkmann wird in Mexiko programmäßig niedergeknallt, obwohl es sich später herausstellt. daß er noch lebt und so die Möglichkeit hat. Mabel zu heiraten. Gegen Henderson kann nichts unternommen werden, da er ja auch die Presse und somit die öffentliche Meinung beherrscht. Um es noch einmal kurz zu sagen: Das Stück ist zu leicht, um eine ernste Tendenz vertreten zu können, und zu schlecht, um fröhlich zu stimmen. Paul Graetz gibt den Milliardär Henderson. still, ver- schlössen, skeptisch, mit einem leisen Hauch der Resignation. Schade um die aufgewandte Mühe. Auch sonst sind rein darstellerisch zu loben Ernst Busch , Kurt Vespermann , Diktor de Kowa, Elisabeth Frank und Raul Lange. Das Publikum pfiff, applaudierte und— lachte. Alexander von Sacher-Masoctt,
Walter oon IüuIo Heft auf(Siulabuna der Valkibühne®. C. am �onnfan. dem 20. Cdoti-r, 20 Nhr. im Bittgersaal de? Ratbaute», Eingang Königilrave, au» seinen Werken. Ei»« Aühnma durch die Jury frei« kuustichau veranstaltet Pros. Her- mann Sand kühl am 19., 16 Uhr.
/ Neue Mufik. Von Klaus pringsheim. feierlich-pathetisch zu verklären. Von wie anderer Art ist Paul Hindeiniths Violinkonzert, das ini Programm voranPvg. Merkwürdig, in wie kurzer Zeit der junge Meister, der vor einigen Iahren noch in einer Reihe init Komponisten vom Schlage Eduard Erdinanns zu stehen und zu kämpfen schien, sich aus ihrer Reih« und Richtung zu einem persönlich klaren, persönlich überzeugenden Stil empor- gcrungen hatte. Beim Schassenden kommt es halt mehr auf Begabung als auf Richtung an. Gewiß, wo einer steht, ist wichtig; wichtiger ist, wie hoch er steht. Und merkwürdig, oder jedenfalls bomerkenswert, in wie kurzer Zeit dieses durchaus neuartige Violin- konzert sich als ein Stück Gebrauchsmusik durchsetzt. Diesmal spielt es Maurits van den Berg, der erste Konzertmeister des Orchesters, souverän und mit höchster Feinheit im Geigerischen. Er erreicht in seiner Art die bewunderte Leistung Joses Wölfsthals, dessen vitalere Art freilich dem künstlerischen Charakter des Werks noch gerechter wird. Man hat dies« Leistung in der vorigen Saison in einem Kleinperer-Konzert mit Recht bewundert: neulich bestätigte sie sich von neuem in einem vom Volksbildungsamt Charlottenburg mit dem Philharmonischen Orchester im Konzertsaal der Hochschule ver- anstal-teten Sinfoniekonzert(Dirigent: Iascha Härenstem). Der Abend— der erste einer Reih«— ließ keinen Wunsch, doch immerhin die Frage offen, aus welchem Grunde er ausdrücklich als„F e st- konzert" angekündigt war. Es bestand nicht irgendein„festlicher Anlaß": und aus Erfahrung glauben wir zu wissen, daß all« großen Konzertoeranstoltungen des Bolksbildungsamts sich solch festliches Niveau der Ausführung zum Ziel setzt. Im übrigen, wie alljährlich, Solistenkonzerte ohne Zahl. Gesang und Klavier überwiegen, Ausländer herrschen vor. Unsere Leser haben gewiß kein Interesse, fortlaufend über Namen und Leistung von Konzertgebern unterrichtet zu werden, die eingestandenermaßen Konzerte nur zu dem Zweck geben, damit die Zeitungsleser über ihre Namen und Leistungen unterrichtet werden. Wenn die bürger- liche Presse jede Veranstaltung, die sich als„Konzert" anbietet, ge- wissenhaft registriert und rezensiert, so mag sie wissen, warum sie es tut; sie fördert damit den Unfug jener Konzerir, an denen seit Jahren unser Musikleben krankt. Immerhin gibt es jetzt da eine Neuerung, die vielleicht als erster Schritt, als Versuch, auf dem Wege zur Gesundung zu begrüßen ist: die von Lipa Ehrens ein- geführten„Einführungs-Kurzkonzerte": noch unbekannte oder unerprobte Künstler sollen hi« Gelegenheit erhosten, sich geradewegs an den Hörerkreis zu wenden, auf den allein«s ihnen fürs erste ankommt, an die Presse. Sache der Zeitungen mag es dann fein, ihren Lesern zu berichten, wcnn's gelohnt hat. Vor geladenen Gästen, spätnachmittags im Bechftein-Saal, hat neulich der polnische Baritonist Eugen Mossakowsty sich hören lassen; es hat genügt, die Fachwelt auf«ine Stimm« und einen Sänger van bedeutenden Qualitäten aufmerksam zu machen. Ab« in der Er- innerung hastet, obgleich es nun schon länger zurückliegt, der Lieder- abend des tschechischen Bassisten Pavel Ludikar . In jungen Iahren von Angela Neumann als stärkst« Hoffnung für die deutsche Opern- bühne entdeckt, fand er damals über Mailand den Weg an die Metropolitan-Oper in New Dort. Auf der Höhe reifen Künstler- tums erscheint er nun zum erstenmal auf dem Konzertpodium des Beethoven-Saals. Ein halb nationales, halb internationales Lieder- Programm, er singt in fünf Sprachen, Alles. Neues, Ernstes, Heiteres, ein grundmusikalischer Sänger von erstaunlicher Einfühl- samkeit, Vielseitigkeit und Vielgestaltigkeit des Ausdrucks, aus- gestattet mit dem Instrument einer schönen, persönlich timbrierten Stimme, das er mit überlegenem Können meistert. Solch« Konzert- geber, solche Gäste müssen uns immer willkommen fein.
„Der-14. Juli." Vevolutionsdrama von Vomain Volland. Llraufsührung im Schauspielhaus Frankfurt a. M. (Von unserm Sonderberichterstatter.) „Der 14. Juli" ist das erste von vier vollendeten Reoolutions- stücken, die Rolland für ein„Theater des Volkes" schrieb. Dieses Theater, die erträumte Pariser Volksbühne, kommt nicht zustande: was übrig bleibt, sind vier Revolutionsdramen und eine einmalige Aufführung des„14. Juli" in einem Pariser Theater Anno 1902 ohne Resonanz. Jetzt, über ein Vierteljahrhundert später, wird es wieder gespielt, in der Geburtsstadt Goethes: vor Zuschauern, die zwar nicht„Volk",„Masse" sind, bis auf wenige Ausnahmen. Aber die Dichtung, sie lebt; die Flamme der Begeisterung ist nicht erloschen: das„Historische" ist nicht veraltet, es ist aktuell wie gestern und heute. Held dieses Dramas ist die Masse. Arbeit«, Bettler, Frauen, Kinder, Soldaten. Alle Klassen, jedes Alter. Zeit: vom Sonntag morgen, dem 12. Juli 1789. bis Dienstag abend, dem 14., nach dem Sturm der Bastille. Di« Einzelperfönlichkeit— Marat, Robefpierre, Desmoulins — ist nichts, sie verschwindet„im Ozean des Volkes", wie Rolland sagt. Nicht um die kleinliche Wiedergabe von Einzelzllgen geht es hier, nicht um die Aufbewahrung von Anekdoten— die spontane Erhebung der Massen, ihre Begeisterung, ihr Mut, ihr Kampf wird gezeigt. Die Ausführung(Regie: Eugen F e l l« r) litt unter dem Zwie- spalt zwischen Bühnenbild und Kostüm. Es mutz ein Mißklang ent- stehen, wenn das Palais Royal nach den Gesetzen des Kubismus aufgebaut ist; die Kostüme dagegen den Charakter der Epoche behalten haben. Trotzdem wirkte das Bühnenbild(Ludwig S i e o e r t) dem großen Stoff angemessen. Darstellung: eine beachtenswerte Leistung gab Paul Ver- i) o e v e n in einer Monologszene als Bettler, umwittert von der Tragik des ausgestoßenen Lumpcnproletariers, der die nahende Freiheit erfühlt und einmal spürt, was Menschsein heißt. Franz Schneider als Gouverneur der Bastille verkörperte den Zynismus einer untergehenden Klasse. Heinrich Heilinger (Marat ) blieb in der Auftrittsszene von tiefer Eindringlichkeit. Frau D a u b als Schauspielerin der Comedie Fran<:aise zog die Register der großen Tragödin und hatte zugleich die Zügellosigkeit einer Mänade. Toni Impekoven (alter Invalide in der Bastille ) und Mathilde Einzig als Gemüsehökerin waren echte Typen des Volkes, die in ihren alten Tagen sich mst den Jungen auf die Seit« der Reoolu-, tion schlugen. Die Hauptperson des Dramas, die Masse, wirkte nur suggestiv wenn sie marfchi«te: leblos und deklamatorisch jedoch, wenn sie „Sprechchor" mimte. Zugegeben, daß das Volk, das die große Revolution machte, fessellos war: die Bühnenwirksamkeit der Massen- szenen kann durch rhythmische Disziplinicrung nur gewinnen Das Publikum spendete nach anfänglichem Zögern starken Beifall. Kurt Offenburp'